Prompt 2: Herbstzeitlose
Langsam schritt die Frau zu seinem Grabe hin, vollkommen in Schwarz gekleidet und mit tränennassem Gesicht. Der eisige Wind ließ den durchsichtigen Film auf ihren Wangen jedoch sofort gefrieren und ließ die Haut der Frau somit mehr schmerzen als ihr Herz, das in Trümmern lag, seit er von ihr gegangen war.
Für einen kurzen Moment hielt die Trauernde inne und gedachte der Zeit, die sie mit ihrem Mann verbracht hatte. All die Jahre hatte er sie eine so widersprüchliche und schmerzhafte Liebe spüren lassen, die sie jedoch bedingungslos erwiderte, da sie sich mit der Zeit an die Erniedrigung und die Abhängigkeit gewöhnte.
Seine gewaltsame Liebe war ihre Droge, die wiederum pures Gift für ihren Verstand war, der sich mit der Zeit immer mehr verdrehte und nur noch Gedanken zuließ, die sie selbst ab- und ihren Mann aufwerteten. Dabei war er das Monster, das Gift, das die Frau paralysierte und langsam sterben ließ. Er war ihr Todesurteil und blühte nur auf, wenn sie litt.
Dass er zuerst von dieser Welt schied, hätte die Frau niemals gedacht. Doch so war es geschehen: Das Böse in ihm hatte seine Lebensdauer gemindert und ihn frühzeitig von seiner Gattin weggerissen, die seinen Tod trotz allem bedauerte.
So stand sie am Grab ihres Mannes, am Tage seiner Beerdigung, weinte bitterlich und bettete den bereits in die Erde hinab gelassenen Sarg in Blumen, die sie in das klaffende Loch vor ihren Füßen warf. Doch die Trauernde warf keine Rosen, wie es üblich gewesen wäre – stattdessen segelten violette Herbstzeitlose wie Regen auf den Sarg, genauso giftig, wie der Tote zu Lebzeiten.