Jako sah mit völlig fassungslosem Erstaunen seinen Vater zu Boden sacken.
Er rannte zu ihm und hockte sich neben ihn.
„Papa? Papa, was ist los?“
Klaus atmete schwer.
„Papa? Soll ich einen Arzt rufen?“
Doch der ältere von Joiko schüttelte nur den Kopf.
„Nein, mein Junge. Hilf mir hoch, ja?“
Jako stützte den Vater und schaute sich dabei nach Marti um. Der stand mit verschränkten Armen und zornigem Blick ein paar Schritte von ihnen entfernt.
Er hatte das Gesicht zu einem grimmigen Ausdruck verzogen und sah alles andere als begeistert aus.
Jako schluckte.
Als sein Vater wieder auf den Beinen stand, wandte sich Jako an ihn und fragte leise:
„So, Papa, nun erkläre mir bitte, was zum Teufel los ist. Warum hast du uns eben so angefahren?“
Klaus von Joiko schien mit sich zu ringen.
Dann schaute er von Jako zu Marti und wieder zurück.
„Jungs“, sagte er, „bitte, sagt mir, dass ihr noch keinen Unsinn mit dem Stick angestellt habt.“
Marti schien von seiner Art und Weise genug zu haben.
„Wenn du damit meinst“, sagte er mit kaum unterdrücktem Zorn, „ob wir den Inhalt bereits veröffentlicht haben ...“
Klaus sog den Atem ein und hielt die Luft an.
„... ja, verdammt, das haben wir. Wir haben die Infos ins Netz gestellt, und in der guten halben Stunde, seit das passiert ist, hat sich das Ganze schon verteilt und verbreitet.“
„Oh Gott.“
Klaus schien fassungslos.
„Hör mal, Papa“, sagte Jako, „ich weiß ja, dass du dir Sorgen um uns machst. Aber glaub mir, wir haben das Richtige getan. Und wenn wir dafür die Konsequenzen tragen müssen, dann werden wir das auch tun.“
Klaus von Joiko begann, wieder zu schreien.
„Darum geht’s doch gar nicht, ihr dummen Bengel! Ihr habt ja keine Ahnung, was ihr angerichtet habt!“
Er fummelte ein Handy aus seiner Hosentasche.
„Herrgott“, schimpfte er, „ihr und eure sogenannten Freunde haben alles kaputt gemacht! Ihr habt ja keinen Schimmer, wie schwierig nach dem Ausbruch des Virus die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung war! Aber wir haben es geschafft; ich habe es geschafft! Und dann kommt ihr und diese ... diese ... Revoluzzer und wirbelt alles wieder auf! Wisst ihr eigentlich, was es mich an Schweiß gekostet hat, euch beiden Polizei und Geheimdienst vom Halse zu halten? Dafür zu sorgen, dass niemand erfährt, dass mein Sohn, mein eigener Sohn einer von den Aufrührern ist?“
Jako war zutiefst erschüttert.
„Papa?!“
Er wusste nicht, was er sagen sollte, er wusste ja nicht einmal, was er da gerade gehört hatte. Wie er das verstehen und einordnen sollte.
Marti legte seine Hand auf Jakos Schulter.
Jako zitterte. Er ließ seinen Vater los.
Der schaute sich im Raum um und sah das Laptop. Blitzschnell war er dort und ließ die Augen über den Bildschirm fliegen. Er erfasste, was geschehen war ... der Blog, auf den schon viele viele Antworten und Kommentare eingegangen waren.
Die vielen Verlinkungen, die klar machten, dass der Bericht bereits weit im Netz verbreitet worden war.
Wie man es drehte und wendete, es war nicht mehr aufzuhalten.
Klaus fuhr sich mit den Händen durch das Haar und stöhnte.
Marti hielt Jako fest. Er wandte sich an Klaus und sagte mit schneidend kalter Stimme:
„Klaus. Was zum Teufel verheimlichst du uns. Was hast du mit Polizei und Geheimdienst und dergleichen zu tun?!“
Jako klammerte sich an seinen Mann. Er wollte die Antwort gar nicht wissen. Und doch, natürlich wollte er wissen, was hier gespielt wurde.
Doch er hatte Angst vor der Antwort.
Sein Vater schien jedoch in keinster Weise daran zu denken, zu antworten. Er hatte inzwischen das Handy am Ohr und telefonierte hektisch.
„Hallo? Geben Sie mir ihre IT-Fachleute. Ja ... Sie haben den Blog schon gelesen ... ja, dann wissen Sie, worauf es ankommt. Löschen Sie ihn ! Sofort!“
…
„Gut, und dann ... Nehmen Sie vom Netz, was sie nur können ... Wie? Warum? Verdammt!“
Sein Blick schoss zu Marti und Jako. Sein Gesicht war rot vor Aufregung.
„Herrgott, dann schalten sie vorübergehend das Internet ab! Was? … Ach verdammt, zum Teufel mit der Demokratie! Was soll das heißen, wir sind hier nicht in China? Ich wollte wir wären es, dann wäre es nie soweit gekommen!“
Wütend ob der Unfähigkeit oder Unwilligkeit seines Gegenübers schleuderte Klaus das Handy auf den Tisch vor ihm.
„Du ... du steckst da mit drin!“, stammelte Jako entsetzt.
„Du hast hier den besorgten Vater gespielt, aber in Wahrheit gehörst du zu den Leuten, die hier die Sub und Dom Bevölkerung unterdrücken ... du spielst ihnen in die Hände, bist ihr Handlanger ...“
„Ha, Handlanger!“ Klaus schnaubte. „So hat mich schon lange keiner mehr bezeichnet. Aber ja, du hast recht, ich versuche diese ganze Sache wieder in Ordnung zu bringen! Damit einfach alles in ruhigen Bahnen läuft!“
„Komm, Jako.“ Marti sorgte dafür, dass Jako sich auf das Sofa setzte. Das war gut so, denn Jako hatte das Gefühl, nun seinerseits gleich zusammenzuklappen. Das war einfach alles zu viel.
„Aber, Papa, warum?!“, fragte er verzweifelt. „Ich dachte immer, du bist ein anständiger Mensch! Und noch dazu bist du selber ein Sub!“
Klaus ließ ein kaltes Lachen ertönen. Da war nichts mehr von dem Mann, der eine ruhige Eleganz ausgestrahlt hatte und den Eindruck erweckt hatte, das „von“ mit Stolz und Würde und altem, geradezu natürlichem Adel zu tragen.
„Ja, schlimm genug, dass mich dieses Virus auch erwischt hat. Gott, ich hasse das. Aber der Staat muss gefestigt bleiben, die Rädchen müssen laufen wie geölt, und die richtigen Leute müssen geschützt werden, vor der Neugier der Massen ...“
Er schwieg, als würde ihm klar, dass er schon viel zu viel gesagt hätte.
„Nun, wie es aussieht“, sagte er dann nach Augenblicken des Schweigens, „wie es aussieht, habt ihr dafür gesorgt, dass alles das, was ich mühsam aufgebaut habe, zusammenbricht wie ein Kartenhaus. Vielleicht sollte ich einfach aufhören, euch zu schützen und euch einfach eurem Schicksal überlassen.“
Und er drehte sich um und verließ die Hütte.