Frustriert schäle ich mich aus dem schwarzen Samtkleid, das ich eben noch anprobieren wollte. "Ich bin nicht dick, meine Hüfte ist blos zu breit", wiederhole ich dabei ständig. Nachdem ich mich wieder angezogen habe, hänge ich das Kleid zurück. Meine Laune ist im Keller.
"Passt es nicht?", fragt Marc, mit dem ich in den vergangen Wochen viel zu viel Zeit verbracht habe.
"Meine Hüfte ist zu breit", knurre ich. "Dass ich zu weiblich für Herrenanzüge bin, war irgendwie klar, aber nicht maskulin genug für Frauenkleider?" In dem Moment fühle ich mich wirklich unförmig, obwohl ich meine Figur eigentlich mag.
"Denk jetzt bloß nicht, dass du zu dick bist-", beginnt Marc, doch ich unterbreche ihn.
"Tu ich nicht. Mein Gewicht ist in Ordnung, nur meine Hüfte ist zu breit." Dabei ist meine Hüfte der Körperteil, den ich mitunter am tollsten an mir finde. "Ich gehe mal eben an die frische Luft."
Eigentlich war heute der Plan gewesen, dass ich mir einen Anzug für sämtliche feierliche Anlässe zulege. In Kleidern komme ich mir inzwischen komisch vor. Da Marc in einem Anzugladen arbeitet, haben wir kurzerhand entschieden, in einer größeren Filiale Ausschau zu halten. Blöd war nur, dass es ein Herrenmodengeschäft war und ich viel zu klein bin und meine Hüfte viel zu breit ist für - alles anscheinend. Die Frustration darüber, dass ich nicht einmal in ein Kleid für Frauen passe, verschwindet auch nicht, als wir eine Kleinigkeit essen gehen, als wir meinen Wagen die Anstiege aus dem Parkhaus hochschieben müssen, und selbst als wir einige Stunden später nach Hause kommen, bin ich noch immer der Inbegriff des Unmuts.
Eine immerwährende Spannung liegt auf meinen Schultern. Alles, was ich jetzt brauche, ist ein wirklich widerwärtiger Abend mit einer guten Serie, einem viel zu süßen Zuckergetränk und einer Packung Chips. Papa nennt diese Kombination gerne "Grundnahrungsmittel". Normalerweise finde ich das witzig, aber als ich ihn heute darum bitte, mir diese Dinge vom Einkaufen mitzubringen, schlägt mir seine spottende Reaktion sehr auf den Magen, sodass ich wütend aus dem Haus stürme.
"Soll ich mitkommen?", ruft Marc mir nach.
Mir ist es egal. In diesem Moment ist mir alles egal, ich weiß nur, dass ich zum Laden will um mir später einen entspannenden Abend zu machen. Halb auf der Straße höre ich Marcs Schritte hinter mir.
"Entschuldige", sage ich.
"Schon gut", antwortet er. "Willst du reden?"
"Eigentlich nicht", meine ich. "Es regt mich nur auf, wenn Papa das tut - Egal. Irgendwie war heute alles ein großer Haufen Mist. Es frustriert mich, dass ich keinen Anzug gefunden habe. Und dieses blöde Kleid; Sogar für Frauenklamotten bin ich scheinbar zu unförmig."
"Bist du nicht!", schießt mir Marc direkt entgegen und er hat Recht.
"Ich weiß." Genervt kicke ich einen Stein zur Seite. "Habe ich nur so gesagt. Ich habe ein gutes Gewicht, und das Kleid war zu eng geschnitten. Objektiv gesehen. Trotzdem hätte ich es gerne anprobiert."
"Es hätte auch echt gut zu dir gepasst. Eigentlich kann ich mir dich nicht in einem Kleid vorstellen, aber das wäre fantastisch gewesen." Ein paar Schritte lang schweigen wir. "Zieht dich noch etwas anderes so runter? Irgendwie habe ich den Eindruck, dass nicht nur ein Kleid Schuld an deiner miesen Laune sein kann."
"Meine Dysphorie kickt mich in den letzten Tagen richtig", brumme ich.
"Das heißt?"
Mittlerweile sind wir an einer roten Ampel stehen geblieben. "Das heißt, dass ich meine Brüste stärker wahrnehme." Härter als nötig hämmere ich gegen den Ampelknopf. Ich will weiter gehen, bloß nicht stehen bleiben.
Marc wendet seinen Blick von mir ab und sieht stattdessen auf die andere Seite der Straße. "Stören sie dich sehr?"
"Manchmal, ja. Wirklich zufrieden mit meinem Körper bin ich nur, wenn ich mich androgyn fühle." Endlich springt das Licht auf Grün um. Fast schon renne ich über die Straße.
Marc läuft zügig hinterher. Nach kurzem Zögern fragt er: "Hast du mal überlegt, sie aboperieren zu lassen?"
"Sicher." Ich werde etwas langsamer.
"Hast du mit deinen Eltern darüber gesprochen?"
"Ich habe es einmal scherzhaft erwähnt, dann hat Mama geheult. Der Tag war danach gelaufen." Grob wische ich mir über meine Augen. "Als ob es so unwahrscheinlich ist, sich wenigstens Gedanken darüber zu machen! So oft ich kann, laufe ich mit einem Brustabbinder durch die Gegend, und das wissen sie auch. Da ist doch die Überlegung nicht weit, mir diese Dinger komplett entfernen zu lassen! Ich meine, die gehören da nicht hin!"
"Hayo, Hayo, warte." Marcs Hand schließt sich um mein Handgelenk und in einer selbstsicheren Bewegung zieht er mich in eine feste Umarmung. "Du weinst ja."
Zunächst denke ich noch, dass ich weiter will; Ich muss ins Geschäft und Nervennahrung holen. Aber ich weiß, dass er Recht hat. Und es tut gut, mich in seiner Schulter zu verstecken, den Tränen freien Lauf zu lassen und zu weinen, ohne verurteilt zu werden. Ein tiefes Schluchzen entfährt mir, während er sanft über mein Haar streicht. "Ich will doch einfach nur in dem Körper sein, den ich auch haben sollte..."