28. Kapitel
Gwydyons Schmerz
Die Stimmung war sehr gedrückt, als sie wieder beim Gasthaus ankamen. Gwydyon fühlte sich erschöpft und niedergeschlagen. Varunna hatte noch immer nichts von Dabog gehört. Was nur, war geschehen? der junge Hexenmeister, beschwor nun erneut Banar und trug ihm auf Linus zu suchen und Dabog nach besten Kräften zu unterstützen.
Doch dann hielt er es in der Gaststube nicht mehr aus. Er musste an die frische Luft. Kurz informierte er die Wachen, dass er den Hain nochmals verlassen wolle und diese gaben ihm die Erlaubnis dazu, jedoch mit der Ermahnung, dass er nicht zu weit weg gehe solle, da im Wald viele Gefahren auf ihn lauern konnten. Doch der Blutelf hatte keine Angst. Er besass genug Zauberkraft, um es mit jedem Feind aufzunehmen. Einmal mehr machte er sich Vorwürfe, dass er nicht schneller gehandelt hatte, um Linus den Klauen von Aeternias und diesem seltsamen Kapuzen- Dämonen zu entreissen. „Ich hätte diese Kreaturen sogleich in Flammen aufgehen lassen sollen, als ich sah, dass sie Linus entführen wollen!“ schalt er sich „aber ich war einfach zu träge. Wenn dem Jungen etwas passiert, werde ich mir das niemals verzeihen können…“
Dabei hatte alles doch so gut ausgesehen. Die Eskorte aus Nachtelfen war gekommen, um ihn und die anderen Horden Angehörigen, nach Darnassus zu eskortieren und Linus wäre dort endlich den Mächten des Lichts geweiht worden. Nun jedoch… wusste niemand, ob es jemals dazu kommen würde.
„Warum nur, hat dieser Kapuzen- Dämon so ein Interesse an meinem Sohn? Ist er womöglich von Vilevere auf ihn angesetzt worden, um Linus zu ihr zurückzubringen? Aber der Kapuzenmann, scheint ein viel mächtigerer Dämon zu sein, als es eine Sukkubus je sein könnte. So ein hoher Dämon würde bestimmt nicht auf den Befehl eines Niederklassedämons wie Vilevere hören. Was also hat es mit alledem auf sich?“
Nachdenklich setzte Gwydyon einen Schritt vor den anderen und schliesslich trugen ihn seine Füsse, ganz automatisch, zum Fluss, an dem sie vor ihrem Aufenthalt im Posten der Silberschwingen ein paar Mal übernachtet hatten. Tief atmend setzte er sich an das Flussufer und starrte in das silbrig schäumende Wasser, in welchem sich das helle Mondlicht spiegelte. Hier glaubte der Blutelf etwas zur Ruhe zu kommen. Er entsann sich, wie aufgewühlt er einst gewesen war, als Tyrande ihm eröffnet hatte, dass sie ihn nicht liebte und ihn nur als Freund sah. Damals war er hinaus in die Wüste von Durotar gelaufen und hatte aus Zorn einige Felsbrocken, durch seine magischen Kräfte, in die Luft gejagt. Diesmal war er mindestens so aufgewühlt, beim Gedanken an seinen verlorenen Sohn. Doch anstatt, dass er sich, wie damals als das mit Tyrande gewesen war, durch Zorn etwas Luft verschaffen konnte, lag die Schwermütigkeit diesmal wie eine unendlich dichte Decke des Elends, über ihm. Es fiel ihm schwer zu atmen. Alles fühlte sich vollkommen falsch an und tiefe Leere erfüllte ihn. Er konnte den Gedanken kaum ertragen, dass ihm sein Sohn erneut entrissen worden war. Würde er ihn vielleicht nie mehr wiedersehen? Nein! Das konnte und durfte nicht sein!
„Ich darf den Mut nicht verlieren!“ sprach der Blutelf zu sich selbst. „Bestimmt wird alles wieder gut. Damals als Tyrande mit abgewiesen hat, dachte ich auch, dass ich nie mehr wieder froh werden würde. Doch nun bin ich beinahe über sie hinweg…“ Ein flüchtiger Gedanke an Ismala, die junge, wunderschöne Nachtelfin, mit der besonderen Ausstrahlung, drängte sich in sein Bewusstsein. Sie war die erste Frau, der er sich glaubte, wieder öffnen zu können. Würde seine Liebe zu ihr, ihm vielleicht einst wieder ein Leuchtfeuer sein, dass ihn daran hinderte, noch einmal zu straucheln? Doch sogleich verschwand das Bild der jungen Frau wieder vor seinem inneren Auge und das Gesicht von Linus, seinem geliebten Sohn, drängte sich mit aller Macht, in sein Bewusstsein zurück.
„Nein!“ dachte er bei sich „Ismala ist es nicht, dieses Leuchtfeuer. Linus ist es! Er war es vom ersten Moment seiner Geburt an!“
Diese plötzlich so klare Erkenntnis, berührte Gwydyon tief und erschütterte ihn bis ins Mark seiner Seele. Linus war sein Kind, sein Sohn, sein Fleisch und Blut! Er war es, der das Allerbeste in Gwydyon zu wecken vermochte. Wieder stiegen dem Blutelfen Tränen in die Augen. Brennend und durchtränkt mit Kummer. Gwydyon stütze sein Gesicht in die Hände und sein ganzer Körper wurde erneut von Weinkrämpfen erschüttert.
Auf einmal jedoch… legte sich eine weiche Hand auf seine Schulter. Er fuhr herum. Vor ihm stand Ismala! Ihre silbernen Augen leuchteten in der Dunkelheit, wie funkelnde Edelsteine, direkt aus Mondlicht geboren. Ihre wohlgeformte Silhouette hob sich vom nachtblauen Himmel ab. Ein leichter Windzug wehte ihr eine glänzende Strähne, ihres blauschwarzen Haares ins Gesicht. Gwydyon spürte zuerst eine tiefe Freude in sich, Ismala zu sehen. Doch dann kam ihm in den Sinn, dass er eigentlich lieber allein hätte sein wollen. Er mochte es nicht, wenn Ismala ihn wie ein Baby weinen sah.
„Ismala!“ sprach er deshalb mit kühler Stimme „was tust du denn hier?“
Sie wirkte etwas enttäusch, da er sich nicht wirklich über ihre Anwesenheit zu freuen schien. „Ich wollte einfach mal nach dir sehen,“ erwiderte sie mit ihrer wohlklingenden Stimme. „Ich machte mir etwas Sorgen um dich.“
„Das brauchst du nicht,“ gab der Blutelf, betont gleichgültig zurück. „Ich komme schon klar.“
„Aber… du hast geweint.“
„Ach was, es ist alles nur halb so schlimm…“
„Du musst dich vor mir nicht schämen,“ erwiderte die Nachtelfin sanft und setzte sich neben ihn. „Du hast immerhin gerade deinen Sohn verloren. Da ist es ganz natürlich, dass du sehr leidest. Aber du musst dabei nicht allein sein. Darf ich dir Gesellschaft leisten?“
Gwydyon überlegten einen Moment lang. Doch dann nickte er langsam, „wenn du möchtest. Aber ich bin gerade keine sehr gute Gesellschaft.“
„Das spielt keine Rolle. Ich bin so oder so gerne bei dir.“
Der Blutelf horchte auf „du bist gerne bei mir? Wie kommt ein Sin’Dorei, wie ich, zu dieser Ehre?"
Es klang sarkastischer, als er beabsichtigt hatte und ein bekümmerter Schatten, fiel über Ismalas schönes Antlitz. „Ob Sin’Dorei oder Kaldorei, eigentlich spielt das doch keine Rolle. Unsere Rassen haben schliesslich denselben Ursprung."
„Dennoch leben wir noch immer im Krieg miteinander.“
„Vielleicht wird es Zeit, dass wir uns endlich alle zusammenraufen. Elune selbst ist Cerunnos einst in einer Vision erschienen und sagte, dass es Zeit wird, dass die Kinder der Sonne in ihre alte Heimat zurückkehren.“
In Gwydyon breitete sich ein warmes Gefühl aus, wenn er daran dachte, dass alle Rassen von Azeroth in Frieden miteinander leben würden. In so einer Welt… vielleicht… hätte es für ihn und Ismala eine Zukunft gegeben. Doch sogleich holte ihn sein Verstand wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. „So schön dieser Gedanke auch sein mag, es wird vermutlich niemals so weit kommen,“ erwiderte er mit Bitternis in der Stimme. „Solange Herrscher an der Macht sind, die die Konflikte zwischen Allianz und Horde immer wieder befeuern.“
„Es gibt auch unter den meisten Herrschern, die tiefe Sehnsucht nach Frieden, da bin ich mir sicher. Wenn es nicht so wäre, hätte euch Tyrande Whisperwind doch nicht erlaubt nach Darnassus zu kommen,“ widersprach ihm Ismala.
„Und doch, sind die Kluften zwischen den verschiedenen Völkern, immer noch vorhanden. Sie schwären vor sich hin, wie eiternde Wunden und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein weiterer Krieg ausbricht.“
„Aber Leute wie du und ich, könnten wenigstens den Anfang machen, indem wir uns einander wieder annähern. Wenn es irgendwann genug gibt, die so denken wie wir, dann zieht bestimmt auch die Obrigkeit nach. Wir dürfen das Vertrauen nicht verlieren, dass wir das einst schaffen werden!“
Gwydyon musterte die junge Elfin mit gemischten Gefühlen. Auch wenn er sie für ihren unerschütterlichen Idealismus einerseits bewunderte… wie sehr erinnerte sie ihn doch an seine einst grosse Liebe Tyrande! Jene hatte ganz ähnlich geredet, als sie ihn und Balduraya dazu überredet hatte, Silbermond zu verlassen. Der Gedanke an sie und daran, wie sie ihn einst abgewiesen hatte, veranlasste den jungen Mann erneut dazu, sich seinen stacheligsten Panzer anzulegen und er sprach finster: „Vertrauen wird immer wieder enttäusch.“
„Ich finde du bist viel zu pessimistisch!“ rief Ismala aus. „Wie kann irgendjemand den Weg zu deinem Herzen finden, wenn du ihm von Anbeginn misstraust?!“
„So ist das nun mal. Ich sagte dir ja, dass ich nicht gerade die beste Gesellschaft bin. Was willst du eigentlich von mir?“ Er musterte die junge Frau nun mit blitzenden Augen und sie schien unter seiner, plötzlich so abweisenden Haltung, merklich zusammenzuzucken.
„Ach nichts…,“ sprach sie. „Ich lasse dich vielleicht besser wieder allein.“
„Ja, ist vermutlich wirklich besser!“
Sie nickte langsam und in ihren Augen, schienen auf einmal Tränen zu schimmern. Sie wischte sie jedoch sogleich wieder ab und entfernte sich fluchtartig.
Gwydyon schaute ihr etwas erschrocken hinterher. Warum nur… behandelte er Ismala so schlecht? Sie hatte es doch nur gut gemeint und schliesslich war sie ja nicht…
Er kämpfte gegen den Impuls an, ihr zu folgen. Doch dann siegte einmal mehr sein Stolz. Er würde bestimmt niemals wieder irgendeiner Frau hinterherlaufen! Ausserdem hatte er gerade andere Sorgen. Er nahm frustriert einen Stein, der an der Uferböschung lag und warf ihn in den mondhellen Fluss.
Dort wo er auf die Wasseroberfläche traf und verschwand, bildeten sich Kreise, die nach aussen, immer grösser und grösser wurden und… auf einmal hatte Gwydyon das Gefühl, dass irgendetwas im Gange war, etwas dass sich zwar noch vor seinen Augen verbarg, aber doch für alle Völker von Azeroth, eine einschneidende Erfahrung werden würde.
Wie als Bestätigung grollte auf einmal die Erde unter ihm und ein leichtes Beben erschütterte die Umgebung. Der Fluss warf kleine Wellen, die ans Ufer schwappten und Gwydyons Füsse benetzten. Eine seltsame Unruhe ergriff ihn urplötzlich. Er erhob sich und lief schnell ins Lager zurück.