7. Neubeginn
Das Gebäude der zentralen Diensthundestaffel befand sich auf einem weiträumig ausgebauten und gut gesicherten Gelände am Dogweiler State Beach im nördlichen Territorium von Los Angeles, unweit des International Airports. Hier, zwischen der Millionen-Metropole und der Playa del Rey, an die sich Venice und Santa Monica in nördlicher Richtung fast nahtlos anschlossen, war das einzige Stück Strand zu finden, das noch nicht bebaut worden war.
Gut zwei Kilometer feinster, scheinbar unberührter Sandstrand erstreckte sich entlang der Küstenstraße mit dem schönen Namen Vista del Rey und beherbergte ein riesiges Ausbildungs- und Trainingszentrum für Polizeihunde. In dem dazu gehörigen Gebäude, einem langgestreckten, schneeweiß gestrichenen und teilweise aufgestockten Bau befand sich neben einigen Büroräumen und Bereitschaftsunterkünften unter anderem eine modern ausgestattete Praxis, in der die Diensthunde medizinisch betreut wurden. Im Nebenkomplex war eine zweite Tierarztpraxis eingerichtet, die für Hundebesitzer und deren Schützlinge aus der Zivilbevölkerung zu festgelegten Sprechzeiten zugänglich war, allerdings mit einem separaten Eingang, der nicht über das Gelände der Staffel führte.
Die Polizeihunde wurden, wenn die Umstände es erforderten und sie zeitweise nicht in der Familie ihres Hundeführers wohnen konnten, in modern und großzügig ausgestatteten Zwingern untergebracht und betreut, egal, ob sie sich noch in der Ausbildung befanden oder bereits im aktiven Dienst eingesetzt waren.
Ty passierte die Sicherheitsschranke des Staffelgeländes, wo ich mich zunächst beim diensthabenden Officer ausweisen musste und fürs Erste einen Besucherausweis ausgehändigt bekam.
Nach Erledigung dieser Sicherheitsvorkehrungen lenkte Ty sein Einsatzfahrzeug auf den großen Parkplatz direkt neben dem Gebäude. Während er einparkte, ließ er die Sirene auf dem Dach des Wagens einmal aufheulen. Kurz darauf verließ ein kleiner, fülliger Mann mittleren Alters in einem dunkelblauen Arbeitsoverall, der sich ziemlich eng um seine beachtliche Taille spannte, das Gebäude und kam geschäftig winkend auf uns zugeeilt.
„Schön, dass ihr da seid!“, strahlte er über sein rundes, wettergegerbtes Gesicht und klopfte Tyler zur Begrüßung kräftig auf die Schulter. Dann wandte er sich zu mir um und reichte mir seine Hand zum Gruß.
„Willkommen im Trainingszentrum, junge Frau! Ich bin Butch Dewargo, der Koordinator, der Hausmeister, der Sicherheitschef, die Hundemutti - wenn Sie so wollen, das berühmte Mädchen für alles.“
„Jessica Hausmann“, stellte ich mich meinerseits vor. „Bitte nennen sie mich Jess.“
Er musterte mich mit seinen freundlichen Knopfaugen und strich mit den Fingern durch sein schütteres, ergrautes Haar, das er nach hinten gekämmt trug.
„Entschuldigen Sie die direkte Frage, Jess. Sie sehen sehr jung aus. Sind Sie wirklich fertig ausgebildete Veterinärmedizinerin?“
„Ja, das bin ich“, erwiderte ich nicht ohne Stolz. „Meine Approbation ist mittlerweile genau drei Monate her.“
„Und Sie haben wo studiert?“
„In Dublin, Irland.“
„Die sind gut dort drüben auf der grünen Insel, verdammt gut“, nickte er sichtlich zufrieden. „Immer auf dem neuesten Stand.“
„Das hoffe ich doch. Ich hatte einen sehr guten praktischen Lehrmeister. Den besten, den man sich vorstellen kann.“
„Na dann… dem Himmel sei Dank! Nach Hanks Unfall ging es hier erst einmal ziemlich chaotisch zu. Unsere Hunde müssen vor und nach ihrem Training regelmäßig zum Check up, und die Veterinärmediziner der öffentlichen Praxis haben selbst alle Hände voll zu tun. Außerdem kennen sie unsere Tiere kaum. Dr. Allister hilft zwar hin und wieder drüben in der Gemeinschaftspraxis aus und arbeitet bei Operationen mit seinen Amtskollegen zusammen, aber im Trainingszentrum hat er gern alles selbst unter Kontrolle.“
Ich verstand. Sie wollten sich hier anscheinend nicht von den zivilen Veterinärmedizinern in die Karten schauen lassen, deshalb war es ihnen Recht, jemanden in Vertretung einzustellen, der ganz neu und nur für diesen Bereich zuständig war und wieder verschwinden würde, sobald Hank Allister zurück war.
Jemand wie mich…
Wie zur Bestätigung nickte Butch Dewargo mir freundlich zu und wies auf den Eingang des weißen Gebäudes.
„Gehen wir erst einmal hinein. Dort werde ich Ihnen alles in Ruhe erklären und Sie mit den Gegebenheiten vertraut machen.“
Während wir uns anschickten, den riesigen Parkplatz zu überqueren, knatterte aus Richtung LA ein Helikopter heran. Er kam schnell näher und begann im Tiefflug über unserem Terrain zu kreisen, als suche er genau hier in der Anlage nach einem Landeplatz. Irritiert blieb ich stehen und beobachtete, wie er sich beängstigend rasch tiefer und tiefer schraubte. Abgelenkt durch den Krach, den er dabei veranstaltete, unterbrachen wir kurz unser Gespräch.
„Das ist Coop!“, brüllte Tyler gegen den ohrenbetäubenden Lärm der Rotoren. Butch schirmte seine Augen mit der Hand ab, als er prüfend nach oben blickte. Er nickte und hob den Daumen zur Bestätigung dafür, dass mein Begleiter vermutlich Recht hatte.
„Fahr den Streifenwagen hinüber zum Haus, er braucht den Platz hier zum Landen!“, rief er ihm zu und forderte mich dann mit einer eindeutigen Handbewegung auf, ihm ins Gebäude zu folgen. „Kommen Sie, Jess, der wird hier gleich eine ordentliche Staubwolke aufwirbeln. Wir sollten uns drinnen weiter unterhalten!“ Er nahm meinen Arm und führte mich im Laufschritt quer über den Platz hinüber zum Haupteingang.
Mit einem letzten Blick über die Schulter registrierte ich, wie der schmucke, dunkelblaue Helikopter mit den rotweißen Seitenstreifen im Design der US-Flagge exakt dort zur Landung ansetzte, wo Butch und ich soeben gestanden hatten.
„Macht der mit seinem Getöse nicht die Hunde nervös?“, fragte ich beunruhigt, als sich die Tür hinter uns schloss und wir uns wieder normal unterhalten konnten, ohne uns wegen des Lärms draußen gegenseitig anzubrüllen. Der Koordinator winkte lachend ab und wies auf eine Sitzgruppe, bestehend aus vier Stühlen und einem alten, massiven Schreibtisch, der so vollgepackt mit Papierkram war, dass er trotz seiner dicken Holzplatte unter der Last der sich darauf stapelnden Papiere und Akten jeden Augenblick zusammenzubrechen drohte. „Die sind daran gewöhnt, dass Coop den Vogel ab und zu mal hier abstellt“, erklärte er und trat zu dem Schränkchen neben der Spüle in der Ecke des Büros, wo ein großer Kaffeeautomat stand. Erwartungsvoll hob er die Kanne an und nickte dann zufrieden. „Ist noch heiß. Wie trinken Sie Ihren Kaffee?“
„Schwarz bitte.“ Zögernd nahm ich Platz und sah mich kurz in dem recht schmucklosen Zimmer um, das hier offensichtlich als Büroraum diente. Neben der Spüle war ein altes zerschlissenes Sofa platziert, das aussah, als wäre es der Lieblingsplatz der vierbeinigen „Auszubildenden“. Gleich daneben standen eine alte Anrichte und zwei große, schmucklose Regale, bis zum Rand vollgestopft mit Aktenordnern. Über der Anrichte hing ein riesiger Flatscreen, mit Sicherheit das mit Abstand modernste Teil in diesem Raum. Die einzige Grünpflanze, die mitleiderregend eingequetscht zwischen den Papieren mit hängenden Blättern vor sich hindümpelte, bestätigte meine Vorahnung, dass sich dieses Terrain bisher ausschließlich in Männerhand befunden hatte.
Die gegenüberliegende Wand zierte eine überdimensionale Landkarte, die vermutlich das unmittelbare Einsatzgebiet der Hundestaffel aufzeigte. Verschiedene Punkte waren darauf mit leuchtend roten, andere wiederum mit grünen Pins gekennzeichnet. An einer Pinnwand gleich daneben hingen unzählige Fotos und Zeitungsausschnitte, die vorwiegend Polizisten mit ihren Hunden zeigten. Zu meinem Erstaunen entdeckte ich auf einem der Fotos den auffälligen Helikopter von eben.
„Gehört der Pilot auch zur Polizei?“, fragte ich Butch, der mit zwei gefüllten Kaffeebechern an den Tisch trat und einen davon vor mir abstellte.
Er folgte meinem Blick hinüber zu dem Foto, wiegte den Kopf und überlegte kurz.
„Na ja, in gewisser Weise schon… Er arbeitet gelegentlich für uns und fliegt ab und zu auch mal Einsätze, aber nicht mit diesem Helikopter. Der ist sein Privateigentum.“
„Also kein richtiger Polizist?“, hakte ich neugierig nach.
„Ja und nein…“, erwiderte der Koordinator vage und wechselte dann rasch das Thema. „Haben Sie eigentlich bisher schon praktische Erfahrung mit Hunden?“
„Ich habe mehrere Praktika hindurch abwechselnd in einer großen Klinik in Dublin und in einer privaten Tierarztpraxis im Raum Kerry gearbeitet, zeitweise auch draußen in den Ställen. Dort haben wir alles behandelt, was vier Pfoten oder Federn hat. Außerdem war ich ein halbes Jahr im OP-Bereich der Uniklinik eingesetzt.“
„Mh…“ Nachdenklich rieb der ältere Mann sein wettergegerbtes Kinn. „Die Arbeit hier wäre allerdings etwas anders als in so einer Klinik.“
„Das ist mir schon klar. Sagen Sie mir einfach, was ich zu tun hätte, dann werde ich entscheiden, ob das meinen Vorstellungen entspricht.“
„Das ist der springende Punkt, Jessica.“ Wieder strich er über sein Kinn, als würde er jedes Wort genau abwägen. „Es geht hier weniger darum, ob Ihnen die Arbeit liegt, sondern vielmehr, ob Sie der Arbeit liegen.“
Ich sah ihn fragend an, und er lächelte, als müsse er sich entschuldigen.
„Nun, wie schon erwähnt, Sie werden ausschließlich mit Hunden arbeiten, und zwar mit ganz besonderen Hunden. Und da kann es durchaus möglich sein…“
„Red` nicht um den heißen Brei, Butch, das tust du doch sonst auch nicht“, ertönte eine Stimme von der Tür her. Der Pilot des Helikopters hatte, gefolgt von Tyler, den Raum betreten, ohne dass wir ihn bemerkt hatten. Im Gegensatz zu Ty, der sich sofort zu uns gesellte, blieb er zunächst an der Tür stehen und lehnte sich lässig gegen den Rahmen, während er langsam den Gurt seines Helmes öffnete. Groß, schlank und gut gebaut stellte er in seinem schmucken, schwarzen Flieger-Overall eine ziemlich bemerkenswerte Erscheinung dar, und ich hätte wetten können, dass er sich dessen genau bewusst war, denn obwohl er noch Sonnenbrille und Helm trug, und ich sein Gesicht nicht sehen konnte, strahlte er ein unbändiges Selbstbewusstsein aus, das in meinen Augen schon fast überheblich wirkte. Während er sich in aller Ruhe am Gurt seines Helmes zu schaffen machte, fügte er ohne Umschweife hinzu: „Fakt ist, wenn die Hunde Sie nicht mögen, Lady, werden Sie in den Arsch gebissen und vom Platz gejagt, ohne Wenn und Aber!“
Seine markante Stimme, sowie die Tatsache, dass er mich mit „Lady“ ansprach, ließen mich unwillkürlich aufhorchen. Das kam mir sehr bekannt vor. Ich stellte den Kaffeebecher ab und sah etwas genauer hin.
Den Helm lässig unter den Arm geklemmt, die Sonnenbrille in der Hand trat der Pilot näher und grinste mich geradezu unverschämt an.
Mir stockte der Atem.
„Also das glaube ich jetzt nicht… Sie… Sie sind…“
Die Erkenntnis, wen ich da vor mir hatte, nahm mir glatt für einige Sekunden die Luft.
Butch und Tyler sahen erstaunt von einem zum anderen.
„Kennt ihr euch?“
Ich hatte mich einigermaßen gefasst und nickte nicht gerade erfreut.
„Das kann man wohl sagen. Allerdings sah er bei unserem Zusammentreffen ein klein wenig anders aus…“ Ich zögerte mit meiner Beschreibung, doch als ich sah, wie herausfordernd er mich anblinzelte, konnte ich nicht widerstehen, ihn zu provozieren. Wenigstens das hatte er verdient, denn mein Knie schmerzte noch immer. „Nun ja… wie soll ich sagen… er war… ziemlich verwahrlost!“
Insgeheim hoffte ich, der Seitenhieb hätte gesessen, doch der Typ grinste nur noch breiter.
„Ich hätte wissen müssen, dass Sie eine Brille braucht, so blind wie sie durch die Gegend getobt und mir in die Beine getreten ist!“
„Ich habe Sie nicht getreten, ich bin über Ihre langen Stelzen gestürzt, weil Sie die Dinger mitten auf den Gehweg gestreckt hatten!“
„Moment mal…“, unterbrach mich Tyler mit ungläubig zusammengezogenen Augenbrauen. „Willst du etwa damit sagen, er ist der Penner, über den du…“
„Ja, genau das will ich damit sagen.“
„Also das ist doch…“ Die Erkenntnis des eben Gehörten brachte ihn dazu, völlig unkontrolliert loszuprusten, und zu meinem Unbehagen stimmte der Kerl im Piloten-Overall Sekunden später unverschämter Weise in sein Gelächter ein.
„Was gibt’s denn da zu lachen, verdammt?“
„Sorry Jess…“ Vergeblich versuchte Tyler sich zu beruhigen, kam zu mir herüber und legte in freundschaftlicher Geste den Arm um meine Schultern. „Oh Mann, das ist so krass!“
Er atmete tief durch und hatte sich einige Sekunden später endlich wieder unter Kontrolle. „Darf ich euch erst einmal einander vorstellen: Jessica Hausmann, unsere voraussichtlich neue Veterinär-Medizinerin, die sich hoffentlich ab sofort um unsere Hundestaffel kümmern wird. Zumindest so lange, bis Hank nach seinem Unfall wieder einsatzfähig ist. Jess, der „Penner“ hier ist Dean Cooper, einer unserer besten privaten Ermittler beim LAPD. Er arbeitet meistens Undercover, so wie an dem Tag, als du über seine… ähm… als ihr euch zufällig begegnet seid.“
Versöhnlich grinsend streckte mir der „Penner“ nun die Hand entgegen.
„Eigentlich sollte ich sagen: Sehr angenehm, aber das war unser erstes Zusammentreffen nun eher nicht, oder?“
Ich ignorierte seine versöhnliche Geste und maß ihn stattdessen mit einem finsteren Blick.
„Dass ich mir wegen Ihnen fast das Genick gebrochen hätte, war in der Tat alles andere als angenehm. Ich hätte damals auch nicht gedacht, dass Ihr unfreundliches Verhalten noch zu toppen wäre, aber beim zweiten Zusammentreffen haben Sie mich dann sehr schnell eines Besseren belehrt.“
Tyler klappte der Unterkiefer herunter.
„Ihr habt euch nochmal…“
„Als wir zusammen essen waren und du dienstlich weggerufen wurdest, da habe ich Jad auf der anderen Straßenseite gesehen und nur versucht, höflich nachzufragen, wie es seiner Pfote inzwischen geht. Dieser unmögliche Mensch hat mich davongejagt und hätte am liebsten noch seinen Hund auf mich gehetzt.“
Die Augen aller Anwesenden richteten sich daraufhin empört auf Dean Cooper, der nur gleichgültig die Schultern hob.
„Was zum Teufel sollte ich denn machen, wenn sie mir mitten in eine Observation platzt!“
„Obser… was?“
„Observation!“, wiederholte Cooper und bedachte mich mit einem spöttischen Blick. „So nennen wir es für gewöhnlich, wenn wir jemanden beobachten oder beschatten. Ich denke, Sie haben studiert?“
Ich ignorierte diese erneute Unverschämtheit und atmete tief durch.
„Und wo ist Jad jetzt?“
„Bei mir zu Hause.“
„Ecke Mainstreet, oder was?“
„Jetzt hört schon auf und vertragt euch!“, mischte sich Butch ein und legte Cooper versöhnlich die Hand auf die Schulter. „Ich schlage vor, wir trinken einen Kaffee zusammen, und ihr beide macht einen Neuanfang.“
Unsere Blicke zeigten offensichtlich wenig Interesse an Letzterem, und Butch grinste vielsagend. „Ich würde euch dringend dazu raten, denn falls Jessica hier arbeitet, dann werdet ihr euch wohl oder übel öfter über den Weg laufen.“
„Falls sie hier arbeitet…“, erwiderte Cooper gedehnt, ließ sich dennoch auf einen der Stühle fallen und streckte seine langen Beine unter den Tisch. „Darüber entscheiden unsere Kollegen mit den vier Pfoten. Sie haben bei Frischlingen das letzte Wort. Und soviel ich weiß, hat bisher noch niemand die Jungs gefüttert, also sehen Sie sich besser vor!“
Ich nahm einen Schluck Kaffee und beschloss, Cooper für den Rest unseres Gespräches einfach zu ignorieren. Was allerdings nicht einfach war, denn er saß mir genau gegenüber und ließ mich nicht aus den Augen. Sein überhebliches Grinsen schien ihm geradezu ins Gesicht gemeißelt. Aber ich sagte mir, dass ich in der Vergangenheit schon mit ganz anderen Typen fertig geworden war und wandte mich mit einem freundlichen Lächeln an Butch.
„Wer arbeitet außer mir noch hier?“
„Zwei Tierärzte führen die Gemeinschaftspraxis nebenan. Im Notfall helfen sie hier mit aus, was allerdings sehr selten der Fall ist. Umgekehrt wird es allerdings öfter vorkommen, dass man Ihre Hilfe drüben benötigt. Vor allem bei anfallenden OPs ist eine helfende Hand wichtig. Der OP-Bereich liegt in der Mitte zwischen den beiden Praxen und steht zur gemeinsamen Nutzung zur Verfügung. Für geplante OPs wird ein Dienstplan erstellt, bei Notfällen haben immer zwei von Ihnen Bereitschaftsdienst.“
Ich nickte erleichtert.
„Vielleicht können wir auch hin und wieder einen Praktikanten einspannen.“
Butch grinste.
„Da hat Hank Allister leider so seine Prinzipien. Er meint, es reicht, wenn die Hunde in der Ausbildung sind. Er könne dann nicht auch noch auf einen Praktikanten aufpassen. Aber trotz allem werde ich Ihren Vorschlag gerne weitergeben.“ Er machte sich eine Notiz in das abgegriffene Buch, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag. „Während Ihrer Dienstzeit wird Hanks Assistentin Paloma Sie jederzeit tatkräftig unterstützen. Sie arbeitet bereits seit zwei Jahren für ihn und macht ihre Sache wirklich gut. Sie ist fleißig und zuverlässig, und die Hunde mögen sie. Leider kann ich Sie einander heute noch nicht vorstellen, da sie einen dringenden Termin hatte, aber morgen früh wird sie pünktlich wie jeden Tag da sein.“
„Keine Sorge, ich habe Paloma bereits kennengelernt“, erwiderte ich.
„Die Mädels haben gestern Abend mit ihrem Auftritt das „Bubbas“ aufgemischt“, verriet Tyler lachend. „Zu unserem Glück war kein Musik-Produzent anwesend, sonst hätten die beiden Gesangstalente bereits einen Vertrag in der Tasche.“
„Was es nicht alles gibt!“, staunte Butch sichtlich beeindruckt. Außerdem fing ich mir einen Blick von Dean Cooper ein, den ich beim besten Willen nicht deuten konnte. Warum auch? Was er dachte, war mir schlichtweg egal.
„Okay. Und wie viele Hunde gehören zur Staffel?“, nahm ich das eigentliche Thema unbeirrt wieder auf.
„Die zentrale Diensthundestaffel für das Gebiet von Nord-LA bis Santa Monica besteht aus rund fünfzig Hunden und Hundeführern“, erklärte Butch eifrig. „Es gibt Personensuchhunde, Rauschgift-, Sprengstoff- und Leichenspürhunde, und auch Spürhunde für Banknoten. Sie alle werden hier bestens ausgebildet und müssen mehrere Prüfungen bestehen, bevor sie in den aktiven Polizeidienst übernommen werden. Man sagt, dass ein Hund mindestens so gut wie fünf Polizeibeamte arbeitet.“ Er schmunzelte über mein erstauntes Gesicht. „Ich weiß, was Sie denken. Natürlich kann der Hund nicht alles, was ein Beamter kann, doch er hat im Gegenzug dazu auch einige besondere Fähigkeiten, die ein Polizist nicht hat. Es kommt immer auf den Einsatz an.“
„Welche besonderen Kriterien muss ein guter Polizeihund erfüllen?“, fragte ich interessiert.
„Die Hunde, die eine Polizistenlaufbahn einschlagen, durchlaufen alle eine genau festgelegte Ausbildung. Oftmals stellt sich erst nach Monaten heraus, ob ein Hund für den Dienst geeignet ist oder nicht.“
„Sie meinen, an seinem Verhalten?“
„Genau. Ein in seinem Wesen eher unterwürfiger Hund würde den hohen Anforderungen nicht standhalten, ebenso wie einer, der zu ängstlich ist oder sich zu leicht ablenken lässt.“
„Jad hat sich nicht ablenken lassen“, erinnerte ich mich. „Er hat mich angeknurrt, weil er einen Befehl hatte, und ich ihn gestört habe.“
„Kluges Mädchen“, grinste Cooper. „Jad ist ein verdammt guter Partner. Auftrag ist Auftrag, da kennt er nichts.“
Ihn auch weiterhin ignorierend, führte ich mein Gespräch mit Butch unbeirrt fort.
„Und was geschieht mit den als untauglich befundenen Hunden?“
„Sie werden an den jeweiligen Züchter zurückgegeben. Das ist von vornherein so vereinbart.“
„Aber für den Hund nicht unbedingt schön, oder?“
„Unsere Hunde werden dazu ausgebildet, gegebenenfalls Menschenleben zu retten, da können wir keine Rücksicht auf die Gefühle eines sensiblen Welpen nehmen“, mischte sich Cooper abermals ein.
„Was wissen Sie denn schon von Rücksichtnahme und Gefühlen?“, erwiderte ich mit einem nicht gerade freundlichen Seitenblick.
„Uuuh…“, versuchte er mich erneut zu provozieren. Als ich nicht darauf reagierte, lehnte er sich grinsend zurück und fuhr sich mit den Fingern durch sein widerspenstiges, aber diesmal zumindest sauber glänzendes dunkles Haar. „Vorsicht Leute, gleich holt sie die Peitsche raus!“
„Coop, benimm dich, verdammt nochmal!“, tadelte Butch und blitzte den Piloten über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg warnend an. Sichtlich unbeeindruckt hob dieser die Schultern.
„Was denn, sie hat doch angefangen zu stänkern!“
Mein Mittelfinger zuckte gefährlich, doch ich behielt die Ruhe und wandte mich scheinbar unbeirrt weiter an Butch.
„Wann erkennt man, ob ein Hund geeignet ist?“
„Grundsätzlich beträgt die Grundprobezeit zwischen vier und acht Wochen, aber wie schon gesagt, manchmal kann man wirklich erst nach Monaten intensivem Training beurteilen, ob der Hund wirklich geeignet ist“, erwiderte der Koordinator und nahm einen Schluck Kaffee. „Selbst die besten und erfahrensten Hundeführer können zu Anfang nie wissen, wie ein Hund sich während der Ausbildung entwickelt, ob er wirklich Talent hat, oder ob er in gewissen Situationen panisch reagiert.“
„Und welche Eigenschaften sollte ein guter Polizeihund aufweisen?“
„Unbedingte Bewegungssicherheit, einen gesund ausgeprägten Spieltrieb…“, begann Butch an seinen Fingern abzuzählen. „Außerdem sollte der Hund unbefangen, mutig, umgänglich und aufmerksam sein. Und was das Wichtigste ist: sein zweibeiniger Partner muss sich in jedem Falle auf ihn verlassen können!“
„Wie viele Hunde sind hier auf dem Trainingsgelände untergebracht?“
„Ungefähr ein Viertel der Staffel, immer so zwischen fünfzehn und zwanzig. In der Regel wohnen die Hunde bei ihrem Hundeführer, aber das ist leider nicht in jedem Fall möglich. “
„Okay.“ Ich trank den letzten Schluck Kaffee aus und nickte Butch mit einer Entschlossenheit zu, die mich momentan selbst überraschte. „Ich würde gern mit dem Rundgang beginnen, um mich mit allem vertraut zu machen. Schließlich wäre eine Einarbeitungszeit durch den Unfall von Ihrem Kollegen schlecht möglich.“
Der Koordinator nickte.
„Ich zeige Ihnen alles, und wenn Sie einverstanden sind, und wenn alle Formalitäten geklärt sind, würde Ihr Dienst bereits morgen beginnen.“
Eilig griff ich nach meiner Tasche und erhob mich.
„Na dann los“, sagte ich mit einem letzten giftigen Blick auf Mister „Undercover“.
„Ich möchte so schnell wie möglich herausfinden, ob die anwesenden Hunde ebenfalls einverstanden damit sind.“
Was soll ich sagen?
Die Hunde waren einverstanden. Nicht ein einziger von ihnen knurrte oder bellte mich an, als wir Zwinger für Zwinger öffneten. Butch nahm seine Aufgabe sehr genau, er stellte mir die derzeit anwesenden vierbeinigen Cops der Reihe nach vor, als würde er mich mit einer Einheit der Polizei bekannt machen. Und irgendwie war das ja auch so. Brav saßen sie da, beäugten mich interessiert und beschnupperten die dargebotene Hand. Auf Butchs Aufforderung hin hoben sie artig eine Vorderpfote zur Begrüßung. Ich hatte noch nie so viele Hundepfoten an einem Tag geschüttelt und gab meinen Einstand mit einem Leckerli für jeden von ihnen, doch genau wie Jad wartete jeder einzelne Hund erst die Zustimmung des Ausbilders ab, bevor er es annahm.
„Sie sind gut, Jessica!“, lobte mich Butch anerkennend. „Sie haben keine Angst vor ihnen, deshalb respektieren sie Sie sofort.“
„Vielleicht zeige ich meine Angst nur nicht“, versuchte ich ihn herauszulocken, doch er schüttelte lächelnd den Kopf.
„Die Jungs würden Ihre Angst zehn Meilen gegen den Wind wittern, glauben Sie mir.“
„Eine der Eigenschaften, die sie ihren menschlichen Kollegen voraushaben.“
Butch nickte und graulte den Schäferhund, den gerade vor ihm saß und vertrauensvoll zu ihm aufsah, zwischen den Ohren.
„Hunde sind in jedem Fall die besseren Schnüffler. Sie können regelrecht wittern, wenn etwas in der Luft liegt. Jemand, der überraschend angreift oder sich anschleicht, hat keine Chance. Ausgebildete Rauschgifthunde zum Beispiel sind in der Lage, alle Arten von Drogen selbst in den geheimsten Verstecken aufzuspüren. Und dann gibt es noch die Mantrailer.“
„Ich nehme an, das sind die Hunde, die dazu ausgebildet wurden, bestimmte Personen zu finden“, mutmaßte ich, und Butchs Nicken bestätigte meine Vermutung.
„Es genügt ein Kleidungsstück, ein Gebrauchsgegenstand, manchmal sogar nur ein paar Hautschuppen, um die Spur eines Flüchtigen oder Vermissten zu verfolgen, egal wo.“
Beeindruckt blickte ich auf den Hund vor mir.
„Bist du so einer, ein Mantrailer?“
„Er nicht. Er hat eine weniger schöne, aber dennoch ungeheuer wichtige Aufgabe. Garry ist ein Leichenspürhund. Er findet Blut- oder andere Spuren, die zwar für das menschliche Auge unsichtbar sind, für seine feine Nase jedoch kein Problem darstellen. Und sein Nachbar hier…“ Er wies auf den Hund im Nebenzwinger, der bereits die ganze Zeit erwartungsvoll durch die Gitterstäbe äugte und sich erfreut erhob, als Butch endlich die Tür öffnete, nachdem er Garry wieder in seinen Zwinger gebracht hatte. „Das ist Curt, der hat in unserer Staffel einen bombensicheren Job. Er ist einer unserer Sprengstoff-Experten.“
„Hallo Curt!“ Auch hier bekam ich eine Pfote und wurde ein Leckerli los, nachdem der Koordinator sein Okay gegeben hatte. „Ist es nicht gefährlich für den Hund, wenn er Sprengstoff findet?“ fragte ich besorgt.
„Er findet ihn ja nur, aber er bekommt gelernt, dass er ihn nicht berühren darf. Das überlässt er seinen zweibeinigen Kollegen von der Sprengstoffeinheit. Er setzt sich vor seinen Fund, starrt diesen an und wartet, bis er abgelöst wird. Glauben Sie mir, Jessica, das rettet gegebenenfalls nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Mitmenschen.“
Als wir den Zwingerbereich verließen, war ich tief beeindruckt.
„Sie sind allesamt erstklassig erzogen.“
„Das müssen sie“, nickte Butch. „Nur so funktioniert die Sache.“
Wenn ich gehofft hatte, Dean Cooper an diesem Tag nicht mehr zu begegnen, so hatte ich mich leider geirrt. Als wir das Büro wieder betraten, fanden wir ihn in angeregtem Gespräch mit Tyler und einem anderen Polizisten, den Butch mir sogleich als Officer Spencer, einen der Hundetrainer, vorstellte.
„Na, der Hintern noch heil, Lady?“, fragte Cooper und maß mich grinsend von oben bis unten.
„Aber sicher doch“, erwiderte ich und grinste triumphierend zurück. „Hunde sind kluge Tiere. Deshalb ist es genauso, wie ich erwartet hatte: Sie lieben mich –alle.“
„Hab` ich dir doch gleich gesagt“, lachte Tyler.
Butch nickte zustimmend.
„Sie hat keine Angst vor ihnen, das ist gut“, bestätigte er anerkennend und wandte sich erwartungsvoll zu mir um. „Und was sagen Sie, Jessica? Können wir die nächsten Wochen auf ihre Hilfe zählen?“
Ich hatte die Frage erwartet. Dennoch zögerte ich noch einen winzigen Augenblick.
„Dr. Allister macht das hier schon sehr lange und ist mir sicher mit seiner Erfahrung und vielen anderen Dingen meilenweit voraus.“ Mein Blick suchte den von Ty. Er blinzelte mir aufmunternd zu, und ich spürte plötzlich eine so tiefe Entschlossenheit, wie schon lange nicht mehr. Mein Instinkt signalisierte mir unmissverständlich, dass ich auf dem richtigen Weg war. Herz und Verstand waren sich einig. „Aber dennoch... Ja, ich werde versuchen, ihn so gut es geht zu vertreten, bis er wieder völlig gesund ist“, sagte ich zuversichtlich.
Butch strahlte wie ein Kind an Weihnachten. Er nahm meine Hand in seine Pranke und schüttelte sie ausgiebig.
„Willkommen in der Diensthundestation, Jessica! Auf eine gute Zusammenarbeit!“
Als Tyler und ich uns nach einem ausführlichen Rundgang durch die Praxisräume und den OP-Bereich von Butch verabschiedeten, fiel mir noch etwas ein.
„Ähm… da wäre nur noch eine Kleinigkeit…“
„Oh ja, natürlich!“ Der Koordinator nickte dienstbeflissen. „Sie meinen sicher Ihr Gehalt. Aber darüber müssen Sie mit dem Chief Director reden. Darin hat er das letzte Wort.“
„Nun, ich denke, er wird mir dazu sicher noch genau Auskunft geben, wenn ich meinen Vertrag unterschreibe“, beeilte ich mich zu sagen. „Aber ich habe ein anderes Anliegen. Momentan schlafe ich bei Tyler und Shemar auf dem Sofa, da in ganz Santa Monica kein einziges freies Zimmer zu bekommen ist. Kurz gesagt: Ich brauche unbedingt eine Bleibe. Haben Sie eine Idee?“
Butch überlegte nicht eine Sekunde.
„Gar kein Problem. In der oberen Etage befinden sich mehrere Bereitschaftszimmer. Die Kollegen übernachten gelegentlich hier, wenn außergewöhnliche Einsätze anstehen, und auch der Doc nutzt sein Zimmer ab und zu, wenn es zu spät wird, um noch heimzufahren. Ich werde Paloma sagen, dass sie einen der Räume für Sie herrichten soll. Dann können Sie hier in der Station so lange wohnen, bis Sie etwas Passendes gefunden haben.“
Erleichtert atmete ich auf.
„Das ist toll, vielen Dank! So muss ich wenigstens nicht mit dem Bus hin- und herfahren.“
„Mit dem Bus?“ Butch stutze und schlug sich dann mit der flachen Hand an seine Stirn. „Oh, das hätte ich fast vergessen! Sie bekommen natürlich für die Zeit Ihres Aufenthaltes hier bei uns einen Dienstwagen gestellt. Hanks Jeep kann ich Ihnen zwar nicht mehr anbieten, der ist leider nur noch Schrott, und für einen Neuwagen reicht unser Budget bei weitem nicht. Aber ich rede mit dem Chief, und ich denke, ein gepflegter Gebrauchter ist sicher drin.“
„Brauchst dich nicht extra zu bemühen, Butch“, erklang die mir inzwischen nur zu gut bekannte Stimme Dean Coopers hinter uns. „Sie kann meinen Jeep haben, solange sie hier ist. Momentan brauche ich ihn nicht.“
„Soll ich mich jetzt in tiefer Dankbarkeit verneigen, Mister?“, fragte ich sarkastisch.
„Nicht nötig, Süße. Schließlich sind Sie mir schon einmal vor die Füße gefallen, das sollte fürs Erste reichen“, erwiderte er im gleichen Tonfall. „Ich hoffe nur, Sie bringen mir den Wagen vor Ihrer Abreise irgendwann in einem Stück zurück.“
„Solange keine observierwütigen Vermittler am Wegrand herumlungern und ihre Beine mitten auf die Straße strecken, dürfte das kein Problem sein“, konterte ich ärgerlich.
Butch räusperte sich laut und vernehmlich, und aus dem Hintergrund des Raumes erklang verhaltenes Lachen.
„Oh oh…“, ließ sich Ty vernehmen. „Das verspricht ja noch sehr interessant zu werden!“