Sie alle schauten den beiden perplex hinterher. Jako war normalerweise so offen und tolerant wie sie alle. Warum also benahm er sich bei dieser Sache so abweisend?
„Na ja“, sagte Flo langsam, „ist schon okay, dass nicht jeder meiner Meinung ist, ich meine ...“
Natürlich war es okay. Oft genug wurde in ihrem Freundeskreis offen und kontrovers über alle möglichen Themen diskutiert.
Aber dennoch, Jakos abweisende Art war eher ungewöhnlich.
Nun, was immer dahinter steckte, sie würden es früher oder später erfahren.
Flo räusperte sich.
„Also, Jako wird sicher Gründe haben, das so zu sehen, und alles andere müssen er und Marti erst mal unter sich klären ... Lasst uns hier mal weitermachen, ja?“
Er blickte in die Runde. Die Freunde nickten und wandten sich wieder aufmerksam ihm zu.
Flo klopfte auf den fünften Stapel, der immer noch vor ihm auf dem Tisch lag.
„Das hier“, sagte er, „ist ein wenig heikler.“
Er holte tief Luft, leckte sich über die von der Hitze trockenen Lippen und sagte:
„Das ist ein interner Bericht der obersten Polizeibehörde. Der eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Im Prinzip sagt er ähnliches aus, wie die Studien. Gibt darüber hinaus Richtlinien, wie die Polizei mit der veränderten Situation umzugehen hat und wie man dafür zu sorgen gedenkt, dass eben nicht allgemein bekannt wird, wie viele Menschen das Virus inzwischen betrifft. Weil man immer noch glaubt, es handle sich um ein vorübergehendes Phänomen.“
„Aber was ich nicht begreife“, sagte Olli und zog seine Stirn in Falten, „ist das Warum. Ich meine, warum zum Teufel versucht man mit aller Macht die Fakten zu verheimlichen?“
„Ich denke das hat politische Gründe. Oder noch einfacher Machtgründe. Stellt euch mal vor“, sagte nun Max, „zwei politische Führer stehen sich gegenüber. Von denen der eine ein Sub ist.“
„Das ist wahr“, sagte Rick, der noch immer zu Annas Füßen kniete.
„Die Unterwerfung eines Sub unter seinen Dom ist eine freiwillige Sache, ein Geschenk, und hat nichts mit Schwäche oder dergleichen zu tun. Der gesunde Menschenverstand begreift das. Aber wann hätte je in der Politik oder auch der hohen Wirtschaft gesunder Menschenverstand eine Rolle gespielt?“
Anna streichelte noch immer sanft seinen Kopf und sagte:
„Genau. Und spätestens seit Douglas Adams wissen wir ja, dass diejenigen, die den Wunsch und die Fähigkeit haben, die Herrschaft zu erlangen, diejenigen sind, sie genau deswegen am wenigsten dazu geeignet sind.“
Rick schnaubte amüsiert.
Und auch Flo musste grinsen.
„Wie auch immer“, sagte er dann. „Dieser Bericht ist über ziemliche Umwege in meine Hände gelangt nachdem er sozusagen geleakt wurde. Und ganz ehrlich, ich denke nicht, dass ich auch auf ihn zurückgreifen werde. Na ja, ich weiß es schlichtweg noch nicht. Denn das würde mit Sicherheit Ärger geben. Und ich habe zwar keine Angst davor, mir Ärger einzuhandeln, aber da ich diesmal Max und auch euch, meine Freunde, mit reinziehe, und das ganze ohnehin schon eine ziemliche Provokation wird, will ich es nicht mit Gewalt darauf anlegen.“
Die Tür zum Konferenzraum öffnete sich und Marti trat ein. Er sah immer noch etwas verstört aus, und war rot ihm Gesicht. Wegen der Hitze, und weil er gerannt war. Aber sicher auch vor Ärger über Jakos Verhalten.
Er räusperte sich.
„Tja, also ... ich hab keine Ahnung, was mit Jako ist. Er war zu schnell, ich habe ihn nicht mehr erwischt. Aber egal, was ihm quer sitzt. Ich unterstütze euch, ob ihm das nun passt oder nicht. Ich werde heute Abend mit ihm reden, und ich bin sicher, das ich raus finde, was er auf dem Herzen hat.“
„Gut“, sagte Flo.
„Ich werde euch allen eine Mail schicken mit Aufgabenliste und Zeitplan, und bitte euch, das zu bestätigen oder falls was nicht geht, zu korrigieren. Felix, dich würde ich bitten, wenn wir unser Treffen gleich beenden, noch zu unserer Verfügung zu bleiben. Ich brauche dein Organisationstalent, ich würde dich bitten, das ganze zu koordinieren. Niklas, dich würden wir gerne als Mädchen für alles einspannen, weil keiner das so gut kann wie du. Olli, du übernimmst mit uns gemeinsam den redaktionellen Teil, die Spacies sind für den Schnitt verantwortlich und Marti brauchen wir für die Off-Stimme. Und André für die Musik.“
André nickte.
„Na gut, da Jako ja nun offenbar ausfällt, krieg ich das auch allein hin.“
Marti senkte beschämt den Kopf.
„Hey Marti“, sagte Max, „alles gut, du kannst doch nichts dafür. Und es gibt bestimmt nen guten Grund.“
Marti zuckte nur mit den Schultern.
Dann klatschte er in die Hände.
„Leute. Mir ist heiß. Und mir raucht der Kopf von alle dem hier. Wir werden in nächster Zeit echt viel zu tun haben und die Hitze soll die nächsten Wochen noch anhalten. Also was haltet ihr davon, wenn ich euch alle auf ein Eis einlade?“
Er hatte das Gefühl, für Jakos Ausbruch ein wenig Wiedergutmachung leisten zu wollen. Und ein Eis schien ihm ein guter Anfang.
Es herrschte allgemeine Zustimmung.
Und so machten sie sich auf den Weg.
Die kleine Eisdiele lag drei Straßenecken weiter.
Jeder bekam seine Waffel mit dem köstlichen kalten Nachtisch und dann schlenderten sie noch ein paar Schritte weiter, bis zu dem Platz mit dem kleinen Springbrunnen.
Sie setzten sich auf den steinernen Rand und hingen die Füße ins Wasser. Eis und Brunnenwasser - das war eine wirkliche Wohltat, denn die Sonne brannte einfach wolkenlos vom Himmel.
„Hört mal, Leute“, sagte Flo, während seine Zunge genüsslich das Schokoladeneis schleckte.
„Heute ist Freitag. Wir lassen das Wochenende verstreichen, denn Max und ich hatten schon lange nicht mehr Zeit füreinander. Am Montag geht es dann los. Die Mail schicke ich euch gleich noch raus, aber dann ... Max und ich brauchen einfach diese kleine Auszeit.“
Er hustete ein wenig verlegen, aber die Freunde schmunzelten. Sie konnten das gut verstehen.
Ein winziger Tropfen flüssiges Schokoeis floss an Flos Daumen herunter und über seinen Handrücken. Max leckte sich die Lippen. Dann ergriff er Flos Hand und ließ die Zunge darüber gleiten.
Ein wohliger Schauer lief über Flos Rücken.
Ja. Er spürte es tief in sich. Er und Max hatten schon viel zu lange nicht mehr ihre Leidenschaft miteinander ausgelebt. Hatten sich viel zu lange nicht geliebt.
Nun, sie würden es an diesem Wochenende nachholen.