Start: 18:50 Uhr
Ende: 19:50 Uhr
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Kennt ihr den Geruch der Heimat?
Nach Zuhause?
Nach Geborgenheit?
Sicherheit und Ankommen?
Nichts riecht so vertraut, wie das Gemisch aus Holz, Tabak, Vanille und Rose. Gepaart mit den Düften aus der Küche meiner Mutter und dem Staub der alten Bücher unserer Bibliothek.
Nirgendwo fühle ich mich so aufgehoben und beschützt.
Wenig anderes gibt mir diese tiefe innere Ruhe.
Mit geschlossenen Augen sauge ich eben diesen vertrauten Geruch ein, sobald ich auch nur die Fußspitze über die Türschwelle meines Elternhauses setze. Er zieht sich durch alle Etagen, durch das Musikzimmer im Anbau bis hin zum Garten.
Egal wie durcheinander ich war, wie gestresst oder traurig, er gab mir Trost und Zuversicht. Denn hier kann mir einfach nichts passieren, hier kann ich mich fallen lassen. Weil mich hier etwas so besonderes auffängt. Die Herzenswärme meiner Eltern, die kraftgebende Umgebung und die Möglichkeit, so sein zu dürfen, wie ich eben bin.
Umzingelt von all dem kann ich mich verkriechen, ausweinen, Energie tanken und tiefe Ruhe finden. Hier kann ich immer wieder heilen, egal wie sehr die Wunden bluten oder die Seele schmerzt. Es ist mein Hafen, in dem ich das Boot vertauen kann, welches im Sturm des Lebens Schaden genommen hat. Ich kann bleiben, ohne mich zu erklären. So lange es braucht, um wieder in See zu stechen. In der Obhut der Gerüche und Geräusche flicke ich das Segel, bessere Risse aus und überlege mir eine bessere Route.
So wie ich Schweigen darf, ist mir jederzeit erlaubt mein Herz auszuschütten. Mit einem Vanilletee in der Hand hört mir meine Mutter zu, mit einer Pfeife im Mundwinkel erteilt mir mein Vater Ratschläge. Beim Bearbeiten vom Holz kann ich die weise Stimme meines Großvaters hören, der mir Zeit seines Lebens Mut vermittelt hat. Gehe ich durch den Rosengarten, sehe ich meine Großmutter vor mir und erinnere mich an ihre Güte. Und all das vereint sich, wenn ich mich alleine ans Klavier setze und meine Gefühle über eine Melodie auszudrücken versuche.
Es sind die Aromen meiner Kindheit und Jugendzeit. Pfeiler in meinem Leben, die nicht wanken. Selbst als ich mich aufgegeben hatte, pochten sie lautstark in meinem Kopf auf Beachtung.
Hier umgibt mich ein Wall aus Liebe und Stärke. Aus Glaube und Hoffnung. Hier hat mich nichts und niemand davon kommen lassen.
Noch immer kehre ich zurück, wenn das Gewitter meines Gemüts mich quält. Wenn die kleine Nussschale auf dem reisenden Strom einfach keinen Ankerplatz findet. Nur Folgerichtig habe ich, wenn auch viel zu spät erkannt, dass mich der Kompass nicht ohne Grund immer wieder hier hin führt. Warum mein Gefühl nur hier ganz klar ist.
Nur hier bin ich Zuhause.
Nur hier bin ich in Balance.
Ich mag mein Leben gerettet haben, aber überleben werde ich nur hier.
In der Welt drehe ich mich immer wieder im Kreis, verlaufe mich in mir selbst. Fange ständig von Vorne an. Stolpere nur orientierungslos auf die nächsten Klippen zu und kann sie nicht umschiffen.
Hier bringe ich zusammen, was mich ausgleicht, was mich heilt.
Die zarte Pflanze der Liebe, meines neuen Lebens und die kräftigen Wurzeln meines Seins. Ich möchte es hegen und pflegen, langsam großziehen und in seichten Gewässern das Segeln lehren. Bis alle Handgriffe sitzen und eine Wende kein unkalkulierbares Manöver mehr ist.
Den Gezeiten möchte ich trotzen, ihnen entgegenbrüllen, dass sie mir nichts anhaben können. Hier ist alles was ich brauche vereint und ich kann zurückgreifen auf fest verankerte Fertigkeiten. Weil hier nichts bebt, sondern ich fest mit beiden Beinen auf dem Boden stehe. Keine Planken, kein morsches Auffangnetz.
Und ich möchte es weitergeben. Es verschenken.
Das ist mir wichtig.
Und daher kehre ich diesmal zurück um zu bleiben.
Weil ich verstanden habe, dass weglaufen und die ewige Suche keine Option mehr sind, nicht das kurieren werden, was in mir lauert.
Zusammen werden wir hier wachsen, als Paar, als Familie.
Wir tragen es gemeinsam, sind voller Erwartung und Optimismus. Vorfreude und Spannung.
Ich blicke neben mich.
Aufregung und Neugierde in ihrem Gesicht.
Fröhlich wirft sie mir einen Blick zu, als wir die letzte Kreuzung passieren.
In mir toben so viele Gefühle.
Glück.
Liebe.
Freude.
Erleichterung.
Mit jedem Kilometer habe ich mich mehr entspannt.
Und nun wartet so viel Neues, so viel Linderung, so viel Neuanfang.
Schon passieren wir das Hoftor.
Natürlich werden wir erwartet, ungeduldig vermutlich.
Meine Frau, mein Engel und Lebensretterin, die beste Mutter für meine Kinder, steigt zuerst aus. Noch ehe meine Eltern uns erreichen, hat sie unsere kleine Tochter aus ihrem Sitz gehoben.
Zappelig springt auch mein Sohn aus dem Wagen.
Er bleibt einen Moment stehen und scheint auf mich zu warten.
Nur kurz habe ich mir ein Schnuppern erlaubt.
Für wenige Sekunden die Luft eingesaugt, den Hauch eines vertrauten Dufts erahnt.
Der Kleine nimmt meine Hand und kräuselt seine Nase.
Bei seinen nächsten Worte breitet sich so eine unglaubliche Rührung in mir aus, dass ich schwer schlucken muss.
"Riechst du das, Papa?", fragt er mich "Es riecht so gut. Nach Oma und Opa", erklärt er mir ernst. "So soll es immer riechen!"
Ja, wie recht er hat und dafür werde ich alles tun.
Denn hier sind wir alle Zuhause, hier können wir uns alle fallen lassen.
Von hier aus können wir die Welt entdecken, immer mit der Gewissheit, dass wir den besten Hafen haben, den man sich nur wünschen kann.
Umgeben von Holz, Tabak, Vanille und Rose.
Und ich weiß, dass neue Düfte dazu kommen werden.
Kokos - ihr liebstes Shampoo.
Kaffee - frisch gemahlen.
Flieder und Lavendel, die wir pflanzen werden.
Babyhaut.
Schokoladenpudding - die Leidenschaft von Mutter und Sohn.
Ich freu mich drauf.