Mein Cousin feiert morgen seine Kommunion, ein Ereignis, zu dem wieder die gesamte Familie zusammen kommen wird. Die gesamte letzte Woche habe ich damit verbracht, meinen Zorn auf Onkel Richard zu schüren, unfähig, es einfach gut sein zu lassen.
"Wie ich mich kenne, gibt es morgen drei Möglichkeiten, wie das ganze enden wird", erkläre ich motzig am Abendbrottisch. "Erstens: Ich sage nichts und bin schlecht gelaunt. Zweitens: Ich spreche Onkel Richard darauf an, wir streiten uns, und wir sind beide schlecht gelaunt. Und drittens: Wir sprechen miteinander, alles wird gut und Regenbögen erblühen im Hintergrund. Aber dazu muss es erst mal kommen."
"Wessen Tag ist das denn morgen?", fragt Mama mich.
"Der von meinem Cousin", antworte ich wahrheitsgetreu, obgleich ich bezweifle, dass ihm meine Problemchen etwas ausmachen.
"Richtig", bestätigt Mama und setzt hinzu: "Und danach?"
"Meiner", meine ich etwas verwirrt. Ich bin mir nicht ganz sicher, was sie meint.
"Der von Onkel Richard und Patricia!", korrigiert meine Mutter mich aufgebracht. "So ein Tag ist sehr stressig für beide. Ich glaube nicht, dass er da den Kopf für dich hat."
"Ich weiß", presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Das ist genau das Dilemma, über das ich mir seit einer Woche das Hirn zermatere."
"Du sprichst einfach nicht mit ihm", entscheidet sie.
"Dann werde ich die ganze Zeit über eine richtig eklige passiv-aggressive Stimmung haben, herzlichen Glückwunsch." Allmählich nervt es mich, wie Mama mir zu verstehen gibt, dass ich meine Gefühle runterschlucken soll. Schließlich war sie es auch, die mir in den letzten Jahren beigebracht hat, dass meine Bedürfnisse genauso wichtig sind wie die anderer Menschen, und es war ein ganzes Stück Arbeit, diese Worte in die Realität umzusetzten. Ich sehe nicht ein, weshalb ich nun in vollem Bewusstsein einen Rückschritt machen soll. Die Gefahr, mich wieder in meine kuschelige Höhle aus gedachten Vorwürfen zu verkriechen, ist mir zu groß.
"Wie wäre es denn, wenn wir heute Abend noch zu Onkel Richard fahren und das abklären?", schlägt Papa vor, der sich die Diskussion bisher still angehört hat. "Dann ist die Sache aus der Welt. Wenn es gut läuft, können wir morgen alle wesentlich entspannter zu der Feier fahren, und wenn nicht... Naja, dann bleibt Hayo morgen eben hier."
Für einen kurzen Moment ist es still am Tisch, bevor Mama mit einem schnellen Nicken zustimmt. Ihr Gesicht ist noch immer angespannt, aber immerhin haben wir jetzt einen zufriedenstellenden Lösungsansatz.
"Ist gut", stimme auch ich mürrischer als gewollt zu.
Eine Stunde später sitzen Papa und ich im Auto. Nach einem kurzen Anruf haben wir uns für neun Uhr verabredet. Die Kinder sollten um diese Uhrzeit theoretisch schon im Bett sein - praktisch gesehen wuseln sie aber noch immer durch das Wohnzimmer. Die Sonne steht schon tief am Himmel und nimmt die letzten Reste des heißen Tages mit sich, als wir uns zu dritt in den kleinen Garten setzen. Onkel Richard holt etwas zu trinken für uns; er wirkt angespannt, gewiss hat er einen anstrengenden Tag hinter sich. Ein wenig fühle ich mich schuldig, dass ich ihn jetzt auch noch mit meinem Mist belästigen muss, aber ich weiß auch, dass es nötig ist.
Wir halten ein wenig small talk, sprechen über meine Zukunftspläne, über die damit verbundene Psychologie und schnell auch über ein Buch, welches Onkel Richard vor kurzem gelesen hat.
Es dauert eine weitere Stunde, bis ich endlich sagen kann, was mich bewegt. "Ich tue mich schwer mit der Unterhaltung, die wir auf Opas Geburtstag geführt haben." Schon seit der Hinfahrt brüte ich über diesem Satz, und ich denke, die richtigen Worte gefunden zu haben. Doch nun sieht Onkel Richard mich an, als ob er noch etwas erwarten würde, also setze ich hinzu: "Ich hatte das starke Gefühl, dass du mich als Enby nicht akzeptierst, und das hat mich sehr verletzt."
Onkel Richard sieht mich direkt an, als er antwortet. "Das tut mir leid", sagt er, und ich bin ein wenig überrascht. "Ich respektiere dich weiterhin als Menschen. Auf keinen Fall wollte ich dir einen anderen Eindruck verschaffen. Allerdings tue ich mich sehr schwer mit diesem 'dritten Geschlecht'. Ich wurde so erzogen, dass es nur Männer und Frauen gibt. Aber wahrscheinlich muss da ein Umdenken bei mir stattfinden, besonders, weil du einer dieser Personen sein willst."
"Das hat nichts damit zu tun, ob ich das will, oder nicht. Das ist es einfach, wer ich bin. Ich habe mich nicht dazu entschieden, nonbinär zu sein. Mich zu outen, das war eine Entscheidung, aber alles weitere nicht."
"Ja, gut, aber woran merkt man sowas denn? Ich habe nie hinterfragt, dass ich ein Mann bin. Irgendwann kam ich in die Pubertät, und da kam mir alles richtig vor."
Der Teil ist immer schwierig für mich. "Naja, ich habe irgendwann Brüste und meine Tage bekommen. Ich wusste, dass das auf mich zukommt, deswegen habe ich das nicht weiter hinterfragt, aber wirklich gigantisch hat sich das nicht angefühlt."
"Viele Frauen beschreiben ihre erste Periode als einen schönen Schritt in Richtung Weiblichkeit", meint Onkel Richard, "war das bei dir nicht so?"
"Als ich das erste Mal meine Tage hatte, dachte ich zuerst, ich hätte Durchfall", meine ich nüchtern. "Ich akzeptiere, dass es da ist, aber mehr auch nicht. Der Gedanke, schwanger zu werden, ist auch eher befremdlich für mich. Meine pontenzielle Freundin, ja, ich würde auch gerne ein Kind adoptieren und großziehen, aber bloß nicht selbst bekommen. Das stelle ich mir vor wie einen Parasiten - also nein. Ich akzeptiere den Apparat, aber mehr auch nicht. Ohne Brüste fühle ich mich übrigens auch wohler."
Ich weiß nicht, wie andere Menschen mit Gebärmutter empfinden, und das will ich auch nicht unterstellen. Ich weiß nur, wie es sich für mich anfühlt. Das Gespräch entwickelt sich ich einige intimere Gebiete, die hier nicht weiter wiedergegeben werden sollen. Um halb zwölf treten Papa und ich schließlich den Heimweg an. Wir sind alle müde und froh, als wir endlich schlafen können. Im allgemeinen haben Onkel Richard und ich einen gemeinsamen Nenner gefunden, auf dem wir uns verstehen können. Der nächste Tag wird warm und sonnig. Nicht eine Wolke verdunkelt den Himmel, und so sieht auch meine Stimmung aus.