Als Marita zu Hause ankam, war von Klaus nichts zu sehen und zu hören. Nun, er hatte in den letzten Tagen viel in seinem Büro gesessen und gearbeitet; es war nicht ungewöhnlich, dass er Arbeit mit nach Hause brachte, und Marita hatte das stillschweigend akzeptiert.
Zur Zeit jedoch nahm es überhand. Sie sah ihn kaum noch, und das gefiel ihr nicht besonders. Und gerade jetzt, wo sie sich so um die Jungs sorgte, hätte sie ihn gebraucht.
Andrerseits wollte sie ihn nicht stören, da sie wusste, dass er das überhaupt nicht schätzte.
Einen Augenblick lang überlegte sie schmunzelnd, ob sie die Domme herauskehren sollte und ihn aus seinem Büro heraus beordern sollte.
Doch nein, das meinte sie nicht ernst. Zwar war er ihr Sub, irgendwie, doch genau genommen war sie nicht seine Domme. Sie fühlte das nicht, und auch wenn sie hin und wieder ein wenig spielten, was sie inzwischen durchaus mochte, war das eine Sache, die ausschließlich diesen Augenblicken in ihrem Schlafzimmer vorbehalten blieb. Sie trennten es strickt vom Alltag, das wollte sie gar nicht anders.
Also seufzte sie und machte sich einen gemütlichen Abend vor dem Fernsehgerät. Nun ja, wirklich konzentrieren konnte sie sich nicht auf das gebotene Programm, doch immerhin lenkte es sie ein klein wenig ab.
Als Klaus gegen halb elf immer noch nicht wieder aus dem Büro gekommen war, machte sie ihm ein paar belegte Brote zurecht und legte sich unzufrieden und voller schwerer Gedanken ins Bett und war aufgrund der seelischen Erschöpfung schnell eingeschlafen.
* * *
Marti und Jako hatten sich an die Arbeit gemacht, sobald Maritas kleines Auto auf dem Waldweg verschwunden war.
Der Polizeibericht war ziemlich umfangreich, wie sie schnell resignierend feststellen mussten. Sie würden es nie schaffen, ihn komplett und sorgfältig durchzuarbeiten.
„Also lass ihn uns grob querlesen und ein Exzerpt anfertigen. Die wichtigsten Punkte zusammenfassen“, sagte Marti.
Jako nickte.
„Und dann schlage ich vor, dass wir dafür einen Blog eröffnen. Und das als ersten Blogeintrag einstellen“, sagte er.
Marti sag in fragend an.
„Warum einen Blog?“
„Weil unsere Webvideo Kanäle und die Fewjar-Webseite und so weiter sicher aller unter genauer Beobachtung stehen. Wenn wir etwas neues eröffnen, besteht eine bessere Chance, das sich der Inhalt im Netz verbreitet, bevor es von staatlicher Seite dicht gemacht wird.“
Marti überlegte einen Augenblick, dann sagte er:
„Du hast recht, Schatz.“
Also machten sie sich ans Werk.
Vieles, was der Bericht beinhaltete, so stellten sie fest, hatte sich in den letzten Tagen schon den Weg ans Licht der Öffentlichkeit gebahnt.
Doch hier nun noch einmal in geballter Form alles zu lesen, war beängstigend.
Es ging ganz klar daraus hervor, dass den oberen Polizeibehörden und auch maßgeblichen Stellen der Politik die Problematik und ihre Brisanz schon seit langem bekannt gewesen war.
Er enthielt darüber hinaus jede Menge Maßnahmen, gegen eine Verbreitung vorzugehen.
Anweisungen, das Einsickern der Sub-Dom Kultur in die Öffentlichkeit zu verhindern.
Demonstrationen zu unterbinden.
Die Medien dahin gehend zu beeinflussen.
Gegen Kanazés gerichtete Straftaten nicht als solche zu behandeln, sondern sie in „ganz normale“ Straftaten (welch furchtbare Formulierung!) umzumünzen und ihre gegen Subs oder Doms ausgerichtete Natur zu leugnen.
Ausschüsse, die eingerichtet worden waren um die wirkliche Verbreitung der Sub-Dom-Kultur in der Bevölkerung zu untersuchen, mit falschen Statistiken und Ergebnissen zu manipulieren.
Und der Bericht enthielt auch schriftliche Anweisungen von hohen Polzeibeamten und einigen Politikern, die diese Maßnahmen angeordnet hatten. Die Anweisungen waren teilweise von allerhöchster Stelle gegeben worden.
Die genannten würden sich da nicht mehr so einfach raus reden können.
Da würden Köpfe rollen; aber Marti und Jako war klar, dass das nicht ohne Gegenwehr passieren würde.
Es war also eine gefährliche Sache, diesen Bericht zu veröffentlichen, zumal auch breite Schichten der Bevölkerung auf Grund von Angst und Manipulation der Sub-Dom-Kultur skeptisch gegenüberstanden.
„Verdammt“, stöhnte Marti, „ich renne in die nächste Kirche und zünde ein paar Kerzen an, wenn wir damit keinen Bürgerkrieg auslösen.“
Ja, irgendwie bestand die Gefahr durchaus.
„Aber du bist doch gar nicht gläubig“, sagte Jako.
„Ist mir egal, in Zeiten wie diesen nehme ich jede Hilfe, die ich kriegen kann“, antwortete Marti mit einem verrutschten Grinsen.
Nun, wie auch immer.
Sie lasen die halbe Nacht, und in den frühen Morgenstunden begannen sie mit dem Exzerpt.
Gegen Mittag am Donnerstag hatten sie das soweit ausgearbeitet. Sie waren beide hundemüde, aber das war jetzt egal, das hier war schließlich wichtiger.
Dann erstellten sie einen Blog und stellten ihre Zusammenfassung in mehreren Blogposts ein.
Außerdem hängten sie den kompletten Bericht sowie auch einzelne, ihnen besonders bedeutsam erscheinende Teile, als PDF-Dateien an, zum Lesen, Ausdrucken und Downloaden freigegeben.
Anschließend erstellten sie eine Verlinkung und sendeten sie an alle möglichen anderen Leute mit Webvideo- oder sonstiger Internetreichweite.
Zuallererst an ihre Freunde natürlich.
Dann an David Hain und Fabian Sigismund.
An ein paar der Kölner Videocreators.
An den Heider.
An Gniechel.
An Fräulein Chaos; Darkvictory und Kostas Kind; Die Datteltäter; Freshtorge; DeChangeman und viele mehr.
Sie alle bekamen den Link mit der dringenden Bitte, das ganze weiterzuleiten, zu teilen und zu verbreiten.
Dabei nutzen sie ein Programm, das ihnen möglich machte, die Veröffentlichung des Blogs sowie die Verteilung des Links an all die genannten Leute mit einem einzigen Klick anzustoßen.
Am Donnerstag Nachmittag also, genau um fünfzehn Uhr einundzwanzig, drückte Marti die Taste der Maus und schickte damit den umstrittenen, so sehr gesuchten Bericht in die Welt hinaus.