28. Lohn der Angst
Noch während ich Dean fragend anblickte, schlug die Erkenntnis einem Geistesblitz gleich bei mir ein.
„Der Jeep!“, rief ich und sprang wie von der Tarantel gestochen von meinem Stuhl hoch, so dass Celia und Ramon erschrocken zusammenzuckten.
„Was ist mit dem Jeep?“, fragte Ramon verständnislos.
„Jims Geld“, erklärte ich eilig. „Er muss es im Jeep versteckt haben!“
Gemeinsam eilten wir hinunter in die Garage.
„Wir sollten zuerst im Kofferraum nachschauen“, schlug ich vor, während Dean den Knopf für die Zentralverriegelung betätigte. „Er hat sich daran zu schaffen gemacht, als ich ihn überraschte, und versuchte mir weißzumachen, dass er den Jeep nur deshalb gewaltsam öffnen wollte, um darin auf mich zu warten.“
Dean öffnete die Kofferraumklappe, löste die Bodenabdeckung und entfernte das darin befindliche Werkzeug, sowie das Reserverad.
Ich folgte mit den Augen gespannt dem Schein der Taschenlampe, mit der er den Unterboden des Kofferraumes ausleuchtete.
Und tatsächlich…
Ganz hinten in der Ecke lag sie – Jims blauweiße Sporttasche mit dem bekannten Label auf beiden Seiten, an die ich mich noch sehr genau erinnern konnte. Sogar der kleine silberne Anhänger mit seinen Initialen, den ich ihm irgendwann einmal geschenkt hatte, baumelte noch immer gut sichtbar an einem der Henkel. Jedes Mal, wenn er sich auf den Weg in sein Fitness-Studio machte, was sehr oft der Fall gewesen war, hatte er sie dabeigehabt. Mittlerweile bezweifelte ich allerdings, dass er das Studio wirklich aufgesucht hatte, oder vielmehr die Zeit für eines seiner heimlichen Spielertreffen genutzt hatte.
Dean holte die Tasche heraus und öffnete sie, während wir jeden seiner Handgriffe gespannt verfolgten. Das Geld lag fein säuberlich gebündelt unter Jims unordentlich zusammengeknülltem Trainingsanzug.
Eine Million Euro…
Wie er die Tasche samt Inhalt durch den Zoll gebracht hatte, würde mir für ewig ein Rätsel bleiben. Aber ehrlich gesagt wunderte mich mittlerweile nichts mehr an meinem Ex.
Während ich fassungslos auf das Geld starrte, spürte ich Deans forschenden Blick auf mir ruhen und hörte wie von fern Celias Stimme.
„Dios mio!“
Ungläubig schüttelte ich den Kopf.
„Er muss es an dem Abend in den Wagen geschmuggelt haben, als er mich verfolgte, und ich ihn mit Tylers Hilfe abgeschüttelt habe“, begann ich für mich selbst nach einer plausiblen Erklärung zu suchen. „Damals stand der Jeep die ganze Zeit über vor Tys Wohnung. Jim sagte, er hätte in dieser Nacht den Peilsender an meinem Wagen angebracht, damit er die Möglichkeit hatte, mich immer wiederzufinden.“ Plötzlich fügte sich eins ins andere, und ich schlug mir mit der flachen Hand an die Stirn. „Na klar! Dieser verflixte Mistkerl hat den Sender angebracht, weil er damit nicht mich, sondern sein Geld wiederfinden wollte!“
Dean atmete tief durch, schnappte die Tasche samt Inhalt und schloss mit Nachdruck den Kofferraum.
„Nichts für ungut, Jess, aber dein Umgang jenseits des großen Teiches war wirklich nicht der Beste.“
„Wem sagst du das“, seufzte ich, irgendwie erleichtert darüber, dass er mir, was Jim betraf, endlich zu vertrauen schien. Inzwischen war es anscheinend selbst für ihn offensichtlich, dass Jim mich genau wie alle anderen an der Nase herumgeführt und nur für seine Zwecke ausgenutzt hatte.
„Was hast du jetzt vor?“, fragte ich, während wir alle vier zusammen zurück ins Haus gingen.
„Ich werde das Geld morgen aufs Revier bringen. Soll der Chief entscheiden, was damit geschieht.“ Er stellte die Tasche achtlos auf dem Küchentresen ab, ließ sich auf seinen Stuhl fallen und nahm einen Schluck aus seinem Weinglas, bevor er mir verschwörerisch zuzwinkerte. „Wir hätten nun eigentlich eine richtig gute Chance, Jim zu schnappen. Aber ich sollte mir darüber gar keine Gedanken machen. Immerhin bin ich ja suspendiert.“
„Als wenn dich solche Lappalien schon jemals zurückgehalten hätten“, knurrte Ramon mit einem Grinsen und nahm ebenfalls Platz. „Das wäre doch das erste Mal!“
Später, als alle bereits zu Bett gegangen waren, schlich ich auf Zehenspitzen noch einmal hinunter, um nach Jad zu sehen. Er lag ganz still auf seinem Lager aus weichen Decken. Trotzdem ich fast geräuschlos näher trat, hatte er mich natürlich längst gehört und hob den Kopf. Sofort ließ er zur Begrüßung jenes leise Fiepen ertönen, mit dem er immer, egal in welcher Situation, mein Herz erreichte. Ich sank neben ihm auf die Knie und streichelte liebevoll seinen Kopf. Vertrauensvoll legte er seine Schnauze auf meinen Schoss, schloss die Augen und genoss sichtlich zufrieden meine Nähe.
In Gedanken ließ ich noch einmal in aller Ruhe die vergangenen Stunden Revue passieren, dachte mit Grauen an die schrecklichen Sekunden, als Cargo die Waffe zog und auf Jad anlegte. Ich hörte den Schuss, der in meinen Ohren widerzuhallen schien, sowie das unmittelbar darauffolgende klägliche Aufjaulen, als Jad sich mitten im Sprung aufbäumte und getroffen zu Boden stürzte. Ich sah ihn verletzt und blutend vor mir auf dem OP-Tisch liegen und dachte daran, wie ich kurz gezögert hatte, bevor ich das Skalpell ansetzte. Das Zögern war keine Angst gewesen, aber ich brauchte diese paar Sekunden, damit ich mich sammeln konnte, um professionell genug zu sein. Für ihn, für Dean und nicht zuletzt für mich selbst. Und als ich schließlich tief durchatmete und den ersten Schnitt machte, spürte ich die unglaublich starke Gewissheit, dass ich hier und jetzt imstande war, das Leben dieses mutigen, treuen Tieres um jeden Preis zu retten.
„In solch einem Moment musst du in der Lage sein, alle anderen Gefühle auszublenden“, hatte Jacob mich einst gelehrt. „Denk nicht an das, was passieren könnte. Du weißt, dass du es kannst, also tust du es. Nur so leistest du wirklich gute Arbeit!“
Zusammen mit Doktor Harper hatte ich alles gegeben, der Beweis dafür lag hier zu meinen Füßen, war am Leben und durfte sich langsam von dem schweren Eingriff erholen.
Vor dem Schlafengehen hatte ich noch einmal Jads Wundverband gewechselt und festgestellt, dass die Wunde nicht mehr blutete und den Umständen entsprechend gut aussah. Das verabreichte Schmerzmittel machte es ihm erträglich, so dass er sich praktisch erst einmal gesundschlafen konnte.
Natürlich erwartete uns eine horrende Rechnung von Seiten der Klinik, denn Jads OP würde uneingeschränkt als private Leistung abgerechnet werden. Dazu kamen noch die Kosten für die Grund-Reinigung des Operationsraumes, denn immerhin hatten wir, entgegen aller gesetzlichen Bestimmungen, einen Hund operiert, wo sonst ausschließlich Menschen behandelt werden durften.
Aber Dean war das egal. Er war bereit, alles zu bezahlen, auch das, was Jad darüber hinaus an Medikamenten und Pflegemitteln für seine Genesung benötigte.
„Coop und du, ihr seid ein tolles Team“, flüsterte ich, während ich Jad zwischen den Ohren graulte. „Ihr gehört einfach zusammen, und du musst auch in Zukunft gut auf ihn aufpassen, wenn du wieder gesund bist.“
Jads Fiepen bestätigte, dass er mir zuhörte, und ich selbst war felsenfest davon überzeugt, dass er mich verstanden hatte. Sein Partner konnte ihm auch weiterhin vertrauen, so, wie er das immer getan hatte.
Ich war fast eingeschlafen, als ich plötzlich hörte, wie die Tür zu meinem Zimmer leise geöffnet wurde. Im Schein der Laterne, deren Licht gedämpft durch die zarten Vorhänge am Fenster fiel, erkannte ich Dean, der sich langsam und vorsichtig, um nirgends anzustoßen, durch den Raum auf mein Bett zubewegte. Mein Herz klopfte in freudiger Überraschung bis zum Hals. Ich riss die Augen auf, um besser sehen zu können, denn was ich im fahlen Laternenlicht bisher zu erkennen glaubte, gefiel mir sehr: Er war fast nackt.
„Hallo, Doc! Schläfst du schon?“
„Ja. Und ich träume gerade, dass Dean Cooper nur mit einem Handtuch um die Hüften vor meinem Bett steht“, flüsterte ich und blinzelte ihn schelmisch an. „Wag es jetzt bloß nicht, mich aufzuwecken und dich dabei in Luft aufzulösen!“
Er grinste, blieb jedoch unschlüssig stehen.
„Ich bin hier, weil ich dir unbedingt etwas sagen muss.“
„Nackt?“
„Nun, du hast so viel Wärme in dir, dass ich dachte…“
„Ah ja, Mister Cooper denkt also wieder“, stichelte ich in Bezug auf unsere heutige Auseinandersetzung in der Klinik und rückte demonstrativ zur Seite, so dass er zu mir unter die Decke schlüpfen konnte. „Na, dann pass mal auf, dass du dir nicht die Finger verbrennst!“
Er folgte der Einladung prompt und nahm mich in die Arme.
„Das habe ich doch schon längst, Jess!“
Seine Worte zauberten mir ein schelmisches Lächeln aufs Gesicht.
„Höre ich da eine Spur von Bedauern in deiner Stimme?“
„Was auch immer du zu hören glaubst, Bedauern ist das ganz bestimmt nicht.“
„Und was wolltest du mir so Wichtiges sagen?“
Er richtete sich halb auf, griff nach meiner geprellten Hand und strich zärtlich, fast schon ehrfürchtig über meine Fingerspitzen. „Damit hast du Jad das Leben gerettet.“ Kurz darauf hob er den Kopf und suchte meinen Blick. „Was du heute getan hast – nicht nur für Jad – das war großartig.“ Nach einem erneuten, kurzen Zögern nickte er überzeugt. „Du bist großartig, Jess! Danke.“
Gerührt lächelte ich.
„Ich bin sicher, du hättest genau dasselbe getan. Ich weiß, dass du Jad liebst, und wenn du einen klaren Kopf und noch ein wenig Zeit zum Nachdenken gehabt hättest, dann wärst du sicher selbst darauf gekommen, dass er so reagieren musste, weil er mit der außergewöhnlichen Situation einfach überfordert war.“
„Ich sollte mich eigentlich mit außergewöhnlichen Situationen bestens auskennen“, seufzte er und lächelte gequält. „Aber das heute war… anders.“
„Wieso anders?“, fragte ich und sah, wie er überlegte und mit sich rang. Schließlich hob er scheinbar ratlos die Schultern und ließ sich zurück in die Kissen fallen.
„Keine Ahnung. Anders eben. Nur so ein Gefühl.“
Resigniert schloss ich die Augen.
`Warum sagst du es nicht, Dean? War es, weil ich dabei war? Weil ich dir etwas bedeute, und du genau wie Jad Angst um mein Leben hattest? ` Nur zu gern hätte ich ihn eben das gefragt, doch irgendetwas hielt mich zurück, denn ich hatte das unbestimmte Gefühl, ihn damit nur ungewollt in die Enge zu treiben. Wenn er noch nicht bereit war, mir zu sagen, was er für mich empfand, oder sich selbst bislang nicht über seine Gefühle mir gegenüber im Klaren war, dann war es besser, erst einmal abzuwarten, auch wenn mir das nicht leichtfiel. Trotzdem ich die Augen geschlossen hielt, spürte ich, wie er den Kopf in meine Richtung drehte und mich ansah.
„Was ist los, Jess?“
„Keine Ahnung“, wiederholte ich seine Worte und seufzte leise. „Heute war ein verrückter Tag. Ich bin einfach nur müde.“
Anstatt einer Antwort richtete er sich erneut auf, nahm mein Gesicht zärtlich zwischen seine Hände, beugte sich zu mir herunter und begann mich zu küssen. Mit seiner Zungenspitze fuhr er spielerisch an meinen Lippen entlang und bat um Einlass, worauf sich mein Mund wie von allein bereitwillig öffnete.
Offensichtlich war lediglich mein Verstand müde, denn mein Körper schien plötzlich wieder hellwach und reagierte sofort. Wie von selbst schlangen sich meine Arme um Deans Hals, und während ich seine Zärtlichkeit voller Hingabe erwiderte, zog ich ihn dicht zu mir heran, um seine Nähe und seine Wärme zu spüren und in mir aufzunehmen.
Er fühlte meine Bereitschaft, ihm mit jeder Faser meines Körpers so nahe wie nur möglich zu sein, und vertiefte den Kuss auf eine Art, die meinem Kopf keine Chance ließ, sich gegen die freudige Erregung meines Körpers durchzusetzen. Also gab ich nach und ließ mich nur zu gern in den wilden Strudel aus Leidenschaft und Erregung ziehen, den dieser Kuss in mir verursachte.
Jegliche Müdigkeit war wie weggeblasen. Ein herrliches Gefühl der Schwerelosigkeit überflutete mich und schaltete meinen Verstand aus, während wir uns dicht aneinandergedrängt zwischen den seidenen Laken wälzten und uns kaum Zeit für ein Vorspiel ließen, denn wir waren derart gierig aufeinander, dass alles andere unwichtig wurde.
Trotz aller Leidenschaft hatte er dieses Mal an Verhütung gedacht, auch wenn mir nicht klar war, wo er das Kondom aufgrund seiner extrem knappen Bekleidung so schnell herzauberte. Aber das war mir schlichtweg egal, und spätestens, als er mich und meinen hungrigen Körper im Sturm eroberte, in mich eindrang und meinen voller Vorfreude schmerzenden Unterleib mit harten Stößen belohnte, hatte ich keine Fragen mehr. Bereits nach kurzer Zeit spürte ich, wie sich die alles verzehrenden Wellen des nahenden Orgasmus in meinem Inneren aufbauten, und mit einem wohligen Aufschrei erlebte ich jenes einzigartige Feuerwerk der Gefühle, das Liebende ohne Zögern über Klippen springen lässt und sie mitreißt in irgendwelche himmlischen Sphären, in denen es kein Gestern, Heute oder Morgen gibt.
Dean bäumte sich auf und folgte mir auf meinem Höhenflug, während er sein Gesicht aufstöhnend in meinem Haar vergrub.
Es war großartig, perfekt und absolut wundervoll…
Eng umschlungen lagen wir Arm in Arm, hielten einander fest und ließen den Sturm der Gefühle, der langsam abebbte, schweigend in uns nachklingen.
„Ich liebe dich, Dean.“
Bevor ich es verhindern konnte, formten meine Lippen plötzlich wie von selbst jene magischen drei Worte, die ich in meinem Leben noch nie gesagt hatte, nicht einmal zu Jim. Sie waren mir in der heutigen, modernen Zeit immer kitschig und überdreht vorgekommen, doch in diesem Augenblick kamen sie aus tiefstem Herzen. Es war ein kaum hörbares Flüstern, aber dennoch in der Stille der Nacht gut verständlich. Atemlos lag ich da und lauschte angespannt, doch es kam keine Antwort. Deans Atem ging gleichmäßig, und ich war nicht sicher, ob er bereits eingeschlafen war, oder meine Worte einfach nicht hören wollte, weil sie ihn überforderten.
Wenigstens blieb er hier bei mir und verschwand nicht einfach wortlos in die Nacht. Das zumindest konnte ich als ein sicheres Zeichen dafür deuten, dass ich ihm nicht egal war.
Trotzdem breitete sich ein bittersüßes Gefühl leichter Enttäuschung in meinem Inneren aus. Warum konnte ich nicht einfach meinen Mund halten und den Dingen ihren Lauf lassen? Dean Cooper war schließlich nicht der erste Mann, mit dem ich das Bett teilte! Was war so verdammt anders an der Sache mit ihm, dass ich unbedingt eine Liebeserklärung von ihm hören wollte?
`Alles…`, signalisierte mir mein übermüdeter Verstand mit erhobenem Zeigefinger altklug. `Alles ist anders, seitdem du hier bist… du bist anders… er ist anders… dein Leben ist im Ausnahmezustand… du willst ihn, denn du hast dich in ihn verliebt!`
Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Stöhnen.
`Lass mich in Ruhe, verdammt!`, murrte ich in Gedanken, während ich mich in Deans Arm kuschelte, meinen Kopf vorsichtig an seine Schulter legte und schließlich erschöpft einschlief.
Wie bereits am Morgen zuvor wachte ich allein auf.
Mir war unklar, wie Dean es fertigbrachte, sich derart unbemerkt hinauszuschleichen. Es musste wohl am kalifornischen Klima liegen, dass ich neuerdings so fest schlief. Oder vielmehr an unseren Aktivitäten vor dem Einschlafen?
Schlaftrunken tappte ich ins Badezimmer. Zu meiner Enttäuschung trat er dieses Mal auch nicht aus der Dusche, sondern blieb verschwunden.
Während ich mich kalt abbrauste, um richtig munter zu werden, kamen mir wieder die magischen drei Worte in den Sinn, die ich unvorsichtigerweise kurz vor dem Einschlafen laut ausgesprochen hatte, anstatt sie nur zu denken. Dabei wusste ich doch inzwischen genau, dass Dean ein Mann war, der sich auf Grund seiner Vergangenheit mit solchen Gefühlsduseleien schwertat. Ich nahm mir fest vor, in Zukunft vorsichtiger zu sein, um ihn nicht allzu sehr in die Enge zu treiben.
In Zukunft? Hatten wir beide überhaupt so etwas?
Vielleicht erwartete er auch von mir, dass ich mich jetzt, wo die Gefahr gebannt und Cargos Kartell zerstört war, wieder zurückzog aus seinem privaten Umfeld, zurück in mein Zimmer in der Station? Mich schüttelte bei dem Gedanken daran, in dieses unpersönliche Bereitschaftszimmer zurückzukehren, das fremde Hände durchwühlt und alles darin Befindliche, einschließlich all meiner Sachen, mit roher Gewalt zerstört hatten.
Aber andererseits wollte ich mich auch nicht einfach hier einnisten, wenn Dean das nicht ausdrücklich wünschte. Immerhin war das hier sein Zuhause, und er hatte mich nur mit in seine Villa genommen, damit ich vor Cargo und seinen Schergen sicher war, solange sie noch nach mir suchten.
Ich atmete tief durch und zog mich eilig an. Vielleicht konnte ich wenigstens so lange hierbleiben, bis es Jad wieder besserging.
Mit einem Polo- Shirt und bequemer Jogginghose bekleidet und von Herzen dankbar dafür, dass heute Sonntag war und ich noch nicht arbeiten musste, begab ich mich schließlich hinunter in die Küche, aus der es verführerisch nach Kaffee duftete.
„Guten Morgen, Celia!“, rief ich, erfreut sie zu sehen. Sie saß am Tisch und schälte Kartoffeln, wobei sie wieder ihre helle Schürze trug, in der sie aussah, als sei sie einem Roman aus Großmutters Zeiten entsprungen. Zu ihren Füßen hockte – ich traute meinen Augen kaum – Jad, der vergnügt an irgendeinem Leckerli kaute und mich mit einem erfreuten „Wuff“ begrüßte.
„Das gibt’s doch gar nicht“, kommentierte ich seinen offensichtlichen Versuch, ins normale Leben zurückzukehren. „Du hast Bettruhe, alter Freund!“
„Das habe ich ihm auch gesagt“, erwiderte Celia lachend. „Aber anscheinend haben seine Ohren gestern ebenfalls etwas abbekommen!“
„Ach Jad!“ Ich ließ mich neben ihm nieder und graulte seinen Kopf. „Ich weiß, du willst ganz schnell wieder gesundwerden! Und das ist auch gut so.“ An Celia gewandt, die ihn besorgt beobachtete, fügte ich hinzu: „Hunde stecken so etwas viel schneller weg als wir Menschen. Wenn es ihm zu viel wird, zieht er sich von ganz allein wieder zurück.“
„Und wie geht es dir nach dem gestrigen Tag?“, fragte sie und legte das Messer weg. „Du wirkst etwas blass um die Nase, Liebes!“
„Keine Sorge, es geht mir gut“, erklärte ich und erhob mich hastig. „Ich brauche nur dringend einen Kaffee, und danach werde ich Jads Verband wechseln.“
Jad reagierte auf meine letzten Worte mit einem extra kläglichen Fiepen, und es hätte mich nicht gewundert, wenn er dazu noch theatralisch die Augen verdreht hätte. „Ach komm schon, Lebensretter, das muss sein. Danach fühlst du dich wieder wie neu!“
Celia sprang auf und holte in Windeseile das Geschirr aus dem Schrank.
„Du musst aber unbedingt vorher etwas essen, sonst wirst du ja immer dünner! Ich habe vor ein paar Minuten frische Pancake gemacht.“ Sie goss Kaffee ein und füllte meinen Teller mit den köstlichen kleinen Eierkuchen, die sie mit etwas Ahornsirup beträufelte. „Setz dich, Jess, leiste mir ein paar Minuten Gesellschaft.“
„Wo ist Dean?“, fragte ich nach einer halben Tasse Kaffee und zwei Pancake betont beiläufig, doch Celia war nicht dumm und schien zu ahnen, dass mir diese Frage schon lange auf der Seele brannte.
„Er ist vor zwei Stunden mit Ramon nach Santa Monica gefahren“, erklärte sie lächelnd. „Sie bringen das Geld aufs Revier und wollen mit dem Chief darüber reden, wie es nun weitergeht.“
„Mit Jim?“
„Ja, mit ihm, mit dem Geld, mit der ganzen Sache rund um euren Einsatz gestern.“
„Hoffentlich überlegt sich der Chief das mit der Suspendierung noch einmal.“
„Ach weißt du, es ist gar nicht mal so schlimm, wenn Dean für eine Weile zur Ruhe kommt und sich zur Abwechslung mal etwas mehr um seine Firma kümmert.“
„Da hast du natürlich Recht“, musste ich zugeben. „Allerdings kann ich ihn mir nur schwer im feinen Anzug hinter einem Schreibtisch vorstellen. Ich denke, lange hält es ihn dort nicht.“
„Vielleicht ist er deshalb so gut in seinem zeitweiligen zweiten Job als Undercover-Cop“, nickte Celia und griff wieder nach der Schüssel mit den Kartoffeln. „Es ist seine ganz spezielle Art, sich von dem Firmenmogul-Dasein zu erholen.“
Kopfschüttelnd rührte ich in meinem Kaffee.
„Dann soll er sich doch in einem Fitness-Studio anmelden! Es ist wesentlich unwahrscheinlicher, auf einem Laufband zu verunglücken, als im Dienst als verdeckter Ermittler von einer Kugel getroffen zu werden.“
Celia lachte herzlich.
„Oh meine Liebe, falls du vorhast, ihm diesen Vorschlag irgendwann in nächster Zeit zu unterbreiten, dann wäre ich wirklich gern dabei.“ Sie griff nach der nächsten Kartoffel und begann diese bedächtig zu schälen. „Schau ihn dir an, Jess, er ist topfit. Sport ist seine Art von Entspannung, wenn er viel Arbeit hat. Weißt du eigentlich, dass wir hier im Haus einen supermodernen Fitness-Raum haben?“
„Ja, das weiß ich, er befindet sich unten, gleich neben dem Weinkeller. Dean hat ihn mir gezeigt. Aber weiter als bis zu den Weinflaschen habe ich es bisher noch nicht geschafft“, verriet ich, während ich mir die leckeren Pencakes schmecken ließ. „Als ihr letztens auf der Geburtstagsfeier deiner Schwester wart, habe ich für Dean und mich gekocht, und auf der Suche nach dem dazu passenden Getränk habe ich tatsächlich eine Flasche Wein gefunden, der genauso alt war wie ich.“
Celias runde Wangen bekamen leichte Farbe. Ich war mir nicht sicher, ob ihr die offensichtliche Flunkerei bezüglich ihrer Schwester peinlich war, oder ob sie die Tatsache beunruhigte, dass ich allein im Weinkeller war. Also versuchte ich es mit einer direkten Frage herauszubekommen. „Ich habe nicht nur den Wein gefunden, sondern auch Fotos aus Deans Vergangenheit.“
„Dios mio!“ Celia legte das Messer weg und sah mich entsetzt an. „Und ich dachte, ich hätte sie gut genug versteckt.“
„Na ja“, versuchte ich die Sache scherzhaft herunterzuspielen. „Du hast sie leider genau hinter meinem Jahrgang versteckt.“ Da sie nicht antwortete, hakte ich noch einmal nach. „Aber warum, Celia? Warum versteckst du die Fotos von seinem Dad und seiner Ex im Weinkeller? Ist er nicht alt genug, sich seiner Vergangenheit zu stellen?“
„Ich bin eben eine alte sentimentale Kuh“, schalt sich die Haushälterin mit einem unwirschen Kopfschütteln. „Es war damals eine schöne Zeit. Dean war so glücklich und verliebt. Ich wollte die Fotos als Erinnerung behalten, aber wenn Ramon sie gefunden hätte, dann hätte er sie vernichtet. Er hatte immer die größte Hochachtung vor Mister Cooper. Bis zu jenem Tag, als… Aber das sind alte Geschichten.“
„Bis zu dem Tag, als Dean von seinem Vater fast totgeprügelt wurde?“
Sie starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an.
„Er hat dir davon erzählt?“
Ich nickte.
„Das und noch vieles mehr.“
„Dann musst du für ihn wirklich etwas ganz Besonderes sein, Liebes. Ich glaube nicht, dass er das jemals einem anderen Menschen erzählt hat.“ Sie atmete tief durch und widmete sich weiter ihren Kartoffeln. „Du hast Recht, Ramon hasste seinen Arbeitgeber von diesem Tag an abgrundtief. Aber er wollte seine Arbeit nicht verlieren. Deshalb arrangierte er sich so gut es ging mit Cooper Senior und passte nebenbei gut auf Dean auf.“ Lächelnd hielt sie inne und seufzte. „Rebecca… du hast sie gesehen, auf den alten Fotos. Als Dean dieses Mädchen damals mit hierherbrachte, hatte ich kein gutes Gefühl. Sie war bildhübsch und sehr lebenslustig. Zu lebenslustig für meinen Geschmack. Geld und Prestige waren ihr wichtig. Im Grunde mochte ich sie wirklich gern, und ich habe mir eingeredet, dass sie sich für Dean vielleicht im Laufe der Zeit noch ändern würde. Er selbst hätte zu dieser Zeit sowieso alle Warnungen in den Wind geschlagen, denn er war bis über beide Ohren in sie verliebt und vertraute ihr blind.“
„Sie hat dieses Vertrauen damals schändlich missbraucht, indem sie mit seinem Vater abgehauen ist. Deshalb hat Dean so große Probleme damit, jemandem zu vertrauen.“
„Aber dir scheint er doch zu vertrauen, sonst hätte er dir diese Dinge niemals erzählt.“
„Ja, mag sein. Wir waren uns… sehr nah, als er wir darüber gesprochen haben. Aber ich bin nicht sicher, ob seine Gefühle für mich dieselben sind, wie meine inzwischen für ihn.“
Celias Augen glänzten, als sie mich ansah.
„Gib ihm etwas Zeit, Jess. Er hat sich so lange verschlossen. Ich glaube, er muss sich erst über alles klarwerden. Immerhin bist du total unverhofft in sein Leben geplatzt.“
„Wohl eher geflogen“, verbesserte ich lachend und sie stimmte in mein Lachen ein. „Ja, er hat uns mit eigenartig verklärtem Blick erzählt, wie eine tollpatschige junge Touristin mitten in der Stadt über seine Beine gestolpert und lang hingeschlagen ist. Ramons erste Frage darauf: War sie hübsch? Und weißt du, was er darauf geantwortet hat?“ Sie hob bedeutungsvoll die Augenbrauen. „Ich erinnere mich an jedes Wort, als er von seiner ersten Begegnung mit dir erzählte: Oh ja, das war sie. Total süß, aber auch sehr kratzbürstig. Allerdings nicht zu Jad. Sie hat ihm eine Glasscherbe aus der Pfote entfernt, schnell und sicher, wie ein Profi. Das war beeindruckend. Ich glaube, mein Partner hat sich in sie verliebt!“
„Ja, ich liebe Jad auch.“ gestand ich lächelnd und drehte mich nach ihm um. Er lag und tat, als würde er schlafen, aber ich wusste genau, dass er mich heimlich beobachtete. „Und deshalb werden wir jetzt auch deinen Verband wechseln, Lieblingshund!“
Coop und Ramon kehrten an diesem Tag erst spät abends nach Hause zurück, aber dafür brachten sie gute Nachrichten mit. Deans Vorschlag, Jim eine Falle zu stellen, hatte funktioniert, was mich insgeheim einmal mehr in meiner Annahme bestärkte, dass es sich bei meinem Ex-Verlobten in der letzten Zeit nicht unbedingt um das hellste Licht am Firmament handelte. Er hatte sich tatsächlich mit Hilfe des Jeeps überführen lassen. Dean hatte den Wagen gut sichtbar auf dem öffentlichen Kundenparkplatz vor der Station abgestellt, in der Hoffnung, Jim würde irgendwann dort auftauchen und auf eine neue Chance warten, um an sein Geld zu gelangen. Nun, es hatte nicht einmal einen ganzen Tag gedauert, und mein geldgieriger Ex war dem LAPD in die Falle gegangen. Mittlerweile saß er in Untersuchungshaft, und ich hoffte von ganzem Herzen, dass man mich wegen der ganzen Sache nicht noch einmal behelligen würde und ich Jim nie wiedersehen musste, da ich ihn inzwischen zu den wohl dunkelsten Kapiteln meines Lebens zählte.
Während ich noch darüber nachdachte, reichte mir Dean mit den Worten, ich solle das bitte persönlich unterzeichnen, ein Dokument. Erstaunt las ich, einmal… zweimal… Nachdem ich endlich begriffen hatte, was da stand, vermochte ich einen freudigen Aufschrei nicht zu unterdrücken.
„Dean! Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“
Er grinste.
„Ich habe damit nicht das Geringste zu tun. Das ist Gesetz, und unser Chief hält sich verdammt streng an seine Paragraphen.“
„Was ist das?“, fragte Celia und reckte neugierig den Hals. Ich hatte mich einigermaßen beruhigt und reichte ihr wortlos das Papier.
„Wetten, dass sie gleich wieder Dios mio ruft?“, raunte ich den beiden Männer augenzwinkernd zu.
Die lachten. „Wette angenommen!“
Celia las und las und las… Dann ließ sie das Blatt sinken und bekreuzigte sich ehrfürchtig.
„Cielos! Wenn das keine Gerechtigkeit ist, Liebes!“
„Wette verloren, Jess“, grinste Dean. „Aber du hast ja nun genug Kohle, um uns anständig einen auszugeben.“
Lachend nickte ich und umarmte Celia, der vor Rührung Freudentränen über die runden Wangen kullerten.
Mir war soeben schriftlich mitgeteilt worden, dass mir rechtlich zehn Prozent Finderlohn für Jims unterschlagene Million zustanden.