Prompt 134: Coffee to go
Es blieben Veronika noch zehn Minuten, um pünktlich bei der Arbeit zu sein. Wie immer hatte sie den Weg dort hin viel zu knapp bemessen und af den letzten Metern geriet die Dunkelhaarige so sehr in Eile, dass sie nach Atem ringend und mit hochrotem Kopf im Büro erschien. So schien es auch heute zu sein. Denn so oft sich Veronika auch vornahm, am nächsten Morgen eine halbe Stunde früher aufzustehen und dementsprechend mehr Zeit für die morgentliche Routine und das anschließende Losgehen zu haben, das weiche, warme Bett zog die Arme jedes Mal in seinen Bann und ließ sie dieses Vorhaben niemals in die Tat umsetzen. Da half auch alles Fluchen beim Eilen nichts.
Doch da war etwas, was beinahe wichtiger war, als rechtzeitig im Büro zu sein. Jeden Morgen hastete Veronika an diesem kleinen, selbst von außen gemütlich aussehenden Coffee Shop vorbei und dachte sich jedes Mal, dass sie doch gerne kurz reingehen und sich einen großen Kaffee holen würde, um der schrecklichen Filterplörre im Pausenraum aus dem Weg gehen zu können. Und heute sollte genau der Tag sein, an dem das geschah. Veronika war vielleicht noch fünf Minuten Fußweg vom Büro entfernt, weil sie sich anscheinend mehr als sonst abgehetzt hatte. Da konnte es doch nicht schaden, die gewonnenen Minuten für eine kleine Entdeckungstour zu nutzen, oder? Wer wusste schon, ob dieser kleine Coffee Shop nicht ein echt guter Laden war und nur immer jeder daran vorbei ging, weil keiner sich die Zeit nahm, seine Neugier zu befrieden?
Schon im nächsten Moment schlug der jungen Frau warme, vom bitter-süßen Kaffeeduft erfüllte Luft entgegen, als sie die Tür zum Laden öffnete. Es war voller als erwartet und trotzdem hatte diese Menge an Menschen nichts Beunruhigendes an sich. Sanfte Jazzmusik fädelte sich in die Szenerie ein, doch war so leise, dass sie eher den Ort ergänzte als ihn zu beherrschen.
Ein warmes Gefühl, als wäre sie zuhause angekommen, durchflutete Veronika, als sie sich zu den anderen Wartenden gesellte. Der Typ am Tresen arbeitete ziemlich flink, weshalb die Schlange schnell kleiner wurde und die junge Frau sich gerade erst entschieden hatte, als nur noch eine Person vor ihr stand.
»Einen großen Latte Macchiato, bitte«, bestellte die blonde Frau, die in etwa in Veronikas Alter zu sein schien. Genau das hatte diese auch bestellen wollen. Wie seltsam war es, dass zwei Personen, die sich nicht kannten und trotzdem den gleichen Kaffeegeschmack zu haben schienen, direkt hintereinander in einer Schlange standen? Zufälle wie diese waren schon eigenartig.
Doch das hielt Veronika nicht davon ab, die gleiche Bestellung zu machen. Beide Frauen warteten einige Momente auf ihre Bestellungen, ehe zwei Becher vor ihnen auf den Tresen gestellt wurden. Jede nahm einen an sich, bezahlten und gingen dann wieder ihrer Wege.
Es waren nur wenige Minuten, die Veronika zu spät ins Büro kam. Der Kaffee war bereits halb leer und erst, als sie den Pappbecher auf ihren Schreibtisch stellte, bemerkte sie, dass damit etwas nicht stimmte. In kleiner, etwas krakliger Handschrift war eine Telefonnummer hingekrizelt worden; gefolgt von der irgendwie schüchtern wirkenden Aufforderung, diese bei Interesse anzurufen.
Für einige Sekunden starrte Veronika diese kleine Nachricht einfach nur an und wusste nicht ganz, was sie davon halten sollte. Dieser Tag war wirklich etwas Besonderes. Jetzt sollte es auch noch jemanden geben, der zu schüchtern gewesen war, persönlich auf die junge Frau zuzugehen und stattdessen versuchte, über einen Pappbecher Kontakt mit ihr aufzunehmen?
Irgendetwas an diesem Einfall gefiel Veronika und der Gedanke gefiel ihr, die angegebene Nummer einzutippen und mit demjenigen zu sprechen, der sie dort hingeschrieben hatte. Kaum eine Minute später war diese Eingebung auch schon in die Tat umgesetzt worden und Veronika lauschte etwas nervös dem Tuten, bis jemand den Anruf auf der anderen Seite annahm.
»Hallo?« Das war alles, was die männlich klingende Stimme am anderen Ende sagte.
»Hi, tut mir leid für die Störung«, fing Veronika an, »aber ich habe diese Nummer auf meinem Kaffeebecher gesehen und dachte, ich rufe einfach mal an. Du hast sie da hin geschrieben, richtig?«
Für einen Moment herrschte Stille, bevor der Fremde sich räusperte. »Ja. Ja, das habe ich. Das muss echt seltsam auf dich wirken, oder? Ich hätte dich gerne selbst angesprochen, aber irgendwie habe ich mich einfach nicht getraut. Aber ich bin froh, dass du angerufen hast. Und ich würde dich gerne wiedersehen, wenn das geht. Um diesmal direkt mit dir reden zu können.«
Veronika konnte gar nicht anders, als zu lächeln. »Wie wäre es gegen sechs? Ich würde dann nochmal in den Coffee Shop kommen, wenn du noch da bist.«
Vom Fremden kam begeisterte Zustimmung, ehe sich die beiden verabschiedeten und die Verbindung abbrach. Zufrieden damit, wie der Tag bisher verlaufen war, wendete sich die junge Frau nun endlich voll und ganz der Arbeit zu, die sie schon vor fast zwanzig Minuten hätte anfangen sollen.
Die Stimmung wurde erst wieder getrübt, als Veronika wieder im Coffee Shop und genau dem Typen am Tresen gegenüberstand, der ihr heute Morgen den Kaffee überreicht hatte. Sein Gesichte zeigte eine gewisse Überraschung, die die junge Frau ein wenig irritierte.
»Hallo nochmal. Wir haben doch vorhin telefoniert, oder?«
Die Überraschung schlug in Enttäuschung um, die Veronika nun ein wirklich ungutes Gefühl gab.
»Es tut mir leid, aber das alles muss ein Irrtum sein. Ich dachte, ich würde mit der anderen Frau sprechen, die genau das Gleiche bestellt hat und die mir vorhin aufgefallen ist. Wusste ich's doch, dass das Ganze eine echt dumme Idee war. Die Becher müssen vertauscht worden sein und es tut mir leid, dass ich Ihnen falsche Hoffnungen gemacht habe. Bitte löschen Sie die Nummer und vergessen Sie, was passiert ist. Es tut mir wirklich aufrichtig leid und ich hoffe, Sie verzeihen mir mein kindisches Verhalten.«
Am liebsten hätte die junge Frau auf der Stelle angefangen zu weinen. So eine plötzliche Abfuhr machte alls zunichte, was sich zuvor fast nach Schmetterlingen im Bauch angefühlt hatte.
»Immerhin bist du ehrlich.«
Mehr brachte Veronika nicht heraus, als sie auf dem Absatz kehrt machte und sich schwor, diesen Laden nie wieder zu betreten, so oft sie auch daran vorbeigehen würde.