Der Reisende (Ulrich Boschwitz), Januar 2022
Inhalt: Das Buch erzählt die Geschichte des Juden Otto Silbermann, der mit der Bahn in Flucht vor den Nazis quer durch Deutschland reist.
Eindruck/Gedanken:
Das Buch basiert auf Erfahrungen des Autors, der schon vor den Pogromen des Jahres 1938 aus Deutschland geflüchtet war, von diesen jedoch angeregt wurde, das Buch zu schreiben, um Zeugnis über die Verbrechen abzulegen. Doch so einfach gestrickt ist das Buch nicht, denn der Protagonist Otto Silbermann ist ein ambivalenter Charakter, der den namenlosen Opfern zwar Gestalt verleiht, aber eben auch Zerrissenheiten des Autors widerzuspiegeln scheint. Deutsche, die es sich leicht machen und mit dem Regime kooperieren oder es gar unterstützen, stehen Deutschen gegenüber, die Silbermann gar helfen. Der wiederum verachtet bisweilen seine Leidensgenossen, was ihn zwar wenig sympathisch macht, aber authentischer wirkt und die Abgründe aller Menschen offenbart. Seine belanglosen, wirren Gedanken zeigen, dass der Mensch komplex ist und nicht alles so einfach, wie es scheint. Nach und nach verliert Silbermann seinen Besitz, seine Würde und schließlich seinen Verstand auf dieser sinnlosen Flucht, bis er nicht mehr weiß, wer er ist. Er verliert seine Identität, wird zu einem Reisenden, „ein immer weiter Reisender“, dessen Charakter unbedeutend wird – dass er Jude ist, ist für das Regime, das ihn verfolgt, das einzig Relevante.