Start: 18:15 Uhr
Ende: 19:05 Uhr
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Der Schiedsrichter sah zur Uhr, dann zur Seitenlinie, nickte und hob die Hand zum Mund. Abpfiff.
Jubel brandete in der Kurve hinter dem Tor auf und vor ihm riss sein Mannschaftskamerad die Arme hoch und begann zu hüpfen. Aus allen Richtungen liefen die Spieler aufeinander zu, fielen sich in die Arme und er mitten drin.
Verdammt, das war knapp gewesen und verdammt, er liebte diesen Haufen.
Holger, der gerne ein einsamer Libero wäre und sich ungern an die Anweisungen zur Viererkette hielt.
Serkan, dessen linker Fuß eine Waffe war.
Ilija, der an guten Tagen zwei Elfmeter hielt und an schlechten schon beim Rückpass kapitulierte.
Volkan, eine echte Diva, aber auch ein Mittelstürmer der alten Schule.
Klaus, der in jungen Jahren im Nachwuchskader der Borussia gewesen war und heute noch damit prahlte.
Fabian, auf dem Feld ein beinharter Rechtsaußen, ansonsten Grundschullehrer aus Leidenschaft.
Nadir, der vor zwei Jahren ein Tor von der Mittellinie erzielt hatte und sich seither weigerte aufzurücken.
Boris, ihr bester Torschütze, aber darunter befanden sich auch vier Eigentore.
Jonas, sein Schatten und bester Freund, der immer eine Lücke zum Dribbeln fand.
Mirko, der jede Saison wettete, dass sie aufstiegen.
Nun sprangen sie im Kreis auf und ab, grölten irgendeinen Schlachtruf und nahmen eine erste Bierdusche über sich ergehen. Tatsächlich könnte man glauben, sie hätten endlich den Aufstieg in die nächsthöhere Kreisklasse geschafft.
Die knapp 100 Zuschauer feierten ebenfalls. Hauptsächlich ein paar Jugendliche und die deutlich erfolgreichere U21 sowie Angehörige. Die gegnerische Mannschaft und ihre Anhänger waren bereits verschwunden.
"Glückwunsch, Männer!" Die Pranke des massigen Trainers landete auf Martins Schulter, freudestrahlend sah er jedem Einzelnen ins Gesicht. Im Schlepptau hatte er die fünf Auswechselspieler. "Ich hab immer gesagt, wir packen das", meinte er zufrieden und ließe seine andere Hand auf Nadirs Schulter landen. "Und nächste Saison, da greifen wir richtig an!"
Martin unterdrückte ein Schmunzeln. Er kannte die Brandreden jetzt seit zehn Jahren, seitdem er für die alte Herren-Mannschaft auflief. Er fand den Begriff schwierig, irreführend. Mit knapp 30 hatten sie fast alle den Weg hier her gefunden.
"Deinen Optimismus möchte ich haben", lachte er und erntete Zustimmung von Boris und Klaus.
"Was denn?", entgegnete Ilija. "immerhin sind wir nicht abgestiegen."
Nein, das hatten sie heute, mit dem letzten Spiel das Saison und einem knappen 1:0 verhindert. Boris hatte ausnahmsweise früh das richtige Tor getroffen und die restlichen 80 Minuten hatten sie den eigenen Strafraum bewacht wie der Höllenhund Zerberus den Eingang zur Unterwelt.
Nun grinste auch Martin. "Saisonziel erreicht", bestätigte er und griff nach dem Bierglas, das die Runde machte.
"Nächstes Jahr steigen wir auf. Am letzten Spieltag. Und Boris macht fünf Buden", meinte Mirko mit einem Leuchten in den Augen.
"Wenn er die alle ins richtige Tor trifft, dann zahle ich eine Sonderprämie", ließ der Trainer verlauten. Er sah jeden Einzelnen an. "Und nun ab unter die Dusche, im Vereinsheim warten Würstchen und Bier."
Martin ließ die anderen ziehen, blieb für einen Moment allein auf dem Feld zurück. Seitdem er sechs Jahre alt war spielt er Fußball. Immer in diesem Verein. In der U15 waren sie Kreismeister geworden. Mit der U17 hatte sie die Endrunde des Kreispokals erreicht. Selbst während seines Studiums war er regelmäßig zum Training und zu den Matchs gefahren. Mit 25 hatte er sich den Meniskus verletzt, immer mal die Bänder gedehnt, einmal die Schulter ausgerenkt. Muskelfaserrisse, Knöchelverstauchungen und Prellungen hatten dazu gehört. Legendäre Auswärtsfahrten, Saisonabschlussausflüge und unterhaltsame Weihnachtsfeiern ebenso.
Doch jetzt, mit dann bald 40, war es an der Zeit. Er hatte es schon vor ein paar Wochen entschieden. Dies hier heute war auch sein letztes Spiel gewesen. Den Kameraden würde er es später sagen, auf der Grillfeier. Ein bisschen Wehmut war dabei, natürlich. Dem Verein würde er weiterhin als Jugendtrainer erhalten bleiben. Das machte ihm unglaublichen Spaß. Doch als Aktiver, das war vorbei. Langsam trabte er zu den Bänken, sah sich ein letztes Mal um, dann ging er bedacht in Richtung der Kabinen.