--In diesem Abschnitt geht es viel um den menschlichen Körper und was zu ihm gehört. Wer mit den dazugehörigen Begriffen nicht zurechtkommt, sollte dieses Kapitel vielleicht überspringen.--
Ein guter Freund von mir beschreibt sich als mehrfach behindert. Einmal, weil er Transgender ist und einmal, weil er schwul ist. Dass der Begriff "behindert" in dem Zusammenhang völlig unangebracht ist, musste ich ihm auch erst einmal erklären, denn er wird die ganze Zeit trotz einiger Outingsversuche auf seinen Körper hingewiesen. Er empfindet die ständige Ansprache als "Dame" noch wesentlich extremer, als ich es tue.
Sam ist Schriftsteller mit einer unglaublichen Gedankenwelt, die tatsächlich einen Großteil unserer Gespräche ausmacht. Dass es dabei seltener um mich geht, macht mir nichts aus; seine Geschichten sind es mir wert. Außerdem hat er immer ein offenes Ohr und ließt mit großem Interesse die paar Dinge, die ich ihm schicke.
Zuletzt hatten wir einen kleinen Disput, weil ich mit ein paar Dingen nicht zurecht gekommen bin, die er mir erzählt hatte, und weil er nicht mit meiner Lebensweise zurechtkommt. Es war kein großer Streit, eher eine Meinungsverschiedenheit, nach der wir uns gegenseitig ein wenig Zeit gegeben haben. Nach zwei Tagen schreibe ich ihm einen relativ langen Text darüber, warum ich momentan ein wenig abwesend wirke und oute mich in diesem Zug.
Tatsächlich habe ich ihm gegenüber schon lange vorher meine Geschlechtsidentität angedeutet und auf seine Nachfrage hin gesagt, dass er mich weiterhin Wiebke nennen soll. Das ist allerdings schon mehrere Monate her und meine Wünsche diesbezüglich haben sich geändert. Das Outing vor Sam war also eher holprig, aber im großen und ganzen gelungen.
Vor einer Woche hat mir Sam ein paar Fotos gezeigt, auf denen er sich irgendetwas in die Hose geschoben hat, sodass es aussah, als würde er einen erigierten Penis haben. Jetzt könnte man natürlich sagen, dass das geschmacklos ist und unpassend, und in gewisser Weise ist es das vielleicht auch. Ich sehe darin allerdings eher ein Erkunden seiner Männlichkeit. Es gibt nicht viel, was Sam an sich als männlich bezeichnen könnte, und wenigstens so zu tun, als hätte er einen Penis, muss wundervoll für ihn sein.
Es ist an der Zeit, einmal über Bodydysphoria (dt. Körper Dysphorie) zu sprechen. Eine Dysphorie ist laut Wikipedia eine "Störung des emotionalen Erlebens", die sich unter anderem in Unzufriedenheit, Misslaunigkeit und Verärgerung äußert. Bezogen auf den eigenen Körper leiden besonders Trans-Personen häufig unter diesen Stimmungen.
n der LGBT-Community gibt es viele Stimmen, die sagen, dass man ohne Bodydysphoria nicht Trans ist. Ich kann das (leider?) nicht wirklich beurteilen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass diese Unsicherheit mit dem eigenen Körper eine Art Bestätigung darstellt.
Ich selbst wurde mit dem Körper einer Frau geboren. Mit kleinen Brüsten, einer Vagina und einer schmalen Taillie. Alles, was zu einem weiblichen Körper dazugehört, ist vorhanden und funktioniert. Alles, bis auf meinen Kopf. Denn obwohl ich meinen Körper sehr mag und mich grundsätzlich wohl in ihm fühle, würde ich ihn ab und an gerne verändern. Ich erfülle dieses Bedürfnis durch diverse Verkleidungen, doch das ist nicht ganz das, was ich in diesen Momenten ersehne. In solchen Momenten wünsche ich mir, eine vollständig flache Brust zu haben oder größere Brüste zu haben. In manchen Momenten wünsche ich mir einen Penis und dann wieder einfach nur gar kein Geschlechtsorgan. Manchmal wünsche ich mir breitere Schultern und eine schmalere Hüfte. Mir bleibt, meine Schultern beim Laufen mehr zu betonen und weite Klamotten zu tragen. Anders herum komme ich mir wie ein Verräter vor, wenn ich meine Kurven betone und stolz darauf bin. Immerhin weise ich durch solche Kleidung noch einmal auf meinen Körper hin, von dem ich so gerne Abstand nehmen möchte. Bodydysphoria bedeutet für mich als Enby in erster Linie genau das: Abstand vom Körper nehmen. Er ist da, und das ist gut so, doch im Gespräch mit anderen Menschen bin ich so viel mehr als Haut und ein Gesicht. Jeder Hinweis auf den eigenen Körper fühlt sich komisch an, als ob ich auf den Boden der Tatsachen zurückgezerrt werde. In jedem Hinweis auf meinen Körper steckt eine Erinnerung daran, dass andere in erster Linie nur meinen Körper sehen können, nicht das, was dahinter steckt. Dennoch - Ich bin im Körper einer Frau, daran kann und will ich nichts ändern.
Dieser Wunsch, nein, das Verlangen danach, etwas an seinem Körper zu ändern, das macht Bodydysphoria aus. Für Trans-Personen sind es Dinge wie Körperbehaarung, Stimme, Kopfform oder natürlich Genitalien, die nicht passen, für mich und vielleicht auch andere Enbys ist es der Körper allgemein, der irgendwie nicht passt. Dabei geht es nicht um die Attribute, die Trans-Personen brauchen, sondern eher darum, dass man sofort einem binären Geschlecht zugeordnet wird, was wir ja ablehnen.
Bodydysphoria ist eine sehr seltsame Angelegenheit, die man als außenstehende Person nur schwer beschreiben kann, wahrscheinlich genau so schwer wie als betroffene Person. Als würde man in zwei verschiedenen Welten leben, die sich irgendwie anpassen wollen.
Typisch Enby ist, sich sowohl bei Männern als auch bei Frauen angesprochen zu fühlen.
Typisch Enby sind Hoodies.