Prompt 24: Jekyll & Hyde
So zwiegespalten war Lucas mitunter. An manchen Tagen hätte er die ganze Welt aus all der Liebe heraus, die er in sich barg, umarmen können, fand an allem etwas Positives und sah alles durch diese berühmte rosarote Filterbrille, die selbst Scheiße zu purem Gold mutieren ließ. An diesen Tagen war er beinahe schon glücklich und zufrieden mit sich selbst.
Doch da waren auch diese Tage, an denen nichts mehr Sinn ergab und die Stunden sich leer dahinzogen, da einfach nichts mehr, was der Junge tat, wirkte, als hätte es irgendeinen Wert, auf den er im Nachhinein stolz sein könnte. Die Stimmen in Lucas' Kopf waren in diesen dunklen Momenten zu laut, um auch nur einen weiteren positiven Gedanken zuzulassen, so vehement wie sie auf ihn einbrüllten.
An diesen dunklen Tagen war Lucas' Leben in jeder Hinsicht sinnlos und am liebsten würde er dieses einfach beenden, um dieser Leere endlich entkommen zu können, die ihn nur dazu brachte, sich selbst abgrundtief zu hassen für alles, was er tat. Jedes Wort, das er niederschrieb, fühlte sich durch diese allumfassende Sinnlosigkeit falsch an und seine einzige Leidenschaft wurde dadurch zu einer erniedrigenden Qual, die zu schwach war, diese erdrückenden Gewitterwolken einfach weiterziehen zu lassen.
Immer wenn Lucas wieder in den Depressionen versank, zog er sich in sich selbst zurück, um sich wieder sammeln zu können, da er sich für diese Schwäche vor der gesamten Menschheit schämte, von der er dachte, dass sie ihn für diese Macken regelrecht verabscheuen musste, auch wenn er nur einer unter acht Milliarden war, der sich viel zu wichtig nahm. Doch da Lucas nicht einfach für einige Tage aufhören konnte zu existieren, hatte er sich über die Jahre hinweg einen Vertreter erschaffen, der für ihn einsprang, wenn er selbst nicht mehr weiterwusste. Genau dann kam ‚der Andere‘ ins Spiel, für den es wohl nie einen anderen Namen geben würde.
Sonderlich hilfreich war dieser ‚Andere‘ jedoch keineswegs. Denn er kannte nur Hass und Zerstörung, spuckte immer wieder Gift und Galle und war insgesamt genau das Monster, das andere Menschen in den tiefsten Tiefen ihrer Seelen versteckten und nur durchscheinen ließen, wenn alle Moral außer Kraft gesetzt wurde. ‚Der Andere‘ war alles Böse in Lucas und verursachte mehr Probleme als er löste. Die Wut war sein einziger Antrieb und der Junge konnte nur zusehen, wie sein persönlicher Dämon alles zerstörte, was ihm wichtig war.
Und dann, wenn ‚der Andere‘ sich nach einiger Zeit wieder mit einem gehässigen Kichern in die Tiefen von Lucas' Bewusstsein zurückzog und dort auf die nächste Ausbruchsmöglichkeit wartete, stand Lucas allein da mit den traurigen Überresten seines Lebens, dessen Neuaufbau die dunklen Wolken Mal um Mal dichter machte und ihm die Kraft raubte. Dass der Junge sich damit selbst in einen wahren Teufelskreis hineingeritten hatte, war ihm gar nicht wirklich bewusst.