Der geheimnisvolle Mann hatte nun endlich den obersten Beamten aus jener Polizeibehörde, aus der der interne Bericht entwendet und weitergegeben worden war an der Strippe.
„Wir wissen immer noch nicht, wer es getan hat“, sagte der Beamte und man konnte seine Angst beinahe durchs Telefon riechen. Was nachvollziehbar war, dachte Der Mann, denn wenn er jemanden erst einmal im Visier hatte, war die Lage für denjenigen brenzlig.
„Das ist nicht gut“, antwortete er. „Ich beginne mir Sorgen zu machen, ob Sie der Richtige sind für Ihr Amt ...“
„Oh ich werde auch weiterhin alles tun ... ich werde keine Anstrengung scheuen ...!“
„Nun“, sagte der Mann leise, drohend, „das sollten sie auch nicht. Es ist schade, dass solche Selbstverständlichkeiten überhaupt erwähnt werden müssen! Im übrigen ist noch wichtiger, dass wir endlich erfahren, an wen der Bericht weitergegeben wurde. Ich nehme nicht an, dass Sie in der Hinsicht schon weitergekommen sind?“
„Nein noch nicht, aber ... das Video ...“
„Ja“, sagte der Mann, „das Video.“
Das verdammte Video. Der verschwundene Polizeibericht war zwar darin nicht erwähnt worden, und es war genau aufgelistet worden, welche Studien den Machern zur Verfügung gestanden hatten. Im übrigen tatsächlich alles öffentlich zugängliche Forschungen, das hatte man überprüfen lassen. Man sollte etwas dagegen unternehmen, die Forschungen auf dem Gebiet ein bisschen in die gewünschte Richtung lenken ...
Er würde ein paar Kontakte anrufen, und auch mit den Herren aus Übersee sprechen.
„Hören Sie“, wandte er ich nun wieder an den Beamten.
„Tun Sie ihren Teil an der Sache und ich werde mich um meinen kümmern. Finden Sie heraus, wer den Bericht geleakt hat. Und tun Sie es bald. Ich denke doch, dass Sie gerne wieder mehr Zeit haben möchten für Ihre Sub ... eine wunderschöne Frau, wie ich finde ...“
Der Beamte schwitzte. Eine Drohung gegen ihn war schon schlimm, aber nun auch noch gegen seine Sub! Und ja, wenn Der Mann so etwas aussprach, dann war es eine Drohung.
„Selbstverständlich“, sagte er mit einem atemlosen Zittern in der Stimme.
Doch da hatte Der Mann schon aufgelegt.
„Ein Feigling und Idiot“, sagte er zu sich selbst. Die Angst des Beamten widerte ihn an. Er, Der Mann, hatte noch nie wirklich einem Menschen körperlichen Schaden zugefügt oder gar jemanden getötet. Oder töten lassen. Das war nie nötig gewesen. Er konnte Leuten anders schaden. Aber es gab Gerüchte, jede Menge Gerüchte über ihn. Und die genügten im allgemeinen, dass die Leute einfach taten, was er sagte.
Dann seufzte er. Diese ganze Angelegenheit war doch verdammt nervtötend. Wenn das alles bereinigt wäre, sollte er sich vielleicht zur Ruhe setzen ... er musste über sich selber schmunzeln. Nein, ganz bestimmt nicht. Ruhestand, das wäre nichts für ihn. In seinem offiziellen Leben würde er das zwar, schließlich war er nicht mehr der jüngste. Aber hier, in seiner eigentlichen Welt, würde er nicht aufhören, bevor sein Leben endete.
„Erst, wenn mich der Teufel holt“, dachte er, und es gab mit Sicherheit eine Menge Leute, die genau das für sehr wahrscheinlich hielten.
Er nahm wieder den Hörer zur Hand und wählte eine Nummer in Berlin. Er rief seine Kontaktmann bei der dortigen zentralen Polizeibehörde an. Ebenfalls ein Beamter der höheren Ränge.
Mit ihm besprach er das weitere Vorgehen.
Es fuchste ihn, dass ihm Grenzen auferlegt waren- schließlich konnte man nicht einfach Leute ohne Grund verhaften, wenngleich er dabei war, ein paar entsprechende Gesetze durchzusetzen. Terrorgefahr war immer ein guter Grund, dass die Leute die merkwürdigsten Dinge akzeptierten, wenn sie dafür den Anschein von Sicherheit bekamen.
Sicherheit, ha! Die gab es nicht, würde es nie geben.
Aber das war ein anderes Thema.
Dann rief er ein paar maßgebliche Leute beim Staatsschutz an.
Man musste doch zu den polizeilichen Maßnahmen diese Berliner Webvideomacher im Auge behalten.
Technisch gesehen waren all diese Leute ihm nicht unterstellt. Genau genommen war niemand ihm direkt unterstellt. Dennoch, die Leute in den wichtigen Positionen von Politik, Judikative und Exekutive wussten, dass es ihn gab und dass man besser tat, was er verlangte.
Er war der Mann im Hintergrund. Die graue Eminenz. Er war derjenige, von dem man sicher war, dass er dieses ganze Demokratiegetue mit Zimt und Zucker bestreut zum Frühstück fraß. Mit einem lauten Grollen tief aus der Kehle.
Er kicherte bei dem Gedanken. Genau so stellten ihn sich Leute wie der zitternde Polizeichef von eben vermutlich vor.
Den würde er im übrigen im Anschluss an die ganze Sache so oder so zu Grunde richten, egal, wie zügig er die Aufklärung dieses Desasters vorantrieb. Die schöne Sub tat ihm ein bisschen leid. Aber wenn sie ihren Gatten wahrhaft liebte, würde sie doch schließlich nicht zögern, ihm in die Armut und Verbannung zu folgen, dachte er sarkastisch. Und wenn nicht, was er für wesentlich wahrscheinlicher hielt, nun, dann hatte der sie eben ohnehin nicht verdient.
Für den Augenblick hatte er getan, was er tun konnte. Nun musste er erst einmal abwarten und auf Ergebnisse warten. Die sollten nicht lange auf sich warten lassen. Man würde ihn anwählen; er würde eine verschlüsselte SMS über den Anruf bekommen, dann würde er, sobald er Zeit hatte, in sein Büro eilen und zurückrufen. So lief das immer ab. Seine Rufnummer war geheim und nicht zurückverfolgbar, und außer einer handvoll Leuten in höchsten Regierungskreisen gab es niemanden, der wusste, wer war. Und selbst die erteilten ihm keine Anweisungen, niemand erteilte ihm Anweisungen.
Er war ein moderner Richelieu, der seine eigenen Fäden zog, nur mit dem Unterschied, dass kaum jemand um ihn wusste und dass es keinen Ludwig den XIII. gab, der die Balance hätte halten können.
Er war fest davon überzeugt, dass er das richtige tat.
Er wollte die Ruhe im Lande bewahren.
Er wollte, dass die Menschen taten, was man ihnen sagte, damit der Staat funktionierte.
Und zu diesem Zweck schmeckte ihm die Demokratie durchaus auch ohne Zimt und Zucker.
Wer war irgendwann einmal auf die wahnwitzige Idee gekommen, dass die große Masse auch nur irgendetwas vernünftig durchdenken und entscheiden könnte?
Er schüttelte den Kopf.
Nun, um diese Dinge in Ordnung zu bringen gab es ja schließlich ihn.
Er würde die Lage klären. Wie er es immer tat.
Er streckte sich und schritt durch die Tür seines Büros, hinaus in sein kleines, alltägliches Leben.