„Tja“, sage Sven, „eigentlich interessiert mich alles. Irgendwie. Vielleicht ... fang doch mal damit an, wie das bei euch angefangen hat. Ich meine, seid ihr schon von Anfang an Sub und Dom gewesen? Oder kam das erst später, als ihr schon zusammen wart?“
„Wir kennen uns schon ewig“, sagte Max. „Wir waren beste Freunde, bevor wir zusammen gekommen sind.“
Er kratzte sich am Kopf.
„Das waren wir auch, als damals die ganze Sache mit Professor Kanazé durch die Medien ging. Ich erinnere mich gut an die Aufregung und die allgemeine Panik ...“
Ja, Sven erinnerte sich auch.
Es hatte in der Tat große Angst geherrscht, denn der Gedanke an aus einem Labor aufgebrochenes Virus war beängstigend. Wer wusste schon, was das anrichtete? Es hätte genau so gut eine weltweite Epidemie auslösen können, die die Menschheit ausrottete ... Jeder hatte zuerst an biologische Kampfstoffe gedacht ...
„Und in dieser Zeit damals, als keiner recht wusste, was wird, ist mir klar geworden, dass ich mehr für Flo empfinde als Freundschaft. Und dass ich nicht warten wollte, weil keiner wusste, ob es nicht schon zu spät war, ob wir den nächsten Tag noch überleben. Und da hab ich es ihm gesagt.“
„Da wart ihr also noch nicht selber vom Virus betroffen?“
„Nö, das waren wir nicht. Und als dann nach und nach klar wurde, was das Virus tat, dass es also im Grunde genommen vergleichsweise harmlos war und nicht dazu geeignet, die Menschheit von diesem Planeten zu fegen – da haben wir es geschafft, eine glückliche Liebesbeziehung aufzubauen. Flo hatte sich nämlich auch in mich verliebt.“
Max nahm einen Schluck eiskalte Cola.
„Wir waren ungefähr ein Jahr zusammen, als wir uns verändert haben.“
„Ihr beide? Gleichzeitig?“
„Ja, so ziemlich.“
Max lächelte.
„Ich habe gespürt, dass ich begann, ihn anders zu sehen. Er war immer noch genau wie vorher mein bester Kumpel. Mein Liebster. Mein Partner. Und all das ist er ja auch heute noch. Nur ...“
Es war nicht ganz einfach, das alles richtig auszudrücken.
„... da war noch mehr. Ich habe gemerkt, dass ich ihm gegenüber einen starken Beschützerinstinkt entwickelt habe. Beschützen, das war das erste.“
Sven riss die Augen auf.
„Beschützen?“ fragte er. „Mir war klar, dass das dazu gehört, aber ich hätte nicht gedacht ...“
„... dass das so wichtig war?“, fragte Max. „Doch. Damit fing es an. Ich wollte alles schlechte, alles schmerzhafte und so weiter von ihm fernhalten, etwas, was in unserem Beruf natürlich nicht geht. Das hat mir zu Anfang ganz schön zu schaffen gemacht.“
„Und dann?“, fragte Sven. Das ganze faszinierte ihn.
„Na, ja, irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich im Bett ihm gegenüber begann, dominant zu verhalten. Den Ton angeben wollte. Liebevolle, kleine Befehle erteilen. Wir waren schon immer experimentierfreudig, haben zum Beispiel mit ein paar Handschellen gespielt ... Gott, das klingt so banal. Aber ich habe festgestellt, dass ich lieber der bin, der fesselt, als selber gefesselt zu werden.“
Max war knallrot geworden.
Normalerweise war er nicht sonderlich schüchtern. Aber das waren jetzt doch intime Details, die er mit einem relativ Fremden teilte ...
Dennoch, es erschien ihm richtig.
Und wie schon zuvor vertraute er Sven einfach.
„Richtig geschnallt, was los ist, habe ich eigentlich erst, als ich gemerkt habe, dass Flo mit all dem sehr gut klar kam und sich meiner Dominanz sehr willig hingegeben hat. Ich bin zum Hausarzt und hab den Test machen lassen. Damals gab es gerade seit kurzem diesen Schnelltest. Das Ergebnis war eindeutig. Ich bin dann zu Flo und habe es ihm gebeichtet.“
Er grinste.
„Flo hat gelacht und mir gestanden, dass er drei Tage zuvor den Test auch gemacht hat, und ebenfalls das Virus hat. Er hatte nur auf den richtigen Moment gewartet, es mir zu sagen. Na und dass er Sub und ich Dom war ... die Frage stellte sich gar nicht. Unser Verhalten einander gegenüber war eindeutig.“
Wieder nahm Max einen tiefen Zug aus der Flasche.
„Und wie ging es dann weiter?“, fragte Sven, der die ganze Geschichte äußerst spannend fand. Er, der so Vanilla war, wie man nur sein konnte, hatte bisher in seinem Leben noch nicht wirklich die Gelegenheit gehabt, so tiefe Einblicke in eine Kanazé- Beziehung zu bekommen.
„Für uns beide“, sagte Max, „war von Anfang an klar, dass wir keine reine Bettbeziehung wollten. Nein, jetzt habe ich mich schlecht ausgedrückt. Natürlich hatten wir von Anfang an eine echte Liebesbeziehung, keine reine Bettbeziehung oder so. Was ich meine ist, dass wir beide wollten, das sich auch unser Sub-Dom-Verhältnis nicht nur aufs Schlafzimmer beschränkt.“
„Gibt es das denn?“, frage Sven erstaunt.
„Klar“, sagte Max. „Sub-Dom-Beziehungen sind so unterschiedlich und individuell, wie Menschen an sich.“
„Okay.“ Sven nickte.
„Na, ja, aber wir wollten, dass sich unsere auch in unseren Alltag erstreckt. Verstehst du, eigentlich hat sich gar nicht viel geändert. Wir sind immer noch genau so albern wie vorher. Gehen miteinander so vertraut um. Blödeln rum, necken uns ... Aber es gibt schon ein paar grundlegende Regeln, die wir aufgestellt haben an die sich Flo zu halten hat.“
Max streckte sich kurz. Langsam wurde auch er müde. Der Tag war immerhin anstrengend gewesen.
„Und dann, wenn ich ihm einen direkten Befehl erteile, erwarte ich Gehorsam.“
„Klar“, sagte Sven verstehend.
„Außerdem erwarte ich einen gewissen Respekt. Den hab ich ihm gegenüber ja auch. Nur ... anders.“
Eigentlich, dachte Sven, war das gar nicht so kompliziert. Und auch gar nicht so exotisch.
Für ihn wäre das alles nicht das richtige. Der Gedanke an Gehorsam ... an jemand, der vor ihm kniete ... nein. Das passte für ihn nicht zu dem, was er sich unter einer Partnerschaft vorstellte.
Aber er war eben intelligent genug, um zu verstehen, dass seine eigene Vorstellung von Partnerschaft nicht die für alle anderen Menschen allein selig machende wäre.
Dass man Dinge nicht mögen musste, um sie tolerieren zu können.
„Ihr seid glücklich, oder?“, fragte er.
Max grinste zufrieden.
„Ja“, sagte er. „Das sind wir.“
Sven nickte.
Dann holte er Luft und fragte:
„Seid ihr das auch denn, wenn ...“
„Na komm schon“, sagte Max, „du kannst dich ruhig trauen zu fragen.“
„Na ja, seid ihr das auch dann, wenn du ihn bestrafst?!“