Wie versteckt man sich vor der Polizei? Was tut man, wenn man gesucht wird? Wohin geht man, wohin besser nicht?
Marti und Jako hatten, genau wie die anderen, keine Ahnung von solchen Dingen. Sie waren ein wenig kopflos durch die Straßen gelaufen, seit sie sich von den anderen getrennt hatten. Hand in Hand und beide ihren Gedanken nachhängend.
Schließlich gelangten sie zu einer kleinen Grünanlage und setzten sich auf eine der Bänke.
Sie waren dankbar für den Schatten, den die Lindenbäume warfen, unter denen sie sich nun ausruhten, denn es war an diesem Vormittag schon wieder unfassbar heiß.
„Hab keine Angst“, sagte Marti leise. „Was auch immer passiert. Wir beide schaffen das.“
Jako nickte, aber es war ihm anzumerken, dass er kurz vor einer Panik war.
Marti nahm sein Gesicht in beide Hände.
„Hör zu, Jakob von Joiko!“
Jako schluckte. Wenn Marti ihn mit seinem vollem Namen ansprach, dann meinte er es ernst. Das war schon immer so gewesen. Dom hin oder her.
„Wir beide schaffen das. Wir lassen uns nicht klein kriegen. Wir werden versuchen, uns zu verstecken. Und wenn wir doch noch verhaftet werden ...“
Angst blitzte durchs Jakos Augen, als Marti das aussprach,
„... dann hoch erhobenen Hauptes. Okay?“
Jako nickte.
„Ja, Marti.“
Marti von Joiko griff nach den Händen seines Mannes. Er führte sie an seine Lippen und hauchte zarte Küsse darauf.
„Es geht hier um mehr als dich und mich. Es geht auch um mehr als Flo und Max und die anderen. Verstehst du?“
Jako nickte.
„Dann sollten wir vielleicht ...“
In dem Augenblick klingelte sein Handy.
Scheiße, das Handy, dachte Marti. Das sollten wir nicht bei uns haben. Damit finden sie uns doch ...
Jako blickte aufs Display.
„Das ist Mama!“
Er drückte den grünen Button, nahm das Gespräch entgegen und stellte auf Lautsprecher, damit Marti mit hören konnte.
„Mama? Hier ist Jako.“
„Jakob!“ Marita von Joiko schluchzte ins Telefon.
„Jakob, ich habe die Nachrichten gesehen ... deine Freunde sind verhaftet worden!“
„Ich weiß, Mama!“
Scheiße, jetzt war es also offiziell.
„Jakob, was ist da los? Warum habt ihr auch dieses unsägliche Video gemacht! Ihr hätte da nie mitmachen dürfen!“
Marti übernahm das Handy.
„Marita, sei mir nicht böse, aber Jako ist durcheinander genug. Mach es ihm nicht noch schwerer.“
Seine Schwiegermutter atmete tief durch.
„Du hast ja recht. Ich mach mir nur so furchtbare Sorgen um euch.“
„Ich weiß“, sagte Marti. „Marita, es ist ... gegen uns liegt ebenfalls ein Haftbefehl vor.“
„Oh Gott.“ Marita schluchzte wieder.
Man hörte ein Rascheln, und dann war Klaus am Telefon.
„Marti? Hör zu. Ihr kommt zu uns hierher. Die Hütte ...“
Ja, das war vielleicht keine schlechte Idee. Klaus von Joiko hatte eine einsam gelegene Jagdhütte. Tief im Wald lag sie, und da er da seine Ruhe suchte, wussten nicht viele davon.
„Ja,“ sagte Marti. „Aber... ich weiß nicht, wie wir zu euch kommen sollen. Ich möchte nicht gerne im Zug fahren. Das ist zu öffentlich. Und unser Auto holen können wir auch nicht. Das steht vor unserer Wohnung, und da wartet man wahrscheinlich schon auf uns.“
„Okay ... wo seid ihr gerade?“
Marti nannte ihren Standort.
„Gut. Wartet mal. Ich rufe euch gleich zurück.“
Klaus legte auf und Marti steckte Jakos Telefon in seine Hosentasche.
Es war an der Zeit, für seinen Sub Verantwortung zu übernehmen und die Kontrolle in die Hand zu nehmen. Er war der Dom, und es war seine Pflicht, sich um das Wohlergehen seines Sub zu kümmern.
„Jako?“, sagte er.
„Ja, Marti?“
„Knie dich vor mich auf den Boden.“
Jako sah ihn überrascht an. Aber er gehorchte.
„Gut. Und jetzt leg deinen Kopf auf meinen Schoss.“
Jako tat, wie geheißen und Marti begann, sanft sein Haar zu kraulen.
Sie warteten ein paar Minuten schweigend, und Marti spürte, wie Jako zur Ruhe kam. Wie er weniger zitterte. Wie er etwas langsamer atmete.
Das Telefon klingelte erneut. Marti nahm ab, ohne den Lautsprecher zu betätigen.
„Ja?“
Er hörte eine Weile dem Anrufer – Klaus – zu.
Dann sagte er:
„Gut. Wir machen uns sofort auf den Weg.“
Er legte auf.
Dann wandte er sich an Jako.
„Dein Vater hat uns ein Auto organisiert. Dank seines hohen Postens in der Wirtschaft hat er eine Menge Kontakte. Wir müssen nur ein paar Straßen laufen. Dort ist ein Gebrauchtwagenhändler. Da steht ein alter unauffälliger Nissan für uns bereit. Ist schon bezahlt. Wir müssen nur den Schlüssel entgegennehmen. Und können dann losfahren.“
Jako sah ihn mit großen Augen an.
Es fühlte sich gut an, sich so auf seinen Dom zu verlassen.
Und ja, so seltsam das auch war: das hier, auf der Flucht vor der Polizei und voller Sorgen und Ängste, war dennoch der erste Augenblick, wo er sich in seiner Rolle als Sub vollkommen wohl fühlte.
* * *
Natürlich war das Handy abgehört worden.
Und natürlich hatte sich die Polizei auf den Weg gemacht.
Doch es hatte Verzögerungen gegeben.
Jemand hatte dafür gesorgt, dass sie beide schon im Stadtverkehr von Berlin unterwegs waren, als die Polizeifahrzeuge mit Blaulicht auf den Hof des Händlers fuhren.
Die Polizei suchte nun einen weißen Nissan.
Sie beide jedoch hatten von dem Händler einen blauen Renault bekommen.
Klaus von Joikos Kontakte waren offenbar ihren Aufwand wert.