27. Konfrontation
„Also das glaub` ich jetzt nicht!“
Fassungslos stand ich da und starrte auf das mir nur allzu gut bekannte Gesicht des vermeintlichen Autoknackers. „Jim! Was zum Teufel soll denn das werden? Bist du jetzt total durchgeknallt?“
Er blinzelte mich sichtlich erschrocken an. Anscheinend hatte er nicht gedacht, dass ich so schnell aus dem Supermarkt zurück sein würde.
„Ich… wollte hier auf dich warten.“
„Im Kofferraum?“
„Ich habe nur versucht, die Zentralverriegelung zu öffnen, damit ich mich in den Jeep setzen kann, bis du zurück bist. Die Kerle, die hinter mir her sind, sie lauern überall, und ich will nicht, dass sie mich finden, nur weil ich stundenlang neben deinem Auto herumstehe.“
„Lass gefälligst den Blödsinn“, erwiderte ich, genervt darüber, dass er mich anscheinend für so dumm hielt. „Ich habe noch nie gehört, dass man die Zentralverrieglung eines Wagens über den Kofferraum öffnet!“ Ich atmete tief durch, bereit, hier und jetzt eine zumindest halbwegs plausible Erklärung von meinem Ex zu fordern. „Also, raus mit der Sprache: Warum verfolgst du mich?“
Er setzte eine theatralische Unschuldsmiene auf und zog die Augenbrauen zusammen.
„Wie kommst du darauf, dass ich dich…“
„Erzähl` mir keine Märchen!“, würgte ich ihn ungeduldig ab. „Ich habe dich gesehen, du hast vorhin mit deinem SUV die ganze Zeit über an meiner Stoßstange geklebt wie ein alter Kaugummi. Bis ich überraschend die Ausfahrt genommen und dich abgehängt habe.“
Anscheinend hatte er sich etwas gefasst, denn er ließ den Draht, mit dem er im Wagenschloss herumgestochert hatte, in der Hosentasche verschwinden und lehnte sich mit verschränkten Armen betont lässig an den Kotflügel des Jeeps.
„Du hattest schon immer einen rasanten Fahrstil.“ Als er merkte, dass ich nicht auf seinen Small Talk einging, grinste er schief. „Wie auch immer, ich bin die nächste Ausfahrt nach dir raus.“
„Und trotzdem hast du mich scheinbar ohne Mühe gefunden, obwohl ich bis vor kurzem selbst noch nicht wusste, wohin genau ich fahren würde. Aber du wusstest es. Woher, Jim?“
“Tja also“, druckste er unbeholfen herum. „Ich wollte dich doch unbedingt wiederfinden, deshalb habe ich…“
„Sag jetzt nicht, du hast meinem Auto einen Peilsender verpasst!“ Ich brauchte ihn nur anzusehen und wusste, dass ich mit meiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte. „Du verdammter Mistkerl!“ Argwöhnisch betrachtete ich den Jeep. „Wann hast du das gemacht?“
„Nachdem ich bei dir in der Station war. Als du mich rausgeworfen hast, bin ich dir nachgefahren. Dann stand der Jeep in Santa Monica vor einem Haus, in dem du verschwunden bist“, gab er unumwunden zu und rümpfte missbilligend die Nase. „Ich hatte also genug Zeit, mir den Sender im nächsten Laden zu besorgen und an deinem Wagen anzubringen, während du anscheinend damit beschäftigt warst, die ganze Nacht mit irgendeinem Kerl herumzu…“
„Du wirst dieses Ding sofort entfernen! Sofort, oder ich rufe die Bullen!“, befahl ich empört, ohne auf seine letzte Bemerkung einzugehen. Sollte er doch denken, was er wollte, ich war ihm keine Rechenschaft schuldig. Er mir allerdings schon. „Los, beweg dich, Jimbo!“
„Ist ja gut, beruhige dich“, knurrte er, kniete sich hinter den Jeep, griff gezielt unter die Stoßstange und brachte kurz darauf den Sender, der nicht viel größer war als der Deckel einer Saftflasche, zum Vorschein.
„Ich glaube das nicht“, murmelte ich kopfschüttelnd. „Du bist ja schlimmer als deine Mafiafreunde.“
„Die sind nicht meine Freunde, und die sind auch nicht von der Mafia“, belehrte er mich in einem schulmeisterhaften Ton, der mich rasend machte.
„Es ist mir egal, woher die kommen und was die sind!“, fauchte ich ihn derart wütend an, dass er automatisch einen Schritt zurücktrat. „Du hast mir diese Affenbande mit deinen verdammten Lügen auf den Hals gehetzt! Du allein bist schuld daran, dass Dr. Louis von Cargo entführt und Jad um ein Haar erschossen wurde, ganz abgesehen davon, dass die letzten Stunden die Hölle waren!“
„Wurde Cargo verhaftet?“, fragte er kleinlaut.
„Nein“, erwiderte ich und sah mit Genugtuung den Schrecken in seinen Augen, bevor ich weitersprach. „Er ist tot, und der Rest seiner Leute wurde verhaftet. Den High Roller und sein Kartell gibt es nicht mehr.“
Jim brauchte einen Augenblick, um das eben Gehörte zu verarbeiten.
„Oh Gott… das ist… wow…“ Er begann zu lachen, ein eigenartiges, fast schon irres Gelächter, das davon zeugte, wie erleichtert er war. Dann streckte er die Arme nach mir aus und kam auf mich zu, doch ich wich zurück.
„Keinen Schritt weiter!“
„Komm schon, sei nicht nachtragend, Birdy, jetzt wo alles vorbei ist, können wir ein neues Leben anfangen, du und ich! Mit dem Geld, das ich versteckt habe!“
Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf.
„Geld? Welches Geld?“
„Das Geld, das sie die ganze Zeit von mir zurückhaben wollten! Eine Million Euro! Ich habe es gut versteckt, damit sie es nicht finden.“
„Redest du jetzt von dem Geld, von dem du die ganze Zeit behauptet hast, dass du es verspielt hättest? Das Geld, wegen dem du mir deine Gläubiger auf den Hals gehetzt hast, weil du sie hast glauben lassen, ich wäre damit abgehauen?“ Ich hatte das Gefühl, als würde jemand versuchen, mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen. „Du hast dein und mein Leben aufs Spiel gesetzt und hattest es die ganze Zeit?“
„Jetzt dramatisiere die Sache doch nicht unnötig! Ich hatte alles unter Kontrolle“, versuchte er mich zu beschwichtigen.
„Etwa so, wie du die Tochter des Bürgermeisters unter Kontrolle hattest?“, konterte ich und verzog angewidert das Gesicht. „Dann warst du also gar nicht auf ihr Geld aus? Das macht die Sache für mich allerdings nur noch schlimmer, als sie ohnehin schon war.“
„Nun vergiss doch endlich diese dumme Geschichte mit Amber! Das mit ihr war völlig bedeutungslos, glaub mir! Im Grunde wollte ich immer nur dich!“ Er strich sich über die Stirn, eine Geste, die seine Unsicherheit signalisierte, und die mir noch sehr vertraut war, ebenso wie sein umständliches Räuspern, bevor er weitersprach. „Als du abgehauen bist, ging es mir zuerst wirklich darum, dich zurückzuholen. Ich konnte doch nicht ahnen, dass die Leute vom Kartell mir bis hierher folgen würden. Ich wusste nicht einmal, dass sie ihren Hauptsitz hier in Las Vegas hatten.“
„Was ist so überraschend daran, dass Spieler in einer Spielerstadt zu Hause sind? Wie blöd bist du eigentlich?“, knurrte ich kopfschüttelnd, doch er schien mich gar nicht zu hören. „Als ich dann hier war, da hatten sie mich plötzlich am Kragen. Sie nahmen mich ordentlich in die Mangel und stellten mir ein Ultimatum, um das Geld, das ich ihnen schuldete, zu beschaffen. Ich sollte für sie spielen, nach ihren Regeln wohlbemerkt. Sie manipulierten die Spiele, ich konnte also gar nicht verlieren. Als ich merkte, wie leicht das war, wollte ich die Kohle erst einmal verdoppeln, um dann bei der nächsten günstigen Gelegenheit mit dir abzuhauen. Aber dafür musste ich unbedingt etwas Zeit gewinnen, deshalb versteckte ich sicherheitshalber das Geld, das ich ihnen schuldete und lenkte sie zunächst auf eine falsche Spur.“
„Du meinst, auf meine Spur“, berichtigte ich ihn und spürte, wie die Wut langsam, aber sicher weiter in mir hochstieg. „Und was ist mit dem Brief, den du mir angeblich geschrieben hast, als dieser Kerl uns in der Praxis bedrohte und mich zwingen wollte, mit ihm nach Vegas zu fahren?“
Er hob nur gleichgültig die Schultern.
„Eine Fälschung. Das war sicher Cargos Idee. Ich hatte damit nichts zu tun. Zu der Zeit war ich schon untergetaucht.“
„Und mich hätten sie dafür gelyncht“, murmelte ich und durchbohrte ihn mit eisigem Blick. „Du bist so ein mieses Schwein, O`Neill!“
„Jetzt sei doch nicht sauer, Birdy! Was sollte ich denn machen? Ich wollte dir alles erklären, damals auf dem Pier, als du mit deiner Freundin aufgetaucht bist. Aber ihr seid auf euren Inlinern so schnell abgehauen, dass ich keine Chance hatte, mit dir darüber zu reden“, versuchte er sich herauszuwinden. „Es wäre sowieso nur eine kurze Zeit gewesen, dass sie dich in Verdacht gehabt hätten, dann hätte ich dich ohnehin abgeholt. Wir wären beide mit dem ganzen Geld nach Hawaii durchgebrannt, hätten alle Spuren verwischt und nie wieder Sorgen gehabt.“
Amen…
Mir fehlten die Worte. Ich stand fassungslos da und sah sein Gesicht vor mir, selbstgefällig und mit diesem dümmlichen Grinsen. Glaubte er am Ende wirklich, was er sagte? Bildete er sich tatsächlich ein, sein absurder Plan wäre so leicht aufgegangen? Anscheinend sah er sich und mich im Geiste noch immer geruhsam in einer Hängematte schaukelnd am Strand von Waikiki…
Oh – mein – Gott !
Nein, er hatte nichts begriffen, er war sich in seiner krankhaften Spielsucht überhaupt nicht im Klaren darüber, was er angerichtet hatte. Ich dachte mit Schaudern daran, welche Angst ich ausgestanden hatte, um Jad, um Dean, um Adam und nicht zuletzt um mich, und meine Hand ballte sich wie von selbst zu einer Faust. Ich hatte noch nie jemanden ernsthaft geschlagen, und ich wollte es auch nicht tun, doch ich spürte, wie langsam eine Sicherung in meinem Gehirn durchzubrennen drohte.
`Gewalt ist keine Lösung!`, versuchte mein Unterbewusstsein aus irgend einem verborgenen Winkel meines Verstandes heraus die drohende Gefahr noch abzuwenden, doch mein Temperament und mein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn waren anderer Meinung.
In diesem Moment fielen mir plötzlich die Worte ein, die Jacob vor langer Zeit einmal zu mir gesagt hatte:
„Wenn jemand absolut nicht aufhören will, dein Leben zu ruinieren, dann wehr dich! Aber denk daran: Der erste Schlag muss sitzen!“
Meine Faust schnellte ungebremst und mit aller Kraft nach vorn, direkt auf Jims Kinnspitze. Ich legte all meinen Frust und all die Angst, die ich ausgestanden hatte, in diesen einen Schlag.
Es gab ein hässliches, knöchernes Geräusch. Jim verdrehte die Augen und kippte nach hinten um. Hart schlug er mit dem Gesäß auf den Asphalt und sackte zusammen.
Ich stand nur da und beobachtete teilnahmslos seine Reaktion. Zuerst dachte ich, er sei bewusstlos, doch nach ein paar Sekunden begann er sich mühsam aufzurappeln. Fassungslos saß er da und hielt sich die Kinnlade.
„Bist du wahnsinnig, Jess?“, keifte er, und es klang, als würde er im nächsten Augenblick alle Zähne ausspucken. „Du… du hättest mir den Kiefer brechen können!“
„Habe ich das etwa nicht?“, erwiderte ich voller unverhohlener Schadenfreude von oben herab. „Das tut mir leid!“
„Es wird dir gleich noch viel mehr leidtun, du Miststück!“, fauchte er wütend, kam schwerfällig auf die Beine und wollte nach mir greifen, doch er war noch immer leicht benommen von dem Schlag, und ich wich rechtzeitig vor ihm zurück.
„Security!“, brüllte ich so laut ich konnte in Richtung Supermarkt hinüber, wo ich vorhin zwei uniformierte Sicherheitsbeamte am Eingang gesehen hatte. „Zu Hilfe! Security!“
„Verdammt, halt den Mund, Jess! Mach den Wagen auf und lass uns hier abhauen!“
Ich rührte mich nicht von der Stelle.
„Wo ist das Geld, Jim?“, fragte ich mit einer Ruhe, über die ich in diesem Augenblick selbst erstaunt war. Den Autoschlüssel fest in der Hand, stand ich da, bereit, notfalls noch einmal zuzuschlagen.
„Vor deiner Nase, wo sonst“, knurrte er und blickte hektisch hinüber zum Eingang, wo tatsächlich auf meinen Hilferuf hin die Sicherheitsleute erschienen. Einige junge Leute, die aus dem Supermarkt kamen, blieben ebenfalls unschlüssig stehen.
„Belästigt Sie der Kerl, Miss?“, fragte ein muskulöser Afroamerikaner, der in Begleitung einer jungen Frau einen vollbeladenen Einkaufswagen vorbeischob.
„Ja, das tut er“, erwiderte ich mit der nötigen Panik in der Stimme und brüllte noch einmal aus Leibeskräften nach den Security-Leuten, worauf sich die Uniformierten endlich in Bewegung setzten und in unsere Richtung gelaufen kamen.
Der Afroamerikaner kam ebenfalls zu uns herüber.
„Lassen Sie sofort die Frau in Ruhe!“, befahl er und baute sich drohend vor Jim auf.
„Verschwinde, du Penner“, knurrte dieser außer sich vor Wut und wollte ihn achtlos beiseiteschieben, um erneut nach mir zu greifen, doch der Muskelmann verstand keinen Spaß. Binnen Sekunden hatte er Jim gepackt, ihm die Arme auf den Rücken gedreht, und zum zweiten Mal an diesem Abend machte mein Ex aufstöhnend Bekanntschaft mit dem Asphalt, dieses Mal auf den Knien.
„Was ist hier los?“ Die beiden Sicherheitsleute hatten uns erreicht. „Haben Sie um Hilfe gerufen, Miss?“, erkundigte sich der eine, ein Hüne von mindestens einsachzig mit einem Kreuz wie ein Rummelboxer, während der andere, ein kleiner, untersetzter Latino, zunächst abwartend stehenblieb und Jim ins Visier nahm, die Hand vorsichtshalber dicht an dem Schlagstock, der drohend an seinem Gürtel baumelte.
Ich nickte aufgeregt.
„Ja, allerdings.“
„Das ist alles nur ein Irrtum!“, keuchte Jim aus dem „Untergrund“, doch zunächst schenkte keiner der Anwesenden seinen Worten Beachtung.
„Der Kerl hat sie belästigt und wollte sie in den Wagen zerren“, erklärte mein „Helfer“, während er sein verzweifelt zappelndes „Opfer“ mit einem Arm scheinbar mühelos in Schach hielt.
„Stimmt genau!“, bestätigte ich.
„Hat er Ihnen hier auf dem Parkplatz aufgelauert?“, fragte der Hüne und zückte einen Notizblock.
„Ich habe ihn dabei überrascht, wie er versuchte, meinen Jeep aufzubrechen. Als das nicht gelang, wollte er mich zwingen, den Wagen zu öffnen und mit ihm zusammen einzusteigen.“
„Kennen Sie den Mann?“
„Nein, Sir“, log ich, ohne mit der Wimper zu zucken. „Nie gesehen!“
„Hey“, brüllte Jim. „Was soll denn das? Das kannst du doch nicht tun, Jess!“
Die beiden Sicherheitsleute tauschten einen verwunderten Blick.
„Woher kennt er ihren Namen, Miss?“, fragte der Latino, wobei er Jim nicht eine Sekunde aus den Augen ließ.
Ich hob scheinbar ratlos die Schultern.
„Keine Ahnung, vielleicht ist er ein Stalker oder so!“
„Jeeeeesssss!“
„Halten Sie die Klappe!“, herrschte der Hüne Jim an und wandte sich wieder an mich. „Wollen Sie Anzeige erstatten?“
„Nein, vergessen Sie`s. Zum Glück ist ja nichts weiter passiert. Halten Sie mir diesen Kerl nur vom Leib, damit ich endlich hier wegfahren kann!“
„Und wenn er Sie später wieder belästigt?“
„Dann erstatte ich auf jeden Fall Anzeige“, erklärte ich mit Nachdruck, in der Hoffnung, Jim hätte meine unmissverständliche Warnung, mich fortan in Ruhe zu lassen, endlich verstanden.
Die Sicherheitsbeamten nickten beifällig. Vermutlich waren sie insgeheim froh über meine Entscheidung, weil ihnen dadurch garantiert eine Menge Schreibkram erspart blieb.
Ich öffnete den Jeep, warf meine Einkäufe eilig auf den Beifahrersitz und wandte mich, mit einem letzten vernichtenden Blick auf Jim, noch einmal an den Afroamerikaner.
„Haben Sie vielen Dank für Ihre Hilfe.“
Er grinste breit.
„War mir ein Vergnügen, Miss!“
Ich sprang in den Jeep, nickte den beiden Sicherheitsbeamten dankend zu und fuhr eilig davon. Im Rückspiegel sah ich voller Genugtuung, wie Jim sich unter Aufsicht der Security mühsam erhob und nun sicherlich noch eine Strafpredigt über sich ergehen lassen musste.
Ich spürte keine Reue, nur Wut und Unverständnis über all das, was ich von ihm erfahren hatte. War das eben wirklich der Mann gewesen, dem ich so lange Zeit vertraut hatte, und von dem ich dachte, er sei der Richtige für mich? Wie blind war ich bloß gewesen?
Und wie unendlich dämlich war dieser Kerl, um sich auf eine kriminelle Organisation wie ein Spielerkartell einzulassen? Vor allem aber - wie kaltschnäuzig, um die Frau, die er angeblich so sehr liebte, zuerst zu betrügen und dann auch noch einem Killerkommando zum Fraß vorzuwerfen, nur um mehr Zeit für seine verdammte Zockerei zu gewinnen!
Als ich in Bel Air ankam, war es bereits stockfinster. Celia und Ramon hatten den Wagen gehört und kamen sofort an die Eingangstür geeilt.
„Dios mio, ich habe schon das Schlimmste befürchtet!“, rief die Haushälterin aufgeregt und umarmte mich stürmisch, kaum, dass ich aus dem Jeep gestiegen war. „Bist du in Ordnung, Jess, Liebes?“
„Aber ja, Celia“, erwiderte ich und genoss im Stillen ihre mütterliche Umarmung. Ich hatte keine Ahnung, in wie weit Dean die beiden bereits informiert hatte, deshalb versuchte ich, sie zunächst mit einer allgemeinen Information zu beruhigen. „Wir sind alle wohlauf. Coop, Paloma, Adam und ich. Uns fehlt nichts. Und Jad wird wieder gesund!“
„Jad?“ Celias Augen wurden groß und rund vor Schreck, und auch Ramon, der dabei war, meine Einkaufstaschen aus dem Auto zu laden, hielt kurz inne. „Was ist mit ihm?“
Ich legte meinen Arm um die Schultern der Haushälterin und ging mit ihr, dicht gefolgt von Ramon, die Treppen hinauf zum Eingang.
„Jad wurde bei dem Einsatz heute verletzt, aber es geht ihm bereits wieder besser. Dean ist bei ihm, und ich werde die beiden nachher aus der Klinik abholen.“
„Er rief vor ein paar Stunden an und sagte, er wäre mit dir zusammen bei einem Einsatz gewesen, es gäbe deswegen noch einiges zu klären, deshalb würde es vermutlich spät werden. Von Jad hat er nichts erwähnt. Vorhin rief er noch einmal an und fragte, ob du bereits hier wärst. Er klang besorgt.“
„Ich… ähm… wurde im Supermarkt aufgehalten, von einem… Kunden aus der Praxis, der ein paar Fragen hatte“, erklärte ich so beifällig wie möglich, um die beiden nicht noch mehr zu beunruhigen. „Vermutlich wollte Dean euch nicht erschrecken, deshalb hat er nicht erwähnt, dass Jad verletzt wurde.“
„Und was ist das hier?“ Celia langte nach meiner rechten Hand und betrachtete sie skeptisch. Erst jetzt sah ich, dass die Stelle, die Jims Kinnspitze getroffen hatte, dunkelrot und blau angelaufen war. „Ich hatte angenommen, dass du den Einsatz nur aus sicherer Entfernung miterlebt hast, aber anscheinend warst du mittendrin!“
Ich fühlte mich ertappt.
„Ja also… das ist eine etwas längere Geschichte“, erklärte ich eilig.
Ramon warf einen Blick auf meine Hand und grinste.
„Wie auch immer, ein garantiert guter Schlag, Doc!“ Er nickte seiner Frau bedeutungsvoll zu. „Ich würde sagen, wir klären alles andere nachher, wenn Jess mit Dean und Jad wieder zurück ist. Oder soll ich die beiden für dich abholen, Jess?“
„Nicht nötig, Ramon“, erwiderte ich, dankbar für das Angebot und sein Verständnis. „Das würde ich gern selbst tun.“ Mein Blick fiel auf die Einkaufstaschen, die Ramon in der Diele abgestellt hatte. „Trotzdem hätte ich eine Bitte an dich, Celia.“
„Aber natürlich, Liebes!“
„Würdest du in der Zwischenzeit ein Lager für Jad herrichten? In den Taschen findest du alles Nötige. Er wurde operiert, hat einen dicken Verband um den Bauch und muss es warm und bequem haben, denn er wird sich ein paar Tage ausruhen.“
„Dios mio!“ Celia bekreuzigte sich erschrocken. „Aber du sagtest doch, er wird wieder gesund?“
„Natürlich, das wird er. Er braucht nur ein wenig Ruhe und gute Pflege.“
„Die bekommt er hier bei uns ganz sicher.“ Ihr Blick wanderte zu meiner verletzten Hand. „Komm nach dem Duschen noch kurz zu mir, ich lege dir etwas zum Kühlen drauf.“
„Danke“, nickte ich und wollte schon gehen, als sie lächelnd hinzufügte: „Wer auch immer diesen Schlag abbekommen hat, ich hoffe, er hat ihn verdient.“
„Oh ja“, erwiderte ich mit einem überzeugten Nicken. „Wenn ich ehrlich sein soll, dann war das noch viel zu wenig.“
An diesem Abend saßen Dean und ich noch lange mit Celia und Ramon zusammen in der Küche. Wir berichteten ausführlich von unserem aufregenden Tag, während Jad nebenan friedlich schlief. Celia hatte ihm ein geradezu königliches Lager hergerichtet, in dem er sich auf jeden Fall hervorragend erholen würde. In den nächsten Tagen würden wir sicherlich gut aufpassen müssen, dass die gute Seele ihn nicht zu sehr mit Leckereien überhäufte.
„Ich werde bald wieder mit Jad arbeiten, Celia“, bremste Dean seine Haushälterin gutmütig aus. „Und dann will ich einen Hund an meiner Seite, und kein Hängebauchschwein!“
Ich hatte Dean auf der Rückfahrt aus der Klinik von der Begegnung mit Jim erzählt, denn ich wollte keine Geheimnisse vor ihm haben. Außerdem war meine geprellte Hand, die inzwischen in sämtlichen Violett-Farbtönen schimmerte und dumpf vor sich hin schmerzte, nicht zu übersehen, zumal Celia mir ständig in den Ohren lag, doch besser einen Kühlverband mit essigsaurer Tonerde anzulegen.
Ich wollte keinen Essig und auch keine saure Erde, und schon gar keinen Verband. Die Hand anzusehen, bereitete mir ein wunderbares Gefühl der Genugtuung, denn ich war sicher, dass Jims Unterkiefer viel mehr schmerzte. Mindestens genauso sehr wie sein verletztes Ego, und das allein war es mir die Prellung wert.
Ich hatte Dean auch davon berichtet, dass Jim das Spielergeld irgendwo versteckt hatte, um später damit abzuhauen. Dass er vorgehabt hatte, mich mitzunehmen, verschwieg ich ihm allerdings im Hinblick auf die Gesundheit meines Ex, sollte er diesen irgendwann in die Finger bekommen. Außerdem glaubte ich Jim sowieso kein Wort davon. Vermutlich hätte er keinen Gedanken an mich verschwendet, sondern wäre allein mit dem Zaster durchgebrannt.
„Vor meiner Nase“, murmelte ich nachdenklich und drehte das halbvolle Weinglas spielerisch in meiner gesunden Hand. Dean unterbrach sein Gespräch mit Ramon und musterte mich erstaunt.
„Was ist mit deiner Nase?“
„Er hat gesagt, es ist vor meiner Nase“, erwiderte ich, ohne aufzublicken. Dean stellte sein Glas auf dem Tisch ab und schnippte geräuschvoll mit den Fingern in meine Richtung.
„Erde an Jess…“, versuchte er mich damit aus meinen Gedanken zu holen. „Wovon redest du? Was ist vor deiner Nase?“
„Es geht um Jim“, erwiderte ich und war endlich wieder voll ansprechbar. „Als ich ihn vorhin auf dem Parkplatz fragte, wo er das Geld versteckt hätte, meinte er, es sei direkt vor meiner Nase.“ Fragend sah ich von einem zum anderen. „Habt ihr eine Ahnung, was er damit gemeint hat?“