Nachgeschrieben 28.11.20
Start: 10:10 Uhr
Ende: 11:07 Uhr
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Mein Herz rast, als ich aus diesem Traum auftauche.
Es ist dunkel im Zimmer, nur ein kleiner roter Lichtpunkt zieht mich an. Ich brauche einen Moment um mich zu orientieren.
Hektisch taste ich nach links, wo ich den Schalter meine Nachttischlampe vermute.
Nichts.
Verdammt, wo bin ich?
Auf der anderen Seite habe ich mehr Glück.
Das Licht ist ungewohnt trüb, es offenbart mir aber immerhin meinen Aufenthaltsort.
Die Leuchtdiode des Fernsehers an der Wand gegenüber ist jetzt nicht mehr so grell. Auf dem kleinen Tisch darunter liegen Handy und Geldbörse, im Sessel vor dem Fenster liegt mein Rucksack und meine Winterjacke. Die schweren Vorhänge sind dunkel und dämpfen die Geräusche von der Straße. Hotelflair. Irgendwie sehen alle Hotelzimmer gleich aus.
Ich liege auf dem Rücken und die letzten Erinnerungsfetzen des Albtraums verlassen mich noch nicht. Wie ich es hasse, in solchen Nächten allein im Nirgendwo aufzuwachen. Wie spät ist es?
Mein Hals ist ganz trocken und mein Oberteil zeugt davon, dass ich geschwitzt habe. Langsam setze ich mich auf. Nur ein Traum, sage ich mir leise. Draußen ist es jedenfalls noch dunkel. Wie immer habe ich es nicht geschafft, den Raum ganz abgedunkelt zu bekommen. Warum sich Betreiber nicht endlich eine Lösung einfallen lassen, verstehe ich auch nach all den Jahren nicht.
Ich leere den Rest der kleinen Wasserflasche und bleibe noch einen Moment auf der Bettkante sitzen. Lohnt es sich nochmal zu versuchen einzuschlafen? Will ich das überhaupt? Ich habe wenig Lust nochmal in das Grauen abzutauchen. Das ist ein bisschen wie Lotterie. Ich spüre aber, dass die Chancen den Untiefen meiner Seele zu entgehen eher schlecht stehen. Mit zwei Schritten bin ich am Tisch. Das Handy verrät mir, dass es kurz vor fünf Uhr ist. Bei meinem Pech finde ich tatsächlich Ruhe und verschlafe womöglich. In knapp drei Stunden muss ich sowieso los. Mit dem Taxi zum Flughafen, von dort aus in die nächste Stadt, in ein anderes Hotel. Gott, ich habe es gerade richtig satt. Ich will nach Hause. Aber das geht nicht.
Und jetzt? Was fange ich jetzt mit mir an? Ein Spaziergang wäre gut, vielleicht ein Kaffee, aber erstmal muss ich unter die Dusche. Den Schweiß und die Traumreste abspülen. In frischer Kleidung fühle ich mich etwas besser, aber immer noch zerschlagen. Mit schnellen Handgriffen verstaue ich fast alles Dinge schon im Koffer und schlüpfe dann in meine Jacke.
Auf den Gängen ist es noch still, ebenso unten an der Rezeption. Mit Bedauern erklärt mir der noch anwesende Nachtportier, dass es noch keinen Kaffee gibt. Da müsste ich mich noch ein bisschen gedulden. Unschlüssig treten ich in den kalten Morgen. Immerhin finde ich noch ein paar Zigaretten in der Schachtel und stecke mir eine an. Das Nikotin beruhigt mich ein wenig. Koffein wäre besser, aber das kann ich jetzt nicht ändern.
Langsam gehe ich los, im Park um die Ecke werden meine Schritte aber länger. Ich werfe einen Blick auf das hohe Gebäude hinter mir, nur in wenigen Zimmern brennt schon Licht. Die meisten Gäste machen das, was man eben um diese Uhrzeit an einem Samstag auch tun sollte. Schlafen. Nein, es ist nicht Neid, nur ein wenig Frust.
Immerhin tut die Bewegung gut.
Die Kälte stört mich nicht. Sie kribbelt fast angenehm in meinem Gesicht. Hoffnungsvoll steure ich den Kiosk an, den ich gestern zufällig entdeckt hatte, aber auch der ist noch geschlossen. Alles scheint sich gegen mich verschworen zu haben.
Keine Menschenseele ist zu sehen, nur hier und da das entfernte Geräusch eines vorbeifahrenden Autos zu hören. Ich laufe gegen die Bilder in meinem Kopf und der dröhnenden Stille in mir an. An der rechten Schläfe macht sich hier und da ein Pochen bemerkbar, welches ich gut kenne. Es zeugt vom Schlafmangel, wird später in einen fiesen Schmerz übergehen und mich den Rest des Tages nicht in Ruhe lassen. Jetzt, in der klaren Luft, wird es sich einigermaßen in Schach halten lassen, aber spätestens im Flieger habe ich keine Chance. Da helfen auch die Schmerztabletten nur bedingt und ich verfluche diesen Tag jetzt schon. Er wird lang und eklig werden.
Nach einer Dreiviertelstunde gebe ich mich geschlagen. Nur langsam wird es heller, die Wolken hängen heute tief und die Sonne hat gegen das tiefe Grau keine Chance. Ich bleibe vor dem Hotel stehen, das Personal an der Rezeption hat mittlerweile gewechselt und es herrscht ein bisschen mehr Betrieb als vorhin. In einer Windgeschützen Ecke stecke ich mir die zweite Zigarette des Tages an und beobachte das Treiben von außen.
Mein Blick wandert zur Längsseite, dahinter versteckt sich das Restaurant. Vermutlich bekomme ich jetzt auch endlich einen Kaffee. Die Aussicht darauf hebt meine Stimmung deutlich an.
Als ich das Foyer betrete, kommt mein bester Freund auf mich zu. Er ist eingepackt wie im tiefsten Winter und er hält zwei große Becher in der Hand. Er grinst mich an.
"Hier, nimm. Lass uns ein Stück gehen", meint er ruhig. Verwundert sehe ich ihn an und nehme einen der umweltfreundlichen To-Go-Becher entgegen.
Wortlos folge ich ihm.
Erst vor der Tür nippe ich am Getränk. Er ist heiß und stark, schwarz wie ihn mag. Mit dem ersten großen Schluck kann ich die Lebensgeister spüren, die in meinem müden Körper stecken. Mit knappen Worten schildert mir mein Freund, dass er mich vorhin hat weggehen sehen und dann eins und eins zusammen gezählt hat. Er kennt mich gut, das ist ein Segen. Er erwartet jetzt nicht, dass ich die Schrecken der Nacht vor ihm auspacke.
Wir drehen nur eine kleine Runde, es reicht genau um den Kaffee zu trinken und ein paar Gedanken zu sortieren. Obwohl es fast nur um Belanglosigkeiten geht, nimmt es mir den Schatten, der sich heran geschlichen hatte. Ja, der Tag wird trotzdem lang, die Müdigkeit mich einholen und dennoch erscheint es mir jetzt nicht mehr so trüb. Dafür sind Freunde da. Ich bin nicht allein. Manchmal sind Kaffee und ein gutes Gespräch alles was man braucht. Coffe-to-go hat eine lange Tradition auf diesen Reisen. Und heute erinnert es mich rechtzeitig daran, dass ich den Fortgang des Tages selbst in der Hand hatte. Ich kann mich jetzt den Schattenbildern ergeben oder mich aber aktiv dagegen wehren. Ich entscheide mich für letzteres, eine reine Einstellungssache. So einfach kann es sein und so schwer zugleich.
Am Endes des Tages darf ich mich als Sieger fühlen. Die Dämonen hatten keine Chance, dem depressiven Angriff habe ich stand gehalten. In dieser Nacht, in einer Kopie des vorhingen Hotelzimmers, darf ich den Schlaf der Gerechten schlafen. Am nächsten Morgen revanchiere ich mich mit einem weiteren Kaffeespaziergang am Morgen. Diesmal aber lachen wir viel auf unserem Weg. Und die Sonne tut uns den Gefallen und lacht mit uns.