Author’s Note:
Triggerwarnung: Selbstmordgedanken.
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KAPITEL 27
Rosarote Zukunftspläne
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„Na los, zeig endlich her“, fordert Brooke aufgeregt. Die Rede ist natürlich von meinem Verlobungsring. Ich strecke meine Hand aus und lasse meine Freundinnen einen Blick darauf werfen. Ich habe mir extra die Nägel machen lassen, damit meine Hände vorzeigbar sind.
„Oh mein Gott, der muss ein Vermögen gekostet haben“, gibt Hailey begeistert von sich. „Matt muss dich über alles lieben.“
„Ja, der Ring war aber gar nicht das größte Geschenk“, gestehe ich. „Er hat mir eine Birkin Bag gekauft. Eine Birkin Bag. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mir so etwas von ihm zu wünschen. Um diese Tasche könnte ich mir ein Auto kaufen. So ein teures Designerstück brauche ich doch gar nicht.“
„Gern geschehen, Süße“, antwortet Amber und zwinkert mir zu, dann greift sie nach ihrem Sektglas. „Er hat mich gefragt, was du dir wünschen könntest.“
„Bist du wahnsinnig?“, frage ich überrumpelt. „Das-Das ist doch zu viel. Ein riesiger Verlobungsring ist eine Sache, aber Matt schenkt mir zu viel. Ich brauche das alles gar nicht.“
„Besser man hat es nicht und braucht es … Moment irgendwas ist da falsch.“ Brooke lehnt sich zurück an die Polsterung der Couch und trinkt aus ihrem Glas. Amber lacht, dabei schüttelt sie den Kopf. Brooke hebt ihren Zeigefinger. „So, jetzt aber: Besser du hast es und brauchst es nicht, als du hast es nicht und brauchst es. Geschafft.“ Stolz grinst sie mich an, dann trinkt sie ihr Glas leer. Sie war wohl schon nicht mehr nüchtern, als sie angekommen ist.
Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Meine Freundinnen sind offensichtlich nicht die Zielgruppe für meine Beschwerde. Es ist ja auch ein trauriges und armseliges First-World-Problem. Sich über zu schöne, zu teure Geschenke zu beschweren, ist eigentlich peinlich. Wahrscheinlich hätte ich gar nichts sagen sollen. Dass meine Freundinnen einen größeren Wert auf materielle Dinge legen, als ich es tue, ist mir ja nicht neu.
„Sei doch nicht so undankbar“, meint Hailey unverblümt. „Matt liebt dich und er kann es sich leisten, dich zu beschenken. Nimm es doch einfach an und wenn du das Gefühl hast, dass du ihm was zurückgeben musst, dann lass ihn hinten ran.“
Ich hebe meinen Kopf aus meinen Händen. „Was?“
„Oh mein Gott, das hast du jetzt nicht gesagt“, gibt Brooke geschockt von sich, doch dann lacht sie los.
„Ja, aber so unrecht hat sie doch gar nicht, oder?“, stimmt Amber unserer Freundin zu, dabei tätschelt sie den Oberschenkel ihrer Schwester.
Leidend greife ich zu meinem Champagner. Eigentlich wollte ich nicht trinken, aber ich fürchte, dass ich dieses Treffen nicht überlebe, wenn ich mich nicht zumindest ein bisschen volllaufen lasse. Am Ende dieses Tages bin ich wahrscheinlich wirklich Alkoholikerin.
„Um das klarzustellen: Es ist nicht so, dass ich das Gefühl habe, dass ich Matt etwas schuldig bin oder dass ich denke, dass ich ihm irgendetwas zurückgeben muss. Ich mag es nur nicht, mit so vielen Geschenken überhäuft zu werden. Das ist mir unangenehm.“
„Du bist seltsam“, meint Hailey, dann zuckt sie mit den Schultern. „Ich verstehe nicht, wieso du dich nicht einfach freuen kannst.“
„Weil sie untervögelt ist“, wirft Amber ein, dann trinkt sie ihr Glas leer und beugt sich gleich zu dem Couchtisch, um die Champagnerflasche aus dem Flaschenkühler zu nehmen. „Wahrscheinlich wäre es besser, wenn Matt sie auf der hübschen Marmorplatte der Küche beglückt. Wenn sie anständig gevögelt wird, dann kann sie sich auch wieder freuen.“
„Das ist aber weder sehr bequem, noch besonders hygienisch“, antwortet ihre Schwester, dann schubst sie sie an.
„Hey, ich versuche gerade hier ein Glas zu füllen.“
„Wenn du schon dabei ist, füll meines auch“, bittet Hailey sie und auch Brooke trinkt aus und stellt ihr Glas auf den Tisch. Amber füllt alle Gläser, dann steht sie auf, um die leere Flasche gegen eine volle Flasche aus dem Kühlschrank einzutauschen.
Ich gebe es auf, meine Gefühle auszudrücken und lehne mich in meinem bequemen Sessel zurück. Egal, wie sehr ich versuche, mich zu erklären, meine Freundinnen würden nicht verstehen, was mein Problem ist. Wahrscheinlich sind die Geschenke selbst gar nicht das Problem, sondern eher, dass ich das Gefühl habe, dass die Geschenke gar nicht für mich sind. Sie sind Schmuckstücke, um etwas auszusagen. Wahrscheinlich sollen sie allen um mich herum zeigen, dass Matt ein reicher Mann ist. Gedankenverloren schwenke ich das Champagnerglas in meiner Hand. Ich sehe der goldenen Flüssigkeit zu, wie sie sich in dem Glas bewegt. Die kleinen aufsteigenden Bläschen werden durcheinandergewirbelt. Ich trinke mein Glas leer und stelle es auf den Tisch.
„Kannst du mein Glas bitte auch auffüllen?“
„Für dich immer, meine Süße.“
Amber zieht den Champagner wieder aus dem Flaschenkühler. Man sieht ihr an, dass sie sehr geübt darin ist, den Korken knallen zu lassen. Sie legt ihn auf den Tisch und beugt sich dann in meine Richtung, um mein Glas zu füllen.
„Es war übrigens sehr schade, dass niemand von euch auf der Afterparty nach meiner Halloweenparty war. Durch die Kostüme haben sich tolle Rollenspiele ergeben. Das war wahrscheinlich einer der aufregendsten Abende in meinem Spielkeller.“ Sie grinst mich an, dabei steckt sie die Champagnerflasche in den Kühler, bevor sie sie wieder herauszieht und wieder hineinsteckt. Sie wackelt mit den Augenbrauen.
„Hör auf damit“, gebe ich grummeliger von mir, als ich es eigentlich wollte.
Amber kichert, dann lehnt sie sich mit ihrem Champagnerglas in der Hand wieder zurück. „Es ist eine Schande, dass Matt manchmal so verklemmt ist.“
„Amber, ich glaube, dass Ilaria nicht mehr darüber reden will.“ Brooke wirft ihrer Schwester einen genervten Blick zu. „Lass sie in Ruhe.“
„Ich meine ja nur“, entgegnet Amber ihr. „Aber gut, dann ein Themenwechsel. Wie sieht es mit der Hochzeit aus? Du kannst mit deiner Figur jedes Kleid tragen. Und man kann nie früh genug damit anfangen, sich ein Kleid auszusuchen. Wir sollten bald die Brautgeschäfte stürmen. Das könnte lustig werden.“
„Ihr beide werdet so wunderschön aussehen“, gibt Hailey verträumt von sich. „Habt ihr euch schon entschieden, was ihr machen wollt? Große Hochzeit oder vielleicht doch lieber im intimen Kreis? Draußen? Drinnen? Vielleicht am Strand?“
Ich seufze. „Matt und ich hatten noch keine Gelegenheit darüber zu sprechen. Der Antrag ist noch keine 24 Stunden her“, erkläre ich, dann zucke ich mit den Schultern. „Seine Familie ist ziemlich religiös. Wahrscheinlich werden wir in einer Kirche heiraten. Alles andere würde seine Grandma ins Grab bringen.“ Ich blicke auf mein Glas, dann zu meinen Freundinnen. „Mir wäre eine kleine Hochzeit am liebsten. Nach dem riesigen, überrumpelnden Antrag möchte ich lieber nicht zu viele Gäste. Ich möchte, dass die Hochzeit für uns und nicht für alle anderen ist.“ Ich streiche mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. „Es wäre mir unangenehm, zu viele Gäste zu haben. Dann kann man sich gar nicht mit allen unterhalten. Lieber nur die Leute, die ich auch wirklich dabeihaben will und kein entfernter Cousin von einem Cousin oder so.“
„Aber uns lädst du doch ein, oder?“, fragt Hailey. Auch Amber lehnt sich in meine Richtung.
„Natürlich lade ich euch ein“, antworte ich, ehe ich den Kopf schüttle. „Wenn ihr nicht da seid, um mich aufzuhalten, laufe ich vielleicht weg.“
„Ich hoffe doch, dass das ein Scherz war.“ Brooke sieht mich ernst an. „Ihr heiratet ja noch nicht morgen. Du hast noch mehr als genug Zeit, dich an den Gedanken zu gewöhnen.“ Meine beste Freundin sieht auf ihre Hand. Sie betrachtet ihren Ehering. „Du wirst sehen, dass sich dein Leben bessert. Sorg nur dafür, dass sich ein Anwalt den Ehevertrag ansieht, falls Matt unbedingt auf einen Vertrag besteht.“
„Ja, sieh zu, dass du zumindest die Hälfte von allem bekommst, wenn ihr euch wieder scheiden lässt und dass er dich nach der Scheidung durch Unterhalt weiterversorgt“, stimmt Amber ihrer Schwester zu.
„Gott, Mädels. Ilaria ist noch gar nicht verheiratet und ihr wollt ihr schon Tipps zur Scheidung geben. Das ist nicht besonders konstruktiv.“
Innerlich schreit alles in mir danach, meine Sportschuhe anzuziehen und so weit wie möglich wegzulaufen. Ich liebe meine Freundinnen, aber dieses Gespräch gleicht eher einer Folter, als einer Aufmunterung. Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie unangenehm mir diese gesamte Situation ist. Der Champagner hilft mir dabei, dieses Treffen zu überstehen. Ich werde allerdings noch das eine oder andere Glas brauchen.
· • ❀ • ·
„Und wie war dein Tag?“, fragt Matt mich. Er setzt sich zu mir auf die Couch und legt seinen Arm um mich. Noch immer ganz duselig von dem vielen Champagner lehne ich mich an meinen Verlobten. Mit einem Druck auf den seitlichen Knopf meines Smartphones lasse ich den Bildschirm erlöschen. Die vielen Glückwünsche werden nicht weniger.
„Ganz nett. Ich kann nur immer noch nicht fassen, dass wir heiraten.“
Matt lacht. „Ja, ziemlich verrückt, dass du jetzt meine Verlobte und nicht mehr meine Freundin bist. Ich musste mich heute einige Male selbst ausbessern, weil ich das noch gar nicht im Kopf habe.“ Er drückt mich an seine Seite und küsst meine Schläfe. „Und bald bist du meine Frau und die Mutter meiner Kinder.“
Meine nervösen Finger krallen sich in die kuschelige Decke, mit der ich zugedeckt bin. „Ja. Ich weiß nur nicht, ob ich das mit den Kindern wirklich so schnell machen möchte.“
„Naja, wir sind jung, wir haben die finanziellen Mittel und die Unterstützung unserer Familie. Du hast ja auch nichts mehr vor und somit genug Zeit für die Kinder. Und malen kannst du ja, wenn sie schlafen. Das alles läuft dir ja nicht weg.“ Matt reibt meinen Arm. Als er mich ansieht, sehe auch ich ihn an. „Ich kann es kaum erwarten, eine Familie mit dir zu gründen. Du bist bestimmt eine tolle Mum. Ich habe das Gefühl, dass das in dir steckt.“
„Und wenn nicht?“, hake ich nach. „Was ist, wenn ich darin richtig schlecht bin?“
„Ich glaube, dass die meisten Eltern diese Zweifel haben“, antwortet Matt mir. „Dass du dich hinterfragst, zeigt ja irgendwie sehr gut, dass du es richtig machen willst. Also hatte ich Recht. Du wärst bestimmt eine tolle Mum. Alle Kids wären neidisch, wenn unser Kind von seiner coolen, lustigen Mum von der Schule abgeholt wird.“
„Also bin ich zu Hause und bespaße die Kinder, aber was machst du?“
„Noch ein paar Jahre Footballspielen und dann gehe ich in Rente. Dann haben wir genug Geld, damit wir uns keine Gedanken über das College machen müssen. Vier Kinder aufs College zu bringen ist ja nicht so günstig.“
„Oh, vier Kinder?“ Dass ich am liebsten ohne meine Sportschuhe direkt durch die geschlossene Glastür der Terrasse laufen möchte, sieht man mir hoffentlich nicht an. „Du willst vier Kinder?“
„Ja, ich will eine große Familie. Es war cool, viele Schwestern zu haben. Das will ich meinen Kindern natürlich auch weitergeben. Außerdem haben sie so immer einen besten Freund und jemanden zum Spielen.“
„Ich verstehe, was du meinst. Aber weißt du, mir ging es als Einzelkind toll. Mein Daddy hatte nur Augen für mich und ich habe die ganze Aufmerksamkeit geliebt. Wenn ich die Aufmerksamkeit mit meinen Geschwistern teilen hätte müssen, dann wäre ich bestimmt ganz anders geworden. Vielleicht hätte ich mir die Haare pink gefärbt und meine Zunge piercen lassen.“
Matt lacht. „Ach, jetzt übertreibst du aber. Ich hatte nie pinke Haare und eine gepiercte Zunge und ich musste die Aufmerksamkeit meiner Eltern auch teilen.“
„Du wärst ohnehin nicht der Typ für pinkes Haar.“
„Ja, das ist wohl wahr.“ Matt schmiegt seinen Kopf gegen meinen. „Aber mach dir keinen Stress. Erst heiraten wir und dann kommen die Kinder nach und nach. Du musst dich ja nicht von heute auf morgen um vier Kinder kümmern. Das wird schon.“ Matt atmet tief durch. „Das wird cool. Ich sag’s dir. Das wird richtig cool. Meine eigene Familie. Ich kann es kaum erwarten, dich zu heiraten, Ilaria.“
Matt küsst meine Schläfe, dann meine Wange und schließlich meinen Hals. Seine Hand gleitet zwischen meine Beine, doch ich drücke ihn sanft von mir.
„Entschuldige, ich habe zu viel getrunken. Ich will nur noch duschen und ins Bett.“
„Oh. Tut mir leid. Soll ich uns in der Zwischenzeit etwas zu essen bestellen? Pizza vielleicht? Du siehst aus, als bräuchtest du etwas zu essen. Du bist auch ein bisschen blass.“
„Nein, das ist nicht notwendig. Ich habe keinen Hunger. Der Champagner ist mir ganz schön zu Kopf gestiegen und all dieser Trubel bereitet mir Kopfschmerzen.“ Besorgt mustert Matt mich, dabei streicht er durch mein Haar. „Entschuldige.“
„Ach, dafür musst du dich doch nicht entschuldigen. Ich weiß ja, wie viel die drei Schnapsdrosseln trinken. Das machen die schon seit Jahren so.“
„Ja, ich bin dafür leider nicht gemacht“, antworte ich ihm.
Matt grinst leicht, dann streichelt er meinen Rücken. „Ich weiß und meine Schuhe wissen es auch.“
Beschämt senke ich meinen Blick. „Tut mir immer noch leid wegen deinen Schuhen.“
„Mach dir keinen Kopf. Sind doch nur Sachen. Ab unter die Dusche. Wenn du willst, können wir danach kuscheln.“
„Wärst du böse, wenn wir nicht kuscheln? Ich bin ziemlich erschöpft und will eigentlich nur noch meine Ruhe haben.“
Matt hält einige Sekunden inne, dann antwortet er: „Nein, alles cool. Ruh dich aus. Aber morgen wäre ich den ganzen Tag frei. Da könnten wir etwas unternehmen, wenn du möchtest.“
Ich schiebe die Decke von meinem Schoß und lasse sie auf der Couch liegen, als ich aufstehe. Mein Smartphone nehme ich mit. „Ja, das wäre schön. Ein bisschen frische Luft würde mir bestimmt guttun. Und nüchtern sein auch.“
„Ich helfe dir. Wir kaufen keinen Champagner mehr.“
Ich lächle gequält. „Danke, lieb von dir.“ Matt greift nach der Fernbedienung und schaltet den Fernseher ein. Ich beuge mich zu ihm und gebe ihm einen Kuss, den er sanft erwidert. „Gute Nacht, Matt.“
„Gute Nacht, meine schöne Verlobte.“
Eilig gehe ich nach oben, direkt durch unser Schlafzimmer ins Badezimmer. Mein Smartphone lege ich neben das Waschbecken. Ein entspannendes Bad wäre genau das, was ich jetzt brauche. Ich lasse das Wasser in die Wanne laufen, dann beginne ich damit, den etwas zu festen Knoten meines Kleides zu öffnen, um es auszuziehen. Mit einem Handgriff lasse ich es in den Wäschekorb fallen. Danach folgen meine Strümpfe, mein Höschen und mein BH. Matts Shirt, das scheinbar nicht seinen Weg in den Wäschekorb gefunden hat, liegt direkt vor meinem Fuß. Ein kleiner Teil in mir würde es Matt gerne um die Ohren werfen, doch der größte Teil hat aufgegeben. Ich habe aufgegeben. Kopfschüttelnd hebe ich das Shirt auf und werfe es zu der restlichen Kleidung.
„Wieso ist es eigentlich so schwer, seine verdammten Klamotten in den verdammten Wäschekorb zu werfen“, murre ich genervt, dann trete ich gegen den Wäschekorb. „Es ist derselbe Handgriff. Ganz genau derselbe Handgriff nur ein paar Zentimeter weiter.“
Bevor ich den Wäschekorb nehme und ihn Matt gegen den Kopf werfe, entscheide ich mich dazu, tief durchzuatmen. Ich verschließe die Türen, dann kontrolliere ich die Temperatur meines Badewassers. Es bringt nichts, sich auch nur noch einen einzigen weiteren Moment über Matt zu ärgern. Es ist sinnlos. Er wird es nicht mehr lernen. Seine Lösung war es, das Problem aufzuschieben und von unserer Haushälterin lösen zu lassen. Ich atme ein weiteres Mal tief durch, dann trete ich an das Waschbecken, um mich abzuschminken. Sanft wische ich über meine Haut. Da ich heute nur eine Foundation, etwas Puder und Mascara getragen habe, bin ich recht schnell sauber und frisch. Nach einem Peeling trage ich eine Gesichtsmaske auf. Ich nutze die Zeit in der Wanne, um mir etwas Gutes zu tun. So, wie mein Leben aktuell läuft, kann ich jede Sekunde Selfcare brauchen.
Ich stoppe das Wasser und öffne anschließend eine Schublade. Nach kurzer Überlegung wähle ich eine pinke Badebombe. Sie duftet angenehm nach Rosen. Die Badebombe landet im Wasser und beginnt sofort damit, ihren Zauber zu entfalten. Die pinke Farbe verteilt sich im Wasser. Der Duft strömt in meine Nase. Dass Matt zu inkompetent dazu ist, seine getragene Kleidung in den Wäschekorb zu werfen, stört mich schon fast nicht mehr. Zumindest nicht, solange ich nicht daran denke. Meine Haare stecke ich hoch, sodass ich sie nicht nass mache. Für meinen Nacken und meinen Kopf rolle ich ein kleines Handtuch zusammen und lege es an den Rand der Wanne. Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet habe, steige ich in das bunte Wasser. Ich mache es mir bequem und schließe meine Augen. Das Wasser könnte ein kleines bisschen wärmer sein, also betätige ich den Wasserhahn. Um mich zu beschäftigen, stupse ich die Badebombe an. Sie verteilt pinke Farbe im mittlerweile rosafarbenen Wasser. Es sieht hübsch aus, wie sich die Farbe immer weiter ausbreitet.
Zu meinem Bedauern wird meine Laune nicht besser. Im Gegenteil. Je länger ich nachdenke, desto schlechter geht es mir. Ich bin geschockt, als sich ein unheimlicher Gedanke in meinen Kopf schleicht. Wenn ich in der Wanne einschlafen würde und ertrinken würde, dann wäre all das hier endlich vorbei. Ich müsste mich nicht länger über Wäsche aufregen. Ich müsste mich nicht länger durch meinen immergleichen Alltag quälen. Es wäre nicht nötig, mit Matt darüber zu sprechen, dass mir all seine Zukunftspläne Angst machen und dass ich das alles gar nicht will. Ich sehe mich nicht als Mum, zumindest jetzt noch nicht. Ganz abstoßend finde ich den Gedanken nicht, doch ich bin mir sicher, dass ich von Matt keine Kinder möchte. Und schon gar nicht vier davon. Ich möchte nicht in dieser Beziehung gefangen sein. Ich schlucke hart. Gibt es für uns noch eine Zukunft? Können wir all diese Probleme noch lösen? Macht es Sinn, mit Matt zu reden? Schon der Sex ist alles andere als erfüllend und darüber zu sprechen hat nicht geholfen. An all die kleinen Probleme meines Alltags will ich erst gar nicht mehr denken. Es wird immer mehr anstatt weniger.
Mit meinem Fingernagel kratze ich mich vorsichtig am Kinn. Ich will, dass die Gesichtsmaske so lange wie möglich intakt bleibt. Mit meinen Fingern streiche ich durch das Wasser. Da es mittlerweile warm genug ist, betätige ich den Wasserhahn, um den Wasserfluss zu stoppen.
Wäre es besser, wenn Matt und ich uns trennen? Ich sehe mich im Badezimmer um. Wenn ich Matt verlasse, dann verliere ich das Haus, in das ich so viel Zeit gesteckt habe. Ich habe dekoriert und dabei geholfen, Möbel auszusuchen. Mein Atelier wäre groß genug für alle kreativen Projekte, die ich mir in den Kopf setze. Will ich das aufgeben?
Die letzten Stückchen der Badebombe lösen sich auf. Ich verteile das Pink im Wasser. Von dem Rosenduft kann ich kaum genug bekommen. Meine Gedanken schweifen wieder zurück zu meinem Atelier. Ich liebe mein Atelier. Ich habe alles, was ich brauche, doch meine Kreativität lässt mich schon seit Monaten im Stich. Das Problem fing an, als ich hier eingezogen bin. All meine negativen Gedanken haben hier in diesem Haus begonnen. Vielleicht ist es gut, wenn ich gehe. Vielleicht ist es sogar das Beste, was ich im Moment machen kann. Vielleicht rettet es mir sogar das Leben.
Mein Leben?
Ich schüttle den Kopf.
Tränen steigen in meinen Augen auf. Meine Lippen zittern, also presse ich sie zusammen. Ich will doch gar nicht in der Badewanne ertrinken. Was für ein Unsinn ist das? Ich hatte noch nie solche Gedanken! Was macht dieses verdammte Gefängnis von einer Beziehung mit mir?!