19. Wiedersehen
Coop war zurück!
Er lehnte an seinem Jeep, der momentan meiner war, und sah mir mit diesem undefinierbaren Blick entgegen, der meine Herzfrequenz jedes Mal binnen Sekunden in gefährliche Höhen katapultierten. Zu allem Überfluss musste ich mir auch noch eingestehen, dass er wieder unverschämt gut aussah in seiner schwarzen Lederjacke, die er über einem dunklen Shirt trug, und dieser absolut perfekt sitzenden Bluejeans, die mir neulich schon an ihm aufgefallen war.
Als ich ihn so dort stehen sah, fielen alle Sorgen der letzten Tage schlagartig von mir ab wie welke Blätter. Es war fast so, als wäre ich allein durch seinen Anblick von einer zentnerschweren Last befreit. Dafür begannen meine Knie so stark zu zittern, so dass ich befürchtete, ohne Hilfe keinen Schritt mehr tun zu können.
Jad dagegen war nicht zu halten.
Hastig beugte ich mich zu ihm herunter und klinkte ihn aus der Leine. Er rannte los wie ein Blitz, hinüber zu seinem Besitzer, der sogleich in die Hocke ging und seinen vierbeinigen Partner mit offenen Armen empfing. Begeistert sprang Jad hinein und versuchte enthusiastisch, Coop übers Gesicht zu schlecken, doch der ahnte bereits, was sein Hund vorhatte und wich dessen schlabbrigem Liebesbeweis geschickt aus. Dabei lachte er, und um seine Augen bildeten sich diese attraktiven kleinen Lachfältchen, die mich immer wieder aufs Neue faszinierten.
Jad war selig. Er ließ sich knuddeln und zausen und gebärdete sich vor Freude wie ein Welpe beim Spiel, bevor er sich schließlich zufrieden an Coopers Beine schmiegte.
Inzwischen hatte ich es irgendwie geschafft meinem vierbeinigen Freund langsam zu folgen. Ein paar Schritte entfernt blieb ich stehen, um das Wiedersehen der beiden nicht zu stören. Andächtig sah ich ihnen zu und sog diese wunderschöne Szene förmlich in mein Gedächtnis hinein, um sie nie wieder zu vergessen.
In diesem Augenblick hob Coop den Kopf, und unsere Blicke trafen sich. Sein Gesicht, auf dem noch das Lachen von dem Wiedersehen mit Jad stand, wurde schlagartig ernst, und seine dunklen Augen schienen mich magisch anzuziehen, während er sich langsam erhob.
Wie im Trance setzte ich mich in Bewegung und ging auf ihn zu. Dicht vor ihm blieb ich stehen, hob die Hand und berührte mit den Fingerspitzen seine Wange, als müsste ich mich erst davon überzeugen, dass er auch wirklich wieder da war.
„Hey…“, sagte ich leise und atmete tief durch, um den Kloß in meiner Kehle loszuwerden. „Ich habe mir Sorgen gemacht.“
„Ach ja?“ Der eisige Ton in seiner Stimme ernüchterte mich schlagartig. „Das sah aber eben gar nicht so aus.“
Ich wusste sofort, worauf er hinauswollte.
„Die Umarmung zwischen mir und Ty war eine rein freundschaftliche Geste. Nicht mehr und nicht weniger.“
Er schnaufte verächtlich.
„Du weißt aber schon, dass Tylers Gefühle für dich alles andere als freundschaftlicher Natur sind, oder?“
Das war doch wohl die Höhe!
Aus irgendeiner verborgenen Ecke meines Unterbewusstseins kam mein Gerechtigkeitssinn hervorgeschossen und drückte wütend auf den Alarmknopf.
Dieser Kerl ließ mich volle drei Tage in Angst und Ungewissheit um sein Leben hier schmoren und hatte dann den Nerv, sich über eine harmlose Umarmung unter Freunden aufzuregen?
Mister Obercool stand abwartend da und musterte mich mit einem derart schulmeisterhaften Blick, dass ich Mühe hatte, nicht zu explodieren.
Urplötzlich sah ich mich vor meinem geistigen Auge wieder in Adams Praxis mit dem Skalpell in der Hand spielen und dachte daran, wie selbstbewusst ich diese Situation gemeistert hatte, ohne mich von diesem eiskalten Typen in irgend einer Weise provozieren zu lassen. Inzwischen wusste ich auch Cooper recht gut einzuschätzen und war sicher, dass ich hier und jetzt, genau in dieser Situation, mit Wut und Gezeter bei ihm nicht weiterkommen würde. Also beschloss ich in letzter Sekunde, die Taktik grundlegend zu ändern und den Spieß einfach umzudrehen.
„Okay“, sagte ich gedehnt und atmete tief durch. „Und… was ist mit deinen Gefühlen?“
Damit hatte ich ihn erwischt. Erstaunt zog er die Augenbrauen zusammen.
„Mit meinen… Was? Zum Teufel, Jess, was haben meine Gefühle denn damit zu tun, wenn du Tyler küsst?“
Obwohl ich befürchtete, dass mein Herzschlag im Umkreis von mindestens einhundert Metern zu hören war, hob ich scheinbar gleichgültig die Schultern.
„Tja, anscheinend gar nichts, Coop. Und genau aus diesem Grund kann es dir doch egal sein, wen ich küsse.“
Er starrte mich an, als hätte ich chinesisch gesprochen.
„Das ist mir aber nicht egal“, knurrte er schließlich heiser.
„Also… das ist dann dein Problem“, gab ich zurück und wies mit dem Daumen nach hinten in Richtung des Lokals, in dem unsere Kollegen saßen. „Kommst du noch kurz mit rein? Die anderen freuen sich bestimmt auch, dass du endlich…“
Weiter kam ich nicht, denn er packte blitzschnell zu, erwischte mich am Handgelenk und wirbelte mich zu sich herum. Durch den unerwarteten Schwung verlor ich das Gleichgewicht und landete ungebremst direkt in seinen Armen.
„Du solltest mich nicht noch zusätzlich provozieren, Lady“, knurrte er angriffslustig, und bevor ich wusste, wie mir geschah, spürte ich seine Lippen auf meinem Mund. Meine Knie knickten vor Überraschung endgültig weg, so dass ich mich instinktiv an seiner Jacke festkrallte, während mein armes Herz, das in den vergangenen fünf Minuten wie wild geschlagen hatte, fast zum Stillstand kam, bevor es sich kurz darauf zu einem wilden Freudentaumel mit den Schmetterlingen in meinem Bauch hinreißen ließ.
Allerdings war dieser Kuss anders als der, an den ich mich nur zu gut erinnern konnte. Der war zärtlich und unwahrscheinlich sinnlich gewesen. Jetzt küsste er mich hart und fordernd, ich spürte deutlich seine Wut in diesem Kuss und konnte kaum atmen.
Als die Luft schließlich beängstigend knapp zu werden drohte, biss ich ihn panisch auf die Lippe, worauf er überrascht aufstöhnte und mich für einen Augenblick freigab. Ich nutzte den Moment, schnappte nach Luft und schlang dann rasch meine Arme um seinen Hals, um ihn erneut zu mir heranzuziehen.
„Küss mich nochmal so wie in der Station“, flüsterte ich verführerisch und streifte seine Lippen spielerisch mit meinen. „So hat mich bisher noch keiner geküsst!“
Ich spürte sein kurzes Zögern, so als müsse er meine Worte erst in sich nachklingen lassen, doch dann beugte er sich wieder vor und nahm mit seinen Lippen, die plötzlich viel weicher und zärtlicher als vorher zu sein schienen, langsam und genüsslich von meinem Mund Besitz. Hitze durchflutete meinen Körper und wanderte zielstrebig gen Süden zum Zentrum meiner Lust. Aufseufzend drängte ich mich dichter an ihn, um den Kuss mit allen Sinnen zu genießen und so weit wie möglich zu vertiefen. Sehnsüchtig begann er an meinen Lippen zu saugen. Mir wurde vor Wonne ganz flau im Magen, und meine Knie drohten erneut nachzugeben, doch Coops Arme hielten mich sicher. Mit der einen Hand streichelte er zärtlich meinen Rücken, die andere hatte er auf meinen Hinterkopf gelegt, als wolle er damit verhindern, dass ich mich auch nur einen Millimeter von ihm entfernte, während unsere Zungen ein wildes, erotisches Spiel miteinander begannen.
Wir blendeten die Welt um uns herum komplett aus und legten all die unerfüllte Sehnsucht der letzten Tage und das quälende Verlangen nach einander in diesen verzehrend leidenschaftlichen Kuss.
„He, nehmt euch ein Hotelzimmer!“, drang irgendwann wie von fern eine mir unbekannte Stimme in mein Bewusstsein, begleitet von anzüglichem Lachen.
Widerwillig ließen wir voneinander ab und brauchten einen Augenblick, um wieder zurück in die Wirklichkeit zu finden.
Ein paar Jugendliche schlenderten grinsend an uns vorbei und hätten wohl noch mehr provozierende Bemerkungen parat gehabt, wäre Jad nicht mit einem eindeutigen Knurren aufgesprungen, worauf sie wie auf Kommando verstummten und einen Riesenbogen um uns machten.
„Ruhig Partner“, befahl Cooper, ohne dabei den Blick von mir abzuwenden. Zärtlich strich er mit den Fingerspitzen über meine glühenden Wangen. „Aber ich muss zugeben, den Vorschlag mit dem Hotelzimmer fand ich gar nicht mal so schlecht.“
„Deine Villa ist tausendmal besser als ein Hotel“, erwiderte ich lächelnd.
„Dann lass uns sofort hinfahren, bevor wir hier zum öffentlichen Ärgernis werden“, knurrte er ganz dicht an meinem Mund. „Ganz schnell!“
„Geht nicht“, flüsterte ich zurück. „Ramon muss erst sein Bier austrinken!“
„Er soll sich ein Taxi nehmen!“
„Coop…“, grinste ich kopfschüttelnd.
„Okay, dann geh ihn holen. Ich gebe ihm fünf Sekunden!“
„Coop!“, mahnte ich diesmal deutlich nachdrücklicher und trat einen Schritt zurück, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, in seiner Nähe nicht mehr klar denken zu können. Dabei gab es noch so viel zu klären…
„Lass uns doch erstmal kurz reden“, beschwichtigte ich ihn. „Wann bist du eigentlich aus Vegas zurückgekommen? Und was ist dort passiert? Habt ihr die Kerle gefunden, die Jim in ihrer Gewalt haben?“
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Plötzlich war nichts mehr von der Zärtlichkeit, mit der er mich vor wenigen Sekunden noch angesehen hatte, vorhanden.
„Wir sprechen später darüber. Ich habe jetzt einen Termin beim Chief. Dir kann ich vorerst nur so viel sagen, dass es einen Zugriff gab, bei dem zum Glück niemand ernsthaft verletzt wurde.“
Erleichtert atmete ich auf. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass das noch nicht alles war.
„Und was ist mit Jim?“, bohrte ich hartnäckig weiter. „Habt ihr ihn gefunden? Geht es ihm gut?“
„Dein feiner Ex-Freund…“, sagte er und musterte mich gespannt. „…hat anscheinend mehr Glück als Verstand. Er hatte sich rechtzeitig vor unserem Auftauchen aus dem Staub gemacht.“
„Ihr habt ihn also nicht gefunden?“
„Nein.“
„Aber wo kann er denn sein?“
„Warum interessiert dich das so brennend, Jess?“, fragte Coop lauernd. „Ich dachte, du willst nach eurer Trennung nichts mehr mit ihm zu tun haben?“
´Herrgott nochmal, bekam er denn heute alles, was ich sagte oder tat, in den falschen Hals?´
„Das heißt doch nicht, dass es mir egal ist, was mit ihm passiert, wenn er sich in den Händen solcher Gangster befindet!“
„Wie gesagt, er war nicht da. Wir haben keinen Hinweis auf seinen Verbleib“, fertigte er mich brüsk ab und zog dann erneut nachdenklich die Augenbrauen zusammen. „Hat er sich vielleicht in der Zwischenzeit bei dir gemeldet?“
„Wie bitte?“ Ich glaubte mich verhört zu haben. „Glaubst du ernsthaft, ich würde dich fragen, wenn ich etwas wüsste? Denkst du, ich lüge dich an, um ihn zu schützen?“
„Tust du`s?“
„Also jetzt reicht es!“, fauchte ich wütend. „Du fragst mich schon wieder aus, als hättest du einen deiner Verdächtigen vor dir. Nach allem, was in den letzten Tagen passiert ist, solltest du vielleicht ein wenig mehr Vertrauen zu mir haben!“
„Jess!“, versuchte er halbherzig einzulenken und deutete auf den Eingang zum Police-Departement hinter sich. „Ich muss gleich dort hinein und beim Chief Director haargenau Rechenschaft ablegen über jeden Schritt, den die Jungs vom SEK- Kommando und ich unternommen haben, um die Kerle zu schnappen. Vorher will ich wissen, wie du zu Jim O`Neill stehst, und ob du irgendetwas über ihn weißt.“
Nun ging mein Temperament aber wirklich mit mir durch.
„Ja klar, Herr Kommissar, er ist sofort, nachdem du weg warst, bei dir in der Villa aufgetaucht. Ich habe ihn die ganze Zeit unter meinem Bett versteckt, und wir beide haben uns köstlich darüber amüsiert, wie toll wir euch alle an der Nase herumgeführt haben!“
Er packte mich wütend am Arm.
„Hör auf damit, verdammt!“
„Hör du damit auf, mich ständig zu Unrecht zu verdächtigen!“
„Das ist mein Job! Da zählen nur knallharte Fakten!“
„Und was ist mit deinem Gefühl? Ich bin die, die du eben geküsst hast, Coop! Und zwar so, als würdest du wirklich etwas für mich empfinden.“
„Zum Teufel, Jess, das tue ich doch auch!“
„Wie wäre es dann mit ein klein wenig Vertrauen?“
Wir standen uns gegenüber und starrten einander an wie zwei Kampfhähne. Er hielt noch immer meinen Arm umklammert, und da ich keine Antwort auf meine letzte Frage bekam, versuchte ich schließlich, mich aus seinem festen Griff zu befreien.
„Lass mich los, verdammt!“
Er gab mich nur zögernd frei, atmete tief durch und wies auf den Eingang des Police Departements direkt hinter uns.
„Wir reden später, okay? Ich muss los.“
„Wo willst du weiterreden? Bei dir zu Hause? Glaubst du, ich warte dort auf dich? Oh nein! Ich werde jetzt Jim unterm Bett vorzerren, meine Sachen zusammenpacken und schleunigst…“ Weiter kam ich nicht, denn er packte mich erneut, zog mich an sich und presste seine Lippen auf meine, als wolle er mich damit endlich zum Schweigen bringen, was ihm indirekt auch recht gut gelang.
Ich war viel zu wütend, um ihn in diesem Moment zu küssen, aber irgendwie gehorchte mir mein Körper überhaupt nicht mehr. Zitternd vor Wut und Erregung zugleich ergab ich mich seiner Umarmung.
Doch bevor ich den Kuss erwidern konnte, ließ er mich bereits wieder los.
„Du bringst mich um den Verstand, Jess“, flüsterte er heißer.
Obwohl in meinem Inneren nach wie vor ein wahres Gefühlschaos tobte, blinzelte ich ihm mit einem gespielt unschuldigen Lächeln zu und hob scheinbar gleichgültig die Schultern.
„Dein Problem, Cowboy!“
Er maß mich erneut sekundenlang mit diesem für ihn so typischen, undefinierbaren Blick und atmete erneut tief durch.
„Ich kann noch nicht sagen, wie lange das hier dauert. Fahr mit Ramon nach Hause. Wir treffen uns dann bei mir. Und bitte, Jess… lauf nicht schon wieder davon!“
Hastig wandte er sich ab und ging eilig, ohne sich noch einmal umzudrehen, hinüber zum Eingang des Police Departements. Ich stand wie vom Donner gerührt und starrte noch immer auf die Tür, als Cooper schon lange dahinter verschwunden war.
Ein eindringendes Fiepen drang an mein Ohr und holte mich jäh in die Wirklichkeit zurück. Jad saß vor mir, stupste mich mit seiner Schnauze ans Bein und sah mich aufmerksam an. Augenblicklich regte sich mein schlechtes Gewissen. Jad war ein kluges Tier, und mit Sicherheit hatte er die Spannungen zwischen uns bemerkt und war verunsichert. Schnell hockte ich mich neben ihn und lehnte meinen Kopf an seinen Hals, während ich ihm beruhigend übers Fell strich.
„Ist schon gut, Jad“, flüsterte ich ihm zu. „Dein Herrchen ist manchmal ein wenig schwierig, wie mir scheint. Das Problem ist, dass ich ihn viel mehr mag, als mir momentan lieb ist. Aber das kriegen wir schon hin.“
Jad saß da, spitzte die Ohren und hechelte still vor sich hin. Ich musste lachen. „Eigentlich hätte ich dir das eben gar nicht sagen dürfen, denn das sollte vorerst mein Geheimnis bleiben. Also behalte das für dich, okay?“
„Wuff!“
Na gut, was auch immer das heißen mochte, wir waren uns einig.
Ich stand auf, öffnete den Jeep und ließ Jad hinein.
„Nur fünf Minuten, mein Freund“, versprach ich, bevor ich die Tür wieder schloss. „Ich hole Ramon, dann fahren wir.“
„Wuff!“
Unser vierbeiniger Officer nahm brav seinen Platz ein und streckte sich gemütlich aus. Sicher war er im Grunde seines treuen Hundeherzens froh, dass keiner mehr knutschte, keiner mehr stritt, und er endlich seinen wohlverdienten Feierabend genießen konnte.