Prompt 101: https://www.pinterest.de/pin/406520303870204732/
Hätte Faith schon als Kind gewusst, wo sie später im Leben landen würde, hätte sie ihren Eltern wohl für ihren Namen gedankt. Doch diese waren schon längst nicht mehr da und weil jeder ahnungslos durch sein Leben stolpert, blieb der alten Frau das wohl verwehrt. Umso stolzer konnte sie auf die Bar sein, die sie sich ganz allein aufgebaut hatte. Was nicht allzu verwunderlich klingt, wenn man bedenkt, dass diese Bar nur eine einzige Angestellte und Faith weder Familie noch Freunde hat, die diese Errungenschaft mit ihr hätten teilen können.
Faiths Bar war ein Ort, an den nur ganz bestimmte Personen kamen und von dem auch nur solche überhaupt wussten. Sie kamen, um zu vergessen. Und nur Faith konnte ihnen diesen Wunsch erfüllen, das wussten alle, die durch diese Tür gestolpert kamen.
So auch der junge Mann, der die Stille des leeren Etablissements mit seinen schweren Schritten durchbrach. Sofort witterte die alte Barkeeperin ein gutes Geschäft und ließ deshalb nur zu gern das auf sich zukommen, was sich da ankündigte.
»Was darf es denn sein, Jungchen?«, stellte Faith ihre übliche Frage. Sie wusste, dass man hier nicht herkam, um kurz einen Kurzen zu kippen und sich dann wieder ins Leben zu stürzen. Deswegen erübrigte sich eigentlich auch die Frage, was der Gast haben wollte.
»Mir wurde gesagt, dass man hier etwas kriegt, was einen alles vergessen lässt, was man will«, antwortete der junge Mann.
Die Barkeeperin nickte verstehend. »Da bist du hier goldrichtig, mein Lieber. Tante Faith wird sich um dein Problem kümmern. Doch, wenn es dir nichts ausmacht, würde ich zuerst gerne deine Geschichte hören, bevor ich dir den Drink mixe.«
Der Gast stimmte dieser Bitte etwas widerwillig zu und begann mit schleppender und leere Stimme zu erzählen. »Ich will vergessen, was für ein Versager ich bin. Das war mein dritter Job dieses Jahr, der einfach flöten geht. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mal, was ich falsch mache. Erst nehmen mich die Leute mit Kusshand und dann feuern sie mich einfach, obwohl ich mir nichts zu Schulden habe kommen lassen. Wenn ich nicht bald einen festen Job habe, verliere ich nicht nur das Haus, sondern auch meine Frau. Es ist ihr zu unsicher, unsere kleine Tochter in ein Leben zu werfen, in dem nichts sicher ist. Dabei will ich nichts mehr, als der Kleinen ein guter Vater sein.«
Faith hörte aufmerksam zu und begann mitten in der Geschichte, den Drink zu mixen, nach dem alle verlangten. Die Erdbeeren und Limetten sollten diese Erfahrung genauso bittersüß wie die Erinnerungen machen, die am Ende in dieser Bar bleiben würde. Am liebsten würde die Barkeeperin sie alle einzelnen einrahmen und an die Wände hängen, wo in normalen Bars Fotos von berühmten Gästen oder ähnlichem hängen würden. Doch anstatt das zu tun, hörte sich die alte Frau lieber die Geschichten an, die sich mitunter doppelten, aber doch nie langweilig wurden und hoffte, dass etwas von ihnen hier verweilen würde, auch wenn der Besitzer dieser schon längst verschwunden war.
Faith hatte Mitleid mit dem jungen Mann. Deshalb kommentiere sie sein Leid nicht mit hohlen Worten, sondern gab ihm lieber noch eine Warnung mit auf den Weg, als sie ihren einzigartigen 'Bittersweet Tragedy' vor ihm auf dem Tresen abstellte.
»Bevor du am Ende bereust, was du heute getan hast, solltest du etwas über das Vergessen wissen«, begann die alte Frau und stellte sicher, dass ihr Gast ihr ganz genau zuhörte. »Es gibt Risiken, die bereits Leben zerstört haben. So sehr du auch gerade meinst am Boden zu sein, es gibt immer etwas, was noch schlimmer ist. Ich hatte mal einen Kunden, der vergessen wollte, dass seine Verlobte ihn vor dem Traualtar stehen gelassen hat. Weil er sich nicht mehr an ihre Zurückweisung erinnern konnte, tat er immer noch, als wären sie ein Paar und war unsterblich verliebt in die Frau, die ihn zuvor so verletzt hat. Die Geschichte der beiden endete damit, dass der Mann zuerst die Frau und dann sich selbst umbrachte. Sie hatte ihn immer wieder abgewiesen und die Liebe zu ihr hatte ihn am Ende den Verstand verlieren lassen. Überlege dir gut, ob du auch so enden könntest. Und wenn, ob du damit leben könntest, auf so ein trauriges Ende zugesteuert zu haben.«
Noch bevor der junge Mann etwas sagte, wusste Faith schon, dass sie ihn nicht würde von seinem Pfad abbringen können. Wenn sie das überhaupt wollte. Sie hasste es einfach nur, von den Schicksalen derer erfahren zu müssen, denen sie nur hatte helfen wollen.
In einem Zug leerte der Gast seinen Drink, bezahlte, was die alte Frau verlangte und verschwand vollkommen wortlos wieder.
Faith sah ihm noch nach, als er längst wieder dort draußen war und seinem neuen Leben nachgehen musste. Wieder einmal fragte sich die Barkeeperin, was eigentlich hinter dieser Magie des Vergessens steckte, die sich alle einredeten. Das musste wohl so etwas wie ein Placeboeffekt von der ganz großen Art sein. Doch Faith wollte nicht allzu genau darüber nachdenken ‒ wenn der Gaukler seinen eigenen Schwindel hinterfragte, würden andere folgen und wohl oder übel herausfinden, dass sie die ganze Zeit über betrogen wurden.