23. Kapitel
Warten auf die Eskorte, Gwydyon's Erkenntnisse
Gwydyon und seine Freunde, näherten sich nun immer mehr ihrem Ziel. Zur linken gab es nun einen Hügelkamm, diesem flogen sie noch eine Weile entlang. Gwydyon rief seinen Kameraden zu: „Laut der Karte, sollte ein wenig versteckt, entlang dieser Hügelkette der Hain der Silberschwingen sein. Weit ist es nicht mehr. Varunna sagte, wir treffen die Nachtschwingen- Geschwister bei einem riesigen, moosbewachsenen Baumstamm, neben welchem ein purpurner, junger Baum steht. Er befindet sich entlang der Strasse, die jetzt gerade wieder unter uns auftaucht, auf der rechten Seite, leicht südlich vom Hain der Silberschwingen. Ohne die Begleitung irgendwelcher Allianzmitglieder, können wir keinen Schritt in den Hain machen und wären bereits erledigt.“ „Das klingt nicht unbedingt beruhigend,» sprach Balduraya. „Es wird schon gut gehen, ich hoffe einfach diese beiden Nachtelfen tauchen auch auf!“
Noch eine Weile flogen sie den Pfad entlang, als Linus als erster, einem riesigen, moosbewachsenen Baumstamm entdeckte, der neben dem Weg am Boden lag. Daneben stand tatsächlich ein junger, schlanker Baum, dessen purpurne Blätter im Winde raschelten. „Da unten, da unten ist der Baum!“ rief der Junge aufgeregt. Die sechs Reisenden, setzten zur Landung an und schauten sich erstaunt um. Ein Stück weiter vorne, erblickten sie einige Nachtelfengebäude, mit geschwungenen Türbögen und elegant geschmückten Zinnen. Sie wiesen fast dieselben Farben auf, wie die Bäume im Eschental. Sie waren ja auch aus deren Holz gefertigt worden, jedoch stets in dem Bewusstsein, nur das zu nehmen, was man auch wirklich zum Leben brauchte. Die Horde, welche sich nun ebenfalls mehr im Eschental angesiedelt hatte, war unter dem Kommando von Garrosh Höllschrei nicht so rücksichtsvoll, das war mit ein Grund, warum der Hass der Nachtgeborenen auf die Horde gewachsen war. Die Horde hatte grosse Teile des jahrtausendealten Waldes, innert kürzester Zeit verwüstet, um aus dem Holz ihre Kriegsmaschinerie zu bauen. Dieser einzigartige Wald, war nun ein umkämpftes Gebiet und die sechs Freunde befanden sich mittendrinn. Was würde sie wohl erwarten?
„Ein wenig mulmig ist mir schon zu Mute,“ meinte Balduraya an Tyrande gewandt. „Eigentlich bewegen wir uns hier auf ziemlich gefählichem Gelände. So lange Varunna nicht da ist, der unsere Papiere hat, kann man uns jederzeit entdecken und töten. Ausserdem mache ich mir Sorgen um Aeternias und Dabog. Sie haben ja gar keine Papiere, ich hoffe diese Nachtschwingen Geschwister, haben Verständnis und eskortieren auch sie beide sicher nach Darnassus.“ „Das wird schon gut gehen Raya,“ versuchte Tyrande sie zu beruhigen. „Ich glaube, dass wir das Richtige tun, ich spüre es ganz tief in mir drin und darum werden uns die Götter auch beschützen.“ „Nur dumm, dass nun unter der Herrschaft von Garrosh alles viel schwieriger geworden ist, zwischen Allianz und Horde. Hast du gesehen, was für Zerstörung hier im Eschental schon, durch die Hand unserer Fraktion, stattgefunden hat? Das hätte niemals sein dürfen. Manchmal schäme ich mich richtig, Teil dieser Horde zu sein. Thrall besass als Schamane noch eine tiefere Bindung zur Natur und hat darum unnötige Zerstörung, wenn irgend möglich, vermieden. Er war auch sonst friedfertig und sogar mit Jaina Prachtmeer befreundet, auch Varian Wrynn hat in respektiert und alle anderen Anführer der Allianz. Garrosh könnte alles zerstören, was Thrall einst aufgebaut hat.“ „Das können wir nicht wissen,“ versuchte Tyrande erneut zu beschwichtigen. Doch im Herzen wusste sie, dass Balduraya wohl leider recht mit dem hatte, was sie sagte. All diese Tatsachen, waren mit ein Grund gewesen, ihrer einstigen Heimat Silbermond den Rücken zu kehren. Tyrandes Blick schweifte zu Gwydyon herüber, welcher ziemlich in sich gekehrt vor Aternias auf dem Wyvern sass. Er wirkte irgendwie traurig, nicht mehr so kraftvoll und strahlend wie einst. Sie bedauerte sehr, dass sie ihn so verletzt hatte, doch sie konnte sich nicht dazu zwingen, mehr als Freundschaft für den jungen Blutelfen zu empfinden, auch wenn sie ihm von Herzen wünschte, dass er einst jemanden finden würde, der ihm jene Liebe gab, die er verdiente. Sie bereute die harten Worte, die sie ihm gesagt hatte sehr und sie wollte sich nochmals bei ihm entschuldigen, wenn sich alles wieder etwas beruhigt hatte. Doch nun galt es erst mal heil nach Darnassus zu gelangen.
Ihre Wyvern setzten nun lautlos im Schutz einiger nahegelegenen Felsen zur Landung an. Zwischen diesen Felsen richteten sie dann auch ihr Lager her. Von hier hatten sie einen guten Blick auf den Baumstamm, der gross und mächtig neben dem Pfad lag. Wenn man neben ihm stand, überragte seine Grösse auch liegend, noch um einiges das Haupt von Gwydyon, welcher der Grösste der sechs Reisenden war. Sie beschlossen, abwechselnd Wache zu halten, damit sie nicht verpassten, wenn ihre anderen Freunde, oder vor allem die beiden Nachtelfen, hier ankamen.
Ein Stück hinter den Felsen, befand sich sogar ein glasklarer, schimmernder Fluss, welchen man den Falfarren nannte. So hatten sie auch gleich Wasser, um ihren Durst zu stillen.
„Es ist schön hier!“ freute sich Linus. „Dennoch müssen wir sehr auf der Hut sein,“ ermahnte ihn Balduraya. „Gleich dort drüben, ist nämlich der Nachtelfenstützpunkt!“ Sie deutete in eine bestimmte Richtung und Linus entdeckte dort eine Ansammlung von typischen Nachelfenbauten. Es gab einen schmalen Turm, mit spitzem, schnörkelverziertem Dache, einen der üblichen Mondsichel- Türbogen und ein paar grössere Gebäude. Alles war harmonisch in die Natur eingefügt.
„Es sieht aber gar nicht so gefährlich aus.“ „Aber es ist gefährlich. So lange wir nicht Varunna bei uns haben, oder die beiden Nachtelfen, sind wir als Hordenmitglieder vogelfrei, heisst: Sie können uns jederzeit töten, wenn sie wollen. Also benimm dich und sei ganz still, okay Schätzchen?“ „Ja,“ erwiderte Linus gehorsam. „Ich gebe mir Mühe.“ „Dann ist es gut.“ Die junge Blutelfin streichelte über das Haar des Jungen und half dann den anderen das Lager einzurichten.
Gwydyon war nervös und ruhelos. Es gab so vieles, dass ihn beschäftigte. Seit er von Tyrande erfahren hatte, dass sie keinerlei romantische Gefühle für ihn hegte, war ein wichtiger Halt in seinem Inneren verloren gegangen. Ausserdem fühlte er sich nach dem Ereignis mit Vilevere nun sehr verletzlich und fürchtete sich regelrecht davor, einen seiner Dämonen zu beschwören.
Im Augenblick gab es gerade nichts, welches das Loch das Tyrande in sein Herz gerissen hatte, wieder füllen konnte. Er hatte anfangs gehofft, dass die Liebe zu seinem Kind, ihm helfen würde, wieder mehr Sicherheit zu gewinnen. Doch er musste ziemlich bald feststellen, dass dies wohl nicht möglich war. Zu sehr überforderte ihn die Erziehung jetzt schon und er konnte einfach keine wirkliche Bindung zu Linus aufbauen. Das machte ihn manchmal sehr traurig.
Seufzend setzte sich der junge Nachtelf an das klare Wasser des Flusses in der Nähe, stützte sein Gesicht in die Hände und starrte grübelnd hinab ins Wasser.
„Du solltest mal etwas mehr mit Linus spielen,“ sprach eine Stimme neben ihm. Es war Tyrande. Gwydyon musterte die junge Elfin mit säuerlicher Mine. „Was spielt man schon mit so einem Halb- Dämonen Kind?“ „Was für eine Frage, du kannst mit Linus genau dieselben Dinge machen, die du mit einem anderen Kind auch machen würdest.“ „Ich weiss ja nicht mal, was man mit einem normalen Kind spielt. Ich habe mich bisher auch nie dafür interessiert. Aber was interessiert es dich?“ „Mir liegt Linus am Herzen und auch du, darum möchte ich, dass ihr eine schöne Zeit zusammen verbringen könnt.“ „Ich liege dir am Herzen, ach komm!“ sprach Gwydyon sarkastisch. „Ja natürlich, du bist immer noch mein Freund, mein bester Freund übrigens.“ „Davon habe ich nicht sehr viel.“ „Warum bist du so fixiert? Du solltest wirklich lernen, jeglicher Form von Beziehung eine Chance zu geben. Das alles ist doch Schwachsinn. Ich kann mich nicht dazu zwingen, mehr als Freundschaft für dich zu empfinden. Es geht einfach nicht.“ „Genauso, wie ich auch nichts gegen meine Gefühle für dich machen kann,“ gab der junge Mann zur Antwort. „Irgendwann wirst du dich damit abfinden müssen. Aber ich will dich nicht auch noch als Freund verlieren, wir gehen schon so lange den Weg miteinander und du wie Balduraya wart für mich immer die engsten Bezugspersonen. Bitte wirf das nicht weg! Es tut mir wirklich unendlich leid, auch all die bösen Worte, die ich zu dir sagte. Ich bin manchmal einfach so wütend auf dich.“ „Du bist wütend auf mich? Wäre es nicht an mir, wütend zu sein?“
„Das ist eben dein Problem, du bist so stolz, so… unglaublich stur manchmal, dass du ganz übersiehst, auf was es wirklich ankommt. Auch das mit Linus, warum nur kannst du ihm nicht auch eine Chance geben? Es ist doch auch Blut von deinem Blut und ausserdem so ein liebes Kind. Er tut alles um den Dämonen in sich zu bezwingen und das alles tut er vor allem für dich, weil er von dir anerkannt und geliebt werden will. Warum gibst du dir nicht mal einen Ruck! Du lässt zu, dass ein Untoter, ohne Seele, sozusagen deinen Platz als Vater einnimmt.“ „Meinst du wirklich?“ Gwydyon wurde auf einmal wütend. „Ja, Linus hängt sich doch nur so an Aeternias und Dabog, weil er in ihnen einen Vater Ersatz sucht. Du aber solltest es sein, der mit ihm spielt, vielleicht mal mit ihm kämpft, der ihm zeigt, auf was es im Leben ankommt. Wenn du die Gelegenheit jetzt verpasst, wird die Beziehung zu Linus nicht mehr zu retten sein. Du weisst, er wächst sehr schnell, du hast nicht so viel Zeit und wenn du es jetzt verdirbst, dann kannst du es irgendwann nicht mehr retten. Ausserdem, vielleicht beginnt Linus dann wieder mehr an seine Mutter zu denken, vielleicht beginnt er sie auf einmal zu idealisieren, weil er in dir kein Vorbild findet. Und dann verlieren wir ihn schlussendlich doch noch an die dämonische Seite. Gib dir also endlich einen Ruck und hör auf in Selbstmitleid zu baden!“
Als Tyrande das sagte, flammte erneut Zorn in Gwydyon auf. Er wollte aufbegehren, doch dann entschied er sich doch zu schweigen. Vielleicht hatte seine Freundin ja doch recht? „Du musst sowieso dringen mal mit Linus reden, nach der Geschichte mit dem Dämonensklaven,“ sprach Tyrande noch. Dann erhob sie sich und ging wieder davon. Gwydyon blieb einen Moment lang grübelnd sitzen und liess sich den Rat seiner Freundin und ihre Bedenken, nochmals durch den Kopf gehen. Konnte es wirklich sein, dass er sich zu sehr in seinem Selbstmittleid verloren hatte? Konnte es sein, dass ihm Linus zu entgleiten drohte, wenn er ihm nicht endlich ein Vorbild war? Aber er wusste gar nicht, wie sich ein richtiges Vorbild verhielt. Seine und Baldurayas Eltern waren so früh gestorben und die Geschwister waren sehr früh auf sich allein gestellt gewesen. Wie also konnte er Gwydyon, ein guter Vater sein?
Nachdenklich erhob er sich und ging zum Lager zurück. Linus war gerade dabei eine Ameisenkolonie zu beobachten, welche eine lange Strasse gebildet hatte. Gwydyon trat etwas zögerlich näher und beugte sich ebenfalls hinunter, um die fleissigen Insekten näher zu beobachten. Als Linus ihn sah, wirkte er etwas überrascht, doch dann hellte sich sein Gesicht auf. „Siehst du wie fleissig sie sind und was sie alles mit sich tragen und schau das grosse Nest, dass sie dort drüben gebaut haben! Raya sagt, das haben sie alles nur geschafft, weil sie zusammenhalten und einander helfen.“ Gwydyon fühlte Rührung in sich aufsteigen und erwiderte mit leicht gebrochener Stimme. „Ja, das stimmt Raya hat wie immer recht, mit dem was sie sagt. Ameisen sind tatsächlich erstaunliche Geschöpfe. Wir können uns in vielerlei Hinsicht ein Beispiel an ihnen nehmen. An ihrerm Zusammenhalt, ihrem Fleiss, ihrer Ausdauer und Treue. Hätte ich mir nur mehr ein Beispiel an ihnen genommen, dann hätte ich dir das geben können, was du eigentlich von Anbeginn her, verdient hättest. Ich hätte dir mehr Liebe geben sollen, das ist mir klar geworden und es… tut mir unendlich leid, dass ich das erst so spät begriffen habe. Weisst du, als ich dich damals aus Desolace herausgeholt habe, da war mir alles egal, nur du warst wichtig und dass ich dich den verderblichen Einflüssen der Brennenden Legion entreissen konnte, weil ich bereits ahnte, welch wundervolle Seele in dir wohnt. Doch ich habe dir meine Liebe nicht gezeigt, es dir nicht richtig zeigen können, weil ich mich verloren hatte, in Selbstmittleid und Verbitterung. Dabei habe ich vergessen, was wirklich zählt, nämlich du und unsere Verbindung zueinander. Ich bin dein Vater und ich liebe dich wirklich. Ich will dir in Zukunft ein besserer Vater sein, doch ich habe einfach keine Übung darin. Mein Vater starb sehr früh und er konnte mir nicht mehr viel über das Vatersein beibringen. Darum hab etwas Geduld mit mir. Ich werde mich bessern, versprochen. Und dieser Zauber… den ich da auf dich gelegt habe… das war schrecklich und falsch von mir. Bitte verzeih mir!“ Linus schaute seinen Vater einen Augenblick lang ungläubig an, dann warf er sich in seine Arme.