Prompt 129: Ausgehungert
Wieder einmal war Jenica von Leichen umgeben. Jetzt, wo der unbändige Durst gestillt worden war, hatte die junge Vampirin wieder einen Blick für die Sünden, die sie blind begangen hatte. Diese Menschen hatten einfach nur feiern wollen. Ob es nun eine Hochzeit oder ein Volksfest gewesen war, konnte Jenica nicht sagen. Es war wohl ein ganzes Dorf zusammen gekommen und hatte in seiner Heiterkeit geschwelgt, bis der Teufel höchstpersönlich auf den Plan getreten war.
Jenica hatte schon von weitem das Lachen gehört und daraufhin die Kontrolle verloren. Zu lange hatte sich die junge Frau gegen den Durst gewehrt. Seit Sanda durch genau diese Gier nach Blut gestorben war, hatte Jenica sich geschworen, nie wieder einen Tropfen davon anzurühren. Doch der Virus weigerte sich vehement zu sterben, bis der Drang zu Töten unerträglich wurde. Jenica hatte nicht anders gekonnt, als jeden einzelnen dieser unschuldigen Menschen zu fangen und auszusaugen, bis nur noch eine leere Hülle übrig gewesen war. Der Virus hatte es befohlen, um wieder zu Kräften kommen zu können.
Jetzt, inmitten dieses Leichenhaufens sank Jenica nun auf die Knie und weinte. Sie trauerte nicht um die Menschen, die ihr Leben lassen mussten, um sie zu nähren. Dafür hatte die junge Frau schon zu viel von ihrer Menschlichkeit verloren. Stattdessen trauerte Jenica, dass sie ihr letztes Versprechen an Sanda nicht hatte halten können. Sie hatte immer zu Jenica gehalten und war nicht einmal davon gelaufen, als diese in einem unsterblichen Unheilsbringer wurde. Die beiden Frauen waren glücklich miteinander gewesen und hatten so gelebt, wie es der Gesellschaft nach nur Mann und Frau getraut durch Gott gedurft hätten.
Zumindest so lange, bis Jenica begonnen hatte, ihre eigene Natur zu hassen und aufgehört hatte, nachts jagen zu gehen. Es hatte nicht lange gedauert, bis der Virus Alarm geschlagen und seine Klauen nach dem nächstbesten Wesen ausgestreckt hatte, das in Reichweite gewesen war. Warum nur hatte es augerechnet Sanda, die Frau, der Jenica so sehr vertraut und die sie geliebt hatte, sein müssen?
Die bitteren Tränen versiegten allmählich, doch das Gefühl der Hilflosigkeit blieb. So sehr es sich Jenica auch seit ihrer Verwandlung wünschte, der Virus würde sie am Leben erhalten. So sehr sich der Wirt auch dagegen wehren würde, die Krankheit würde am Ende immer die Überhand gewinnen. Denn das war die wahre Bedeutung von Unsterblichkeit: Selbst dann noch unumkehrbar am Leben zu sein, wenn man sich nichts sehnlicher als den Tod wünscht.