Prompt 13: Herbststurm
Es regnete in Strömen, als sie dort am Bahnhof stand, einfach nur zusehen konnte, wie die Züge ein und aus fuhren und sich die Bahnsteige abwechselnd füllten und leerten. Die junge Frau kam sich vor, als wäre sie am Strand und als beobachtete sie das Meer, das dem Mond willenlos unterworfen war und immer wieder vor der Zivilisation zurückwich, nur um dann wieder mit voller Wucht auf den hellen Sandstrand einzustürmen, um die sommerliche Hitze mit winterlicher Kälte zu löschen.
Doch die Rothaarige war nicht am Strand, sondern stand auf einem versifften Bahnsteig, von einer Wolke grausamer Gerüche umgarnt, und wartete auf einen Zug und nichts Bestimmtes zugleich. Das musste sich die junge Frau immer wieder ins Gedächtnis rufen, bevor sie in ihren Tagträumen versank. Dies tat sie nämlich viel zu oft und das war wohl auch, was sie früher oder später ins Grab bringen würde.
Genau davon hatte sie jedoch genug – von dem Zwang, sich allem anzupassen und sich ständig ändern zu müssen, weil niemand die Andersartigkeit des Einzelnen akzeptieren kann. Von diesem Gift, das sich so oft in Worten bündelte und Seelen verätzte, und von den Menschen, denen sie nichts recht machen konnte. Und zwar sofort. Solange der Herbststurm dort draußen tobte und vergeblich versuchte, das ganze Grau und die Leere in den Herzen der Menschen aufzuwirbeln und reinzuwaschen, würde auch der Sturm im Inneren der Frau keine Ruhe geben.
Das alles musste aufhören. Es war ein Punkt erreicht, an dem das alles genug war. Das Eintönige war zu viel, das Sterben Tag für Tag und vor allem die unsichtbaren Wände, die sie zwangen, an Ort und Stelle zubleiben und zu stagnieren.
Deshalb musste die Rothaarige auch in den nächsten Zug steigen, der in diesen verdammten Bahnhof einlaufen würde. Egal wohin er fahren würde, alles wäre besser als an diesem Ort, wo zwar nicht die Zeit, aber die Menschen stillstanden. Am besten wäre es wohl noch immer am Meer. Aber die Frau musste sich wohl einfach treiben lassen. Wohin der Zug fuhr, da fuhr er eben hin. Für sie sollte es nie wieder Grenzen geben, die sie sich selbst einredete. Nie wieder durfte sie zu viel nachdenken und glauben, andere Menschen hätten das Recht dazu, sie als Person nur für ihre Entscheidungen zu verurteilen.
Und da fuhr der nächste Zug auch schon ein. Die Menschenmassen drängten die Rothaarige langsam in seine Richtung und sie ließ sich von diesem gehetzten Strom treiben. Sie war bereit. Bereit für eine Reise ins Nirgendwo, wo sie endlich sie selbst würde sein können.