11. Sommergewitter
Das unangenehme Streitgespräch mit meinem überraschend aufgetauchten Ex-Freund, sowie die darauffolgende, unerwartet erotische nächtliche Begegnung mit Dean Cooper beschäftigten mich derart, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte.
Mit meiner Arbeit konnte ich mich nicht ablenken, denn es war Wochenende. Ich hockte hier in meinem Bereitschaftszimmer und wusste beim besten Willen nicht, was ich mit der freien Zeit anfangen sollte.
Irgendwo da draußen lauerte Jim, das sagte mir mein Gefühl. Ich glaubte nicht daran, dass er meinen Rat befolgt und den nächsten Flieger genommen hatte. So leicht würde er nicht aufgeben, so sehr ich mir das zu diesem Zeitpunkt auch wünschte. Da ich keine Lust auf ein weiteres nervenaufreibendes Streitgespräch mit ihm verspürte, beschloss ich schließlich, mich zu meiner eigenen Sicherheit vorerst auf dem Gelände der Station aufzuhalten und den Vormittag unten am Strand mit Joggen, Schwimmen oder Faulenzen zu verbringen. Trotzdem ich mich hier einigermaßen sicher fühlte, ertappte ich mich doch immer wieder dabei, wie ich mich vorsichtig umsah, ob sich nicht vielleicht von irgendwoher ungebetene Gäste näherten. Aber außer ein paar Hundeführern, die mit ihren Diensthunden den bewachten Strand zum Toben und Laufen nutzten, hielt sich heute niemand auf dem Gelände auf.
Am Nachmittag rief Paloma an und fragte, ob ich Lust zum Inlineskaten hätte und ich stimmte sofort zu. Zwischen Marina del Rey, Venice und Santa Monica gab es einen kilometerlangen, breiten Radweg, der sogenannte 26-Mile Bike Path, der für solche sportlichen Aktivitäten wie geschaffen war, Ich spürte, ich musste dringend unter Menschen, raus aus dieser selbst auferlegten Einsamkeit. Außerdem musste ich dringend mit jemandem reden, und Paloma schien mir dafür genau die Richtige zu sein.
Einträchtig liefen wir auf unseren Inlinern nebeneinander her, unter den meterhohen, für Südkalifornien so typischen Palmen entlang, den würzigen Duft des Ozeans in der Nase, die Sonne auf der Haut und den Wind im Haar. Die oft gepriesene „große Freiheit“ gab es nicht nur auf der Route 66, man konnte sie hier vielerorts spüren. Für eine Weile vertrieb dieses trügerische Gefühl der grenzenlosen Sorglosigkeit alle Gedanken aus meinem Kopf, das Rauschen der Wellen klang wie Musik in meinen Ohren, und ich fühlte mich herrlich leicht und frei.
Zwischen Venice und Santa Monica lag die sogenannte Künstlermeile, auf der unzählige Händler ihre Waren anboten. Künstler, vornehmlich Kunst- und Musikstudenten, aber auch viele schrille und abgedrehte Typen, die sich aus irgendeinem unersichtlichen Grund für etwas Besonderes hielten, zeigten ihre Darbietungen und verblüfften oder nervten die vorbeiziehenden Leute mit ihrer „Kunst“. Ein langer dürrer Schwarzer mit Frack und Zylinderhut beispielsweise spielte auf einer Geige, die nur eine Saite hatte. Das Gefiedel klang nervtötend, aber er frönte seinem Können völlig selbstvergessen und hingebungsvoll, und da er zu dem erbarmungswürdigen Gewimmer noch äußerst behände auf Stelzen herumtanzte, so dass man befürchten musste, er würde jeden Augenblick lang hinschlagen, hatte er immerhin die volle Aufmerksamkeit der umstehenden Leute. Ihm schien es egal zu sein, ob sie ihn an- oder auslachten, wichtig war, dass sie ihm Beachtung schenkten.
Bevor wir die Künstlermeile Richtung Santa Monica verließen, gerieten wir mitten in eine Schlägerei, die, wie mir Paloma erklärte, hier wohl an der Tagesordnung zu sein schien.
Zwei Raufbolde gingen urplötzlich mit einer Brutalität aufeinander los, die mich zutiefst schockierte. Eine junge Latina auf High Heels mit ultrakurzem Mini wollte laut zeternd dazwischengehen, wurde jedoch von einigen Jugendlichen, die sie anscheinend kannten, zurückgehalten. Es hagelte jede Menge bösartige Worte und Faustschläge, und ich kam mir vor wie mitten in den Dreharbeiten zu einem Actionfilm. Zuerst dachte ich, die würden vielleicht nur bluffen, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, aber spätestens als der eine, ein kräftiger Schwarzer, den anderen, einen ziemlich ungepflegt aussehenden, dürren Weißen, zu Fall brachte und seinen Kontrahenten derart heftig mit dem Kopf auf den Asphalt schlug, dass dieser eine stark blutende Platzwunde davontrug, war ich sicher, dass die beiden keinen Schaukampf austrugen.
Innerhalb weniger Sekunden hatte sich um das Zentrum des Kampfes ein Menschenauflauf gebildet. Alle gafften, viele filmten mit dem Handy, während dem Verletzten das Blut übers Gesicht lief und auf den Asphalt tropfte.
„Das gibt’s doch nicht, warum tut denn keiner was?“, wandte ich mich aufgeregt an Paloma, doch die winkte nur relativ unbeeindruckt ab.
„Das sind Mitglieder von Gangs, wenn es wirklich ernst wird, dann gehen die eigenen Leute schon dazwischen.“
„Ja aber... er blutet!“
Sie zog mich energisch am Arm weiter.
„Komm, die klären das unter sich. Misch dich hier bloß nicht ein! Das sind ungeschriebene Gesetze. Wenn die Bullen auftauchen, sind die schneller weg, als du HILFE sagen kannst, und rate mal, wer dann die Dumme ist!“
Erschüttert folgte ich ihr, drehte mich aber noch ein paar Mal um und sah, wie der dürre Weiße zum Strand hinüberwankte und sich dort erschöpft in den Sand fallen ließ.
Ungeschriebene Gesetze? Wenn mich hier jemand überfallen sollte, würden dann auch alle nur zusehen?
Paloma schüttelte den Kopf, als ich sie mit meiner Befürchtung konfrontierte.
„Wie gesagt, das sind Gangs, zwischen denen kracht es ständig. Deshalb fahren die Bullen hier sehr oft Streife. Abends im Dunkeln sollte man als Touri auch nicht unbedingt diesen Weg nehmen. Es gibt in Venice viele Obdachlose und Junkies. Normalerweise tun die keinem etwas, aber was ist heutzutage schon normal! Wenn sie auf Speed sind oder auch auf Entzug, dann sind sie unberechenbar.“
Eine Viertelstunde später erreichten wir den Pier von Santa Monica und gönnten uns eine Pause. Wir waren von Marina del Rey aus über eine Stunde unterwegs gewesen. Meine Beine waren diese Art von Bewegung nicht gewöhnt und fühlten sich an wie Gummi.
Paloma lachte.
„Morgen wirst du einen ordentlichen Muskelkater haben, meine Liebe“, prophezeite sie.
„Ist mir egal“, erwiderte ich einigermaßen relaxt. „So ein Training tut mir heute gut. Es hält den Kopf frei!“
Und weil Bewegung bekanntlich hungrig macht, holten wir uns zwei Hamburger, die hier direkt hinter dem überdimensionalen Hinweisschild „End of the Road 66“ als die allerletzten Burger der wohl berühmtesten Straße der USA angepriesen wurden. Wir ließen uns auf einer der Bänke unweit der Police-Station nieder, streckten die Beine aus, und während wir genüsslich kauten, beobachteten wir die vorüberziehenden Leute.
Nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten, sah Paloma mich erwartungsvoll von der Seite an.
„Na los, nun erzähl schon endlich! Was hat dein Ex gestern so von sich gegeben? Lass mich raten – es war alles ein fataler Irrtum und gar nicht so gemeint.“
Ich lächelte bitter und nickte.
„Ja, besser hätte ich sein fadenscheiniges Plädoyer auch nicht zusammenfassen können. Du hättest Psychologie studieren sollen!“
„Um das zu wissen, braucht man kein Diplom. Es ist doch im Grunde immer dasselbe. Sie hüpfen mit einer anderen ins Bett und reden dir hinterher ein, du hättest dir das alles nur eingebildet.“
„Da hat wohl jemand bereits seine Erfahrungen gemacht?“, zog ich sie grinsend auf.
„Oh ja“, schnaufte sie. „Mehr, als mir lieb ist.“
„Jetzt hast du ja endlich einen, der dich auf Händen trägt. Adam ist ganz sicher nicht so.“
„Das will ich ihm aber auch geraten haben! Er ist seit langem der erste Mann, bei dem ich mir etwas mehr als nur eine lockere Beziehung vorstellen kann.“
„Ich wünsche dir von Herzen, dass es so ist“, sagte ich aufrichtig und seufzte. „Weißt du, dass Jim fremdgegangen ist, und ich ihn dabei erwischt habe, das war nicht der einzige Grund, weswegen ich weggelaufen bin.“
Paloma warf den Rest ihres Burgers in den Papierkorb neben der Bank und sah mich skeptisch an.
„Was kann noch schlimmer sein?“
Ich lehnte mich zurück, atmete tief durch und begann ihr von Jims Spielsucht zu erzählen.
„Oh Mann!“ Erschüttert fuhr sie sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Das ist in der Tat heftig!“
„Ich hätte ihm geholfen und zu ihm gehalten, wenn er ehrlich zu mir gewesen wäre und den Willen gehabt hätte, mit dem Spielen aufzuhören. Aber er sieht ja nicht einmal ein, dass er krank ist. Er registriert es überhaupt nicht, für ihn ist alles nur ein…“
„…Spiel“, ergänzte Paloma und schüttelte fassungslos den Kopf. „Das ist echt krass, Jess.“
„Ich kann nicht zurück, ich will es auch gar nicht. Nachdem ich ihn mit dieser Amber erwischt habe, empfinde ich nichts mehr für ihn, außer Verachtung.“
„Kann ich gut verstehen.“ Paloma nickte wie zur Bestätigung und legte ihre Hand auf meine Schulter. „Du wirst einen anderen finden. Vielleicht schon eher, als du denkst.“
Noch gestern hätte ich heftig protestiert. Ich wollte keinen anderen, ich wollte mich nicht mehr verlieben. Aber in diesem Augenblick fiel mir schlagartig ein, was gestern Nacht zwischen mir und Coop vorgefallen war, und allein bei der Erinnerung an den Kuss und daran, was seine Berührungen bei mir ausgelöst hatten, wurde mir siedend heiß. Noch immer konnte ich mir nicht erklären, was das zwischen uns gewesen war. Ich war doch bis gestern fest davon überzeugt gewesen, dass ich diesen arroganten Kerl nicht ausstehen konnte! Außerdem hatte ich das untrügliche Gefühl, dass es ihm mit mir anscheinend ähnlich ging.
Und nun das!
`Es hatte sich einfach ergeben! `, versuchte ich meinen inneren Aufruhr zu besänftigen. `Es war eine rein körperliche Reaktion gewesen, weiter nichts`
„Hey Jess, kennst du diesen Typen?“, holte mich Palomas Stimme ein paar Sekunden später aus meinen Gedanken. Ich folgte ihrem Blick, und da stand er, direkt gegenüber neben dem Imbissstand, und obwohl er eine dunkle Sonnenbrille trug, die seine Augen verbarg, wusste ich doch ganz genau, dass er zu uns herübersah. Mehr noch, ich vermeinte seinen Blick fast körperlich zu spüren. „Ist das etwa dein…“
„Jim O`Neill“, presste ich zwischen den Zähnen hervor, warf meinen Hamburger, von dem ich höchstens dreimal abgebissen hatte, in den Papierkorb und begann eilig meine Inliner zu schnüren. „Lass uns hier verschwinden!“
„Zu spät“, murmelte Paloma, denn in diesem Augenblick kam Jim direkt auf uns zu.
„Jessi, ich muss unbedingt mit dir reden!“
„Verfolgst du mich jetzt etwa auch noch, oder was?“, fuhr ich ihn an. „Lass mich in Ruhe, Jim!“
„Ich muss dir dringend etwas sagen!“
„Nein danke, das kannst du dir sparen! Du hattest drei Jahre Zeit dazu.“
„Ich habe einen schweren Fehler gemacht!“
„Schön, dass du das auch schon einsiehst! Flieg endlich nach Hause!“ Ich war mit den Inlinern fertig, sprang auf, wandte mich abrupt ab und fuhr eilig davon.
Paloma folgte mir.
„Jessica, warte!“, rief Jim uns eindringlich nach. „Du weißt nicht…“
Der Rest seiner Worte ging im Schnarren der Räder unserer Inliner unter.
Schweigend liefen wir nebeneinander her den Weg zurück, den wir vorhin gekommen waren. Ich hatte keinen Blick mehr für die Palmen, den Strand, das Meer oder die Künstlermeile. Verbissen starrte ich geradeaus und wollte nur noch zurück in mein Zimmer.
„Stopp!“, schnaufte Paloma, als wir den Pier von Venice erreicht hatten. „Lass uns eine Pause machen, sonst bekomme ich einen Herzinfarkt!“ Schweratmend wies sie auf die einladend grüne Wiese im Schatten einer Palmengruppe. „Das ist ein guter Platz. Keine Sorge, Jess, mit dem Auto kommt dein Jim hier nicht entlang, und wenn er dennoch auftaucht, sehen wir ihn rechtzeitig und verschwinden.“
„Mein Jim wird sein blaues Wunder erleben, wenn er mir weiter auflauert und mich belästigt“, grummelte ich, warf meine Inliner ins Gras und ließ mich aufstöhnend fallen.
Lang ausgestreckt nebeneinander im Gras liegend beobachteten wir die einzelnen Wolken, die am strahlend blauen Himmel langsam ihre Bahn zogen.
„Ich kann nicht glauben, dass er noch immer hier ist“, murmelte ich kopfschüttelnd. „Sollte ich je herausbekomme, wer ihm meinen Aufenthaltsort verraten hat, dann kann derjenige etwas erleben!“
„Er ist niedlich“, kommentierte Paloma. Völlig entgeistert richtete ich mich auf und starrte sie aus großen Augen an, doch als sich unsere Blicke trafen und ich ihr schiefes Grinsen sah, mussten wir beide plötzlich lachen. Es war wie eine Befreiung. Ich nahm einen Schluck aus meiner Wasserflasche und spürte, wie sich meine innere Anspannung langsam wieder legte und einer wohltuenden Müdigkeit wich.
„Klar ist er niedlich. Ich war lange Zeit total verschossen in ihn! Fast hätten wir geheiratet. Heute weiß ich es besser: Er sieht zwar immer noch gut aus, aber leider hat der Engel mit den blauen Augen eine schwarze Seele!“
„Wirklich schade.“ Paloma schnippte mit dem Fingern in die Luft. „Und was läuft da zwischen dir und Coop?“
Ich verschluckte mich vor Schreck prompt an meinem Wasser und musste husten. Lachend klopfte mir Paloma auf den Rücken. „Was denn, habe ich etwa einen Nerv getroffen?“
„Und was für einen!“, prustete ich in gespielter Entrüstung, aus Furcht, sie könnte vielleicht wirklich etwas davon ahnen, was da gestern zwischen ihm und mir vorgefallen war. „Er kann mich nicht leiden, und ich bin auch nicht sein größter Fan!“
„Aber sobald ihr euch zusammen in einem Raum befindet, dann sprühen die Funken!“
„Nein, da irrst du dich“, widersprach ich vehement. „Er provoziert mich nur fortwährend auf eine Art, die mich total auf die Palme bringt.“
„Ja, so ist er. Cooper war schon immer schwer zu durchschauen.“
„Das klingt, als würdest du ihn recht gut kennen.“
„Wie man es nimmt. Unser kleines Arrangement dauerte nicht sehr lange. Genau genommen nur eine Nacht.“
Mir fiel fast die Flasche aus der Hand.
„Du und Coop… ihr beide… ihr…“
„Es war nicht der Rede wert. Wir haben ziemlich schnell gemerkt, dass wir als Paar nicht unbedingt dieselbe Wellenlänge haben. Aber trotzdem mag ich ihn noch immer, wir sind seitdem einfach nur gute Freunde.“
Paloma und Cooper? Das musste ich erst einmal verdauen. Aber so, wie sie mir das eben erzählt hatte, ganz nebenbei und ohne jeglichen Groll, als handelte es sich hierbei um die natürlichste Sache der Welt, beschloss ich, nicht weiter nachzuhaken. Ich ließ mich zurück ins Gras fallen, verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte erneut auf die vorbeiwanderten Wolken.
Was hatte ich denn erwartet? Ein Kerl wie Dean Cooper hatte mit Sicherheit schon unzählige Frauen gehabt. Warum auch nicht? Wann und mit wem er sich einließ, ging mich schließlich nicht das Geringste an. Was da gestern Nacht zwischen uns vorgefallen war, das hatte für ihn mit Sicherheit auch keine große Bedeutung gehabt. Ein weiteres kleines Abenteuer, bei dem er leider durch Butchs Erscheinen gestört wurde. Ich selbst war durch Jims unerwartetes Auftauchen völlig durcheinander gewesen. Nur deshalb hatte ich zugelassen, dass Coop mir so nahekam. Allerdings konnte ich mir noch immer nicht erklären, weshalb ich derart intensiv auf ihn reagiert hatte. Allein bei dem Gedanken daran spielte mein Körper schon wieder verrückt. Entnervt schloss ich die Augen und versuchte, mich zu entspannen und die Gedanken an die vergangene Nacht so gut wie möglich auszublenden…
Ein tiefes Grollen beendete abrupt unsere Pause. Erschrocken fuhren wir hoch und mussten feststellen, dass über dem Meer ein gewaltiges Gewitter aufzog. Tiefdunkle Wolken hatten sich bedrohlich am Horizont aufgetürmt, und in der Ferne zuckten bereits grelle Blitze, gefolgt von gefährlich klingendem Donner.
„Komm schon, Jess, beeil dich!“, rief Paloma, sprang auf und machte sich eilig an ihren Inlinern zu schaffen. „Wir sollten schleunigst hier verschwinden, bevor uns das Unwetter erwischt. Entlang der Küste ist damit nicht zu spaßen.“
Wir hatten unsere Autos auf einem Parkplatz am Hafen von Marina del Rey abgestellt, wo der Fahrradweg endete. Kaum saßen wir in unseren schützenden Fahrzeugen, als das Unwetter mit einer Gewalt losbrach, die ich nicht erwartet hätte. Eben war alles ringsum noch friedlich und sonnig gewesen, und binnen weniger Minuten wurde der Himmel über der Küste schwarz wie die Nacht. Es schüttete wie aus Eimern, grelle Blitze zuckten durch die dunklen Wolkenberge, gefolgt von gewaltigen Donnerschlägen, die ringsum alles zu erschüttern schienen.
Ich winkte Paloma zum Abschied noch einmal zu und lenkte den Jeep eilig vom Parkplatz, die Scheibenwischer auf volle Leistung gestellt. Trotzdem schafften sie es kaum, diesem gewaltigen Regenguss zu trotzen. Den Blick konzentriert auf die Frontscheibe gerichtet, fuhr ich, so schnell es die Wetterverhältnisse erlaubten, den Pazifik Coast Highway hinunter, über die Playa del Rey bis zu unserer Station, wo ich schließlich erleichtert aufatmend auf den Parkplatz rollte.
Das Wasser lief wie ein Sturzbach über die Scheiben, so dass ich den Helikopter direkt vor dem Eingang erst bemerkte, als ich bereits kurz davorstand.
Coop war da!
Ich blieb im Wagen sitzen und spürte, wie sich mein Herzschlag sofort um ein Vielfaches beschleunigte. Freude… oder Angst? In diesem Augenblick fühlte ich mich außerstande, meine Gefühle zu definieren.
Und dann sah ich ihn.
Er stand in seinem schmucken Piloten-Overall an der Eingangstür zur Station und schaute abwartend zu mir herüber, so wie es Jim vorhin auf dem Pier getan hatte. Nur mit dem Unterschied, dass mein Blut bei seinem Anblick wie wild durch meine Adern zu rauschen begann. Plötzlich waren sie wieder da, die berühmten Schmetterlinge im Bauch…
„So einfach kommst du mir nicht davon, Doc. Das holen wir beide nach… bald!“, hörte ich in Gedanken seine verheißungsvollen Worte von gestern Nacht.
Meine Hand lag auf dem Türgriff, doch ich zögerte noch.
Was sollte ich jetzt tun?
Während mein Herz und mein Verstand sofort damit begannen, einen erbitterten Kampf um das Für und Wider eines Zusammentreffens mit Dean Cooper auszufechten, meinte ich erneut seine Hand auf meiner Haut zu spüren, und mein Verlangen nach ihm wurde plötzlich übermächtig. Ich verharrte noch einen Augenblick noch, doch mein Herz schlug meinen Verstand bereits in der ersten Runde erbarmungslos k.o. All die Zweifel in mir, Palomas Worte von vorhin, meine gesamten guten Vorsätze waren plötzlich nebensächlich.
Ein greller Blitz zerriss die Dunkelheit, gefolgt von einem gewaltigen Donner, der einem ohrenbetäubenden Kanonenschlag gleichkam.
Durch den Regen, der in unzähligen kleinen Rinnsalen von der Windschutzscheibe des Jeep abperlte, sah ich, wie Coop den schützenden Eingang verließ und ungeachtet des Unwetters direkt auf mich zugelaufen kam.
Wie in Trance öffnete ich die Tür und stieg aus, hinaus in den strömenden Regen. Nach wenigen Augenblicken war ich völlig durchnässt, doch ich spürte es kaum.
Dann standen wir uns gegenüber.
Der Regen schien ihm nicht das Geringste auszumachen. Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und sah mir in die Augen.
„Wo bist du gewesen?“, flüsterte er heiser, während ihm die Tropfen von den Haaren übers Gesicht rannen. „Ich habe mir Sorgen gemacht!“
„Du hast… um mich… oder nur um deinen Wagen?“, stammelte ich ziemlich zusammenhanglos, und er lächelte, während er mir eine triefend nasse Haarsträhne aus der Stirn strich. Dann hob er mich kurzerhand auf seine Arme und trug mich durch den strömenden Regen hinüber zum Haus.
Aufseufzend schlang ich die Arme um seinen Hals, lehnte mich an ihn und ließ ihn gewähren.
Mein Gefühl hatte die Oberhand gewonnen, und ich würde mich nicht länger dagegen wehren. Was auch immer hier und jetzt oder später geschah, in diesem Moment gab es nur uns beide, sonst gar nichts. Ich hatte in den letzten Tagen so viel durchgemacht, und es war mir völlig egal, wie diese Nacht enden würde, ich wollte einfach nur den Augenblick genießen, ohne Verpflichtungen, und ohne Angst, wieder verletzt zu werden.
Nichts Anderes zählte…
Am Eingang setzte Coop mich ab und rüttelte an der Tür.
„Sie muss durch den Sturm zugefallen sein. Hast du einen Schlüssel?“
Hektisch begann ich zu suchen, doch alles war nass, und meine Hosentaschen waren leer.
Wo war der verdammte Schlüssel?
Jess!“, hörte ich plötzlich eine Stimme, und es war nicht mehr die von Cooper. Jemand packte mich an der Schulter und rüttelte mich. „Jessica, aufwachen!“
Völlig desorientiert blinzelte ich und blickte direkt in Palomas braune Augen.
„Meine Güte, du hast vielleicht einen gesunden Schlaf“, meinte sie kopfschüttelnd und grinste. „Was hast du denn letzte Nacht gemacht?“
„Müssen wir los?“, fragte ich, immer noch halb in meinem Traum gefangen, und sah mich hektisch um. „Oder ist das Gewitter vorbeigezogen?“
„Welches Gewitter? Wir haben strahlenden Sonnenschein, Schätzchen!“
Und tatsächlich, außer den weißen Federwölkchen von vorhin störte nichts den makellos blauen Himmel über der Küste. Langsam begann ich die Gedanken in meinem Kopf zu sortieren. Ich war hier im Schatten der Palmen im Gras liegend eingeschlafen und hatte geträumt: von einem Unwetter, das uns überraschte, von Blitz und Donner, strömendem Regen und von… Cooper!
Von Cooper?
Verstohlen schielte ich hinüber zu Paloma, die jedoch bereits damit beschäftigt war, ihre Inliner wieder anzuziehen. „Na komm Jess, bis zu unserem Parkplatz haben wir noch ein Stück zu laufen!“
Mechanisch folgte ich ihr, in meinem Kopf immer noch das Bild von Coop, wie er durch den strömenden Regen auf mich zugelaufen kam und mich in die Arme nahm.
Konnte ein Traum wirklich derart real sein?
Als ich später bei schönstem Sonnenuntergang im Jeep zurück zur Station fuhr, spukte mir der Traum noch immer im Kopf herum, und als ich die Schranke passierte und der Helikopter nicht auf dem Platz stand, machte sich herbe Enttäuschung in meinem Inneren breit.
Er war nicht da…
`Dumme Kuh! `, schalt ich mich ärgerlich. `Hast du wirklich erwartet, dass er hier auf dich wartet? Schließlich regnet es nicht, und außerdem solltest du endlich aufhören, ständig über diesen arroganten Penner nachzugrübeln, denn der verschwendet garantiert keinen einzigen Gedanken an dich! Und wenn er bekommen hat, was er will, dann lässt er dich sowieso fallen wie eine heiße Kartoffel! `
Ich stellte den Wagen ab und ging langsam hinüber zum Eingang, während ich vergeblich versuchte, diese verdammten Traumbilder aus meinem Kopf zu bekommen.
Während ich die Treppe zu meinem Zimmer hinaufstieg, spürte ich ein schmerzhaftes Ziehen in meinen Waden. Das ungewohnt lange Laufen auf den Inlinern machte sich bereits bemerkbar. Paloma hatte Recht gehabt, morgen würde mich ein ordentlicher Muskelkater plagen.
Ich beschloss, mir zuerst eine entspannende Dusche zu gönnen, danach noch eine Kleinigkeit zu essen und dann endlich den Schlaf nachzuholen, den ich vergangene Nacht versäumt hatte. Blieb nur zu hoffen, dass er die Erholung bringen würde, die ich sowohl psychisch wie auch physisch bitter nötig hatte.
Oben angekommen zog ich den Schlüssel aus der Hosentasche und wollte die Tür aufschließen, als ich plötzlich bemerkte, dass diese bereits einen Spalt breit offenstand. Irritiert hielt ich inne und starrte misstrauisch auf das Türschloss. Nichts ließ darauf schließen, dass sich jemand daran zu schaffen gemacht hatte. Ich selbst war jedoch ganz sicher, die Tür verschlossen zu haben.
Langsam und vorsichtig schob ich die Tür auf, trat ins Zimmer und blieb fassungslos auf der Schwelle stehen.
Was ich sah, nahm mir die Luft…