Als Max und Flo den Treppenabsatz vor ihrer Wohnung erreichten, fanden sie dort drei Polizisten vor: zwei uniformierte Beamte und einen Mann in Zivil, der sich als Kriminalhauptkommissar Sven Schneider vorstellte.
„Ich spreche mit Herrn Krüger und Herrn Mundt?“
„Das ist richtig“, sagte Max und schob seine Schulter leicht vor Flo. Ein Zeichen für diesen, dass Max ihn beschützte, aber auch, dass er sich zurückhalten sollte und Max sich ganz eindeutig im Dom-Modus befand.
„Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen.“
Max nickte, nahm den Schlüssel aus seiner Hosentasche und trat auf die Wohnungstür zu.
„Kommen Sie bitte mit rein.“
Schneider folgte ihnen, als Max mit Flo an der Hand die Wohnung betrat. Die beiden anderen jedoch blieben auf ein Nicken ihres Vorgesetzten hin vor der Tür.
Max führte Flo und Schneider in die Küche.
Dort drückte er kurz Flos Hand, dann sagte er:
„Mach uns Tee, bitte.“
„Ja, Max“, sagte Flo und schaute ihn dankbar an. Es gab ihm Sicherheit, dass Max sich so verhielt und ihm eine Aufgabe zuteilte. Er setzte den Wasserkocher auf und holte die Ostfriesenteemischung aus dem Küchenschrank.
Max wandte sich an den Polizisten.
„Also. Was möchten Sie von uns wissen?“
„Herr Krüger, ich gehe recht in der Annahme, dass Herr Mundt der Hauptverantwortliche für das Video ist, das gestern Abend auf seinem Kanal eingestellt wurde? Sie wissen, von welchem Video ich rede?“
„Ja, ich weiß, und ja, Sie haben recht.“
Schneider wandte sich an Flo.
„Herr Mundt, ich muss daher vorrangig mit Ihnen ...“
„Flo macht jetzt Tee!“, sagte Max mit tiefer, beinahe grollender Stimme und sehr bestimmtem Ton.
„Hören Sie....“, wollte Schneider ansetzen.
Max jedoch wollte die Fronten klären. Niemand sprach mit Flo, wenn er das nicht erlaubte.
Das hatte weniger damit zu tun, dass er seine Stellung als Dom untermauern wollte, sondern viel mehr damit, dass Flo diesen Schutz brauchte und diese Sicherheit, die er dadurch bekam, dass Max in schwierigen Situationen Verantwortung für ihn übernahm und ihn lenkte und leitete.
„Flo!“, fuhr er daher dazwischen. Flo, der sich gerade noch der kleinen Teekanne mit dem Zwiebelmuster gewidmet hatte, sah sich zu ihm um.
Max zeigte auf einen Platz vor sich auf dem Boden.
Flos Wangen erröteten leicht, doch ohne zu zögern kam er zu Max herüber und sank vor ihm auf die Knie.
Max strich ihm sanft über das Haar und sagte dann:
„Mach bitte weiter, mein Schatz.“
Also sprang Flo wieder auf die Beine und machte sich erneut an die Arbeit.
Schneider seufzte.
„Gut, Herr Krüger“, sagte er. „Nehmen Sie es mir bitte nicht übel. Ich ... akzeptiere selbstverständlich Ihre Lebensweise.“
Also schwiegen sie ein paar Minuten. Flo hatte den Tee fertig zubereitet, hatte die Kanne auf ein Stövchen gestellt, Tassen, Zuckerdose und Sahnekännchen dazu auf dem Tisch platziert. Dann sah er Max fragend an.
Max wies ihn mit einem Blick an, sich zu ihnen an den Küchentisch zu setzen. Dann nickte er ihm zu und sagte, an den Beamten gewandt:
„Nun fragen Sie, Herr Schneider.“
Schneider nickte und wandte sich seinerseits an Flo.
„Herr Mundt, Sie sind der führende Kopf hinter diesem Video?“
„Ja“, sagte Flo einfach.
„Sie haben es erstellt gemeinsam mit anderen Webvideomachern ...?“
Flo nickte. „Alle sind ordnungsgemäß in den Credits aufgeführt.“
„Und die dem Video zu Grunde liegenden Informationen ...?“
„Alle ausgewerteten Studien habe ich in der Videobeschreibung verlinkt. Es sind öffentlich zugängliche Dokumente, jeder kann das nachprüfen.“
Schneiders Miene verfinsterte sich.
„Und genau da liegt das Problem, Herr Mundt. Haben Sie eigentlich nicht bedacht, was Sie damit anrichten? Dass Sie damit unter Umständen Unruhen auslösen? Menschen, die sich einseitig mit den durch Sie genannten Tatsachen beschäftigen und das ganze Bild aus den Augen verlieren, könnten verkennen, dass diese Studien ein maßlos übertriebenes Bild darstellen und könnten unbedacht reagieren.“
„Unbedacht? Hören Sie, Herr Kriminalhauptkommisar. Es geht uns nicht darum, irgendwelche Krawalle auszulösen. Ich und meine Mitstreiter möchten einfach darauf aufmerksam machen, dass das Vorhandensein einer ganzen Bevölkerungsgruppe samt ihren Bedürfnissen tot geschwiegen wird, sowohl von den Medien, als auch von der Regierung, die in keinster Weise mit Anpassungen von Gesetzen und Regeln auf uns eingeht. Und wir möchten klarmachen, dass es eben nicht, wie immer behauptet wird, nur wenige sind, um die es hier geht!“
Er schnaufte aufgebracht.
Max mischte sich ein.
„Hören Sie, Herr Schneider. Unser Video hat einige unbequeme Fakten aufgedeckt. Es ist ziemlich schnell rund um die Welt viral gegangen und ist überall auf offene Ohren gestoßen. Uns ist natürlich klar, dass wir damit Kontroversen ausgelöst haben, aber genau das war das Ziel der ganzen Sache. Nur eines haben wir damit nicht getan: Wir haben nicht gegen geltende Gesetze verstoßen. Also was genau wollen Sie von uns?“
„Nun, es hat Anzeigen wegen Volksverhetzung gegeben ...“
Max schnaubte. „Das ist doch lächerlich. Deswegen schickt man keinen Hauptkommissar mit zwei bewaffneten Beamten los. Außerdem entbehrt dieser Vorwurf jeder Grundlage.“
„Gut“, sagte Schneider. „Dann legen wir doch mal die Karten auf den Tisch. Das Video hat eine Menge Wirbel gemacht, ja. Dummerweise haben Sie recht, dass man Sie dafür nicht einmal belangen kann, wenn alles so ist, wie es in den Credits angegeben wurde. Aber ...“
Schneider schob die nun leergetrunkene Teetasse von sich und straffte den Rücken,
„... es besteht der begründete Verdacht, das Sie an einer Straftat beteiligt sind.“
Er schaute von Max zu Flo, von Flo zu Max.
„Es ist ein polizeiinterner Bericht gestohlen worden, und Sie, Herr Mundt stehen unter dem dringenden Verdacht, daran beteiligt zu sein.“
Max blieb die Ruhe selber, Flo jedoch sog scharf die Luft ein.
Er atmete etwas schneller, doch dann beruhigte er sich, als Max wieder versichernd seine Hand drückte.