Während Marti in jenem Bett im Gästezimmer seiner Schwiegereltern friedlich schlief und davon träumte, dass Jako zurückkäme und und Pizza mitbrächte und dabei ihr gemeinsames Kind an der Hand führte (Ihr Kind? Sie hatten kein Kind! Na ja, Träume eben ...);
während Jako wiederum mit langsam schlendernden Schritten um den See spazierte, dabei Enten beobachtete, die friedlich auf dem glitzernden Wasser schnatterten; während er dabei hoffte, ein wenig Erfrischung im Abendwind zu finden, was allerdings nicht der Fall war, da das Wetter nun nicht mehr nur heiß war, sondern schwül, und der Abendwind ihm was hustete, indem er schlichtweg nicht existierte;
während viele Kilometer entfernt in Berlin Flo hinter verschlossenen Bürotüren den Po versohlt bekam (er hatte den ganzen Tag nichts gegessen und viel zu wenig getrunken, und das obwohl Max ihn immer wieder darauf hingewiesen hatte, jedoch immer mit einem „Ja, ja, später!“ abgewiesen worden war sowie mit einem genervten Augenrollen, und zum Abend hin hatte es Max dann einfach gereicht, und er hatte sich Flo geschnappt, ihm ein großes Glas Wasser und ein Butterbrot verabreicht und dann hatte er den Gürtel aus seiner Jeans gezogen ...);
während Rick und Anna gemeinsam mit André und Niklas in der Küche des Büros saßen und eisgekühlte Ingwerlimonade tranken, die Felix zubereitet hatte, und dabei besprachen, wie die Arbeiten an dem Video heute, am ersten Tag, vorangeschritten waren;
während besagter Felix das tat, was er eigentlich immer tat, nämlich sich um alle sorgen, für alle da sein und sich um alles kümmern;
während also all unsere Freunde auf die ein oder andere Weise beschäftigt waren, liefen quer durch Deutschland einige Telefonleitungen heiß.
In einem edel eingerichteten Büro in einer wichtigen Polizeibehörde läutete ein Apparat auf dem Schreibtisch eines hochrangigen Polizeichefs. Ein aufgeregter Mitarbeiter teilte ihm eine Entdeckung mit, die gemacht worden war und die ziemliche Schwierigkeiten mit sich bringen könnte.
Der nächste Apparat stand im Vorzimmer eines Ministers, wo ein Mann, der unterhalb seiner Fassade mehr war als nur der dienstbeflissene Assistent, der er vorgab, zu sein, das Gespräch entgegen nahm und mit sichtlicher Verärgerung reagierte.
Danach klingelten eine ganze Reihe von Telefonen, bis die Kette der Anrufe schließlich ein Büro erreichte, dass sich in einem unauffälligen Haus befand, und das zwar spartanisch eingerichtet schien, allerdings eine Menge hochwertiges, technisches Equipment beinhaltete.
Der Mann, der hier ans Telefon ging, war von freundlichem und unauffälligen Aussehen und wäre als der nette Nachbar von nebenan durchgegangen, wenn er das gewollt hätte. Nun, er war auch in der Lage, sich ganz anders zu geben; ähnlich wie jener Assistent, ähnlich wie viele andere im Verlauf der Befehlskette hatte er eine Menge Fassaden, hinter denen er sich verstecken, Masken, die er überstreifen konnte wie eine Haut und die ihn zu dem machten, der er sein wollte.
Doch das hier, dieses Büro, diese kalte Arroganz, die in seinen Augen blitzte, das war sein wahres Ich.
Er war der, der die Fäden zog. Natürlich gab es Leute, denen er unterstellt war. Jedenfalls offiziell. Und sicher legte er Rechenschaft ab. Doch ... in Wahrheit gab es kaum jemanden, der ihm bei seiner Arbeit in die Quere kam.
Um so verärgerter war er, als er jetzt diesen Anruf entgegen nahm.
„Sie sagen mir ernsthaft, dass jener Polizeibericht in die Hände von Außenstehenden geraten ist?“
„...“
„Und Sie können mir zusichern, dass er bisher noch nicht geleakt wurde!?“
„...“
„Gut. Dann sorgen Sie gefälligst dafür, dass das so bleibt.“
„...“
„Ja, natürlich, Herrgott noch mal! Wenn das an die Öffentlichkeit kommt, zieht es eine Lawine nach sich! Und wenn das hier bei uns geschieht, dann auch in anderen Ländern, Sie wissen doch, wie das ist ...“
„...“
„Genau das ist doch der Punkt. Es muss der Eindruck in der Bevölkerung bestehen bleiben, dass es sich nur um ein vorübergehendes Phänomen eher geringfügigen Ausmaßes handelt ...“
„...“
„Verdammt ja, natürlich ist mir genau so wie den maßgeblichen Leuten klar, dass das anders ist ... ja auch in der Regierung ist man sich des vollen Ausmaßes nur unzureichend bewusst, und das soll auch so bleiben ...“
„...“
„Zum Teufel, dieser Bericht hätte nie geschrieben werden dürfen, nie gespeichert werden dürfen und hätte auf jeden Fall niemals in die Hände von unbefugten gelangen dürfen. Setzen Sie unserer besten Leute darauf an! Er muss gefunden werden und vernichtet, bevor er noch an die Öffentlichkeit gelangt!“
„...“
„Hören Sie. Sie sind sich hoffentlich des Ernstes der Lage bewusst. Wenn diese Fakten der Bevölkerung zur Kenntnis gelangen ... man wird in Übersee sehr besorgt sein, und glauben Sie mir, das bringt uns alle in eine sehr unangenehme Lage ... Also machen Sie sich an die Arbeit und diskutieren Sie mit mir nicht länger über Verantwortlichkeiten! Ich will keine Ausflüchte hören, ich will Ergebnisse, sonst sieht es schlecht aus für Sie und diejenigen die das verbockt haben, und unsere Freunde von Übersee werden sich nicht die Mühe machen, genau zu unterscheiden, wer an dem Desaster beteiligt war und wer nicht!“
„...“
„Also gut. Melden Sie sich wieder, wenn Sie etwas erreicht haben. Und erreichen Sie schnell etwas! Ja. Wie üblich. Wegwerfhandy, die übliche Codierung. Bis dann.“
Der Mann legte den Hörer auf die Gabel und seufzte.
Dann massierte er sich mit den Fingern die Nasenwurzel, während er nachdachte. Das ganze war eine äußerst schwierige Situation, so etwas hatte ihm gerade noch gefehlt. Aber so war es nun einmal, wenn gerade einmal eine Zeit lang alles in ruhigen Bahnen verlief und man dachte, man hätte alles im Griff, dann kam das Schicksal daher und stellte einem ein Bein.
Nun, er war noch nie gestolpert, und er würde es auch diesmal nicht.
Mögen andere auch fallen, dachte er, am Ende würde er die Fäden ziehen, die gezogen werden mussten und die Lage retten.
Er war der Mann im Hintergrund, die graue Eminenz, wenn man so wollte, und er würde auch eine solche Krise bewältigen.
Er straffte sich, und als er aus der Tür seines Büros hinaus in die Welt der einfachen, simplen Menschen trat, hätte nie jemand in ihm den Mann vermutet, der die Geschicke eines ganzen Landes so maßgeblich beeinflusste.
* * *
Und so wurde eine Welle von Ereignissen in Gang gesetzt, noch bevor Flos Video überhaupt fertiggestellt, geschweige denn veröffentlicht war.