Auf der Fahrt zu meinem lieben Freund Masaki regnet es leicht. Der Himmel ist dennoch blau und manchmal bricht die Sonne zwischen den Wolken hervor. Es ist perfektes Wetter für die Kleinigkeiten, die ich mit ihm vorhabe. Vor einiger Zeit hat er seine Beziehung zu der Frau beendet, mit der er sieben Jahre seines Lebens geteilt hatte. Heute wollen wir sie aus seinem Leben streichen.
Eigentlich hatte ich gedacht, dass wir das zu zweit machen, doch sagte er mir gestern, dass auch eine Freundin von ihm da sein würde. Heute lerne ich also Jay kennen.
Ich schreibe Masaki, als ich vor seiner Tür stehe, bevor ich klingele. Kurz darauf betätigt sich der Türsummer und ich erklimme die Stufen zu seiner Wohnung.
Vor mir steht ein Mädchen mit langem Undercut, den es sich hinten zu einem Kopf gebunden hat. Sie hat ein rundes Gesicht mit vielen Pickeln und strahlende Augen. "Masaki duscht noch", sagt sie und hält mir höflich die Hand hin. "Ich bin Jay."
"Ich bin Hayo", erwidere ich mit einem Lächeln und deute einen Knicks an. "Es ist mir eine Freude."
Bald darauf kommt Masaki aus der Dusche. Wir sitzen zu dritt auf seinem Bett und quatschen. Jay ist witzig und umarmt mich schnell von sich aus, was mich einerseits verdutzt, aber auch freut. Irgendwann frage ich vorsichtig: "Sind weibliche Pronomen für dich eigentlich in Ordnung oder bevorzugst du andere?"
"Eigentlich es", erklärt Jay und eine Welle der Freude durchflutet mich. Mir kam es schon die ganze Zeit komisch vor, Jay mit "sie" anzusprechen.
Gut gelaunt machen wir uns etwas zu essen. Jay muss bald schon gehen, aber ich genieße die Zeit, in der es da ist. Ich flirte spaßeshalber mit ihm, ziehe Masaki auf und bringe beide zum lachen. Dadurch schmeckt das fade Essen auf dem Tisch wie eine Königsmahlzeit - einfach nur gut.
Als Jay sich überschwänglich und ein bisschen gehetzt (Die Bahn kommt in zwei Minuten!) verabschiedet, spüre ich ein leichtes Flattern in meinem Bauch. Ich bin verliebt, zumindest für die nächsten paar Minuten.
Dazu muss ich vielleicht kurz erklären: Ich verliebe mich oft. In irgendwelche Menschen im Zug, weil mir ein vorbeiziehender Duft gefällt oder ihre Silhouette oder ihr Stil oder auch nur die Ausstrahlung. Lang anhaltend ist das nicht, aber es versüßt mir den Tag, mich für zwei Sekunden zu verlieben.
Bei Jay waren es zuerst die Haare, dann die Art, wie es leicht gekrümmt und im Schneidersitz auf dem Bett sitzt, das laute ansteckende Lachen, das nach seiner Beschreibung "so klingt, als würden ein Wal und ein Pferd gegeneinander kämpfen", und nicht zuletzt die Tatsache, dass es ein Enby ist. Irgendwie macht es mich immer wieder unendlich glücklich, jemanden zu finden, der so ist wie ich. Jay ist das erste Enby, das ich im realen Leben bewusst treffe.