Ich besitze also diesen Einhornpulli. Er ist groß, hell, versteckt sämtliche Kurven und ist voll von Sternchen, Herzchen, Regenbögen und einem Einhorn. Diesen Pulli trage ich von all meinen Klamotten momentan am Liebsten.
Nicht nur deswegen nehme ich ihn mit zu einem Festival. Allerdings ist es warm, weswegen ich ihn nicht tragen kann. Stattdessen belasse ich es bei einem Sport-BH; Dies hier ist schließlich ein Kontext an dem ich mir etwas Freizügigkeit erlauben kann.
Und doch werde ich in diesem Aufzug sehr schnell mit meiner Weiblichkeit konfrontiert, als der Freund einer Freundin von Marc mir hilft, mein Zelt aufzubauen. Er erzählt, dass er in einer Jugendhilfsstelle arbeitet, wodurch er sehr tolerant und verständnisvoll geworden sei. Den Eindruck macht er auf mich auch, weswegen ich mir bei einer ungünstigen Bemerkung seinerseits ein wenig aus dem Fester lehne, in dem ich sage: "Genau genommen bin ich ja auch Trans."
Mit einem schnellen Blick mustert er mich - ich, meine weiblichen Reize deutlich zur Schau stellend - und sagt: "Ne."
Wow. So viel zum Thema 'einfühlsam'. "Doch", sage ich. "Ich bin keine Frau."
Er mustert mich noch einmal. "Aber auch kein Mann."
"Nichts von beidem."
"Also doch nicht Trans." Er wirkt verwirrt.
"Streng genommen schon. Schließlich fühle ich mich nicht als das Geschlecht, das mir bei meiner Geburt gegeben wurde", gebe ich die übliche Erklärung ab. Irgendwie dachte ich, dass ich diese Diskussion heute nicht führen müssen würde. Wirklich Lust habe ich auch nicht darauf; Gleich spielt eine Band, die ich unbedingt sehen will und ich muss noch mein Ticket holen.
"Ja, aber du bist ja nicht operiert, also bist du auch nicht Trans", versucht mein Gegenüber mich weiter zu bereden.
Allmählich geht mir wirklich die Geduld aus. "Akzeptier das einfach. Bezeichne mich weder als Mann noch als Frau, ansonsten haben wir ein Problem. Alles klar?"
"Als was denn dann?"
"Als nichts davon!" Mit diesen Worten schnappe ich mir Marc und mache mich in Richtung Bühne davon.
Eine Stunde später kommen wir zurück. Vor unserem Zelt hat sich inzwischen eine Art Lager mit den üblichen Verdächtigen aufgeschlagen, und nachdem ich meinen Einhornpulli geholt habe, setze ich mich dazu. Der Typ von vorhin ist auch da, und unweigerlich kommen wir wieder auf jenes Thema zu sprechen.
"Ich will nicht als Frau angesprochen werden", wiederhole ich zum gefühlt fünfzigsten Mal. Verdammt, sind alle Betrunkenen so schwer zu überzeugen?
"Ja, aber", sagt er, "wenn ich das mal so sagen soll, finde ich, dass du eine sehr attraktive Frau bist."
Ich kann das Kompliment nicht annehmen. "Sag 'attraktive Person'. Nicht Frau", erkläre ich schon wieder leicht angenervt. "Ich bin keine Frau."
Dann sieht er mich an, direkt in die Augen, und zerschmettert das schmale Band der heiteren Beziehung, das sich zwischen uns gebildet hat. "Für mich bist du eine Frau."
Verdammte Scheiße. "Fick dich", sage ich trocken, während ich merke, dass Tränen in meiner Kehle hochsteigen. "Ich habe dir zig-mal gesagt, dass ich so nicht genannt werden will. Dass wir sonst ein Problem haben." Kein Verständnis mehr. All meine bisherigen, vernünftigen Versuche, im klarzumachen, was ich auf einer sehr einfachen Ebene benötige, sind ins Leere gelaufen. "Ich bin keine verdammte Frau! Ich weiß, dass ich so aussehe, aber das ist noch lange kein Grund mich so zu behandeln." Meine Augen werden nass, meine Stimme schrill. "Weißt du eigentlich wie scheiße das ist? Als ob ich nicht oft genug damit konfrontiert werden würde, wie ich aussehe und wie ich auf andere wirke! Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel sehe, jedes Mal, wenn ich meinen Körper sehe, und auch jedes einzelne Mal, wenn ich jemand Neues kennenlerne! Ich habe dir ganz genau gesagt, was ich brauche, und es ist einfach nur verdammt respektlos von dir, das nicht anzuwenden." Inzwischen schreie ich so laut, dass gewiss der halbe Campingplatz Wind von meinem Heulkrampf bekommt. Egal. Was raus muss, muss raus. "Ich hasse es! Okay? Ich habe mir nicht ausgesucht, so zu sein, wie ich bin! Und es ist schwer, jeden beschissenen Tag dagegen anzukämpfen!"
Mein Gegenüber stammelt etwas, doch ich höre nicht zu. "Das ist mein Leben! Ein einziger Kampf! Ich weiß nicht, wer ich bin, oder wie ich sein soll, damit andere mich sofort als das bezeichnen, was ich bin! Nonbinär! Divers! Nenn es, wie du willst, das ändert alles nichts an der Tatsache, dass niemand wirklich bereit dafür ist!" Ein Schluchzen unterbricht mich. "Ich will das nicht", wimmere ich, "Es ist echt hart. Und Menschen wie du machen es mir echt nicht einfacherer." Die restlichen Worte verschwinden in meinem Pulli und in Marcs Armen, der sich inzwischen neben mich gesetzt hat. Irgendetwas wird noch über meinem Kopf geredet, dann höre ich ein Rascheln, und der Störenfried ist weg.
Marc steht auf und reicht mir ein Bier. "Oh Mann", sagt er, während ich mir die restlichen Tränen wegwische. So einen Ausbruch hatte ich eigentlich vermeiden wollen. "Du scheinst wirklich nicht mit deiner Identität klar zu kommen."
"Ich komme damit klar, nur andere nicht", meine ich und öffne dankend das Getränk. Das ist jetzt genau das Richtige.
Er übergeht diese Bemerkung mehr oder weniger, denn er möchte auf etwas ganz anderes hinaus: "Liest du eigentlich Poe? Es gibt ein relativ passendes Gedicht von ihm!"
Dieser Typ, den ich angeschrien habe (Was mir im Nachhinein ein wenig Leid tut), hat eine kleine Frage aufgeworfen, die ich mir schon vorher gestellt habe: Wie soll ich mich kleiden? Es gibt Frauenmode und Herrenmode, und ganz offensichtlich können Frauen mehr tragen als Herren. Aber es gibt auch Drag Queens, und ohnehin bin ich der Auffassung, dass Männer viel mehr Röcke und Kleider tragen sollten. Der leichte Unterschied zwischen mir, die einen Einhornpulli trägt, oder einem Mann, der es mir gleich tut, ist der, dass Einhörner feminin betituliert sind. Kleine Mädchen spielen mit Einhörnern. Jungs tun so etwas nicht. Durch meine feminine Gestalt ist es mir in einem Einhornpulli also nahezu unmöglich, androgyn zu wirken. Und nun stelle man sich vor, ich betone Brust und Hüften: Meine Weiblichkeit wäre kaum noch zu leugnen! Der Mut, mich an diesem Abend so zu kleiden, wäre durch diese uneinsichtigen Bemerkungen fast zunichte gemacht worden.
Dabei sollte es genau anders herum sein. Nicht die Kleidung definiert, was ich bin, sondern ich definiere, was meine Kleidung sein soll. Wer sagt, dass mein Einhornpulli nicht genauso androgyn sein kann wie ein Brustabbinder mit Top? Warum sollte ich mich in figurbetonter Kleidung unwohl fühlen, nur weil ich weiß, wie ich dadrin auf ein paar unbekannte Menschen wirke? Auf jeden Fall habe ich kein Interesse daran, mich den Erwartungen anderer anzupassen. Das hatte ich nie, und ich werde ganz bestimmt nicht jetzt damit anfangen. Im Prinzip ist es ganz einfach: Akzeptiert man mich nicht so, wie ich bin, hat man nichts in meinem Leben verloren.
Bei dem Festival jedenfalls gab es nach dieser Begegnung nicht mehr die Notwenigkeit, mich zu erklären. Und das, obwohl ich mich teilweise nicht femininer hätte kleiden können.