Prompt 88: Meeresrauschen
Florian schloss die Augen, um sich besser auf das Meeresrauschen an seinem Ohr konzentrieren muss. Er presste sich die Muschel an sein Ohr, als ginge es um sein Leben. Auch wenn das, was der junge Mann gerade hörte, nur das Geräusch des Blutes war, das durch sein Ohr gepumpt wurde, wollte er sich in der Illusion verlieren.
Wasser beruhigte ihn schon seit er denken konnte. Ob es nun der Regen an Fenster war, wenn seine Eltern sich mal wieder gestritten hatten oder eben das sanfte Geräusch des Meeres, das Florian noch nie in echt gehört hatte. Aber was nicht war, konnte ja noch werden.
Der junge Mann atmete ein paar tief durch, lauschte der so einlullenden Illusion öffnete die Augen nach einer Weile wieder. Jetzt konnte er wieder in die echte Welt zurückkehren. Auch wenn er in diesem Moment am liebsten in dunklen, tosenden Wassermassen verschwinden würde, um wirklich alles ausblenden und sich selbst wieder ins Reine bringen zu können.
»Denkst du, wir sollten mal wieder irgendwo hinfahren?«, fragte Rico, Florians langjähriger fester Freund. Damit riss er den in Gedanken versunkenen aus seiner eigenen kleinen Welt.
Fast schon beschämt legte Florian die Muschel, die er vor einigen Tagen in irgendeinem Ramschladen gekauft hatte, beiseite und schaute seinen Freund an, ohne ihn wirklich zu sehen. Der Dunkelhaarige war noch nicht ganz in der echten Welt angekommen und das musste man ihm auch direkt ansehen, so verklärt wie sein Blick weiterhin war.
»Ans Meer«, war alles was Florian sagte. Er war noch so im Meeresrauschen gefangen, dass ihm seine eigenen Worte wie die eines Fremden vorkamen. Was war nur los mit ihm? War der junge Mann vorher so angespannt gewesen, dass allein das Geräusch von wilden Wassermassen ihn so aus der Bahn warf?
Rico verstand sofort, was in seinem Partner vorging. Immerhin hatte er die Frage nicht umsonst gestellt. Irgendetwas war anders als sonst und musste Florian belasten, sonst würde er nicht so wirken, als wäre er gerade meilenweit weg.
In den letzten paar Stunden hatte Rico schon nachgeschaut, ob es irgendwo in der nächsten Zeit regnen würde, um mit Flo dorthin zu fahren. Das hatte die letzten Jahre über ziemlich gut funktioniert, wenn es darum ging, dem Dunkelhaarigen etwas Sicherheit und die Kraft zu geben, über seine Sorgen zu sprechen. Schade nur, dass es gerade heute überall sonnig sein musste.
»Geht klar. Wann willst du los?«
Noch bevor Florian mit einem fast schon verwaschenen »Jetzt« antwortete, wusste Rico schon, dass sie beide auf einer Wellenlänge waren, was diesen spontanen Kurzurlaub anging. Jetzt konnte Rico es kaum noch erwarten zu erfahren, was seinem Freund so auf der Seele lastete, dass er sogar seinen sonst so geliebten Regen vergaß, der sonst immer sein Allheilmittel gewesen war.