Sie sahen sich beide verblüfft an. Wussten nicht, was sie tun sollten.
Sie schwiegen, bis sich Marita im Hintergrund eindringlich räusperte.
„Du zuerst“, sagte Jako leise.
Okay. Jetzt war es also soweit.
„Gut“, sagte Marti. „Jako, ich möchte vorweg sagen, dass ich Verständnis dafür habe, dass du an Florians Video nicht teilhaben willst. Und nicht nur ich. Auch die anderen. Niemand nimmt dir das übel. Und ich möchte mich nochmal entschuldigen, dass ich einfach so für dich gesprochen habe, ohne dich vorher zu fragen. Das war nicht in Ordnung, und das tut mir leid.“
Jako schnaubte.
„Aber Hallo“, knurrte er.
„Trotzdem“, fuhr Marti fort, „finde ich es nicht in Ordnung, dass du über andere so abfällig redest. Wenn andere einen anderen Lebensstil haben als du, macht sie das weder besser noch schlechter als dich. Und ich verstehe nicht, warum du dich gegenüber Sub-Dom-Beziehungen so intolerant zeigst.“
Jakos Stirn verfinsterte sich.
„Weil das Scheiße ist! Wenn einer von beiden den anderen nur herumkommandiert und sogar verprügelt! Und der andere zu allem 'Ja Herr' sagt und sich alles gefallen lässt! Vor dem anderen auf Knien rutscht und sich erniedrigen lässt!“
Marti schüttelte den Kopf.
„Aber so ist das doch nicht! Jako, das sind dumme Vorurteile, die einfach nicht stimmen! Und das weißt du auch!“
„Ach ja? Weiß ich das? Ich weiß gar nichts!“
Marti verstand diese Sturheit einfach nicht.
„Jako, verdammt. Du musst dir doch nur Rick und Anna anschauen ...“
„Ausgerechnet! Rick liegt doch ständig auf Knien!“
„... um zu sehen, wie viel Liebe und Zärtlichkeit in einer solchen Beziehung steckt. Und bei Flo und Frodo auch, die beiden sind doch wie Pech und Schwefel, und wenn man es nicht weiß, merkt man es ihnen im Alltag oftmals gar nicht an, weil sie sich nicht nur lieben, sondern auch beste Kumpels sind!“
Marita hielt sich wie versprochen im Hintergrund, auch wenn es ihr schwerfiel. Sie spürte, dass Jako etwas auf der Seele brannte, aber sie hatte versprochen, sich raus zuhalten.
„Herrgott, Jako!“ Marti war nun sichtlich genervt. „Was zum Teufel ist dein Problem? Was ist aus Leben und Leben lassen geworden? Aus der Toleranz andersartigem gegenüber, die dir doch genau so wie mir immer so wichtig war?“
Jako brummte irgendetwas.
„Rede mit mir, verdammt!“, schrie Marti nun inzwischen richtig angefressen.
„Ich will mit dieser ganzen Sub Dom Kacke nichts zu tun haben!“, schrie nun auch Jako.
Mit einem Ruck stand Marti von seinem Stuhl auf.
Und dann sagte er ganz leise:
„Dann willst du mit mir wohl auch nichts mehr zu tun haben. Ich sagte doch ich muss dir etwas gestehen.“
Er schluckte schwer.
„Jako, ich ... ich habe auch das Virus.“
Mit wirklich entgeisterten Augen schaute Jako seinen Mann an.
Marti dagegen zitterte. Er hatte Angst vor dem, was jetzt kommen würde.
Leise sagte er:
„Ich weiß, dass du nach wie vor Vanilla bist, und ich bitte dich nur, mir zuzuhören. Wir werden Wege finden ...“
Rumms!
Jakos Faust war auf den Tisch geknallt.
„Ich habe es doch gewusst“, sagte er mit Zorn in der Stimme.
„Ich habe es gewusst, du bist also auch so einer.“ Verachtung troff aus seine Worten. „So ein füßeleckender, winselnder ...“
„Es reicht!“ Diesmal schrie Marti wirklich laut,
„Es reicht Jako. Rede gefälligst nicht so respektlos, egal über wen! Kein Sub hat es verdient, dass du ihn verachtest! Und was mich betrifft, da irrst du dich! Ja, ich habe das Virus, aber ich bin ein Dom!“
Nun war die sprichwörtliche Katze also aus dem Sack, na zumindest eine der beiden Katzen, denn wenn man Jakos Worte von vorhin betrachtete, schien der ja auch noch eine in Petto zu haben.
Jetzt jedoch war der erst mal sprachlos.
Also setzte Marti erneut an.
„Ich bin ein Dom, und ich weiß, dass es das kompliziert macht. Ich weiß, wie schwer es ist, wenn nur einer in einer Beziehung ein Kanazé ist und der andere nicht. Aber viele haben das gemeistert. Ich werde meine Bedürfnisse nicht ausleben, das kannst du mir glauben. Ich liebe dich, du Dickschädel. Ich will mit dir zusammen sein. Und wenn das bedeutet, dass ich mein Dom sein verleugnen muss, Herrgott, dann werde ich das eben tun. Du bist mir wichtiger!“
Jako sah aus wie ein gehetztes Wild. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Das fliehen möchte und doch nicht kann. Das genau weiß, dass es gleich von einer Stoßstange getroffen wird, als blutiger Matsch auf dem Asphalt landen wird, und daher dringend fliehen muss, es aber dennoch nicht schafft.
Er klammerte sich mit den Händen an die Tischkante, so dass seine Fingerknöchel ganz weiß wurden.
„Du...“, stotterte er dann. „Du ... bist ein ... Dom?“
„Ja“, sagte Marti leise.
„Aber ... ich dachte ...“
Jako war blass geworden. Dann räusperte er sich und fragte:
„Und du wärest wirklich bereit, das ... aufzugeben, damit wir weiter zusammen leben können?“
„Ja“, sagte Marti und seine Stimme ließ keinen Zweifel daran. „Das hab ich doch bisher auch schon getan, und ich habe mich erkundigt. Es gibt Therapien, wo man Techniken erlernen kann, die einem helfen, mit den unterdrückten Bedürfnissen zurechtzukommen ...“
Scheiße. Unterdrückte Bedürfnisse. Das hätte er jetzt wohl besser nicht gesagt, denn Jakos Blick verfinsterte sich wieder.
Doch dann entspannte sich sein Gesicht. Er holte tief Luft und sagte:
„Und du meinst, das kann funktionieren?“
„Ja“, sagte Marti mit einer Sicherheit, die er nicht empfand.
„Gut“, sagte Jako. „Das klingt nach einer Lösung.“
Keiner guten, dachte Marti. Aber wenn es läuft, und er merkt, dass ich wirklich dazu bereit bin, vielleicht ... können wir dann irgendwann ... doch einen Konsens finden, ein wenig zu spielen ...
Und wenn nicht habe ich immerhin ihn. Besser so, als ihn zu verlieren.
„Dann … können wir es jetzt erst einmal dabei belassen?“, fragte Jako und sah ihn flehend an.
Nun, es ist zwar längst nicht alles geklärt ... dachte Marti ein wenig unzufrieden, aber er würde zustimmen. Fürs erste.
Da jedoch räusperte sich Marita.
„Also wirklich, Jungs. Ich habe zwar gesagt, ich würde mich raushalten. Aber so geht das nicht.“
Sie wandte sich an Jako.
„Marti hat sich geöffnet, mein Herr Sohn. Und ich denke, jetzt bist du an der Reihe!“