Prompt 19: Beichte
»Ich habe gesündigt, Pater.«
Sie kam sich vor wie in einem Film, als sie diese Worte aussprach und versuchte, einen Blick durch das engmaschige Gitter auf den Geistlichen nebenan zu erhaschen. Hatte die junge Frau seine Aufmerksamkeit? Würde er ihr zuhören oder doch nur glauben, sie wäre eine durchgeknallte Christin, die sich ihrem Glauben so sehr verschworen hatte, dass sie mit ihrem Denken nicht aus dem Mittelalter rauskam? Denn wer ging schon heutzutage noch zur Beichte? Nur Verrückte vermutlich. Die hatten nicht mal ernsthaft etwas zu sagen und erzählten dem Pfarrer dann demütig, dass sie das jeweils andere Geschlecht vielleicht einmal für drei Sekunden zu lang angesehen und somit eine Sünde an sich haften hätten.
»Von welcher Schuld möchtest du dich denn lossagen, mein Kind?«, hörte Greta die brummige Stimme eines alten Mannes neben sich. Sie wusste sofort, dass dieser sie verurteilen würde für das, was sie getan hatte. Dennoch nahm sie ihren Mut zusammen und wollte dem Pfarrer erzählen, was bereits vor drei Nächten passiert war.
»Ich habe ihn umgebracht«, begann die Dunkelhaarige und stockte dann, als alle Erinnerungen an diese Finsternis wieder auf sie einströmten. Da waren Wodkaflaschen vor ihrem inneren Auge. Alle leer – sie hatten an diesem Abend wirklich viel getrunken. So viel, dass sie beide kaum noch stehen konnten und nur noch dämlich über alles und jeden kicherten. Greta fand im Nachhinein toll, wie Dave dort neben ihr auf ihrem Bett gelegen hatte und sie gemeinsam über Gott und die Welt philosophiert hatten, weil der Alkohol ihre Sinne vernebelt und sie nur noch einander hatte sehen lassen.
Wahrheit oder Pflicht spielen zu wollen, war da wirklich keine gute Idee gewesen. Die Koordination hatte kaum ausgereicht um vom Bett aufzustehen oder in vollen Sätzen zu sprechen. Dennoch hatten beide Jugendliche es lustig gefunden, sich nacheinander irgendwelche lächerlichen Geheimnisse zu erzählen und sinnlose Aufgaben zu erfüllen, bei denen sie ebenfalls nur lachen und hin und wieder umfallen hatten können, so betrunken waren die Teenager in dieser dunklen Nacht gewesen.
Am Anfang hatte Greta es sogar noch witzig gefunden, als Dave auf ihren Befehl hin noch einen Schluck Bier genommen und sich dann aufs Dach gestellt hatte, um dort laut vor sich hin zu grölen und zu taumeln, als würde er gegen einen Orkan anlaufen wollen. Sie hatte gelacht aus tiefster Seele und ihren Freund sogar noch angefeuert, dass er sich bis zur Kante hatte vorwagen sollen und dort weitermachen sollen. In diesem Moment hatte Greta selbst nicht gewusst, was in sie gefahren war.
Dave hatte wiederum brav getan, was sie gesagt hatte und wieder war es einige Zeit auch gutgegangen, wie er da die Nacht mit seinem schiefen und lallenden Gesang bereichert hatte.
Doch dann war der Junge auf auf dem nassen Laub, das Gretas Vater erst vom Dach entfernen wollte, wenn der Winter wirklich kam, ausgerutscht und über die Kante genau vor Gretas Füße gefallen. Diese hatte sogar das widerliche Knacken gehört, als sein Genick gebrochen und er beinahe sofort erschlafft war.
Dass ihr bester Freund gerade vor ihren Augen gestorben war, hatte die Dunkelhaarige zunächst nicht realisiert. Sie hatte sich zu ihm niedergekniet, versucht ihn aufzuwecken, da sie gedacht hatte, der Alkohol hätte ihn im feuchten Gras einschlafen lassen. Doch Dave hatte sich nicht mehr geregt. Auch das Rütteln an der Schulter hatte nicht das Geringste geholfen und selbst als Greta ihn angeschrien hatte, dass er doch endlich hatte aufwachen sollen, war sein Tod noch nicht zu ihrem Hirn vorgedrungen. Sie hatte ihn ins Krankenhaus bringen wollen. Hatte schon überlegt, wie sie es dorthin schaffen sollten, doch diese leise Stimme in ihrem Kopf, die sonst dafür da war, Greta zu sagen, was richtig und was falsch war, hatte nun gemeint, dass das nicht mehr nötig gewesen wäre.
Wieder hatte das Mädchen etwas Zeit gebraucht, ehe es verstanden hatte, was ihr Unterbewusstsein ihr damit hatte sagen wollen. Panik hatte ihr Herz daraufhin geflutet. Sie hatte die Leiche jedoch nicht einfach hier liegen lassen können, wo alle sie hatten sehen können und denken würden, dass sie selbst Dave vom Dach geschubst hätte. Es hatte ein Versteck hergemusst, wo niemand ihn fand und wo niemand nach ihm fragen würde, wenn er länger nicht da gewesen wäre. Da war Greta, die nun urplötzlich wieder bei klarem Verstand war, nur ein Ort eingefallen.
So hatte die Dunkelhaarige alle Kraft zusammengenommen, Daves Leichnam in ihr Auto verfrachtet und war zur Seebrücke gefahren. Hier hatten die beiden Freunde so viel Zeit zusammen damit verbracht, auf den Fluss unter ihnen zu schauen und wieder zu philosophieren, ohne einen tieferen Sinn dahinter zu sehen. Hier hatte Dave Greta auch gestanden, dass er unter Depressionen litt und viel über Selbstmord nachgedacht hatte. Sicher hatte er das auch seinen Eltern oder anderen Freunden erzählt, somit würde niemand Verdacht schöpfen, wenn sie den Toten im Fluss wiederfinden würden. Und wer würde schon bei den Verletzungen durch die Wasseroberfläche noch auf den Genickbruch achten, wenn sie ihn untersuchen würden?
So hatte Greta den Leichnam so schnell es ging über das Brückengeländer geworfen und zugesehen, wie dieses leblose Stück Fleisch mit einem lauten Knall im schwarzen Wasser versunken war. Das war auch der Moment gewesen, als die Dunkelhaarige zusammengebrochen war. Sie hatte endlich verstanden, was sie getan hatte und die Tränen waren ihre Wangen hinuntergeströmt, als würde sie den Fluss unter sich über seine Ufer treten lassen wollen.
In diesem Zustand hatte sie auch die Polizei angerufen und dieser aufgelöst mitgeteilt, dass ihr bester Freund sich soeben umgebracht hatte.
Das alles wollte sie dem Pfarrer sagen, doch besann sich eines Besseren. Wer Angst vor der Polizei hatte, sollte sich nicht der Kirche öffnen, die erst recht nie vergab.
»Wen sollst du umgebracht haben, Mädchen?«, fragte der alte Mann im Beichtstuhl nun sichtlich ungeduldig. Er würde sie verraten, das wusste Greta genau.
»Meinen Hamster«, schniefte die Dunkelhaarige. »Ich habe mich versehentlich auf ihn gesetzt, als er wieder aus seinem Käfig ausgebrochen ist. Ich fühle mich jetzt so schlecht, Pater. Wird Gott mir diesen Mord vergeben?«
Greta konnte hören, wie der Pfarrer aufatmete. »Aber natürlich, meine Tochter. Dein Hamster ist nun in Gottes Reich. Dort gehört er hin und dort wird er dir diese Tat vergeben haben. Denn die Toten sind still und bedauern nicht mehr wie wir Lebenden, was uns angetan wurde.«
Damit verabschiedete sich das Mädchen vom Geistlichen, verließ den Beichtstuhl und schwor sich, nie wieder ein Gotteshaus zu betreten, so schwer diese Schuld auch auf ihren Schultern lastete.