Prompt 25: Seelensplitter
Sie waren weit über die Welt verstreut worden. Nun war es an dem jungen Dämon, sie alle wieder einzusammeln und zurück in sein Reich zu schleusen. Und das auch nur, weil man ihn wieder zum Wachtposten degradiert hatte. Was hatte er sich auch nur dabei gedacht, Aren einfach so in das Folterdepot zu lassen? Oder noch eine bessere Frage: Warum hatte diese dumme Kuh die Tür sperrangelweit offen stehen lassen? Es war doch klar, dass Seelen, die eigentlich nur darauf warteten, endlich von Satan höchstpersönlich oder seinen Handlangern gefoltert zu werden, bei der ersten Gelegenheit aus ihrem Gefängnis ausbrechen würden. Dass das Depot dann auch noch direkt neben dem Eingang zur Höllenpforte lag, war wohl etwas, wofür man den Innenarchitekten lebendig rösten und sich selbst zum Fraß vorsetzen sollte.
Jedenfalls war Ralgrich nun vom Höllenfürst höchstpersönlich damit beauftragt worden, die verlorenen Seelen möglichst heil wieder zur Hölle hinabzuschicken. Als wenn sich Luzifer nicht bewusst wäre, dass das so ziemlich unmöglich war. Immerhin zerfielen die Seelen immer mehr in kleine Einzelteile, je länger sie wieder an der Oberfläche waren. Aber was sollte der junge Dämon schon groß gegen diesen Befehl tun? Wenn er Glück hatte, würde Satan davon absehen, ihn gleich mit ins Folterdepot zu stecken. Da konnte sich Ralgrich nun wirklich keinen Aufstand erlauben.
Wieder auf der Erde zu sein, stimmte den Höllenbewohner zugleich seltsam froh und missmutig. Selbst wenn er kein Jahrtausend damit zubringen würde, die Seelensplitter zu suchen, hätte er nun wirklich keine Lust, die ganze Zeit von dem alten Herren im Himmel bei der Arbeit beobachtet zu werden. Der Typ, den die Menschen neuerdings ‚Gott‘ und nicht mehr bei seinem wahren Namen nannten, war echt schlimmer als jeder Stalker und musste auch echt ein geringes Selbstwertgefühl haben, wenn der immer nur da oben in seinen Wolken saß und sich nie seiner Schöpfung zeigte. Da machte das sein Sohn deutlich besser: Satan besuchte sogar die erbärmlichsten Menschen, die nach ihn riefen, weil er einfach viel bodenständiger war als sein alter Herr.
Was Ralgrich außerdem echt nervte war der menschliche Körper, in den er hatte schlüpfen müssen, um nicht unter den ganzen Fleischsäcken aufzufallen. Er konnte ja schlecht als das Ungetüm, als das ihn die Sterblichen ansehen würden, herumspazieren und noch unnötig Aufmerksamkeit bei dieser ohnehin schon dämlichen Reise erregen.
Das würde nur wieder in einem riesigen Medienrummel enden, wie bei dem alten Ikath damals, der einfach nur ein bisschen Urlaub in den Bergen machen wollte und sofort als Yeti in die Geschichte der Menschen einging. Auch wenn Ralgrich nicht ganz verstand, wie die so überreagieren konnten. Nur weil Ikath stärker behaart als die anderen Dämonen war und es nicht so genau mit der Körperhygiene nahm, wurde er sofort als Monster abgestempelt? Diese Diskriminierung ging sogar für Ralgrich etwas zu weit. Obwohl er das Ganze sicher immer noch lustig finden würde, wenn ihn die menschliche Hülle nicht gerade so einengen und der weite Weg ihn nicht so ankotzen würde. Warum ging er überhaupt zu Fuß? Die Menschen hatten doch sicher schon irgendwas entwickelt, was einen nicht so in der viel zu penetrant scheinenden Sonne brutzeln und einem die elenden Fußschmerzen ersparen könnte. Da wünschte sich doch Ralgrich fast schon die eisige Kälte der Hölle zurück, wo die Seelen und auch die Dämonen damit gefoltert wurden, dass niemand die Heizung anmachte.
Aber wenn sich der junge Dämon beeilte, könnte er ja auch bald dahin zurück. Denn wenn er sich nicht irrte, hatte er dort vorn im Gebüsch etwas funkeln sehen, was sehr verdächtig nach einem Seelensplitter aussah. Inständig hoffte Ralgrich, dass diese Seele schon so in sich zusammengefallen war, dass der Splitter einfach nur noch der kleine, glitzernde Diamant war, der er von weitem zu sein schien, und nicht einfach wegsprang, wenn sich der Dämon ihm näherte.
Doch er als er den Splitter fest in Händen hielt und dieser sich auch nicht wehrte, war klar, dass sich der Dämon unnötig Sorgen gemacht hatte. Was für ein Spaß es doch werden würde, aus diesem Splitter wieder eine vollständige Seelen zu machen. Dafür war dann aber hoffentlich Aren zuständig, die bisher noch glimpflich davongekommen war. Wahrscheinlich auch nur, weil Satan echt immer die weiblichen Dämonen bevorzugte und die männlichen wie Dreck behandelte. Aber nur weil er die einen bumsen wollte und die anderen nicht war das noch lange kein Grund für diese miese Diskriminierung. Jemand sollte in der Hölle wohl echt mal sowas wie eine Männerrechtsbewegung einführen, fand Ralgrich. Die Menschen hatten da sicher auch schon irgendwas Ähnliches, was die Dämonen abkupfern konnten.
Na ja, immerhin hatte der Dämon jetzt schon einen Splitter. Fehlten also nur noch etwa 2000, die immer mehr werden konnten, je mehr die Seelen zerfielen. Ralgrich seufzte und machte sich wieder an die Arbeit. Er würde wohl noch sehr lange hier auf der Erde verbringen und auf seine Vergeltung warten müssen ...