Eigentlich verspricht der Nachmittag, dass auch der Abend an diesem Freitag eher minderwertig werden würde. Ich bin im Zwist mit einem guten Freund, bin müde und eine Erkältung scheint sich anzubahnen. Dennoch raffe ich mich auf und gehe zu der Geburtstagsparty, zu der ich eingeladen bin, allein schon, weil ich Charlotte und Sophie versprochen habe, sie zu fahren.
Der Nachmittag hat sein Versprechen nicht gehalten. Die Stimmung ist ausgelassen, es gibt ausreichend alkoholische und alkoholfreie Getränke, viel Platz und eine gut tanzbare Musikauswahl. Außerdem sind viele Menschen da, die ich noch aus der Schulzeit kenne und lange nicht mehr gesehen habe. Ich fühle mich wohl dort, aufgehoben, was letztendlich dazu führt, dass ich bei einem Gespräch zu fünft unter den Sternen die magischen Worte sage: "Ich bin übrigens Nonbinary und würde mich freuen, wenn ihr mich Hayo nennen würdet." Und die Reaktion der anderen ist perfekt. Sie fragen mich, welche Pronomen ich benutzen möchte (als ich "sie" sage, denkt eine von ihnen zunächst, ich meine die Pluralform) und was ich unter Nonbinary verstehe. Nach zwei Minuten ist das Thema auch durch und sie nennen mich Hayo, was mich so unwahrscheinlich glücklich macht, dass ich mich wie eine Bekloppte im Kreis drehe und herumzappele, um irgendwie diese ganze Energie loszuwerden. Charlotte hatte mich auf der Hinfahrt gefragt, ob sie mich auch vor den anderen Hayo nennen soll, weil ich mich vor den wenigsten bereits geoutet habe.
"Klar", antworte ich und schreibe diesen Namen später auch auf mein Trinkglas. So kommt es, dass mich die Gastgeberin Ella als Hayo anspricht, woraufhin ich erst überrascht bin, sie dann aber überglücklich umarme. Es ist ein fantastisches Gefühl.
Auf derselben Party habe ich zudem mit einem anderen Enby überlegt, was das eigentlich ist, "typisch Enby". Sie meinte: "Naja, wir gehen mit Stolz sowohl in die Männer- als auch in die Frauenabteilung. Wir schämen uns dafür nicht." Das stimmt, da muss ich ihr zustimmen. Ich selbst gehe zwar nur selten in Läden einkaufen, aber wenn ich es tue, dann scheue ich mich nicht davor, in allen Abteilungen nach etwas Passendem zu gucken. Seien wir ehrlich: Männer haben größere Hosentaschen, was wirklich praktisch ist.
Ich sprach vorhin von Pronomen. So sehr ich die deutsche Sprache auch für ihren riesigen Wortschatz liebe, hat sie doch ein entscheidendes Problem: Es gibt kein vernünftiges geschlechtsneutrales Pronomen. Immer, wenn ich das in Gesprächen anmerke, kommt als Erwiderung: "Was ist mit es?"
Ja, es ist schon geschlechtsneutral, beschreibt aber in den meisten Fällen Gegenstände. Ich bin kein Gegenstand, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Somit möchte ich auch nicht ein Pronomen benutzen, das normalerweise für leblose Dinge verwendet wird.
In der englischen Sprache benutzen die meisten Enbys als Alternative die Pluralform "they", was auch in alten Texten (z.B. von Shakespeare) etabliert ist. Weiß man nicht, ob die angesprochene Person männlich oder weiblich ist, benutzt man eigentlich immer "they" statt das umständliche "he/she". Auch hier ist das gegenständliche "it" nahezu vollständig raus aus der Diskussion.
Im deutschen gibt es diese Option nicht. Hier sind alle Pronomen, die es gibt, "er", "sie" oder "es". Einige queere Menschen sind dazu übergegangen, sich neue Pronomen auszudenken. Zum Beispiel bin ich auf "sier" gestoßen, was wie eine Mischung aus den bereits etablierten Pronomen ausgesprochen wird, oder auf "Xier" und "Nin". Diese Pronomen sind jedoch alle nicht etabliert und schwierig, sich daran zu gewöhnen. Zudem finde ich, dass sie sperrig klingen, wie ein ungelenker Truthahn zwischen einer Horde Fasanen. Das ist allerdings nur meine Meinung. Ich für meinen Teil bevorzuge weiterhin weibliche Pronomen, würde aber gewiss auch gerne ein geschlechtsneutrales Pronomen nutzen, sofern es die Sprache zuließe.