33. Das Geständnis
Bereits seit einer geschlagenen Stunde kauerte ich nun schon in einem der nicht sehr bequemen Schalensitze im Wartebereich der Eingangshalle des Tom Bradley International Airports in LA, neben mir meinen kleinen schwarzen Handkoffer, das einziges Gepäckstück auf dem bevorstehenden Flug. Ich hockte hier und haderte mit mir und meinem sogenannten „Masterplan“, den Paloma und ich gestern noch absolut genial fanden, und an dem sich auch Celia nach kurzem Zögern beteiligt hatte. Ob er allerdings tatsächlich gut war, und ob das, was ich mir davon erhoffte, auch wirklich klappen würde, daran hegte ich mittlerweile meine berechtigten Zweifel. Der Plan hing letztendlich von so vielen Faktoren ab, dass ich gar nicht mehr detailliert darüber nachdenken wollte. Aber nun hatte ich damit begonnen, ihn umzusetzen. Demzufolge musste ich abwarten, wie sich alles entwickeln würde.
Hopp oder topp…
Hopp bedeutete Dean Cooper und mit ihm eine glückliche Familie, topp dagegen einen Neuanfang für mich und mein vaterloses Kind. Oder umgekehrt?
Egal, wie man es auch drehte und wendete, in denkbar kürzester Zeit würde eine Entscheidung fallen. Und wenn ich an Deans Dickschädel dachte, dann wusste ich nur zu gut, dass alles möglich war.
In der Praxis hatte ich mich fürs Erste auf unbestimmte Zeit beurlauben lassen, denn auf Grund meiner Schwangerschaft durfte ich labortechnisch bis zur Niederkunft nicht mehr arbeiten. Paloma hatte Butch, sowie Adam und Jordan über meine Auszeit aus „persönlichen Gründen“ informiert, ohne ihnen jedoch Details zu verraten. Die beiden Ärzte erklärten sich ohne große Umschweife bereit, meinen Dienst vorerst mit abzudecken, bis endgültig entschieden werden konnte, wie es in der Station personell weiterging.
Paloma selbst hatte versprochen, mich über alles auf dem Laufenden zu halten, Anrufe und Nachfragen von Dean eingeschlossen.
Butch dagegen war todunglücklich, als er erfuhr, dass ich mich unbefristet hatte beurlauben lassen. Trotzdem hielt ich auch bei ihm mit der Wahrheit vorerst hinter dem Berg, denn ich war nicht sicher, ob er mein Geheimnis wahren würde. Nicht mehr lange, und ich konnte meine „Beweggründe“ ohnehin nicht mehr verbergen. Unwillkürlich erinnerte ich mich an Palomas Worte:
„Du wirst ein Walfisch, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche!“.
Erneut musste ich über ihre Bemerkung lächeln, obwohl ich momentan alles andere als fröhlich gestimmt war.
Von Tyler und Shemar hatte ich mich nicht verabschiedet, denn ich befürchtete, dass Dean dann schneller von meinen Plänen erfahren würde, als mir lieb war. Außerdem würde ich ja sowieso zurückkommen, und dann hatte ich zwei Optionen: zu bleiben – mit Dean, oder für immer zu gehen – ohne ihn. Die Entscheidung lag allerdings nicht in meinen Händen, auch wenn ich sie durch meine Aktion herauszufordern versuchte.
Seufzend stand ich auf und holte am Wasserspender einen Becher kühles Wasser, als endlich mein Handy in der Jackentasche vibrierte. Ein Blick aufs Display zeigte mir Palomas Namen.
„Hi Süße…“, begrüßte sie mich mit ihrer immer leicht rauchig klingenden Stimme. „Bist du bereit, Chica?“
„Kommt darauf an, wofür“, erwiderte ich vage.
„Es geht los.“
„Erzähl schon!“
„Er hat mich vor einer Minute angerufen und gefragt, wo du bist. Ich sagte ihm, du hättest dich bis auf weiteres beurlauben lassen.“
„Und?“
„Er hat sehr unschön geflucht. Soll ich den genauen Wortlaut wiederholen?“
„Nicht nötig.“
„Okay. Ich habe ihm genau das gesagt, was wir verabredet hatten. Da hat er nochmal geflucht und dann aufgelegt.“
„Und was bedeutet das jetzt, Paloma?“
„Keine Ahnung. Aber aufgrund seines Tonfalls befürchte ich, er dreht entweder dem Erstbesten, der ihm heute vor die Füße läuft, den Hals um, oder er sitzt bereits im Auto in Richtung Abflughalle.“
Oh nein, bloß das nicht!
Mein Blick wanderte panisch in Richtung Eingang, während ich mich bei Paloma bedankte und erwog, sicherheitshalber durch die Zollkontrolle in den Transitbereich, der für Nichtreisende unzugänglich war, zu verschwinden. In diesem Augenblick vibrierte mein Handy zum zweiten Mal.
Celia war dran.
„Es funktioniert, Liebes!“, trällerte sie mir gutgelaunt ins Ohr. „Er hat dein aufgeräumtes Zimmer und den fast leeren Kleiderschrank gesehen, kam in die Küche und fragte aufgeregt, wo du denn wärst. `Weg` habe ich ihm geantwortet, und als er fragte, wohin, sagte ich ihm genau das, was wir verabredet hatten.“ Sie seufzte. „Hach, Kindchen, er tat mir fast schon wieder leid, wie er dort stand und mich fassungslos angestarrt hat. Ich habe versucht, ihm sehr vorwurfsvoll klarzumachen, es sei ganz sicher der größte Fehler seines Lebens, eine Frau wie dich einfach gehen zu lassen. Da meinte er, dass er das doch gar nicht gewollt hätte, und ich sagte ihm, er hätte aber auch nichts dafür getan, dass du bleibst. Er wiederum schüttelte den Kopf und…“
In diesem Augenblick sah ich ihn.
Er kam im Sturmschritt durch die Eingangstür, blieb kurz stehen und blickte sich suchend um. Sekunden später hatte er mich entdeckt. Angesichts seiner grimmigen Miene und der Geschwindigkeit, mit der er auf mich zukam, zog ich automatisch den Kopf ein.
„Ähm… Celia, ich muss jetzt Schluss machen, mein Flug wird gerade aufgerufen. Ich melde mich wieder!“ Schnell beendete ich das Gespräch, straffte die Schultern und blickte Dean Cooper in banger Erwartung entgegen.
Direkt vor mir blieb er stehen, und sein Gesicht verhieß nichts Gutes.
„Was tust du hier?“
„Ich warte auf meinen Flug“, erwiderte ich und versuchte vergebens, meiner Stimme einen festen Klang zu geben. Was hatte Paloma vor ein paar Minuten gesagt? „…er dreht dem Erstbesten, der ihm heute vor die Füße läuft, den Hals um…“
So, wie er mich ansah, befürchtete ich fast, dass ich durchaus diese Auserwählte sein könnte. Vorsichtshalber ließ ich mich in den Schalensitz zurückfallen, um meinen Hals aus dem Gefahrenbereich zu bringen.
„Und… was tust du hier? Willst du auch verreisen?“
Meine Frage ignorierend blitzte er mich mit seinen dunklen Augen wütend an.
„Was soll das, Jess? Ist das deine Art, ohne ein Wort bei Nacht und Nebel zu verschwinden?“
„Ich… ich will doch gar nicht…“
„Du hast dich beurlauben lassen, dein Zimmer ist fast leer, und Celia sitzt heulend in der Küche! Ich kann von Glück sagen, dass sie nicht mit dem Kochlöffel auf mich losgegangen ist! Was ist denn in dich gefahren, verdammt?“
Wow… die gute Celia hatte in unserer kleinen Inszenierung anscheinend wirklich alle Register gezogen!
„Ich brauche nur ein wenig Zeit zum Nachdenken.“
„Wenn du nachdenken willst, dann leg dich an den Strand in die Sonne!“, schnaufte er verächtlich. „Du kannst doch nicht bei jedem Problem einfach deine Sachen packen und…“ Mit einem Mal hielt er mitten im Satz inne und starrte verwundert in Richtung Eingang. „Schau einer an, wen haben wir denn da?“
Ich folgte seinem Blick und traute meinen Augen kaum.
Zwischen all den Menschen, die hier im Gebäude geschäftig hin und her eilten oder einfach, so wie ich, wartend ausharrten, sah ich ihn plötzlich - Jim O`Neill, meinen Ex-Verlobten. Er trug Shirt, Jeans und Turnschuhe. Sein dunkler Blouson lag lose um seine Schultern, und er hatte kein Gepäck dabei. Mir fiel auf, wie blass er wirkte, und ich bildete mir ein, dass unter seinen Augen dunkle Schatten lagen. Die Untersuchungshaft hatte anscheinend ihre Spuren hinterlassen. Begleitet von zwei mir unbekannten Männern in dunklen Anzügen bewegte er sich zügigen Schrittes in Richtung Zollkontrolle.
Dean lachte verächtlich.
„Bist du am Ende deshalb hier? Weil er heute nach Hause fliegt? Willst du im Flieger zurück nach Dublin seine Hand halten?“
Ich war derart geschockt, Jim zu sehen, dass ich die Frage ignorierte.
„Wieso fliegt er zurück?“, fragte ich stattdessen. „Ich dachte, ihm droht eine Anklage?“
„Der Staatsanwalt ist der Meinung, dass O`Neill hier in den Staaten niemandem wirklich schwerwiegend geschadet hat. Außer dir natürlich, aber du hast ja auf eine Anzeige verzichtet. Die Behörden haben deshalb entschieden, ihn lediglich auszuweisen. Das ist effektiver und spart eine Menge Kosten. Er wurde mit einem Einreiseverbot belegt, was bedeutet, dass er auf unbestimmte Zeit nicht wieder in die USA einreisen darf.“
Erleichtert atmete ich auf.
Im Grunde war ich froh, dass Jim nicht ins Gefängnis musste, trotz allem, was er sich geleistet hatte. Aber ich dachte an seinen Vater und wusste, wie Jacob trotz aller Meinungsverschiedenheiten leiden würde, denn Blut war bekanntlich dicker als Wasser. Und der Gedanke daran, seinen einzigen Sohn tausende Meilen von daheim entfernt im Gefängnis zu wissen, wäre für den alten Mann sicher furchtbar gewesen.
„Vielleicht kommt er ja zur Vernunft und versöhnt sich mit seinem Vater“, murmelte ich gedankenverloren, während ich Jim nachblickte, wie er, die Hände unter seiner Jacke allem Anschein nach auf dem Rücken mit Handschellen fixiert, um einen Fluchtversuch zu vereiteln, zwischen den beiden Zivil-Beamten die Flughafenhalle durchquerte. Er hatte uns nicht gesehen, zumindest schien es so, denn er blickte nicht ein einziges Mal in unsere Richtung. Er lief, den Kopf gesenkt und dicht flankiert von seinen Begleitern, zielstrebig zur Zoll-Kontrolle. Niemandem fiel etwas auf.
Seine Bewacher würden ihn mit Sicherheit als letzten Passagier bis ins Flugzeug begleiten, und ihm erst an der Kabinentür die Handschellen abnehmen. Dann würde ihn während des Fluges ein sogenannter Flugmarschall bewachen, der als Passagier getarnt neben ihm Platz nehmen würde. Ich hatte das in irgendeinem Film gesehen.
„Nein, ich fliege nicht nach Dublin“, wandte ich mich an Dean und atmete tief durch, wohl wissend und zutiefst erleichtert, dass ich dieses Kapitel meines Lebens endgültig hinter mir gelassen hatte. „Ich habe einen Flug nach New York gebucht.“
„Eigenartig“, erwiderte er fast spöttisch und durchbohrte mich förmlich mit seinem Blick. „Du hast irgendwann einmal zu mir gesagt, du ziehst immer westwärts! New York liegt von hier aus gesehen im Osten!“
„Was du nicht sagst!“
„Und warum zum Teufel hältst du nicht an deinen Prinzipien fest und bleibst zumindest dir selbst treu?“
„Wie meinst du das?“
„So, wie ich es sage, Jess“, knurrte er und ich konnte sehen, wie seine Augen vor Wut noch dunkler erschienen als sonst. „Wenn du schon abhauen willst, weil dir etwas nicht passt, dann halt dich gefälligst an das, was du dir vorgenommen hast. Zieh so lange westwärts, bist du irgendwann wieder da ankommst, wo du deine Reise begonnen hast. Und dann fang an, darüber nachzudenken, was es dir gebracht hat, immer wieder davonzulaufen. Werde erwachsen!“
„Du bist unfair, Dean. Du glaubst, ich laufe einfach davon? Na gut…“ Ich atmete tief durch und versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben. „Los, jetzt sei du mal ehrlich!“
„Was soll denn das nun wieder?“, grummelte er verdrossen.
„Nenne mir bitte einen einzigen, vernünftigen Grund, warum ich bleiben sollte. Weil ich den Job in der Station bekommen habe? Okay, ich liebe meine Arbeit, aber ich finde auch anderswo etwas. Und ihr würdet genauso schnell einen neuen Veterinärmediziner finden. Jeder ist ersetzbar. Nein… ein Job ist nicht alles, um glücklich zu sein. Ich suche einen Ort, an dem ich mich zu Hause fühle. Zu Anfang habe ich gehofft, dass ich diesen Platz vielleicht genau hier gefunden hätte, aber momentan glaube ich, es gibt niemanden, der mich wirklich vermissen würde!“
„Was redest du für einen Blödsinn, verdammt? Natürlich würden dich alle vermissen. Celia zum Beispiel sitzt zu Hause und behandelt mich, als wäre ich allein schuld daran, dass du weg bist.“
„Aber das bist du nicht“, erwiderte ich sarkastisch.
„Natürlich nicht!“, rief er wütend. „Ich habe dir erst neulich gesagt, du kannst bleiben, solange du willst!“
Ich schüttelte resigniert den Kopf, weil mir klar wurde, dass er anscheinend gar nichts begriffen hatte.
„Ja, das hast du. Ich hocke als ewig geduldeter Gast in deiner Nobelvilla, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt.“
„Du bist doch nicht nur geduldet, Jess!“, widersprach er aufgebracht. „Du bist willkommen! Celia liebt dich, Ramon mag dich sehr…“
`Und was ist mit dir?`, schrie meine innere Stimme kläglich, doch mein Mund blieb stumm. Ich würde mich hüten, ihm noch einmal zu sagen, dass ich ihn liebte, wenn er das anscheinend gar nicht hören wollte.
Warum musste alles nur so verdammt kompliziert sein?
„Ich mag die beiden auch sehr gern. Aber das reicht mir nicht.“
„Was zum Teufel willst du denn noch? Unabhängig sein? Willst du deshalb weg? Na gut, dann such dir eine Wohnung, aber bleib wenigstens in der Nähe!“
„Du möchtest also, dass ich bleibe“, versuchte ich es noch einmal anders.
„Na klar. Das wollen wir alle. Celia, Ramon, deine Kollegen in der Station… nicht zu vergessen Jad! Er sitzt draußen im Auto und würde heulen, wenn er könnte. Er frisst nicht mehr, schaut mich nur noch vorwurfsvoll an und weigert sich, meine Befehle zu befolgen. Du brichst ihm das Herz, wenn du weggehst.“
Fassungslos starrte ich ihn an.
„Ach ja? Ich breche Jad das Herz?“ Aufgebracht und verständnislos schüttelte ich den Kopf und klopfte mit der Faust an meinen Brustkorb. „Und was ist mit mir? Wer fragt nach meinem Herz?“
„Was ist mit deinem Herz?“, erkundigte er sich in einem derart naiven Tonfall, dass ich glaubte, platzen zu müssen. Gleichzeitig aber wurde mir klar, dass wir so nicht weiterkamen. Ich hielt inne und starrte ihn frustriert an.
„Okay. Du sagst, alle wollen, dass ich bleibe. Und was ist mit dir? Willst du das auch?“
„Natürlich will ich, dass du bleibst. Warum sollte ich das nicht wollen?“
„Dann willst du also, dass alles so bleibt, wie es jetzt ist. Ich wohne bei dir, wir haben ab und zu Sex…“
„Was ist denn daran verkehrt? Ich finde, wir beide haben fantastischen Sex!“
„Das stimmt allerdings.“
„Na also, dann sind wir uns ja einig. Du bleibst da, wir haben fantastischen Sex und alles ist gut.“
Ich hatte das Gefühl, gleich losschreien zu müssen. So konnte doch wirklich nur ein Kerl denken!
„Und wie nennst du dieses Arrangement? Ist das für dich so etwas wie eine Beziehung?“
„Eine …Beziehung?“ Er sah mich derart entgeistert an, als hätte ich ihm gerade offenbart, dass er in ein paar Monaten Vater würde. „Du möchtest eine Beziehung? Und ich dachte immer, eine Partnerschaft wäre für dich aufgrund deiner Erfahrungen mit Jim so ziemlich das Letzte, was du willst!“
Jetzt war ich es, die dumm guckte. Er hatte sich mit Liebeserklärungen zurückgehalten, weil er glaubte, nach dem Desaster mit meinem Ex würde ich so etwas nicht hören wollen?
Irgendwie war mein Kreislauf noch immer nicht so richtig in Ordnung, denn ich merkte, wie meine Knie zu zittern begannen. Aufstöhnend ließ ich mich auf meinen Sitz zurückfallen.
„Oh Gott, Dean, was bist du für ein Idiot!“
Er setzte sich neben mich, streckte seine langen Beine aus und sah mich verständnislos von der Seite an.
„Wieso denn? Weil ich versuche, auf deine Gefühle Rücksicht zu nehmen?“
„Das ist völlig unnötig. Eine Liebeserklärung von dir hätte ich wahrscheinlich gerade noch verkraftet!“
`Sag es, sag es, sag es doch endlich!!!`
Er schwieg betreten.
„Vielleicht solltest du Jad holen, der macht nicht so ein Theater um seine Gefühle.“
„Hunde dürfen in diesen Bereich des Flughafens nicht hinein!“, erwiderte er trocken und brachte damit das Fass endgültig zum Überlaufen.
„Verdammt, Dean!“ Wütend sprang ich auf und wollte nach meiner Tasche greifen, als sich seine Hand blitzschnell mit eisernem Griff um mein Handgelenk legte.
„Jess!“
„Was?“, fauchte ich und versuchte mich loszureißen, doch er ignorierte meinen Befreiungsversuch und grinste stattdessen. „Du wirst wieder über meine Beine fallen, wenn du jetzt losrennst!“
„Du bist so ein…“
Er sprang auf und zog mich trotz meines Widerstandes langsam zu sich heran.
„Du weißt genau, dass ich mich mit solchen Dingen schwertue.“
„Ach ja, wirklich?“
Ein wohltuender Hoffnungsschimmer keimte plötzlich in mir auf, doch so leicht wollte ich es ihm nicht machen.
„Womit tust du dich schwer?“
Wieder schwieg er.
„Dean…“ Ich atmete tief durch, um mich einigermaßen zu beruhigen. „Sag doch einfach die Wahrheit! Sag mir, was du für mich fühlst!“
„Belästigt dieser Mann Sie, Miss?“, ertönte in diesem Augenblick eine strenge Stimme hinter uns. Erschrocken fuhren wir herum. Ein Officer der Flughafenpolizei stand da und musterte Dean argwöhnisch. Sofort ließ dieser meine Arme los und hob abwehrend die Hände.
„Aber nein!“, erklärte ich eilig und bemühte mich um ein freundliches Lächeln, denn der Blick des mindestens zwei Meter großen, bulligen Polizisten ließ keinen Zweifel daran, dass ein einziges Wort von mir ausreichen würde, um ihn ohne Zögern zu veranlassen, meinen Lieblingsmenschen in Handschellen zu legen und wegzusperren. Allerdings war ich auch ziemlich sicher, dass sich Dean nicht widerstandslos verhaften lassen würde, weil er damit Gefahr lief, dass ich meinen Flieger doch noch nahm. Und die makabre Vorstellung, dass sich die beiden Männer hier vor den Augen aller Anwesenden eine handfeste Prügelei lieferten, die dann für Dean garantiert mit einer Anzeige wegen Angriff auf die Staatsgewalt endete, behagte mir ganz und gar nicht.
„Bitte entschuldigen Sie vielmals, Officer, wir hatten nur eine kleine, unbedeutende Meinungsverschiedenheit, wie das eben zwischen frisch Vermählten manchmal vorkommt.“
Dean ging sofort auf meinen Versuch, die Situation zu bereinigen, ein.
„Sie will unbedingt die Flitterwochen bei ihrer Mutter verbringen“, ergänzte er mit oscarreifem Hundeblick. „Können Sie sich das vorstellen? Unseren ersten gemeinsamen Urlaub, bei meiner Schwiegermutter!“
Der gestrenge Blick des Ordnungshüters heftete sich auf mein Gesicht.
„Stimmt das, Miss… ähm… Ma`m?“
Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Lachen.
„Na ja, meine Mutter lebt auf Hawaii, und da dachte ich…“
Der Officer räusperte sich und bedachte Dean mit einem, wie mir schien, etwas mitleidigen Blick.
„Nun gut, wie dem auch sei, Herrschaften… Klären Sie Ihre Eheprobleme bitte außerhalb des Flughafengebäudes. Einen schönen Tag noch!“
Wir standen einen Augenblick da und starrten ihm wortlos nach. Dean fand schließlich als Erster seine Sprache wieder.
„Du hast ihn gehört, Jess“, grinste er und griff nach meiner Tasche. „Klären wir unsere Probleme draußen vor der Tür!“
„Moment mal!“ Jetzt war ich es, die nach seinem Handgelenk fasste. „Stell die Tasche wieder hin. Wir klären das hier und jetzt.“
Seufzend stellte er die Tasche zurück auf ihren Platz.
„Wir waren uns doch schon einig. Du wohnst bei mir, wir haben fantastischen Sex… Baby, was gibt es da noch klären?“
„Du wolltest mir gerade sagen, was du fühlst.“
„Was ich fühle? Also momentan hätte ich dem Dicken liebend gern eins auf die Nase gegeben!“
Ich kniff drohend die Augen zusammen.
„Was du für mich fühlst!“
„Ähm… für dich…“
„Dean!“
„Herrgott nochmal, Jess“, fauchte er plötzlich los und funkelte mich wütend an. „Was willst du denn hören? Dass es mir noch viel schlimmer geht als Jad? Dass ich Angst habe, nicht mehr atmen zu können, wenn du in dieses verdammte Flugzeug steigst? Dass ich…“
„Was?“ Ich trat ganz dicht an ihn heran und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte. „Komm schon, sag es endlich, Dean!“
Er atmete tief durch und ich spürte deutlich, wie er mit sich rang.
„Dass ich mich in dich verliebt habe, seitdem du mir damals direkt vor die Füße gefallen bist?“, knurrte er schließlich dicht vor meinem Gesicht. „Dass ich ein wahnsinnig starkes Verlangen nach dir verspüre, sobald du nur in meiner Nähe bist? Dass ich Tag und Nacht mit dir zusammen sein will und sogar auf Jad eifersüchtig bin, wenn du ihn hinter den Ohren graulst?“
Ich stand da, wie vom Donner gerührt.
„Das ist…“
Er verdrehte entnervt die Augen.
„Totaler Schwachsinn, ich weiß. Hast du jetzt genug, oder willst du noch mehr hören?“
„Das war kein Schwachsinn, das war die schönste Liebeserklärung, die eine Frau überhaupt bekommen kann!“ Lächelnd und unendlich erleichtert nahm ich sein Gesicht zwischen meine Hände. „Ich habe so lange darauf gewartet, dass du mir das sagst.“ Meine Stimme klang belegt, und ich versuchte vergeblich den Kloß, der sich plötzlich in meiner Kehle breitmachte, hinunterzuwürgen. „Du hattest recht, Dean, als ich hierherkam, wollte ich mich nie wieder verlieben. Dann ist es trotzdem passiert, schneller, als mir lieb war. Aber ich war mir lange Zeit nicht sicher, ob du dasselbe auch für mich empfindest. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe? Und jetzt, da deine Ex wiederaufgetaucht ist und du dich heimlich mit ihr getroffen hast…“
„Du weißt davon?“, fragte er sichtlich geschockt.
„Ich bin ja nicht blöd“, knurrte ich und versuchte so diplomatisch wie möglich Ramons kleine Indiskretion zu verheimlichen, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen. „Der Anruf von deinem Vater, deine ständige Abwesenheit, die nächtlichen Ausflüge! Dann ihr Anruf neulich früh nach unserem Spaziergang, nach dem du es plötzlich wahnsinnig eilig hattest. Als du weg warst, habe ich die Nummer zurückgerufen und da war sie dran, Rebecca Cooper höchstpersönlich. Im Hintergrund war ihr kleiner Sohn zu hören.“ Ich schüttelte den Kopf, denn die Vorstellung, dass Dean sie heimlich getroffen hatte, tat mir noch immer weh. „Warum hast du`s mir nicht gesagt?“
„Was meinst du? Das sich Becky und Matt hier in den Staaten aufhalten?“ Verständnislos sah er mich an. „Was spielt das für eine Rolle? Du kennst sie doch gar nicht.“
„Aber du…“
Plötzlich schien er zu begreifen. Lachend zog er mich in seine Arme.
„Du bist eifersüchtig, Jess!“
„Klar bin ich das.“
„Aber dafür gibt es doch überhaupt keinen Grund.“ Er setzte sich und zog mich auf seinen Schoß. „Sie hat mich um Hilfe gebeten, weil sie Angst hatte, mein Vater würde ihr Matt wegnehmen, wenn sie ihn verlässt. Sie ist mit ihrem Sohn in die Staaten geflogen, und wir haben ihnen geholfen, unterzutauchen.“
„Wer ist wir?“
„Ramon und ich. Unter Mithilfe von unserem Chief, der hat all seine Beziehungen spielen lassen, um den beiden eine neue Identität zu verschaffen. Wir haben ihnen ein Appartement drüben in Malibu besorgt, wo sie fürs Erste sicher sind.“
„Dann warst du mit Ramon dort?“
„Mehrmals. Ich habe meinen kleinen Halbbruder kennengelernt, und wenn du möchtest, werde ich ihn dir irgendwann einmal vorstellen. Er ist süß, so unverdorben, obwohl Becky von sich selbst behauptet, ihm keine besonders gute Mutter zu sein. Sie nimmt Antidepressiva. Ich habe die Tabletten bei ihr gesehen. Aber der Junge ist in Ordnung. Was ich getan habe, das habe ich ihm zuliebe getan.“
„Und Rebecca? Wie war es für dich, sie wiederzusehen?“
„Schwer zu sagen. Sie bedeutet mir einfach nichts mehr. Als ich zustimmte, ihr zu helfen, habe ich allein an Matt gedacht.“ Er verzog verächtlich das Gesicht. „Ich weiß, wie mein Vater ist, und ich wollte dem Kleinen ersparen, so aufwachsen zu müssen wie ich. Ohne Mutter, aber dafür mit einem Vater, der anderen die Erziehung seines Sohnes überlässt und ihn dann irgendwann mit Gewalt seinen Regeln unterwerfen will. Was Rebecca betrifft, sie gehört zu meiner Vergangenheit, nicht mehr und nicht weniger. Und das weiß sie auch. “
„Fragt sich nur, ob sie es auch akzeptiert“, murmelte ich skeptisch und er lachte.
„Das ist ihr Problem, Jess. Nicht meines.“ Er sah mich mit seinen dunklen Augen liebevoll an. „Ich für meinen Teil habe endlich ganz neue Perspektiven, seitdem du in mein Leben gestolpert bist!“
Ich hielt seinem Blick stand und spürte, wie mir nun endgültig die Tränen in die Augen schossen. Spontan schlang ich die Arme um seinen Hals und presste meine Lippen auf seine. Er reagierte mit einem erleichterten Seufzen und erwiderte meinen Kuss mit einer ungezügelten Leidenschaft, die mich vor Glück schwerelos werden ließ.
„Westwärts“, murmelte er, als sich unsere Lippen nach einer Ewigkeit kurz voneinander lösten. „Ich würde vorschlagen, du beendest deine Reise hier und jetzt. Du bist zu Hause, Baby!“
„Noch nicht ganz.“ Nur widerwillig löste ich mich aus seinen Armen und erhob mich, als in diesem Augenblick über den Lautsprecher mein Flug aufgerufen wurde. „Tut mir leid, Dean, aber mein Entschluss steht fest. Ich muss jetzt los…“