26. Kapitel
Der Hain der Silberschwingen
Das mysteriöse Verschwinden von Linus
Die Wächterinnen, welche wie die Schildwachen von Darnassus gekleidet waren, musterten sie etwas argwöhnisch, als sie das grosse, hölzerne Tor, mit dem edel geschwungenen Bogen darüber, durchquerten. Die beiden Nachtelfen ritten ihnen selbstbewusst voraus und Cerunnos zeigte die Papiere, die er für die Horden Angehörigen bei sich trug. Cerunnos erklärte, warum Linus ebenfalls bei ihnen war und es machte den Eindruck, als würden ihm die Wächterinnen die erfundene Geschichte abnehmen. Nachdem sie alle Papiere genauestens überprüft hatten, liessen sie die Freunde schliesslich, ohne weitere Probleme, passieren.
Die Gaststätte im Hain der Silberschwingen war gemütlich aber einfach eingerichtet. Sie nahmen ein kleines Mahl zu sich und sassen dann noch eine Weile, munter plaudernd, in der Gaststube beisammen. Besonders Tyrande und Cerunnos und auch Ismala und Gwydyon schienen sich näher zu kommen.
Balduraya schaute den vieren zu und freute sich, wie gut sie sich, trotz ihrer so unterschiedlichen Herkunft verstanden. Anfangs beteiligte sie sich noch an den Gesprächen, doch irgendwie mischte sich in die Freude mit der Zeit auch Trauer. Immer wieder huschten die Augen der blonden Blutelfin zu Varunna herüber und ab und zu trafen sich ihre Blicke. Kurz darauf wandte sie ihre Augen wieder scheu ab, denn sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass Dabog sie ebenfalls durch die Augen des Tauren anzuschauen schien. Wer nur schaute sie in jenen Momenten an, wenn sie hinschaute? Diese ganze Sache machte sie irgendwie ganz verrückt!
So war sie direkt froh, als es Zeit für Linus wurde, ins Bett zu gehen. Sie verabschiedete sich von allen und ging dann mit den Jungen nach oben. Sie brachte ihn in sein Zimmer, dass er mit seinem Vater teilte und setzte sich noch kurz an sein Bett.
„Tante Raya,“ fragte der Junge, „geht es dir gut?“
„Jaja, es geht schon,“ erwiderte sie schnell, allerdings eher halbherzig.
„Das glaube ich nicht. Du leidest wegen Dabog, habe ich recht?“
„Ach… ich weiss auch nicht, das alles ist so komisch und es kommt mir so hoffnungslos vor.“ Der Junge schaute sie erschrocken an und nahm die Hand der jungen Frau in seine. „Das darfst du niemals sagen Raya! Es ist nicht hoffnungslos. Wir werden eine Lösung finden. Meine Kräfte sind schon viel stärker. Vielleicht kann ich ja sogar schon bald einen neuen Körper für Dabog erschaffen.“
Balduraya seufzte tief: „Ach mein Schatz! So einfach ist das nicht. Ausserdem sollte niemand solche Macht besitzen.“
„Aber warum nicht, wenn man sie nur für das Gute und das Glück anderer Menschen einsetzt?“
„Es ist… irgendwie widernatürlich.“
„Aber es hat doch auch schon grosse Zauberer gegeben, die das konnten.“
„Ob das jedoch im Sinne der Mächte des Lichts ist… ich weiss nicht. Eigentlich liegt es allein bei den Göttern, neues Leben zu erschaffen.“
„Aber es wäre doch nur eine Hülle, einfach eine Hülle, die Dabogs Seele dann beziehen könnte.“
Balduraya streichelte dem Jungen liebevoll über die Wange. „Es ist schön von dir, dass du das für mich tun willst, aber du solltest dich nicht zu sehr mit solchen Mächten befassen, sie stammen von einem dunklen Ort.“
„Aber… dunkel bedeutet doch nicht automatisch schlecht,“ widersprach Linus.
„Ach Kind! Du unterschätzt die Gefahr dieser Mächte. Du bist ein Halbdämon, vielleicht kommen die gewisse Dinge richtig vor, die es vielleicht nicht sind.“
Linus schaute seine Freundin etwas verletzt an. „Warum nur, traust du mir so wenig zu?“
„Ich möchte einfach nicht, dass du auf einen falschen Pfad gerätst, weil ich dich sehr liebe.“ „Aber ich komme nicht auf den falschen Pfad!“ begehrte Linus nun auf und seine Augen verdunkelten sich. „Ich will jetzt nicht mit dir darüber streiten mein Schatz,“ erwiderte die Blutelfin müde, „wenn die Mächte des Lichts wollen, dass Dabog und ich zusammenkommen, dann werden sie uns den Weg zeigen.“
Linus Ausdruck hellte sich nun wieder auf uns seine tiefblauen, glühenden Augen, schauten Raya treuherzig an. „Sie wollen das bestimmt auch, da bin ich sicher. Warum sollte ich meine Kräfte nicht nutzen, um euch zu helfen. Ich ertrage es einfach nicht, wenn du traurig bist.“ „Das wird schon alles wieder werden. Nun schlaf aber!“ sie drückte dem Jungen einen Kuss auf die Stirn und schickte sich dann an das Zimmer zu verlassen.
„Kommt Vater auch bald?“ wollte Linus nochmals wissen, als sie in der Türe stand. Sie drehte sich nochmals um. „Bestimmt wird er bald kommen.“
„Meinst du… er mag diese Nachtelfin Ismala so sehr wie einst Tyrande?“
Balduraya blickte den Jungen erstaunt an. Woher bloss wusste er, dass Gwydyon einst in Tyrande verliebt gewesen war, hatte er ihm erzählt was passiert war und das er deswegen zusammen mit der Sukkubus Vilevere einst seinen Sohn gezeugt hatte? Was hatte es mit alledem auf sich? Hatten die Mächte des Lichts, hier womöglich auch ihre Hände im Spiel? Was war Linus Bestimmung?
Doch die Blutelfin äusserte ihre Gedanken nicht, sondern erwiderte nur: „Ich glaube schon, dass er Ismala sehr mag, ob er sie so sehr mag, das wird sich erst noch herausstellen.“
„Wenn sie ihn glücklich macht, dann ist es ja gut,“ erwiderte der Junge. Die junge Frau lächelte bewegt und nickte, dann verliess sie das Zimmer.
Varunna wurde von aufgeregten Rufen geweckt. „Linus ist weg!“ rief Balduraya und stürzte ins Zimmer, dicht gefolgt von Gwydyon. In den Augen der beiden Blutelfen, lag tiefe Besorgnis.
„Er ist weg! Was soll das heissen?“ rief der Tauren erschrocken, sprang auf und zog sich schnell seine Robe über.
„Meint ihr nicht, er ist draussen irgendwo am Spielen?“
„Nein! Wir haben überall gesucht. Auch die Elfenwächter haben nichts gesehen.“
„Vielleicht haben sie ihm sogar selbst etwas angetan,“ sprach Gwydyon finster.
„Sie waren es bestimmt nicht,“ sprach Varunna beschwichtigend „das ist nicht ihre Art.“ „Woher willst du das wissen?“ rief der Blutelfen Hexenmeister nun zornig. „Kaum kommen wir hierher, verschwindet der Junge. Ausserdem hatte er keinerlei Papiere, vielleicht haben sie ihn doch gefangen genommen, weil sie vielleicht herausgefunden haben, dass er ein Halb- Dämon ist.“
„Nein, das glaube ich nicht!“
„Was auch immer du glaubst, wir müssen meinen Sohn um jeden Preis finden und wenn ich jeden hier persönlich in die Mangel nehmen muss!“
Sie hatten nun das Gasthaus verlassen und auch Ismala und Cerunnos stiessen zu ihnen. „Was ist denn los?“ fragten sie.
„Linus ist verschwunden!“ sprach Gwydyon mit feindseliger Stimme. „Irgendjemand hier muss wissen wo er ist!“
„Könnte er nicht am Spielen sein?“ fragte nun auch die junge Nachtelfenfrau.
„Nein! Verflucht noch eins! Er ist nicht am Spielen, sonst hätten wir ihn doch vorhin gefunden!“
Ismala zuckte erschrocken zusammen, sie schien verletzt über die harsche Reaktion des Blutelfen, den sie eigentlich schon sehr ins Herz geschlossen hatte. Sie wechselte einen Blick mit ihrem Bruder, der ebenfalls verärgert über Gwydyons Tonfall war. Mit ruhiger Stimme erwiderte er: „Kein Grund gleich ausfällig zu werden! Wir werden euch natürlich bei der Suche helfen.“
Dabogs Untoten Ich und Aeternias gesellten sich nun ebenfalls zu ihnen.
„Was ist denn das für ein Krawall?“ fragte Aeternias kühl. Die Freunde erzählten den beiden Untoten, was sich zugetragen hatte.
„Ach,“ sprach Aeternias leichthin „der Kleine ist bestimmt wieder irgendwo und übt seine neuesten Zaubertricks.“ Seine Augen funkelten dabei seltsam, als ob er mehr wüsste, doch niemand achtete in diesem Moment darauf. Zu sehr waren sie in Sorge, über das seltsame und plötzliche Verschwinden des Jungen.
Die kommenden Stunden, verbrachte die Reisegruppe damit, die Suche nach Linus fortzusetzen. Doch nirgends fanden sie eine Spur von ihm.
Die Nachtelfen des Hains der Silberschwingen, waren sehr hilfsbereit, als wollten sie zeigen, dass sie mit dem Verschwinden des Kindes nichts zu tun hatten. Nachdem sie im Inneren des Forts ebenfalls alles durchsucht hatten, begannen die Freunde auch noch die weitere Umgebung zu Fuss und mit den Nachtsäblern abzusuchen, ohne Erfolg. Verzweifelt und mit hängenden Köpfen, kehrten sie in den Hain zurück. Wie nur sollte es jetzt weitergehen?
Balduraya sass niedergeschlagen in der Gaststube, wo ihnen der Gastwirt ein paar Getränke zur Stärkung servierte. Sie dachte an den gestrigen Abend zurück, als sie Linus ins Bett gebracht und er ihr versichert hatte, dass er eine Lösung für ihr und Dabogs Problem finden würde. Er war so ein lieber Junge, mit so einen riesigen Herz, trotz seines dämonischen Anteils und sie vermisste den Kleinen schrecklich. Sie wollte nur kurz eine Pause machen und dann würde sie sich wieder auf die Suche nach ihm begeben. Die rotblonde Blutelfin konnte nicht glauben, dass Linus einfach so vom Erdboden verschwand. Neben ihr sassen Tyrande, Varunna und die beiden Nachtelfen. Auch sie machten sich grosse Sorgen und unterhielten sich über das weitere Vorgehen.
Gwydyon und Dabogs Untoten- Ich, waren nochmals nach draussen gegangen und auch von Aeternias war nichts zu sehen. Nachdem die junge Blutelfin ihr Glas wärmenden Punsch ausgetrunken hatte, beschloss sie, sich den anderen anzuschliessen, die vermutlich wieder am Suchen waren. Aeternias blieb verschwunden.
Aber sie erhaschte gerade noch einen Blick auf Gwydyon und Dabogs Untoten- Ich, die sich, angeführt von Gwydyons Leerwandler Banar, erneut in den Wald aufmachten. Ob dieser vielleicht eine Spur von dem jungen Halb- Dämonen gefunden hatte?“ Sie rief die anderen und zusammen folgten sie ihrem Bruder, dem Untoten und dem blauen Hilfsdämon, hinein in die lilafarbenen Schatten des Eschentals.