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KAPITEL 17
Ein Blick in die Vergangenheit
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„Hey, wie geht’s dir?“, fragte Matt leise, als er sich über mein Bett lehnte. Er küsste meine Stirn und setzte sich dann neben mich auf einen der Stühle. Unter meinen Fingern spürte ich den Stoff der Decke, mit der ich zugedeckt wurde. Diese Klinik hatte die kuscheligsten Laken, die ich jemals befühlt hatte. In diesem Moment fühlte sich alles unbeschreiblich gut an.
„Du bist hier“, freute ich mich müde. Ich spürte Matts Hand an meiner, er drückte sie sanft.
„Natürlich bin ich hier. Wie versprochen.“ Ich lächelte ihn leicht an. Er deutete mit dem Kopf zu meinem Nachttisch, auf dem eine Vase mit roten Rosen stand. „Und die sind für dich.“
Die Blumen waren mir noch gar nicht aufgefallen. „Das ist so süß von dir. Du bist toll“, antwortete ich recht langsam. Zumindest fühlte sich mein Kopf noch etwas langsam an. Ich erinnerte mich gar nicht richtig, was überhaupt passiert war, doch ich wusste, wo ich mich befand. Ich war in der Klinik, um mir meinen Traum zu erfüllen.
„Oh, du bist noch ein bisschen verschlafen, hm?“
„Ja“, antwortete ich ihm und sah an mir herunter. „Aber sieh dir das an. Ist das nicht toll? Endlich bin ich kein flaches Brett mehr.“
„Ich fand dich auch schon vorher umwerfend“, besänftigte Matt mich, doch ich wollte das gar nicht hören. Das war nicht ich, so hatte ich mich niemals wohlgefühlt.
„Nein, aber dafür bin ich es jetzt. Ich kann es kaum erwarten, da raus zu gehen.“ Ich spürte kaum etwas, doch das Grinsen in meinem Gesicht konnte ich klar und deutlich fühlen. Mein langersehnter Traum war endlich wahr geworden. „Ich werde toll aussehen, wenn alles verheilt ist.“
Matt streichelte meinen Arm. „Sobald du dieses Stützding loswirst, werden wir zwei zu Victorias Secret gehen und du darfst dir aussuchen, was du möchtest. Das wird dir einen dicken Selbstvertrauens-Boost geben.“
Vorsichtig taste ich meine eingebundene Brust ab. „Das ist unglaublich. Wie ein Traum. Das passiert aber wirklich, oder?“
Ich sah zu Matt hinüber. Sein Lächeln verschwand, dann fasste er in seine Jackentasche. „Ich hoffe doch sehr, dass das Freudentränen sind.“
„Was?“
„Du weinst, du kleines Nüsschen.“ Sanft tupfte Matt die Tränen von meinen Wangen. „Ich werd' dann den Doc suchen und fragen, wie alles gelaufen ist, okay?“ Ich stupste gegen den Verband, wurde jedoch aufgehalten, als Matt meine Hand festhielt. Ich schien ihn zu amüsieren, denn er lachte leise. „Was machst du denn da?“
„Keine Ahnung, ich freu mich so. Jetzt kann ich endlich auch schön sein.“
„Ruh' dich noch ein wenig aus, hm? Und hör auf zu stupsen, vielleicht ist das ja nicht so clever. Ruh' dich aus, ich rede mit dem Doc.“
„Ja, das ist eine gute Idee.“
Ich schloss meine Augen, warf allerdings noch einen verstohlenen Blick auf meinen Oberkörper. Es war nicht zu fassen, dass dies kein Traum war. Ich hatte endlich, was ich mir so viele Jahre gewünscht hatte. Es war unglaublich. Wie sollte ich mich mit dem Wissen und dieser großen Freude in mir denn überhaupt ausruhen?
· • ❀ • ·
Meine Operation war bereits sieben Wochen her, als ich das erste Mal wieder in einer Umkleide stand. Umkleiden waren mein Leben lang ein furchtbarer Ort für mich. Ein Ort, der unvorteilhafte Scheinwerfer auf all meine Unsicherheiten und Ängste gerichtet hatte. Kleidungsstücke saßen nie richtig. Viel zu oft hatte ich zu kurze, zu lockere oder schlicht unpassende Kleidung an. Nichts saß, wie ich es mir gewünscht hatte. Wie oft ich meinen BH mit Einlagen ausgestopft hatte, um mich in Kleidern ein wenig schöner zu fühlen, kann ich gar nicht mehr zählen. Als Teenager shoppen zu gehen, war jedes Mal aufs Neue ein wahrgewordener Albtraum für mich. Auch heute spürte ich die Angst in meinem Bauch. Ich erinnerte mich an unendlich viele Kleidungsstücke, die mich nur noch unzufriedener mit mir selbst gemacht haben. Es war ein bedrückendes Gefühl, dass mich nicht mehr loslassen wollte.
„Und? Wie sieht es aus? Ich bin neugierig.“
Matts Stimme holte mich in die Realität zurück. Ich starrte mein Spiegelbild an, anstatt mich umzuziehen. Eigentlich müsste ich mehr als glücklich sein, doch ich war vollkommen paralysiert. Es fühlte sich an wie eine letzte Chance, um zufrieden mit meinem Aussehen zu sein. Was, wenn es mir auch heute nicht besser ginge? Würde ich dann niemals glücklich und zufrieden sein? Diese irrationale Angst hinderte mich daran, es zu versuchen. Es war so dumm und gleichzeitig konnte ich nichts dagegen unternehmen. Logisch betrachtet wusste ich, dass ich mir selbst im Weg stand, doch es war trotzdem schwer, alte Ängste abzulegen.
„Baby? Alles gut?“
„Ich brauche noch einen Moment“, antwortete ich ihm, ehe ich so leise wie möglich durchatmete.
„Soll ich dir helfen? Oder Hilfe holen? Brauchst du Hilfe bei dem Verschluss? Kommst du nicht richtig ran oder so?“
„Nein, ich weiß schon, wie man sich anzieht. Bitte gib mir nur einen Moment für mich.“
„Okay“, antwortete Matt wieder entspannter. „Aber ich bin hier, falls irgendetwas ist.“
Ratlos blickte ich auf die schwarze Spitzenunterwäsche in meiner Hand. Dass mich der Moment nicht so glücklich machte, wie er es sollte, stimmte mich nachdenklich. War es vielleicht doch zu früh, um hierher zu kommen? Sollte ich mir noch eine Woche Zeit nehmen, um mich an den Gedanken zu gewöhnen? Im Badezimmer war ich doch immer recht zufrieden mit meinem Aussehen, auch wenn es immer wieder ungewohnt war, mich so verändert zu sehen.
Ich legte die Unterwäsche zur Seite und knöpfte meine Collegejacke auf, bevor ich sie auszog und auf einen der Haken hing. Das weite Shirt, unter dem ich mich bis jetzt versteckt hatte, zog ich ebenfalls aus. Es war an der Zeit, meinen Kompressions-BH endlich gegen schöne Unterwäsche einzutauschen. Vorsichtig löste ich die kleinen Haken. Das künstliche Licht, dass mir seit Jahren Angst gemacht hatte, hatte auf einmal seinen Schrecken verloren. Ich nahm mir Zeit, mich zu betrachten und drehte mich vor dem Spiegel. All die Enttäuschungen hatten an diesem Tag ein Ende. Ich zog den Spitzen-BH über und verschloss ihn. Meine Finger kribbelten ein wenig, als ich mich erneut betrachtete. Es war schwer, meinen Augen zu trauen. Ich sah erschreckend gut aus? Und fühlte mich attraktiv? In dem Moment wusste ich nicht, ob ich überrascht, verwirrt oder einfach nur glücklich war.
„Baby, langsam machst du mir Sorgen.“ Ich drehte mich um und schob den Vorhang zur Seite. Matts besorgtes Gesicht veränderte sich augenblicklich. Mit geöffnetem Mund sah er mich an. „Oh wow, Baby, das sieht hammermäßig aus.“ Er machte sofort einen Schritt auf mich zu.
„Ja?“, fragte ich mit Tränen in den Augen, die ich sofort wegwischte. „Es ist fast ungewohnt, mich nicht zu hassen.“ Die Emotionen überrannten mich und ich wusste nicht, was ich tun sollte.
„Hassen? Blödsinn. Denk gar nicht mehr daran. Das ist jetzt alles vorbei.“ Matt grinste, dann beugte er sich zu mir und gab mir einen Kuss. „Ich könnte dich auf der Stelle verschlingen. Nur fürs Protokoll: Ich könnte dich immer verschlingen, du warst immer schon zum Anbeißen.“
Lachend schob ich Matt von mir, dann wischte ich mir erneut über die Wangen. „Kann ich noch ein paar mehr probieren? Vielleicht brauche ich sogar etwas, das ein kleines bisschen größer ist.“
„Ich kaufe das ganze Geschäft, wenn es sein muss“, antwortete er breit grinsend.
„Danke, das ist wirklich lieb von dir.“
Mit einem Lächeln schloss ich den Vorhang wieder. Der erneute Blick in den Spiegel fühlte sich gut an. Das bedrückende Gefühl war verschwunden, doch jetzt wollte etwas Anderes aus mir heraus. Freudig quietschte ich bei dem Anblick meiner Oberweite, hielt mir doch sofort den Mund zu, um die anderen Kundinnen nicht zu stören. Ich konnte zwar meine Laute verstecken, die Freude, die mich aufgeregt auf der Stelle tippeln ließ, war jedoch nicht zu übersehen. Ich hatte mich noch nie so schön gefühlt.
· • ❀ • ·
So vieles hatte sich durch eine einzige Operation verändert. Ich hatte endlich all das Selbstvertrauen, um das zu tragen, was mir gefiel. Ich fühlte endlich all die Weiblichkeit, die mir bei so vielen Blicken in den Spiegel verborgen blieb. Nicht nur mein Aussehen änderte sich, ich fühlte die Veränderung in meinem Alltag. Ich war zufriedener, glücklicher, ich fühlte mich rundum wohl. Es war leichter für mich, auf Menschen zuzugehen und mich zu unterhalten. Es kam mir auch so vor, als würden mich die Menschen viel öfter wahrnehmen.
Freudig präsentierte ich Matt mein Outfit. Vor einigen Wochen wäre ich nicht mutig genug gewesen, das kurze, rosa Kleid auch nur anzuprobieren, doch nun machte mir shoppen tatsächlich Spaß. Nicht alle ausgesuchten Kleidungsstücke passten auch, doch die Enttäuschungen waren deutlich zurückgegangen. Auch heute hatte ich die Mall zufrieden und nicht deprimiert verlassen. Mein Leben hatte sich deutlich verbessert. Ich hatte eine ganz neue Perspektive auf das Leben und mich selbst.
„Und die Schuhe sind auch neu“, erklärte ich und zeigte auf meine Füße. „Wie findest du es?“ Ich stemmte meine Hände an meine Hüften.
„Es ist toll“, antwortete Matt, dann grinste er mich an. „Und jetzt zieh es aus und komm ins Bett.“
Ich lachte und schüttelte den Kopf. „Nein! Lass mich das noch ein bisschen genießen.“ Zufrieden ging ich auf und ab und betrachtete mich dabei immer wieder im Spiegel. „Hoffentlich hast du nicht bald die Schnauze voll von mir und meinen Outfits.“
„Nicht wirklich. Eigentlich ist es mir egal.“
Ich blickte zu Matt. Meine Enttäuschung konnte ich nicht verbergen, als ich sprach: „Es ist dir egal?“
„Nein, nein, so meinte ich das nicht“, erklärte er schnell. „Ich freue mich für dich und ich will, dass du glücklich bist. Und es stört mich nicht, wenn du mir deine Outfits zeigst. Du bist sexy und glücklich und es macht dir Spaß. Das ist die Hauptsache.“
Mit einem Lächeln ging ich auf Matt zu, dann beugte ich mich zu ihm und küsste seine Lippen. „Willst du vielleicht noch mit unter die Dusche kommen?“, fragte ich verführerisch. „Dann darfst du mir sogar dabei zusehen, wie ich nicht nur dieses Kleid, sondern auch ein paar andere Dinge ausziehe.“ Mit meinen Fingern strich ich über meinen Oberschenkel und schob das Kleid einige Zentimeter nach oben, um die eleganten Spitzen meines Strumpfes freizulegen. „Vielleicht kannst du mir ja auch helfen?“
„Wenn du nicht gleich damit aufhörst, wird das Kleid nicht mehr lange leben.“
Kichernd stupse ich gegen Matts Schulter und nehme Abstand von ihm. Ich steige aus meinen Schuhen und reiche meinem Freund die Hand. „Na komm. Ich habe einiges mit dir vor.“
„Damn, hab' ich ein Glück.“
· • ❀ • ·
Matt schlief bereits tief und fest, ich hingegen konnte noch nicht schlafen. Ich war zu aufgekratzt, um ruhig lieben zu bleiben. Die kleine Lampe an meinem Nachttisch erleuchtete das Zimmer gerade so hell, dass ich problemlos zeichnen konnte. Die linke Seite meines Tagebuchs hatte ich bewusst freigelassen, um meinen Gedanken mit einigen kleinen Skizzen und Zeichnungen Ausdruck zu verleihen. Ich zeichnete einige herzförmige Luftballons, die in den Himmel emporstiegen. Ein wenig kitschig war das schon, doch ich war verliebt und glücklich. In ein paar Tagen würde ich zurück an die Uni gehen und mein letztes Jahr hinter mich bringen. Nicht nur mir ging es gut, auch Matt hatte eine strahlende Zukunft vor sich. In der kommenden Footballsaison würde er für die Colts spielen. Es bedrückte mich ein wenig, dass wir uns nicht mehr jeden Tag in der Uni über den Weg laufen würden, doch unsere Beziehung war stark genug, um die Entfernung aushalten zu können. Ich vertraute Matt und er vertraute mir. Wir mussten uns ohnehin daran gewöhnen, wenn Matt in den nächsten Jahren sein Geld mit Profifootball verdiente.
Lächelnd blickte ich zu Matt hinüber. Ich streichelte seinen Arm und küsste seine Haut, dann klappte ich mein Tagebuch zu und legte es auf den Nachttisch. Als ich das Licht ausschaltete, war es stockdunkel. Es dauerte einen Moment, bis ich mich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, doch dann fand ich meinen Weg an Matts Seite. Er drückte mich an sich und ich küsste seinen kräftigen Oberarm. Es tat gut, in seinen Armen zu liegen.
Ich war glücklich und das Leben und die Welt lagen mir zu Füßen. Auch heute Nacht konnte ich den nächsten Tag kaum erwarten. Mit einem Lächeln schloss ich die Augen und atmete tief durch. Von nun an würde mein Leben endlich so laufen, wie ich es mir immer vorgestellt hatte.