Jako starrte seine Mutter mit finsterem Blick an. Verdammt noch mal, konnte die sich nicht einfach heraushalten? Doch dann fiel sein Blick auf Marti, dessen Augen ihn ansahen mit einer Mischung aus Liebe und Angst, Hoffnung und bittendem Flehen. Und da wurde ihm klar, dass Marti ein Recht darauf hatte, zu erfahren, was in ihm vorging.
„Okay“, sagte er. „Ich muss auch etwas gestehen.“
Er schluckte und sagte dann:
„Marti, ich habe ... ebenfalls Veränderungen in mir bemerkt, seit einiger Zeit, und habe mich dann testen lassen ... und ... na ja ... ich habe es ebenfalls. Das Kanazé-Virus.“
Marti stand da, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.
So eine gottverdammte Scheiße.
War es nicht schon schwierig genug, wenn nur einer von zwei Partnern vom Virus befallen war? Reichte es nicht aus, dass er sich damit abgefunden hatte, in seiner Ehe seine Bedürfnisse unterdrücken zu müssen?
Musste das Schicksal, das Karma, diese dumme Bitch, ihm nun auch ein solches Bein stellen?
Denn wenn, wie in ihrem Falle, beide Partner ein Dom waren (oder auch beide ein Sub), dann war eine Beziehung in den allermeisten Fällen zum Scheitern verurteilt. Es funktionierte einfach nicht, das hatten die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt. Es war nicht so, dass beide einfach weitermachen konnten wie vorher, da sie ja im Prinzip auf einer Ebene waren, und quasi eine Art phasenverschobene Vanillabeziehung führen konnten. Es würde nicht funktionieren.
Marti war jetzt wirklich zum heulen zu Mute. Er wollte Jako nicht verlieren.
Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch ihm blieben die Worte im Munde stecken, denn nun sagte Jako etwas womit er nie im Leben gerechnet hatte:
„Marti, Ich bin ein Sub.“
Wie bitte?
Marti glaubte, sich verhört zu haben. Das konnte doch jetzt nicht sein Ernst sein.
Wie bitte???!!!
„Sag das noch mal.“
„Marti, ich bin ein Sub.“
Marti schaute seinem Mann tief in die Augen und wusste einfach nicht, welche Gefühle das waren, die nun in ihm tobten.
„Und warum, um alles in der Welt, hast du dann so schlecht, so verachtend, so abwertend über andere Subs gesprochen?!“
Marti konnte das einfach nicht begreifen.
Jako begann zu zittern.
„Ich habe Angst, Marti. Ich habe furchtbare Angst.“
Marti schüttelte den Kopf.
„Aber wovor denn? Dir muss doch klar sein, dass ich dir niemals etwas antun würde, was dich verletzt, sei es körperlich oder seelisch! Ich liebe dich, und selbst wenn ich dein Dom bin und du mein Sub...“
Oh Gott. Jetzt erst, da er das aussprach wurde Marti klar, dass diese Tatsache die größten Schwierigkeiten, die er bis eben noch gesehen hatte und von denen er geglaubt hatte, sie würden ihre Ehe zerstören, einfach hinweggefegt hatte! Dass ihre Ehe eine Chance hatte! Holy!
„... hast du doch nichts zu befürchten! Keine Demütigung oder Missachtung oder dergleichen!“
Er fuhr sich fahrig mit den Händen durchs Haar.
„Und auch jetzt noch bin ich bereit, eine reine Vanillabeziehung mit dir zu führen, wenn es das ist, was du willst. Auch wenn das für uns beide sicher nicht einfach wird.“
Er sah Jako bittend an und hoffte, dass der nun ebenfalls in irgendeiner Weise auf ihn zu gehen würde.
Jako zitterte immer noch.
„Ich habe Angst, dass mich niemand mehr achten wird, wenn bekannt wird, dass ich ein Sub bin ... Ich bin ein von Joiko, und ...“
In diesem Augenblick mischte sich Marita ein.
„Mein Junge, unser Name hat doch damit nichts zu tun.“
Blitzschnell drehte sich Jako zu ihr um.
„Wie bitte?!“, schrie er zornig.
„Du und Vater, ihr habt mir doch ein Leben lang eingetrichtert, dass ein von Joiko nicht irgendwer ist. Dass wir was darstellen in der Gesellschaft. Dass ich als euer einziger Sohn mich dieses Namens und unserer alten Familie als würdig erweisen muss!“
Marita wurde blass.
Jako schrie weiter: „Immer hieß es: ein von Joiko muss auf seine Stellung achten. Ein von Joiko wird mal zu den Leadern der Gesellschaft zählen. Ihr habt es regelrecht bedauert, dass Vater den Vorstandsposten, den er in der Firma innehat, nicht einfach weitervererben kann. Was habt ihr für ein Theater gemacht, als ich damals nach Berlin gehen wollte um Kunst zu studieren? Warum nicht hier bleiben, an der hiesigen gediegenen Uni und etwas studieren, dass mich in einen hohen Wirtschaftsposten gebracht hätte! Und wie ihr dann versucht habt, mich in eine der maßgeblichen Familien hier zu verkuppeln! Wie habt ihr euch angestellt, als ich Marti heiraten wollte! Ich bin nur froh, dass der euch mit seinem Charme so schnell um den Finger wickeln konnte.“
Jako schnaufte wütend.
Marti schluckte. Er hatte von all dem nichts gewusst.
Er sah zu Marita, die noch blasser als vorhin geworden war. Sie war aufgestanden und klammerte sich nun an der Lehne ihres Stuhles fest.
„Und ihr habt es doch bis heute nicht verwunden, dass Marti und ich das 'von' nicht in unserem Namen benutzen!“
Marita schnappte nach Luft.
„Und bei all dem, Mutter, willst du mir erzählen, es ist in Ordnung, ein Sub zu sein? Wie soll ich denn den Namen von Joiko so hochhalten, wie ihr das wollt, wenn ich vor einem anderen Menschen auf den Knien liege? Ich habe euch schon so oft enttäuscht ...“
Jetzt war er wieder leiser, und schniefte ein bisschen. Er schien mit den Tränen zu kämpfen.
„... und möchte euch nicht noch mehr enttäuschen.“
„Oh Gott!“ Marita stöhnte auf.
„Jako, es tut mir so leid! Du hast in allem Recht, wir haben es dir nicht leicht gemacht, wir haben Ansprüche an dich gestellt die nicht gerechtfertigt waren. Aber Junge, glaube mir, du hast uns nicht enttäuscht. Du könntest uns nie enttäuschen!“
Sie ging auf ihren Sohn zu.
„Jakob Joiko“, sagte sie und ließ das 'von' ganz bewusst aus.
„Es ist wahr. Wir haben all das getan. Aber wenn ich mir anschaue, was das jetzt und hier anrichtet, dann kann ich nur sagen: es tut mir unendlich leid, und ich kann dich nur bitten, uns, deinem Vater und mir, zu verzeihen.“
Und sie nahm ihren noch immer schniefenden Sohn fest in die Arme.
Marti sah der Szene mit großem Erstaunen zu.
Marita schob ihren Sohn schließlich ein wenig zurück und sagte dann:
„Ich bedauere nun auch, dass wir in manchem nicht so offen zu dir waren, wie wir es vielleicht hätten sein sollen. Ich bitte euch beide, hier auf mich zu warten. Ich werde Vater holen, und dann müssen wir euch wohl etwas sagen.“
Und sie drehte sich um und verließ mit durchgestrecktem Rücken und eleganten Schritten das Zimmer.