Marti war von der Eisdiele direkt nach Hause aufgebrochen. Und während er durch die Straßen von Berlin ihrer gemeinsamen Wohnung zustrebte, verfiel er in Gedanken.
Was zum Teufel war nur mit Jako los?
Marti verstand nicht, was in den gefahren war. Natürlich, es war durchaus in Ordnung, mal anderer Meinung zu sein, als die Freunde. Und wenn Jako nicht bei Flos Video helfen wollte, war das doch kein Problem. Man würde ihn vielleicht nach seinen Gründen fragen, aber selbst das war nicht unbedingt gesagt. Man würde es einfach akzeptieren, weil letztendlich doch jeder selber entscheiden kann, was er möchte und was nicht.
Aber dieser Ausbruch- das verstand Marti nicht.
Um ehrlich zu sein, war er auch ganz schön sauer auf seinen Mann.
Wenn Jako ein Problem mit der ganzen Sache hatte, gut und schön. Aber dieser Ton, den er da an den Tag gelegt hatte, den benutzten sie eigentlich nicht untereinander in ihrem Freundeskreis.
Marti würde das so auch nicht auf ihnen beiden sitzen lassen. Er würde Jako die Leviten lesen, zu Hölle, ja, und er würde Erklärungen fordern. So jedenfalls konnte das ganze nicht laufen.
Er akzeptierte, wenn Jako nichts mit dem Projekt zu tun haben wollte, aber er würde nicht akzeptieren, dass er die Freunde so anfuhr.
Er seufzte.
Auf der Bank im Park, den er eben durchquerte, war ein Dom gerade dabei, seinen Sub über seine Knie zu ziehen und ihm anschließend ein paar Schläge auf die strammgezogene Jeans zu verpassen.
Marti wurde rot.
Wenige Paare gingen in aller Öffentlichkeit so weit. Aber gut, auch das gehörte heutzutage zum Straßenbild, auch wenn es nicht oft vorkam.
Letztendlich musste jedes Sub-Dom-Paar seinen eigenen Weg finden, seine Dynamik auszuleben. Die Bandbreite war groß, und so lange beide damit einverstanden waren, was geschah, war es doch okay und ging niemanden was an.
Wieder seufzte Marti.
Er war mit Jako nun schon einige Jahre verheiratet und sie waren glücklich miteinander. Sie lebten in einer stabilen, zufriedenen Beziehung. Eine Beziehung, die schon Höhen und Tiefen überstanden hatte und die eine ganz klassische Vanillabeziehung war.
Ob es wohl manchmal einfacher wäre, dachte Marti, wenn Jako sein Sub wäre und er ihm befehlen würde ...
Doch dann wurde ihm klar, was er da für einen Unsinn dachte.
Erstens war ihre Beziehung nun mal Vanilla, und zweitens spielte in einer Sub-Dom Beziehung doch auch der Respekt eine große Rolle. Kein Dom mit auch nur einem Funken Verstand und Anstand würde seinem Sub verbieten, seine Meinung zu äußern.
Na ja, nur vielleicht das wie, darauf hätte der Dom sicher Einfluss, dachte Marti, und dann musste er doch wieder schmunzeln.
Nun, sei dem wie dem sei, er müsste auf jeden Fall mit Jako reden. Sie müssten klären, was los sei.
Jako war jedoch noch nicht zu Hause, als Marti schließlich dort ankam.
Er machte es sich daher mit einer eiskalten Cola im Wohnzimmer gemütlich, schnappte sich sein Laptop und begann, ein bisschen auf YouTube herum zu surfen.
Als Jako schließlich kam, knallte er die Wohnungstür zu und stapfte in die Küche, ohne erst einmal nach Marti zu schauen. Das war ungewöhnlich, aber gut, Marti schluckte es erst einmal. Als Jako dann jedoch in sein Arbeitszimmer huschen wollte, ohne Marti Hallo gesagt zu haben, riss diesem die Geduld.
Er stürmte hinterher, fing Jako ab, bevor er die Tür hinter sich zu ziehen konnte und sagte:
„Sag mal, verflixt, was ist denn los mit dir?“
„Das sollte ich dich fragen“, motzte Jako.
„Wie kommst du dazu, Flo meine Unterstützung zuzusagen, ohne das vorher mit mir abzusprechen?“
Oh je. Da hatte Jako recht, das konnte Marti nicht bestreiten.
„Du hast recht“, sagte er. „Und das tut mir auch leid. Das hätte ich nicht tun sollen.“
Jako sah ihm in die Augen, und die Tatsache, dass sein Marti nun so geknickt vor ihm stand, ließ ihn weich werden.
„Na, schon gut.“
„Aber Jako“, sagte Marti, „das ist noch lange kein Grund, so einen Auftritt hinzulegen. Wenn du an dem Projekt nicht beteiligt sein möchtest, gut. Aber Flo und die anderen so anzuschnauzen, das ist nicht in Ordnung! So reden wir nicht mit unseren Freunden!“
Und schon begann Jako wieder, aufzubrausen.
„Verdammt Marti, es ist mir scheißegal, ob irgendwem mein Ton nicht passt. Ich halte das, was Flo in seinem Video darstellen will, für maßlos übertrieben. Ich halte es genau genommen für hanebüchenen Unsinn. Statistiken lügen, Studien kann man so beeinflussen, dass sie das gewünschte Ergebnis bringen. Und ich bin fest überzeugt, dass der Bevölkerungsanteil, den das Virus tatsächlich betrifft, in Wahrheit viel kleiner ist, als Flo glaubt. Und dass es in ein paar Jahren keine Kinkies mehr geben wird.“
„Nenn sie nicht so“, schnauzte Marti. „Ich will diesen abwertenden Begriff nicht hören!“
„Na und? Ich verwende ihn, wenn es mir passt! Im übrigen gibt es Studien, die besagen, dass das Virus von selber aussterben wird, und selbst Leute, die heute in Sub-Dom-Beziehungen leben, früher oder später wieder normal werden!“
Jetzt reichte es Marti. Jetzt schrie auch er.
„Verdammt noch mal! Was heißt hier normal! Leute wie Flo und Frodo oder Anna und Rick sind genau so normal wie du und ich! Und diese sogenannten Studien, von denen du sprichst, stammen von Professor Kanazé, der den Mist, den er gebaut hat, damit herunterspielen wollte, und sind von seriöser Forschung inzwischen längst widerlegt!“
„Weißt du was?“, brüllte Jako. „Wenn du das alles so toll findest, dann such dir doch wen anders als mich! Wahrscheinlich ist das sowieso dein Problem! Wahrscheinlich bist du inzwischen auch zu so einem knie rutschenden Waschlappen mutiert! Ja, Herr, nein, Herr, Danke, Herr! Da wird einem ja zum Kotzen zu Mute!“
Marti war fassungslos. So kannte er Jako nicht.
Er stand mit offenem Munde da, als der nun wütend aus der Wohnung rannte.
Was zum Teufel ...
Wie konnte Jako nur so beleidigend über Menschen reden, die eine andere Lebensweise hatte, als er selber! Er hatte damit nicht nur fremde Subs beleidigt, sondern auch ihre Freunde, Flo und Rick, und er hätte auch ihn, Marti beleidigt, wenn seine Vermutung zutreffen würde.
Aber das tat sie nicht. Marti war nicht zum Sub „mutiert“.
Nein, das nicht.
Es atmete tief Luft und spürte, dass ihm die Brust zu eng zum Atmen wurde. Er hasste es, wenn er mit Jako im Streit auseinander ging.
Er konnte nur hoffen, dass Jako zurückkam, und dass sie dann noch einmal in Ruhe reden konnten.