nachgeschrieben 26.10.2020
Start: 07:10 Uhr
Ende: 08:08 Uhr
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"Boarding completed!"
Die hektische Betriebsamkeit wird weniger. Nur noch vereinzelte Passagiere suchen nach ihrem Platz oder verstauen ihr Handgepäck. Die beiden Flugbegleiterinnen im vorderen Teil des Airbus klappen schon die Gepäckfächer zu und kontrollieren nebenbei, ob wirklich jeder angeschnallt ist.
Von draußen prasselt Nieselregen an die Fensterscheiben. Es blinken ein paar Lichter, schon folgt die nächste Ansage.
"All doors in flight and cross check."
Er lehnt sich zurück und amtet durch.
Langsam bewegt sich der Flieger nun rückwärts, während sich die Chef-Stewardess sich und ihr Team vorstellt.
Er schließt die Augen, sie rollen zur Startbahn.
Die Sicherheitshinweise beobachtet er nur aus dem Augenwinkel, fühlt aber wie immer kurz nach der Schwimmweste. Kurz muss er weggedämmert sein, denn die Begrüßung des Pilots lässt ihn aufschrecken. Oder sind es dessen Worte? Es wird ein turbulenter Flug erwartet, wobei sie eine größere Gewitterfront versuchen werden zu umfliegen. Und auch im Zielort herrscht schlechtes Wetter, aber in sieben Stunden kann auch viel passieren.
Eben, es kann viel passieren.
Während sich die Crew ebenfalls für den Start fertig macht, schlägt sein Herz jetzt schneller. Er sieht sich um. Die Businessclass ist nur halb voll, ein Vorhang trennt sie vom Rest der Passiere. Der Platz neben ihm ist frei, was ihn kurz verwirrt. Der Airbus stoppt einen Moment, dann gibt der Pilot vollen Schub.
Seine Hände schließen sich fest um die Armlehnen, die Augen kneift er zusammen und versucht das seltsame Gefühl im Magen zu ignorieren. Sie heben ab und werden schon dabei kräftig durchgeschüttelt. Man sieht nichts außer Regen und grau. Die Wolken sind dicht und schwer, es ist ungewöhnlich still. Es kommt ihm wie eine Ewigkeit vor, dann sind sie offenbar durch die erste Front durch. Die Anschnallzeichen erlöschen aber nicht und es folgt auch prompt der Hinweis, dass der Flug unruhig bleiben wird. Wie aufs Stichwort scheint der Flieger kurz abzusacken. Ihm wird übel, als sich die Maschine für die anstehende Linkskurve neigt. Mit zittrigen Fingern tastet er nach seinem Glücksbringer. Seine Augen suchen sich einen Fixpunkt, der Airbus neigt sich wieder in die Mitte, dann nach rechts. Dabei steigt er weiter, durch die nächsten Wolken.
Wie aus dem Nichts steht eine der Flugbegleiterinnen neben ihm.
"Ist bei Ihnen alles in Ordnung?", fragt sie.
Zu seinem Erstaunen stellt er fest, dass er sich noch immer völlig verkrampft an den Lehnen festhält.
"Geht schon", murmelt er und lockert seinen Griff. Tief durchatmen. Trotzdem schlägt sein Puls erbarmungslos hart. Sie mustert ihn kritisch und verspricht, ihm gleich ein Wasser zu bringen. Mit einem lauten Ping gehen jetzt doch die Anschnallzeichen aus. Der Flugkapitän meldet sich und entschuldigt sich für den ruppigen Start. Es bestünde aber kein Anlass zur Sorge, man habe im Cockpit alles unter Kontrolle und würde alles dafür tun, es den Passagieren so angenehm wie möglich zu machen.
Wieder steht sie vor ihm, neben einem Wasser hat sie auch eine Decke dabei. Beides nimmt er dankbar entgegen. Sein Sweatshirt ist nassgeschwitzt, eigentlich würde er sich gerne frisch machen, aber das Wackeln hält ihn davon ab seinen Sitz zu verlassen. In der nächsten Stunde kann er sich beruhigen. Wie auf Schienen gleitet der Airbus durch das Grau, erreicht die Reiseflughöhe, der Service beginnt. Die Stimmung hat sich deutlich verbessert, das übliche Murmeln ist zu hören, das Surren der Triebwerke. Trotzdem bleibt da eine Anspannung. Ein ungutes Gefühl, immer wieder meldet sich der Magen. Auf die warme Mahlzeit hat er wohlweislich verzichtet, sich aber Tee und Wasser geben lassen.
Nochmal sieht er sich um. Ist die Kabine enger geworden? Erneut stolpert sein Herz. Es wackelt wieder, ein kurzes auf und ab. Die Aufforderung, sich sofort wieder auf die Plätze zu begeben und anzuschnallen folgt direkt. Gegen das, was nun folgt, war der Start ein Klacks. Und dann ist da auf einmal nur noch Angst. Er presst die Lippen zusammen, beißt sie sich blutig. Er weiß gar nicht, was jetzt besser ist. Augen auf oder doch lieber zu?
Irgendwas piepst und die Maschine verliert an Höhe.
Deutlich.
Und schnell.
Viel zu schnell.
In ihm steigt Panik auf. Er will hier raus.
Wäre er doch nie eingestiegen.
Warum eigentlich?
Sein Hirn spielt ihm einen Streich, kann die Frage nicht beantworten. Panisch tastet er nach dem Glücksbringer in der Hosentasche.
Nichts.
Gar nichts.
Aber er war doch eben noch da?
Und warum sitzt da auf einmal jemand neben ihm?
Und nimmt seine Hand?
Dann wird alles dunkel und er fühlt sich wie im freien Fall.
Nun entfährt ihm doch ein kleiner Schrei.
Als er hart aufschlägt, reißt er die Augen auf. Das Piepen hat noch zugenommen und es ist kalt. Irritiert setzt sich Jan auf.
"Was ist los?", hört er eine verschlafene Stimme. Der Ton verstummt, dafür geht ein Licht an. Der verwuschelte Lockenkopf Isabelles rückt in sein Blickfeld. Sie schaut von oben auf ihn herab. Jan fährt sich durch die Haare. Der Pyjama klebt an ihm. Die Turbulenzen waren nur ein böser Traum, er ist auf dem Boden des Schlafzimmers gelandet. Verwundert greift er nach der Decke, die er wohl mitgerissen hat. Seine Stimme ist belegt, die Angst war so echt und spürbar, dass er sich erstmal sortieren muss.
"Nur ein Traum", antwortet er heiser und wirft einen Blick auf den Wecker. Immerhin ist das verdammte Ding jetzt still.
"In nächster Zeit mag ich nicht fliegen", meint er noch.