29. Kapitel
Linus Triumph und die Reise zum Glutnebelgipfel
Noch bevor er den Posten der Silberschwingen richtig betreten hatte, lief ihm auch schon Balduraya entgegen. „Dabog hat sich bei Varunna gemeldet!“ rief sie ihm zu und ihr Gesicht war vor freudiger Erregung erhitzt. „Es geht ihm und Linus gut!“
Dem jungen Blutelfen kam es vor, als ob eine unendlich schwere Last von seinem Herzen fallen würde und er fragte überglücklich: „Es… geht ihnen wirklich gut?“
„Ja! Aber komm, wir gehen zu Varunna, er wird dir die Einzelheiten erzählen!“
Das liess sich Gwydyon nicht zweimal sagen und er und seine Schwester liefen, so schnell sie konnten, zum Gasthaus zurück.
Varunna sass mit den anderen an einem der grösseren Tische. Alle wirkten zutiefst erleichtert.
„Dabog hat sich also bei dir gemeldet?“ fragte Gwydyon ohne Umschweife.
Varunna drehte sich zu ihm um und seine grossen, blauen Augen strahlten vor Freude. „Ja, stell dir vor! Dabog hat Linus gefunden! Sie befinden sich zurzeit auf dem Glutnebelgipfel im Brachland. Linus Kräfte sind enorm gewachsen und er hat Dabog geholfen, den Dämonen und auch mehrere feindliche Orcs, ausser Gefecht zu setzen. Sogar Aeternias hat sich wieder auf ihre Seite geschlagen.“
„Aeternias!?“ die Stimme des Blutelfen überschlug sich beinahe vor Überraschung. „Aber wie das?“ „Nun, es sieht so aus, als habe dieser seltsame Kapuzendämon ihm ein paar Dinge versprochen, wenn er ihm bei de Entführung von Linus helfen würde. Unter anderem versprach er ihm, seine einstige Liebste Egeria wieder zum Leben zu erwecken.“ Gwydyons Augen weiteten sich vor Staunen. „Und… ist ihm das auch gelungen?“
„So wie es aussieht nicht ganz. Egeria ist zwar aus ihrer Asche wiedererstanden, aber sie besitzt nicht wirklich eine Seele. Es verhält sich bei ihr so ähnlich, wie bei den Verlassenen. Nur dass dieser Dämon scheinbar so viel Macht besitzt, dass er sie, nur aus einem Häuflein Asche, wieder neu geformt hat.“
„Das ist unglaublich!“ rief der Blutelfen- Hexenmeister aus. „Und du sagst… Linus hat, zusammen mit Dabog und Aeternias, einen solch übermächtigen Dämonen bezwungen?“
„Sieht so aus.“ Die Kräfte deines Sohnes müssen enorm gewachsen sein die letzten Tage. Nach Dabogs Bericht ist er nun etwa 15 Jahre alt und hat mit einer Schockwelle die ganzen Orcs in seiner näheren Umgebung vernichtet.“
„Und Dabog und die anderen… sind unversehrt geblieben?“
„Scheint so, ja. Das zeigt, dass Linus seine Kräfte kontrollieren und nur gegen jene richten kann, die ihm Böses wollen.“
Gwydyon musste sich setzen. Diese ganze Geschichte war einfach zu unfassbar! „Und… der Kapuzendämon…, haben sie ihn auch getötet?“
„Nein, Linus hat ihn aber gefügig gemacht. Er wollte ihn am Leben lassen, weil er glaubt, dass dieser ihm helfen kann, für Dabog einen neuen Körper zu erschaffen. Es gab da auf den Glutnebelgipfel irgendein mächtiges Artefakt, welches der Kapuzendämon für die Neuerschaffung von Egerias Körper verwendet haben soll. Linus nahm auch das Artefakt an sich.“
Der Hexenmeister runzelte etwas besorgt die Stirn. „Das ist aber ziemlich riskant. Man weiss ja nie, was solche ein Artefakt anrichten kann. Ausserdem… ob sich so ein mächtiger Dämon wirklich, von einem Kind wie Linus, länger unter Kontrolle halten lässt… ich weiss nicht so recht.“
„Das war auch Dabogs Sorge. Doch schliesslich hat er Linus Drängen nachgegeben. Vermutlich hegt er auch selbst grosse Hoffnungen, dass dieser ihm seinen Wunsch nach einem neuen Körper erfüllen könnte. Auch um endlich richtig… mit Balduraya zusammen zu sein.“
Varunna nickte in die Richtung der rotblonden Blutelfin, deren grünleuchtenden Augen noch mehr zu funkeln schienen, als sonst. Auch in ihren Ausdruck, lag grosse Hoffnung.
Gwydyon seufzte. „Nun gut, Linus hatte schon immer einen starken Willen.
Wir schauen, wie wir weiter verfahren, wenn er und die anderen wieder zurück sind. Du sagst also, sie sind auf dem Glutnebelgipfel im Brachland? So weit weg von hier, ist das gar nicht. Ich glaube ich breche sogleich auf, um sie abzuholen. Ich hoffe die Elfen, hier im Hain der Silberschwingen, haben genug Flugreittiere. Zwei brauche ich auf jeden Fall.“ Mit diesen Worten machte sich Gwydyon enthusiastisch auf zum nahegelegenen Flugmeister.
Ein weisses Kaninchen hoppelte über seinen Weg, er beachtete es jedoch kaum. Bestimmt war es irgendwo entlaufen. Oder vielleicht doch nicht?
Es dauerte nicht sehr lange und Gwydyon verliess auf einem Hippogryphen, die mittlerweile dunkelvioletten Schatten des Eschental- Waldes. Vor ihm lag nun eine weite, trockene Steppenlandschaft, die rot und golden im aufziehenden Abendlicht strahlte.
Es war das Brachland! Herden von Kodos, Gazellen und den weiss-schwarz gestreiften Zhevras, zogen unter ihm dahin. Bei den Kodos handelte es sich um eine Art mächtige Echse mit ledriger, brauner Haut und einem gespaltenen Horn auf der Nase. Sie waren die beliebtesten Reittiere der Tauren.
Die Zhevras wirkten wie eine Mischung aus Zebra und Einhorn. Auf ihrer Stirn prangte ein mächtige, spitzes Horn, dass sogar einen Tauren problemlos aufzuspiessen vermochte.
Gwydyon genoss den Flug sichtlich, auch wenn ihm bewusst war, dass er es vermutlich erst am nächsten Morgen, bis zum Glutnebelgipfel schaffen würde. Als es zu dunkel war, um noch weiterzufliegen, rastete er auf einem Hügel, von dem aus man einen guten Blick über die ganze Umgebung hatte. Weit in der Ferne, erblickte er in der Finsternis ein unheimliches, rötliches Leuchten über einen Berg- Gipfel, der jedoch von Nebel eingehüllt wurde. Das musste der Glutnebelgipfel sein! Gleich wenn der neue Tag wieder anbrach, würde er seinen Weg fortsetzen. Er nahm eine Decke aus der Satteltasche seines Reittiers und legte sich dann vertrauensvoll zwischen die beiden mächtigen Hippogryphen, die sich ebenfalls zum Schlafen niedergelegt hatten. Ihr warmer, erstaunlich angenehmer Duft, hüllte den Blutelfen sanft ein und zufrieden seufzend fiel er, kurz darauf, in einen tiefen Schlummer.
Am nächsten Tag erwachte er bei den ersten Sonnenstahlen, die seine Nase kitzelten und erhob sich sogleich. Die beiden Hippogryphen sassen noch immer an derselben Stelle und ihre gelbleuchtenden Augen, die etwas an die Augen eines Nachtelfen erinnerten, richteten sich sogleich auf ihn. Gwydyon streichelte ihnen leicht über den befiederten, mit sanft geschwungenen Geweihen, gekrönten Kopf und sprach: „Es wird Zeit, dass wir weiterfliegen!“
Die wundersamen Wesen neigten ihre Häupter und es kam ihm vor, als würden sie ihm im Geiste antworten: „Wir sind bereit!“ Er staunte, wie leicht führbar diese mächtigen Flugreittiere waren. Immerhin gehörte er ja eigentlich nicht zu den Völkern, die mit den Nachtelfen verbündet waren. Doch das schien die edlen Tiere mit ihren mächtigen Schnäbeln und kräftigen Hufen nicht zu stören. Er nickte zustimmend und dann schwang er sich erneut in den Sattel. Sogleich hoben die beiden Hippogryphen, mit einem eleganten Sprung, vom Hügel ab und schlugen die Richtung zu dem, mit roten Wolken eingehüllten Glutnebelgipfel, ein.