Freitag Abend um 18 Uhr ging das Video online.
Die Freunde saßen vor den Bildschirmen im Büro und hatten alles ganz genau im Auge. Sie alle waren da: Allen voran natürlich Max und Flo. Dann Steve und Rick, Anna, Olli, Marti mit Jako, Felix und André, und nicht zuletzt Niklas.
Das Video ging in kürzester Zeit durch die Decke.
Innerhalb von Minuten hagelte es Likes. Und natürlich auch Dislikes, das war bei einem so kontroversen Thema ja nicht anders zu erwarten.
Die Klickzahlen brachen Rekorde.
In der Kommentarsektion ging direkt nach der Veröffentlichung eine heiße Diskussion los.
Viele User bekannten sich selber dazu, Sub oder Dom zu sein.
Viele, die es nicht waren, unterstützten das Anliegen des Videos, für gegenseitige Toleranz einerseits und eine angemessene öffentliche Wahrnehmung und vor allem Anerkennung andererseits.
Natürlich gab es auch die Gegenstimmen, die sich der offiziell von der Regierung vertretenen Meinung, das ganze wäre nur ein zahlenmäßig zu vernachlässigendes und ohnehin nur vorübergehendes Phänomen, anschlossen. Viele taten das sachlich, aber natürlich gab es auch die, die ohne Hirn und Verstand ihren Hate ins Netz kübelten.
„Oh Mann“, sagte Flo und schaute Max an mit einer Mischung aus Begeisterung und Sorge, „wir haben wohl tatsächlich einen Nerv getroffen.“
„Hast du was anderes erwartet?“
„Nö, eigentlich nicht.“
Das war natürlich noch lange nicht das Ende der Fahnenstange.
Schnell stellte sich heraus, dass das Video nicht nur im deutschsprachigen Raum von Interesse war, sondern auch international Beachtung fand.
Schon bald ging die Diskussion in der Kommentarbox vielsprachig weiter.
Rund um die Welt wurde das Video angeklickt, geliket, gehatet.
Und dann kamen auch die ersten Drohungen dazu. Man würde sie finden, verprügeln, aufschlitzen, ihre Mütter ficken ... das Übliche an Hate halt.
Aber es gab auch ernsthafter klingende Sachen.
Sei mögen das Video unverzüglich vom Netz nehmen, da sie sonst mir ernsthaften Konsequenzen zu rechnen haben würden. Es würde Ärger mit Polizei und Staatsschutz geben, und das würden sie doch sicher nicht wollen.
Waren diese Drohungen ernst zu nehmen? Nun ja, in der Form sicherlich nicht. Es war nicht unwahrscheinlich, dass eben jene Institutionen früher oder später mit nicht allzu guter Laune an sie herantreten würden, allerdings würden sie das sicher nicht durch öffentlich Kommentare unter einem Video ankündigen.
Flo hatte in einem letzten Satz darum gebeten, dass man das Video teilen sollte. Sie hatten eine Monetarisierung ohnehin von Anfang an gar nicht erst angestrebt, also war es okay, wenn andere es für sich nutzten. Das war ihm sogar sehr wichtig, denn es ging hier schließlich einzig und allein um die Message.
Und User weltweit taten, worum er gebeten hatte. Das Video wurde nicht nur angeklickt, sondern auch geteilt. Es erschien auf allen möglich Kanälen anderer Creators, aber auch auf allen möglichen anderen Plattformen und sozialen Netzwerken. Es wurde komplett wiedergegeben oder in Ausschnitten, es gab innerhalb kurzer Zeit Varianten mit Untertiteln in allen möglichen Sprachen.
Gegen Mitternacht machte Flo eine Flasche Sekt auf und stieß mit all seinen Freunden an.
Sie hatten erst einmal erreicht, was sie wollten:
Das Video war viral gegangen.
Nun blieb abzuwarten, ob es die erhoffte Wirkung haben würde, das heißt, ob es tatsächlich den Anstoß zu gesellschaftlichen Veränderungen einleiten würde.
Gegen drei Uhr morgens, sie klebten immer noch alle vor den Monitoren, hatte Flo in seinem Nachrichteneingang ein standardisiertes Schreiben von der Videoplattform. Ihr Video wäre mehrfach gemeldet worden, und das bedeutete, man würde es auf seinen Inhalt hin prüfen und gegebenenfalls vom Netz nehmen müssen, sollte es gegen die Regeln vorstoßen.
Darum machte Flo sich allerdings keine Sorgen.
Die Plattform war dafür bekannt, dass sie sich politisch nicht beeinflussen ließ und ihren Creatorn eine größtmögliche inhaltliche Freiheit gewährte, sofern der Content nicht gegen die geltenden Gesetzte des jeweiligen Landes verstieß oder grobe Beleidigungen enthielt. Beleidigt hatten sie niemanden, und was die Gesetzte betraf – nun, da man weltweit ja offiziell das Problem als solches weitestgehend ignorierte, gab es auch bis auf in ein paar dubiosen diktatorisch regierten Ländern keine Gesetzte, die irgendetwas, was mit dem Kanazé- Virus in Verbindung stand, regelten oder gar unter Strafe stellten.
Gegen sieben Uhr begannen die Telefone zu läuten.
Es waren Anrufe von befreundeten Creatorn, von anderen Freunden und Verwandten. Man wollte ihnen gratulieren, sie kritisieren oder sich einfach erkundigen wie es ihnen ging.
Man sorgte sich um sie, bot Unterstützung und Hilfe an.
Gegen 10 Uhr flaute das ganze ab.
Gegen halb elf beschlossen sie alle, erst einmal nach Hause zu gehen. Sie waren die ganze Nacht wach gewesen, und es war eine aufregende Nacht gewesen.
Und so gegen elf fielen sie alle so nach und nach in ihre jeweiligen Betten.
Nun, alle bis auf Flo und Max. Diese beiden bekamen erst einmal eine ganze Weile kein Auge zu.
* * *
Es war noch am Abend zuvor gewesen, kurz nach dem das Video online gegangen war, dass in jenem unauffälligen Haus das Telefon geklingelt hatten. Der Mann war nicht in seinem geheimen Büro gewesen. Er hatte jedoch über eine einzig und allein für ihn geschaffene mehrfach verschlüsselte App die Benachrichtigung bekommen, war in das Büro geeilt und hatte gewartet. Man würde ihn wieder anrufen.
Sekunden später klingelte der Apparat erneut.
„Sie müssen sich etwas anschauen. Ein Video. Schnell.“
Er fuhr seine Laptop hoch und sah sich die Bescherung an. Minuten später massierte er sich erschöpft mit den Fingern die Nasenwurzel.
Das hatte ja früher oder später so kommen müssen. Verdammt!
Nun, jetzt war es an ihm, den Schaden zu begrenzen.