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Sie hatte die Polizei bereits gerufen. Ihre sonst so bleichen Hände waren in denselben Rotton getaucht, den auch die Kanne vor ihr auf dem kleinen Holztisch hatte. Diesen hatte ihr Mann einst in einem belanglosen Sommer gebaut und ein wenig in die Erde eingegraben, damit dieser das ganze Jahr über draußen bleiben konnte. Das Wetter hatte seine Spuren hinterlassen und dennoch tat der Tisch seinen Dienst wie eh und je.
Er war sich vermutlich nicht einmal bewusst, was für ein Tag heute war. Wie auch, der Holztisch hatte immerhin kein Gedächtnis. Ebenso wenig wie die Kanne oder die beiden roten Tassen, die nun auf ihm standen. Wie sehr es die Frau doch genoss, hier draußen zu sitzen. Es war Winter, doch die Kälte belebte sie eher, als ihr unangenehm zu sein. Heute brachte sie nicht einmal eine Jacke wie sonst. Obwohl sie allein war, der Wind sie beinahe von der ebenfalls aus Holz geschlagenen, etwas grobschlächtigen Bank riss und nur der Tee da war, um die Frau von innen heraus zu wärmen. Ihr Mann konnte ihr heute keine Gesellschaft bei dieser kleinen Teeparty leisten, wie er es sonst die letzten Jahre getan hatte.
Er hatte sie geliebt, das wusste Enice. Robert war einfach nur schon immer schlecht darin gewesen, seine Gefühle nach außen zu tragen. Wer konnte es ihm auch verübeln? Er schien so wenig über sich selbst zu wissen, selbst wenn seine Frau immer da war, um ihn aus seinen Selbstfindungskrisen herauszuholen und ihn aufzufangen, wenn er ins Nichts seiner Plastikseele fiel. Robert war niemand. So zu sein, gefiel ihm jedoch nicht, deswegen versuchte er stets, das Leben um ihn herum in seiner verschlingenden Finsternis zu ersticken. Es hatte wehgetan, doch Enice hatte ihren Mann verstanden. Deshalb hatte sie ihn schließlich damals geheiratet. Robert war eine leere Hülle, die Enice hatte mit einem Neuanfang und Liebe hatte füllen wollen.
Doch nun saß sie hier allein in der Kälte, Blut tropfte von ihren Fingern, zusammen mit kochend heißem Badewasser, das der Frau die Haut verätzt hatte, als sie wieder einmal versucht hatte, Robert aus seiner Leere zu bergen. Der eisige Wind gefror auf ihrer Haut. Doch der Tee half gegen das Zittern, das nicht nur das Eis des Winters hervorrief. Zumindest sollte er das. Aber Enice zitterte weiter.
Sie wartete. Darauf, dass die Polizei kam und sie bestrafte. Sie hatte Robert nicht vor sich selbst beschützen können. Seine Leere hatte ihn aufgefressen und jetzt einen Schatten im Haus zurückgelassen, der in sich selbst ertrunken war und alles so stumpf und farblos machte. Sie hatte versagt.
Enice war eine Mörderin, ohne auch nur einen Finger gerührt zu haben. Erst hinterher hatte sie Zeit zu bereuen, dass sie vorher nichts getan hatte. Ob das die Polizei überhaupt verstehen würde? Die Frau war am Telefon vermutlich so aufgelöst gewesen, dass der Beamte nur ihr leises Weinen ohne Trauer gehört haben musste. Keine Worte, die ihm zu verstehen geben würden, was gerade in Enice vorging. War da überhaupt etwas, das man beschreiben konnte? Es fühlte sich eher so an, als wäre Roberts Schatten nun auf sie übergesprungen. Die Leere war unerträglich. Wie Fesseln, die verborgen hielten, was eigentlich hervorbrechen wollte. Vielleicht konnte ja der heiße Tee diese wegspülen und zutage bringen, was an die Oberfläche gehörte.
Enice war eine Mörderin. Das war alles, was sie in diesem Moment noch wusste. In ihrem Kopf rasten die Gedanken, obwohl er gleichzeitig nur mit Watte gefüllt zu sein schien. Alles drehte sich und stand still, leere Emotionen überwältigten die Frau.
Vor ihrem inneren Auge spielten sich Szenen ab, die nie geschehen waren. Enice sah sich selbst, wie sie Robert tötete, obwohl er das selbst gewesen war. Dass diese Bilder reine Hirngespinste waren, begriff sie nicht. Dafür waren ihre Gedanken vom ziellosen Rasen. Enice wollte sich nur noch an diese Erinnerung klammern, die sie versuchte mit jedem Schluck Tee, den sie nahm, versuchte wiederzubeleben. Sie gehörte zu einer Zeit, in der noch alles in Ordnung gewesen war. Als Robert an ihrer Seite auf der Holzbank gesessen, sie in den Arm genommen und hinaus in die leere Weite gestarrt hatte, die so gut zu ihm gepasst hatte.
Ob die Polizei überhaupt einen Mord sehen würde? Immerhin war Robert von Anfang an leer gewesen. Doch hierbei ging es um den Körper, nicht um die Seele, die ihr Mann niemals gehabt hatte, stellte Enice für sich selbst fest. Es war ihr jedoch egal, was die Polizisten denken würden, wenn sie Robert fanden und sie hier draußen im Schnee, wartend darauf, dass jemand kam, um sie vor dem gefräßigen Schatten im Haus zu beschützen. Die Frau wollte nur noch ihre Strafe dafür, dass sie diesen überhaupt heraufbeschworen hatte. Davon konnte sie nun auch nicht mehr der Tee abbringen, der sonst immer so eine beruhigende Wirkung auf Enice gehabt hatte.