Ich wäre gerne Cis.
Das bedeutet nicht, dass ich gerne eine Frau wäre, der Gedanke stößt mich in gewisser Weise ab. Eigentlich möchte ich nur einen Körper haben, mit dem ich mich vollständig identifizieren kann. Um ehrlich zu sein, möchte ich einfach nur keinen BH oder Binder tragen. Die Dinger sind unbequem und ohne Brüste fühle ich mich meistens wohler.
Das erste Mal, dass ich mich mit einem Binder im Spiegel betrachtet habe, dachte ich: "Wow, wie cool. Ich habe wirklich gar keine Oberweite mehr." Ich kicherte und betrachtete mich von allen Seiten mit allen möglichen Oberteilen im Spiegel. Auch heute noch liegt immer ein selbstzufriedenes Grinsen auf meinem Gesicht, sobald ich ein Outfit mit Binder drunter zu tragen. Als meine Oma mich einmal fragte, was mit meinem Busen passiert sei, antwortete ich knapp: "Ich hatte keine Lust darauf." Irgendwie habe ich nie Lust darauf.
Versteht mich nicht falsch. Ich mag Brüste. Sie sind weich und schön und betonen die Figuren einer Frau unglaublich gut. Nur bei mir selbst finde ich sie ein wenig lächerlich. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie mit viel Fantasie gerade einmal ein A-Körbchen ausfüllen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich diese eine Freundin hatte.
Ich war dreizehn und flach wie ein Bügelbrett, als wir uns kennenlernten. Meine Oberweite war schüchtern und wuchs nur langsam, aber ich war gespannt darauf, einen üppigen Busen zu bekommen. Es war nicht mehr als ein interessantes Gedankenspiel für mich, dem ich nicht allzu viel Wert beilegte.
Abigail war ein Jahr jünger als ich und trug schon seit einem Jahr Körbchengröße C - Minimum. Als frühpubertäres Wesen war ich fasziniert davon, und weil sich bei mir nichts tat, musste ich mehrere fiese Bemerkungen von Abigail zu meinem Körper einstecken. So ziemlich jeder andere Mensch mit Östrogen in meiner Umgebung hatte größere Brüste als ich und Abigail sorgte dafür, dass mir das jederzeit bewusst war. Dass ich eine zarte erste Liebe für Abigail entwickelte, machte mich nur noch verletzlicher. Besonders gut habe ich diesen Schmerz nicht kompensiert. Die Umstände waren gewiss nicht gut, aber auch ich war in dieser Zeit keine besonders erträgliche Person.
Mit vierzehn begann ich, Push-Ups zu tragen. Ich hatte eigentlich vorgehabt, Abigail zu sagen, dass meine Brüste über die Ferien plötzlich gewachsen waren, verplapperte mich jedoch bei der ersten Gelegenheit. Fortan musste ich mich also auch damit aufziehen lassen, dass ich so tat, als hätte ich größere Brüste. Besonders gut fühlte sich das nicht an, aber ich konnte das Gefühl nicht wirklich einordnen.
Obwohl ich ständig diese Sticheleien einstecken musste, kann ich mich an keine Phase erinnern, in der ich völlig unzufrieden mit meinem Körper war. Ich weiß nur, dass es mich glücklich macht, so zu tun, als hätte ich keine Brüste.
Genau das Gefühl habe ich mit meiner gesamten Identität. Ich hatte nie ein richtig großes Problem damit, weiblich zu sein. Es war immer da und irgendwie normal. Aber jetzt werde ich Hayo genannt, male die Nonbinary-Flagge immmer wieder, werde von den Freunden meiner Eltern mit "ihrem Kind" referiert und all das macht mich so glücklich wie das Tragen eines Binders.
Wie bereits erwähnt, es ist schwierig zu beschreiben und sehr, sehr seltsam.
Heute habe ich in der Schule meinen Schlüsselbund auf der Toilette vergessen. Peinlich berührt fragte ich eine Kollegin, ob ich kurz ihren Schlüssel bekommen könnte, um den meinen zu holen. Ein Junge in der Klasse bekam das natürlich mit und krakeelte: "Typisch Frau!" Ich verkniff mir die Korrektur, während ich die Tür hinter mir zuzog. Nunja, ich bin keine Frau, sondern ein Enby, was der Junge also wahrscheinlich eigentlich meinte war...
Typisch Enby ist es, seinen Schlüsselbund auf dem Klo zu vergessen.