20. Allein zu zweit
Nach einer guten halben Stunde waren Ramon, Jad und ich endlich auf dem Heimweg nach Bel Air. Ich bin normalerweise ein sehr souveräner Fahrer, aber an diesem Abend war ich nicht sicher, wer von uns zuverlässiger gefahren wäre: Ramon nach seinen zwei Bier, oder ich nach meinem Gefühlschaos mit Obermacho Cooper. Aber irgendwie schaffte ich es dann doch, den Jeep mitsamt seinen Insassen sicher bis zur Villa zu bringen.
Unterwegs berichtete ich Ramon von meinem Streit mit Coop, wobei ich allerdings den intensiv zärtlichen Teil geflissentlich ausließ.
„Er vertraut mir einfach nicht“, beschwerte ich mich ungehalten. „Jede seiner Fragen klingt wie ein Verhör. Und das macht mich wütend. Ich kann doch nichts dafür, dass mein Ex so ein Mistkerl ist. Den einzigen Vorwurf, den man mir machen kann, ist der, dass ich furchtbar naiv war, was Jim betraf.“
„Du solltest dir sein Verhalten nicht so zu Herzen nehmen, Jess“, erwiderte Ramon. Da wir gerade an einer roten Ampel warten mussten, drehte ich den Kopf und sah das seltsame Lächeln auf seinem Gesicht. „Dean ist manchmal sehr... speziell. Da kommt wohl der Ermittler in ihm durch. Aber ich bin sicher, er meint es nicht so. Zumindest bei dir.“
„Wie kommst du darauf?“
„Nun, er hat immer wieder von dir gesprochen, seit du das erste Mal aufgetaucht bist“, verriet er mir mit einem Augenzwinkern. „Und zwar auf eine Art, die uns wirklich neugierig gemacht hat.“
„Gab es vorher keine Frauen?“
„Oh doch, die gab es mit Sicherheit. Aber er hat nie von ihnen erzählt, geschweige dann, eine von ihnen je mit nach Hause gebracht. Du bist die erste, seitdem…“ Er unterbrach sich selbst und räusperte sich verlegen, doch meine Neugier war geweckt.
„Seitdem was?“
„Das solltest du ihn vielleicht selbst fragen, Jess. Oder unterhalte dich mit Celia. Sie kann dir das mit Sicherheit besser erklären als ich.“
„Was ist nur mit ihm los, Ramon?“, rätselte ich weiter und hob ratlos die Schultern, während ich den Jeep in die Abbiegespur lenkte und die nächste Ausfahrt nach Bel Air nahm. „Sobald von Gefühlen die Rede ist, macht er zu wie eine Auster!“
„Na ja, wie gesagt, frag ihn einfach, wenn sich die Gelegenheit bietet. Vielleicht tut es ihm ja gut, darüber zu reden.“ Mehr war aus meinem Begleiter nicht herauszuholen, und kurz vor dem Ziel war er neben mir eingenickt und schnarchte leise.
Celia erwartete uns bereits an der Haustür. Als ich ausstieg, sah ich auch Coopers Helikopter auf dem Landeplatz stehen. Jad sprang aus dem Wagen, flitzte bellend hinüber, umkreiste den Heli dreimal in Rekordgeschwindigkeit und kam wieder zurück.
„Er war also schon hier?“, fragte ich erstaunt.
Die Haushälterin nickte aufgeregt.
„Als er hörte, dass ihr noch nach Santa Monica hinübergefahren seid, hat er den Mustang genommen und ist er gleich wieder los. Habt ihr euch denn nicht getroffen?“
„Doch, haben wir. Aber nur kurz“, erklärte ich eilig. „Er musste noch zu einem Gespräch mit seinem Vorgesetzten. Sobald er dort fertig ist, kommt er nach.“
„Das ist gut, dann bist du nachher wenigstens nicht allein im Haus“, nickte Celia zufrieden.
„Wieso allein?“, fragte ich erstaunt, denn bisher hatten sie und Ramon das Haus abends nicht ein einziges Mal verlassen. „Wollt ihr noch ausgehen?“
„Wir fahren für ein paar Stunden nach San Diego. Meine Schwester hat heute Geburtstag.“
„Oh… bitte entschuldige, Celia!“, rief ich, ehrlich entsetzt darüber, dass die beiden nun sicher viel zu spät zur Geburtstagsparty kommen würden. „Das muss Ramon total vergessen haben!“
„Ist nicht weiter schlimm“, winkte die Haushälterin lächelnd ab. „Wir haben ja noch den ganzen Abend vor uns, also mach dir keine Gedanken. Wir werden allerdings vor Mitternacht nicht zurück sein.“
Allmählich ging mir ein Licht auf. Die gute Celia hatte den Geburtstag allem Anschein nach nur erfunden, um mich mit Coop heute Abend allein zu lassen!
Momentan wusste ich nicht, ob ich das gut finden oder in Panik ausbrechen sollte. Bevor ich mich entscheiden konnte, hatte Celia ihren schlafenden Mann entdeckt.
„Dios mio!“, rief sie und riss die Beifahrertür auf, worauf Jad mit eingezogenem Schwanz ins Haus trollte, denn er ahnte mit sicherem Instinkt, dass es jetzt sicher Ärger geben würde.
Celia rüttelte Ramon unsanft an der Schulter. Erschrocken fuhr er aus dem Schlaf hoch und wäre fast aus dem Wagen gefallen, während seine Frau sich vor ihm aufbaute und streng die Augenbrauen in die Höhe zog. „Wieviel Bier hast du getrunken, dass du hier herumsitzt und schnarchst wie ein Walross?“
„Ich? Gar nicht… nur zwei…“ Sein Blick wanderte hilfesuchend zu mir. „Habe ich geschnarcht, Jess?“
„Jad war es jedenfalls nicht“, kam mir Celia zuvor, bevor ich überhaupt eine Chance hatte zu antworten. „Erinnerst du dich, dass wir noch auf einen Besuch nach San Diego fahren wollen?“
„Nach… hä? Ja aber, wieso das denn?“
Die Haushälterin hob beschwörend die Hände, bevor sie ihren nichts ahnenden Ehemann mit einem Redeschwall auf Spanisch überschüttete, dass diesem fast die Ohren abfielen. Mit einem verstohlenen Blick in meine Richtung fügte sie schließlich noch hinzu: „Nach San Diego, Ramon! Zu meiner Schwester!“
„Aber, du hast doch…“
„Ramon!!!“
„Ist ja gut, beruhige dich! Schon okay, wir fahren nach San Diego. Ähm… wann?“
„Jetzt! Ich hole nur eben meine Tasche, und wir nehmen gleich den Jeep.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie zurück ins Haus. Ramon lehnte sich auf dem Beifahrersitz wieder zurück und ergab sich mit einem resignierten Schulterzucken seinem Schicksal.
„San Diego also“, seufzte er und warf mir einen prüfenden Blick zu. „ Kommst du allein klar?“
„Aber ja“, beteuerte ich und klopfte ihm auf die Schulter. „Ich habe doch Jad. Und Dean kommt sicher auch bald nach Hause.“
„Na gut. Die Kameras am Tor sind in Betrieb und der Sicherheitsdienst hat alles unter Kontrolle.“
„Und du?“, fragte ich vorsichtig mit einem Blick auf Celia, die mit ihrer Handtasche bewaffnet aus dem Haus geeilt kam. „Hast du auch alles unter Kontrolle?“
Ramon grinste von einem Ohr zum anderen.
„Aber sicher. Schalt das Radio ein. In spätestens einer halben Stunde werden sie eine Staumeldung auf dem Highway One in Richtung Süden durchsagen. Und rate, wer ganz vorn fährt!“
„Das habe ich gehört, Amigo!“ Celia lachte gutmütig und küsste mich zum Abschied auf die Wange. „Er mag es nicht, wenn ich fahre. Dabei halte ich mich nur an die Vorschriften. Wenigstens einer von uns sollte das ab und zu tun!“ Sie wandte sich an ihren Ehemann, der grinsend auf dem Beifahrersitz hockte. „Worauf wartest du? Schnall dich wieder an! Vamos, mi corazón!“ Sie kletterte auf den Fahrersitz und winkte mir zu, bevor sie den Motor aufheulen ließ. „Ciao mi querido!“
Mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen sah ich ihnen nach, bis sie hinter der Einfahrt verschwunden waren. Dann ging ich ins Haus und verschloss sorgfältig die Tür.
Jad hatte es sich bereits in der Küche auf seinem Lager gemütlich gemacht. Erwartungsvoll hechelnd blickte er mir entgegen.
„Celia hatte es aber wirklich eilig, von hier wegzukommen, wenn sie dir nicht einmal dein Abendessen bereitgestellt hat“, bemerkte ich grinsend und füllte seinen Napf bis zum Rand. „Lass es dir schmecken, mein Freund!“
Das ließ sich Jad nicht zweimal sagen. Während er gierig drauflos futterte, beschwerte sich mein eigener Magen laut grummelnd darüber, dass ich ihn seit geraumer Zeit ebenfalls sträflich vernachlässigt hatte. Und vermutlich würde sich Coop, wenn er später nach Hause kam, sicherlich auch über ein Abendessen freuen. Also beschloss ich, meine Wut auf ihn zunächst auf Eis zu legen und stattdessen für uns beide zu kochen. Nicht etwa, dass ich eine begnadete Köchin war, aber ein gutes Chili Con Carne bekam ich allemal hin, vorausgesetzt natürlich, ich würde in Celias unerschöpflichen Küchenschätzen die richtigen Zutaten finden.
Ich hatte Glück. Bereits eine halbe Stunde später zog ein verführerischer Duft durchs Haus. Zufrieden schob ich die Pfanne mit dem Chili auf die Warmhalteplatte und ging hinunter in den Keller, wo Celia mir neulich bei unserem Rundgang ein riesiges Regal mit verschiedenen edlen Weinsorten gezeigt hatte, die zum Teil noch aus Vorräten von Coopers Vater stammten. Ich hatte keine Ahnung, welcher Wein wirklich gut war, deshalb zog ich verschiedene Flaschen aus dem Regal, um auf dem Etikett nachzulesen, um welchen Jahrgang es sich handelte. Vielleicht fand ich ja eine darunter, auf der „mein“ Geburtsjahr stand?
Ich war dem richtigen Datum schon ziemlich nahegekommen, als plötzlich hinter einer der Flaschen ein Umschlag aus dem Regal rutschte und zu Boden fiel. Ich hob ihn auf und schaute interessiert hinein.
Es waren mehrere Fotos darin, die eine außergewöhnlich hübsche junge Frau zeigten. Sie hatte blonde, schulterlange Locken und das Gesicht eines Engels. Auf dem ersten Foto war sie mit der um einige Jahre jüngeren Celia zu sehen. Die Frauen standen auf den Treppenstufen vor der Villa und strahlten um die Wette. Beide waren festlich gekleidet, Celia in einem schmucken, dunkelblauen Kostüm und die Fremde in einem türkisfarbenen Abendkleid, das ihre tadellose Figur vorteilhaft unterstrich, so dass sie wie ein Supermodel aussah. Auf dem nächsten Foto trug sie dasselbe Kleid und hatte die Arme um den Hals eines jungen Mannes gelegt. Seine Hände umfassten ihre schmale Taille. Die beiden sahen einander zärtlich an und schienen sehr verliebt zu sein. Bei genauerem Hinsehen gab es mir einen kleinen schmerzhaften Stich ins Herz, denn mir wurde plötzlich klar, wen sie da anhimmelte: den sehr jung aussehenden Dean Cooper.
Es folgten noch zwei Aufnahmen, auf denen die beiden sich küssten und engumschlungen auf der Treppe standen. Nachdenklich starrte ich auf die Fotos in meiner Hand. Hatte Ramon nicht vorhin gesagt, Coop hätte nie eine seiner Freundinnen mit in die Villa gebracht? Wer war dann diese Frau?
„Du bist die erste, seitdem…“, hatte Ramon vorhin gesagt. War sie die Antwort auf diesen geheimnisvollen Satz, der unvollendet geblieben war?
Neugierig geworden drehte ich die Fotos um und suchte nach einem Hinweis, wann sie aufgenommen wurden, doch da war nichts. Ich besah mir noch einmal die Aufnahme, auf der Cooper etwas genauer zu sehen war, und schätzte ihn auf dem Foto etwa Anfang Zwanzig. Sein Lächeln wirkte zwar echt, aber dennoch irgendwie fremd auf mich, und nach kurzer Überlegung wusste ich auch, warum. Die Lachfältchen um seine Augen fehlten. Dieses für mich so attraktive Merkmal hatte die Zeit in den vergangenen Jahren erst nach und nach in sein Gesicht gezaubert. Und wer weiß, vielleicht waren auch nicht alle davon durch Lachen entstanden…
Nachdenklich geworden wollte ich die Fotos wieder zurück an ihren etwas merkwürdigen Aufbewahrungsort legen, als ich bemerkte, dass noch eines davon in dem Umschlag steckte. Es zeigte abermals jene junge Frau in dem türkisfarbenen Kleid. Sie stand zwischen zwei Männern, von denen ich einen als den jugendlichen Cooper erkannte. Der andere war deutlich älter, und auf Grund der unverkennbar großen Ähnlichkeit nahm ich an, dass es sich bei ihm um Deans Vater handelte. Beide Männer trugen elegante dunkle Anzüge, und ich musste zugeben, dass Mister Cooper Senior, obwohl auf dem Bild mit Sicherheit schon Ende Vierzig, ein äußerst attraktiver Mann war. Groß, schlank, gutaussehend, mit leicht ergrauten Schläfen in dem ansonsten tiefdunklen Haar und einem Blick, der einer Frau unter die Haut ging. Allerdings fiel mir beim näheren Betrachten auf, dass sein Blick nicht der Kamera, sondern jener Frau galt, die ich für Deans damalige Freundin hielt. Während die jungen Leute beide in die Kamera lächelten, schien Mister Cooper Senior nur Augen für die Frau an der Seite seines Sohnes zu haben.
Nachdenklich und gleichzeitig etwas irritiert schüttelte ich den Kopf und stopfte das Foto zurück in den Umschlag. Sicher war Coops Vater nur unglaublich stolz auf die wunderschöne Begleiterin seines Sohnes gewesen, und vielleicht wünschte er sich damals insgeheim, dass sie seine Schwiegertochter werden würde. Nun, dieser Wunsch hatte sich zumindest nicht erfüllt, aus welchem Grund auch immer.
Sorgfältig legte ich den Umschlag zurück auf seinen Platz, während ich fieberhaft überlegte, wer ihn wohl dort verwahrt hatte. Cooper selbst? Oder sein Vater, als dieser noch hier wohnte? Vielleicht hatte ihn aber auch Celia, die immerhin auf einem der Fotos mit Coops vermeintlicher Freundin zu sehen war, als heimliches Andenken hier unten versteckt, um ihren Hausherrn vor unliebsamen Erinnerungen zu bewahren? Wie auch immer, ich würde es sicher noch irgendwie erfahren.
Ich setzte die Suche nach meiner Jahrgangsflasche fort und wurde kurz darauf in einem Regal weiter oben fündig. Zufrieden und auch ein klein wenig ehrfürchtig nahm ich die Flasche, die genauso alt war wie ich, mit nach oben und stellte sie auf dem Tresen in der Küche ab. Sollte Coop darüber entscheiden, ob das gute Stück geöffnet wurde oder nicht.
In diesem Augenblick hörte ich, wie draußen der Kies unter den Rädern knirschte, als ein Wagen in der Einfahrt einbog.
Schnell eilte ich zur Tür, und mein Herz vollführte einen Salto, als ich Coopers schnittigen, roten Mustang erkannte. Auch Jad hatte mit dem sicheren Gespür des Polizeihundes die Ankunft seines Partners bemerkt und vervollständigte mit seiner Gegenwart das Empfangskomitee an der Tür.
Sekunden später trat Coop ein und drückte mir, bevor ich überhaupt wusste, wie mir geschah, einen Begrüßungskuss auf die Lippen.
„Wie ich sehe, werde ich schon sehnsüchtig erwartet. Ich glaube, das gefällt mir!“
„Eine Ausnahme“, beschwichtigte ich ihn kopfschüttelnd. „Das kommt so bald nicht wieder vor.“
Lachend warf er den Autoschlüssel auf den Garderobenschrank und tätschelte Jad, der ihn erwartungsvoll anschmachtete, den Kopf.
„Hauptsache, du hast dich wieder eingekriegt und bist nicht davongelaufen.“
„Ich konnte nicht“, konterte ich schlagfertig. „Ich habe Jim nicht unterm Bett hervorgekriegt! Und ohne ihn wollte ich nicht gehen.“
Er zwinkerte mir grinsend zu.
„Zicke!“
„Du bist auch nicht besser“, gab ich zurück, während ich in die Küche ging.
Coop folgte mir.
„Mmh… das duftet ja köstlich!“, ließ er sich dicht hinter mir vernehmen. „Ich habe einen Riesenhunger! Was hat Celia denn Leckeres gekocht?“
„Nicht Celia“, erwiderte ich, griff nach dem Kochlöffel und schwenkte ihn verheißungsvoll vor der Nase des Hausherrn. „Ich habe für uns gekocht.“
„Du kannst kochen?“
„Na klar. Zumindest das hier…“
Er reckte den Hals und spähte neugierig in die Pfanne.
„Ah… Chili Con Carne. Sieht lecker aus. Und wo ist Celia?“
„Sie ist vorhin mit Ramon nach San Diego gefahren. Ihre Schwester hat heute Geburtstag.“
„Was du nicht sagst“, brummte er und zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Celia hat doch gar keine Schwester!“
„Das dachte ich mir schon“, erwiderte ich scheinbar unbeeindruckt. Der Umschlag mit den Fotos kam mir wieder in den Sinn, aber ich spürte, dass jetzt kein guter Zeitpunkt war, danach zu fragen und wies stattdessen auf die Weinflasche. „Würdest du die bitte öffnen? Ich habe sie vorhin aus deinem Weinkeller geholt.“ Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete ich gespannt seinen Gesichtsausdruck, doch er zeigte keinerlei Reaktion, sondern griff nach der Flasche und studierte das Etikett.
„Ein guter Jahrgang“, urteilte er. „Zufällig ausgewählt?“
„Nein, nicht ganz.“ Ich ließ ihn nicht aus den Augen, während er nach dem Flaschenöffner griff. „Er ist genauso alt wie ich.“
Die Tatsache, dass ich allein am Weinregal gewesen war, schien ihn überhaupt nicht zu interessieren. Blieben also meiner Meinung nach nur Celia oder Coops Vater. Einer von beiden hatte den geheimnisvollen Umschlag unten hinter den Flaschen versteckt. Ich nahm mir vor, Celia bei Gelegenheit darauf anzusprechen, denn es interessierte mich brennend, was es damit auf sich hatte, und wer jene hübsche Dame gewesen war, die irgendwann hier ein und ausgegangen war.
„Der Wein stammt aus dem Santa Ynez Valley in der Nähe von Los Olivos. Das ist etwas nördlich von hier und befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft der ehemaligen Neverland Ranch“, erklärte er, während er die bereitstehenden Gläser mit der golden schimmernden, kostbaren Flüssigkeit füllte. „Das Weingut gehörte übrigens einem bekannten Schauspieler. Du bist doch so ein Filmfreak. Sagt dir der Name Fess Parker etwas?“
„Natürlich!“, rief ich begeistert. „Caitlins Großvater hat früher dort in den Weinbergen für „Daniel Boone“ gearbeitet.“
„Für wen?“, fragte Coop verständnislos.
„Fess Parker war Daniel Boone! Du kennst die Serie nicht?“ Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Meine Güte, Coop, das ist Kult! Jedes Kind kennt Daniel Boone und seinen Freund Mingo!“
„Ich nicht“, erwiderte er trocken.
„Hattet ihr kein TV?“
„Doch, aber ich durfte als Kind kaum fernsehen.“
„Wieso nicht?“
„Die zahlreichen Kindermädchen, die mein Vater in regelmäßigen Abständen immer wieder neu engagierte, waren zwar grundverschieden, aber in einer Sache waren sich alle einig: wenn ich etwas verbockt hatte, bekam ich sofort Fernsehverbot.“
„Ah ja…“ Ich verzog grinsend das Gesicht. „Und ich nehme an, du hast ständig etwas angestellt.“
„Ich war gar nicht so schlimm. Sie haben mich nur immer falsch verstanden.“ Er grinste, trat auf mich zu und hob sein Glas. „Auf uns, Baby! Auf unser Wiedersehen!“
Ich erwiderte nichts, sondern stieß nur wortlos mit ihm an.
Der Wein schmeckte vorzüglich. Vollmundig und fruchtig, genau richtig. Ich hatte das Gefühl, die kalifornische Sonne auf der Zunge zu spüren.
„Er ist hervorragend“, urteilte ich anerkennend.
Cooper nickte und lächelte mir bedeutungsvoll zu.
„Ohne Frage, dein Jahrgang, Jess. Ich wusste, er würde gut sein.“
Sein intensiver Blick und seine unmittelbare Nähe machten mich leicht nervös. Hastig stellte ich das Glas auf dem Tresen ab und widmete mich der Pfanne mit dem Chili.
„Setz dich, das Essen wird kalt.“
Während er meine Nervosität mit einem wissenden Lächeln quittierte, kam er der Aufforderung nach, denn er schien wirklich Hunger zu haben. Er langte kräftig zu und verschlang sein Chili in Rekordzeit. Als er seinen Teller geleert hatte, lehnte er sich zufrieden zurück und strich sich über den Bauch.
„Das war richtig gut. Ich kann kaum glauben, dass du nichts anderes außer Chili kochen kannst.“
„Na ja“, druckste ich und stocherte in meinem Restessen. „Zumindest habe ich noch keine allzu großen Kochversuche unternommen.“
„Dann passen wir perfekt zusammen“, erklärte er voller Überzeugung und nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Du kannst ein hervorragendes Chili kochen, und ich backe ausgezeichnete Omeletts. So müssten wir nur jeden zweiten Tag dasselbe essen!“
„Wieso? Hast du vor, mit mir auf eine einsame Insel zu ziehen?“
Er grinste mich über den Tisch hinweg herausfordernd an.
„Der Gedanke ist gar nicht mal so schlecht. Tag und Nacht, nur wir beide…“
Bevor ich antworten konnte, ertönte unter der Fensterbank ein entrüstetes „Wuff!“
Jad saß auf seinem Lager, hielt den Kopf leicht schief, als hätte er nicht richtig verstanden, und sah uns abwartend an.
„Natürlich kommst du auch mit, mein Freund!“, rief ich ihm lachend zu.
„Nichts da“, widersprach Coop eisern. „Auf einer einsamen Insel brauchen wir keinen Anstands-Wauwau!“
Sein vierbeiniger Partner ließ ein entrüstetes Knurren hören und drehte sich beleidigt weg.
„Ach Jad“, lenkte ich schnell ein und hockte mich zu ihm, um ihn mit einer Streicheleinheit zu versöhnen. „Hör nicht auf ihn, er will dich nur ärgern.“
„Der lässt sich nicht ärgern, der tut nur so. In Wahrheit ist er ein knallharter, abgebrühter Cop.“ Er stand auf und pfiff kurz durch die Zähne. „Na komm, Alter, wir holen die Überraschung für Jess!“
Obwohl Jad es sichtlich genoss, dass ich ihn zwischen den Ohren graulte, gehorchte er sofort und folgte Coopers Befehl. Er sprang auf und lief ihm nach, hinaus auf den Flur.
„Eine Überraschung? Für mich?“ Neugierig reckte ich den Hals, als Jad gleich darauf wieder zurückkam. Im Maul trug er eine mir gut bekannte, schwarze Tasche sorgsam am Henkel. Direkt vor meinen Füßen blieb er stehen und sah abwartend zu mir auf, was bedeutete, dass ich ihm die Tasche abnehmen sollte.
Ich konnte kaum glauben, was ich sah.
„Mein Laptop?“, fragte ich vorsichtig. „Sie haben meinen Laptop freigegeben?“
„Nicht nur das“, erklärte Coop stolz. „Ein Kollege von mir hat ihn repariert. Er hat das Display erneuert und konnte alles, was gespeichert war, retten.“
Meine Augen glänzten.
„Das... das ist fantastisch! Danke, Dean!“ Ich strich liebevoll über den schwarzen Stoff der Tasche. „Hier drin ist ein wichtiger Teil meiner Vergangenheit gespeichert. Fotos, Studienergebnisse, persönliche Erinnerungen. Ich hatte schon befürchtet, es wäre alles verloren!“
„Und was ist mit Jim?“, fragte Coop unvermittelt. „Gibt es von ihm auch nur alte Erinnerungen?“
Ich blickte auf und sah wieder diesen durchdringenden Blick, der mir vor ein paar Stunden auf dem Pier bereits ziemlich zugesetzt hatte. Langsam stand ich auf und legte die Tasche mit dem wertvollen Inhalt vorsichtig auf den Tresen.
„Was ist los mit dir, Coop? Wieso fragst du mich ständig nach Jim? Natürlich ist auch er ein Teil meiner Vergangenheit, immerhin war ich fast drei Jahre lang mit ihm zusammen!“
„Und was ist mit der Gegenwart?“
„Die gibt es nicht. Ich kann nichts dafür, dass er mir nachgereist ist und herausgefunden hat, wo ich mich aufhalte. Die Wahrheit ist, dass ich nichts von ihm gehört habe, seitdem er mich überraschend in der Station aufgesucht hat und danach in Las Vegas untergetaucht ist!“
„Hat er dich angerufen oder sonst irgendwie kontaktiert?“
„Nein!“
„Vielleicht per Mail?“
„Welche Mail? Jetzt spinnst du aber total! Du hast mir meinen PC gerade erst mitgebracht!“
„Ich rede nicht von jetzt, sondern von der Zeit vor dem Einbruch!“
„Habt ihr in meinen Programmen herumspioniert?“
„Meine Güte, Jess! Der Kollege hat deinen PC repariert! Da liegt es doch nahe, dass…“
„Das gibt ihm noch lange nicht das Recht, in meinen privaten Dateien herumzustöbern!“, unterbrach ich ihn ungehalten, aber Coop ließ sich nicht beirren.
„Also hast du doch etwas zu verbergen?“
„Nein, verdammt! Aber so etwas gehört sich einfach nicht.“
„Er ist nicht nur Computerspezialist, sondern in erster Linie ein Cop.“
„Und allein die Tatsache, dass man ein Cop ist, berechtigt zu solchen Aktionen? Coop, ich bin keine Verdächtige!“
„Das habe ich doch auch nicht gesagt.“
„Du behandelst mich aber so. Inzwischen weißt du wahrscheinlich sowieso alles über mich.“
„Na ja, also…“
„Klar weißt du alles. Vielleicht auch, wann ich das letzte Mal Sex hatte? Oder irgendwann mal meine Pille vergessen habe?“
Er grinste.
„Na Hauptsache du hast sie nicht gerade heute vergessen.“
Ich sprang auf, wie von der Tarantel gestochen.
„Du verdammter Mistkerl!“
„Jess…“
„Wenn du glaubst, wir beide haben heute Sex, dann…“
„Ja?“
Bevor ich mich zu einer sehr unschönen Bemerkung hinreißen ließ, sprang ich wutentbrannt auf, knallte meine Serviette auf den Tisch und stürmte wortlos aus der Küche. Als ich die Treppe zu meinem Zimmer hinaufeilte, hörte ich, wie Coop mir nachgelaufen kam. Oben angekommen fuhr ich herum und funkelte ihn wütend an.
„Du brauchst dir keine falschen Hoffnungen zu machen, Dean Cooper! Ich werde ganz sicher nicht mit dir ins Bett gehen!“
„Ach nein? Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“
„Schon vergessen? Ich bin für dich eine Verdächtige!“
„Das ist doch Blödsinn! Ich habe dich lediglich gefragt, ob…“
„Und ich habe NEIN gesagt!“
„Na dann ist es doch gut“, versuchte er mich zu beschwichtigen. „Wie wäre es, wenn wir an dieser Stelle zum gemütlichen Teil übergehen?“
„Dazu habe ich auch NEIN gesagt!“
„Das ist nun wieder nicht gut.“ Er kam langsam näher. „Jess, denk doch nur mal an unser Wiedersehen vorhin auf dem Pier. Zwischen uns ist etwas ganz Besonderes, eine geradezu magische Anziehungskraft. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, es knistert in der Luft, wenn wir uns nur berühren! Das musst du doch auch spüren!“
Natürlich spürte ich das, mit jeder Faser meines verräterischen Körpers. Sogar jetzt, in diesem Augenblick, wo ich versuchte, ihm und seinem ureigenen Charme die Stirn zu bieten, brannte die Sehnsucht nach ihm in mir wie ein Höllenfeuer.
Er schien das Gefühlschaos zu spüren, das wie wild in meinem Inneren tobte, denn er trat noch näher und strich mit dem Daumen zärtlich über meine Wange.
„Spürst du das nicht auch, Jess? Da ist etwas, das man nicht mit Worten beschreiben kann…“
Mit allerletzter Willenskraft schlug ich seine Hand weg und trat einen Schritt zurück.
„Das sieht dir ähnlich! Wenn du nicht gerade den bösen Cop spielst, für den alle von vornherein verdächtig sind, bist du anscheinend einer von den Kerlen, der seinen ganzen Charme nur dafür einsetzt, um eine Frau ins Bett kriegen.“
Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch.
„Interessante Theorie. Aber so bin ich nicht.“
Ich schnaufte wütend.
„Ich glaube dir kein Wort!“
Er stand da und hob scheinbar hilflos die Hände.
„In einer Sache hast du natürlich Recht. Ich will dich! Ich will dich schon lange!“
„Und danach bin ich für dich nur eine weitere Kerbe in deinem Bettpfosten.“
„Was für einen Blödsinn hast du dir denn da bloß zusammengereimt?“
„Blödsinn, ja? Und wie war das mit Paloma?“
„Ach daher weht der Wind!“ Er straffte die Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust. „Paloma und ich fanden einander nicht uninteressant, haben aber recht schnell gemerkt, dass wir nicht dieselbe Wellenlänge hatten. Soll ja vorkommen.“
„Nach nur einer Nacht?“
„Genau. Manche raffen es eben schneller als andere. Ich brauche keine drei Jahre, um zu merken, dass meine Partnerin nicht zu mir passt oder umgekehrt.“
Ich schluckte. Das hatte gesessen! Schnell wandte ich mich ab, damit er nicht sah, wie ich mit mir kämpfte.
Cooper merkte wohl, dass er mich mit seinen Worten tief getroffen hatte und wollte einlenken.
„Komm schon, Jess, das war nicht so gemeint.“
Ich hob nur abweisend die Hände und ging davon. Nein, für heute war es einfach genug! Ich würde mich jetzt samt meinen wildgewordenen Hormonen in meinem Zimmer einschließen und mich fest entschlossen in den Schlaf heulen.
Coop schien das allerdings nicht zu akzeptieren. Oder er war es einfach nicht gewohnt, dass eine Frau ihm einen Korb gab. Mit ein paar Schritten hatte er mich eingeholt. Er schlang einfach seine Arme um meine Taille, hob mich scheinbar mühelos hoch und warf mich nicht gerade zaghaft über seine Schulter.
„Lass mich runter, du Idiot!“, protestierte ich lautstark und schnappte erschrocken nach Luft, doch das schien ihn nicht im Geringsten zu stören.
„Cooooper!!!“
„Wenn du nicht sofort still bist, muss ich dir den Hintern versohlen!“
„Gewalt… ist… keine Lösung…, du Neandertaler…“, japste ich mühsam, denn die Lage, in der ich mich gerade befand, war nicht die bequemste.
Er lachte nur und legte, während er mich über den Flur trug, provozierend seine Hand auf meinen Hosenboden.
„Mmh… Gewalt ist es nicht, was mir da gerade durch den Kopf geht!“
„Verdammt, Coop! Lass – mich – runter!!!“
„Alles zu seiner Zeit, Baby!“