25. Kapitel
Ankunft der Nachtschwingen- Geschwister, Kaldorei und Sin'Dorei kommen sich näher
Linus war ein sehr aufmerksames Kind und so fiel es ihm auch schnell auf, dass irgendwas vorgefallen sein musste, denn Balduraya wirkte irgendwie sehr aufgewühlt als sie vom Flussufer zurückkam. Auch Varunna und Tyrande waren nachdenklich. War zwischen ihnen etwas vorgefallen? Vor allem verhielt sich Raya, dem Tauren gegenüber, seltsam. Auch wenn Linus sich nicht vorstellen konnte, dass dieser seine geliebte Tante verletzt hatte, wollte es doch genau wissen. So sprach er Balduraya später, als er zusammen mit ihr den Abwasch des Abendgeschirrs am Fluss machte, darauf an. „Hat Varunna etwas getan, dass dich verletzt hat?“ „Neinein! Varunna ist ein so guter Freund. Er tut immer so viel für andere. Er hat mich doch nicht verletzt.“ „Aber an was liegt es dann, dass du dich ihm gegenüber so seltsam verhältst?“ Ach… das hat nichts mit Varunna selbst zu tun, aber mehr darf ich dir leider nicht sagen. Varunna wollte, dass Tyrande und ich es für uns behalten.“ „Papa weiss auch nichts davon?“ „Nein und die Untoten auch nicht.“ „Aber warum nicht?“ „Ach mein Schatz, das ist schwer zu erklären.“ „Versuch es doch einfach!“ „Du bist noch etwas zu jung, um das zu verstehen.“ „So jung nun auch wieder nicht, ich bin schon 10… oder bald 11!“ „Ja ich weiss. Ach, du wächst so schnell! Hört das irgendwann wieder auf?“ „Papa sagte, wenn ich so 20 bin, geht es wieder einiges langsamer. Dämonen oder Halbdämonen, altern anders.“ Etwas Bitternis schwang in seiner Stimme mit, als er das sagte. „Dennoch, eigentlich wollten wir es vorerst für uns behalten.“ „Ich kann gut schweigen. Ich will einfach nur wissen, was mit dir los ist, Tante Raya.“ Die Blutelfin seufzte erneut schwer. Doch dann sprach sie. „Also gut. Du musst es aber unbedingt für dich behalten! Wir wissen vor allem nicht genau, wie weit wir den Untoten trauen können und deinen Papa wollten wir erst etwas später einweihen.“ „Ich werde schweigen wie ein Grab!“ erwiderte Linus und so erzählte ihm Balduraya die ganze Geschichte.
Als sie geendet hatte schaute Linus sie mit grossen Augen an. „Dann weilt also Dabogs Seele jetzt tatsächlich wieder unter uns?“ fragte er nochmals ungläubig. „Ja. Aber all das… ist ziemlich verwirrend.“ „Es ist irgendwie so traurig, das Dabog so ein Schicksal erleiden muss. Vielleicht können uns ja die Nachtelfen einen Rat geben?“ „Darauf hoffen wir natürlich sehr.“ „Dabog bräuchte einfach einen neuen Körper und so etwas ist nicht einfach aufzutreiben, da er die Erlaubnis von jemandem bräuchte, der vielleicht gerade im Sterben liegt. Ansonsten funktioniert es nicht.“ „Irgendeine Lösung finden wir sicher. Vielleicht kann er ja doch mal vorübergehend in seinen alten Körper zurück.“ „Das wird schwierig und je älter sein einstiger Körper wird, umso schwerer fällt ihm das natürlich. Denn eigentlich befinden sich die Körper der Untoten in einem stetigen Verfall. Durch die Magie der Apotheker von Unterstadt, wird dieser Verfall nur verlangsamt.“ Linus nickte zustimmend. „Aber du darfst wirklich keinesfalls etwas von dem was wir besprachen weitersagen, sonst…“
Balduraya hielt inne, denn sie vernahmen auf einmal aufgeregte Rufe vom Lager herüber.
Tyrande war gerade daran, nochmals etwas Holz auf das Feuer zu legen, damit dieses die Nacht durchbrennen konnte, als sie auf einmal zwei riesige Nachtsäbler, mit Reitern auf ihren Rücken auf der, ein Stück weit entfernten Strasse, auftauchen sah. Ein kleinerer Nachtsäbler lief nebenher. Er war grauschwarz und besass helle Flecken, die Reittiere waren eines weiss mit schwarzen und eines schwarz mit helleren Streifen. Bei den Reitern handelte es sich eindeutig um Nachtelfen. Auch Tyrandes Tierbegleiter Gleska, hatte sie entdeckt und erhob sich nun mit gesträubten Fell. Sie wusste auch nicht genau, was sie von diesen riesigen Wildkatzen und ihren Besitzern zu erwarten hatte. Tyrande beobachtete die Neuankömmlinge von ihrem Versteck aus. Bei den Reitern handelte es sich um eine Frau und einen Mann. Beider waren gutaussehend, mit golden und silbern leuchtenden Augen und langem blauschwarzem Haar. Ihre Haut war lilafarben. Die junge Blutelfin erfüllten gemischte Gefühle. Einerseits fürchtete sie sich natürlich ziemlich vor den Nachtelfen, weil diese der feindlichen Fraktion angehörten, doch zugleich war sie zutiefst beeindruckt und sehr aufgeregt. Sie konnte ihren Blick kaum von dem jungen Mann wenden, der in anmutig, lässiger Haltung die riesige Raubkatze lenkte.
Genauso hatte sie sich das Idealbild eines männlichen Nachtelfen vorgestellt. Seine Ausstrahlung war so ganz anders, als jene der Blutelfen Männer. Er wirkte viel ruhiger, gelassener und in keinster Weise arrogant. Der kleinere Nachtsäbler schien zu ihm zu gehören, denn er rief diesen nun zu sich und dieser gehorchte sofort. Der junge Mann, war also auch ein Waldläufer, genau wie sie!
Tyrandes Mitreisende, kamen nun ebenfalls aufgeregt angelaufen, sie befürchteten wohl auch von der Allianz entdeckt worden zu sein und machten sich für einen möglichen Kampf bereit. In diesem Moment jedoch, nahm der Nachtelfen Mann ein Papier aus seiner Tasche und hielt es hoch. „Hier kommt die Eskorte nach Darnassus. Wir sind die Nachtschwingen Geschwister, ihr habt nichts von uns zu befürchten!“
Tyrandes Herz machte einen Freudensprung. Der gutaussehende Kaldorei, gehörte also zu ihrer Eskorte, darüber war sie sehr froh!
Sie und die anderen wagten sich nun aus ihrem Versteck und die Nachtelfen stiegen von ihren mächtigen Reittieren und begrüssten sie, indem sie ihnen die Hand reichten. „Elune adore! Ich bin Cerunnos Nachtschwinge.“ sprach der junge Nachtelf freundlich, als er zu Tyrande kam. „Elune sei auch mit dir… Cerunnos!“ erwiderte die Blutelfen- Jägerin und sie merkte, wie ihre Wangen rosig anliefen. Das ärgerte sie, denn selbst wenn es Cerunnos ähnlich ging, bei seiner dunkleren Haut fiel es jedenfalls nicht auf. Irgendwie fühlte sie sich ertappt und senkte schnell den Blick. Der Nachtelf lächelte ein unergründliches, stilles Lächeln und zog seine Hand, die er Tyrande gereicht hatte, wieder zurück.
Auch Gwydyon schaute den beiden Nachtelfen neugierig entgegen. Die junge Nachtelfenfrau, weckte ebenfalls sogleich sein Interesse. Sie war wunderschön, bekleidet mit einem grünen, mit Blättern und Federn verzierten Lederwams, welche ihre schlanke, wenn auch nicht gar so schlanke Figur, wie jene der Blutelfen, sehr schön betonte. Ihr Bauchnabel lag frei und ihre Augen funkelten wie silberne Edelsteine. Ihr Gesicht war makellos ihr Ausdruck irgendwie verträumt und sanft, auf eine Weise, die Gwydyon sogleich berührte.
Verlegen reichte er der jungen Frau die Hand und senkte dann ebenfalls verlegen den Blick. So kannte er sich selbst gar nicht.
„Habt ihr eine gute Reise gehabt?“ fragte der Nachtelf, welcher sich Cerunnos nannte. „Ja, danke,“ erwiderte Tyrande. „Aber wir sind schon froh, seid ihr hier. Man weiss nie, was alles passieren kann, ohne die Passierscheine.“ „Ihr seid aber einer mehr,“ gab Cerunnos zu bedenken und deutet auf Linus. „Das ist mein Sohn!“ sprach Gwydyon schnell. „Er… ist… etwas unerwartet zu uns gestossen.“ Cerunnos musterte den Jungen, einen Augenblick lang nachdenklich und etwas misstrauisch. „Da er keinerlei Papiere hat, müssen wir uns eine Geschichte einfallen lassen. Immerhin sieht er ja schon ziemlich wie ein Nachtelf aus, mit seinen silberblauen Augen. Überlasst das einfach mir!
Wir sollten nun zusehen, dass wir in den Posten der Silberschwingen kommen, bevor die Nacht ganz hereinbricht. Löscht das Feuer und packte eure Sachen zusammen! Es ist ja kein weiter Weg.“ Die Reisenden nickten und taten, wie ihnen geheissen. Als Tyrande sich anschickte ihre Reisetasche, mit einem Teil des Proviants, aufzuheben, eilte Cerunnos ihr zu Hilfe. Er hob die Tasche, welche doch ziemlich schwer war, hoch und meinte mit einem sanften Lächeln. „Ich helfe dir! Du kannst die schwere Tasche auf meinen Nachtsäbler laden. Wie seid ihr eigentlich hergekommen?“ „Mit Flugreittieren aus Ogrimmar, aber sie sind mittlerweile wieder zurückgeflogen. Sie wären zu auffällig gewesen, hier in Allianz Gebiet. Wir hofften, beim Posten der Silberschwingen, ein paar Reittiere auftreiben zu können.“ „Das wird bestimmt gehen,“ stimmte Cerunnos zu „und sonst kann auch jemand noch auf unseren Nachtsäblern mitreiten. Sie sind sehr stark.“ „Es sind auch wundervolle Reittiere, die Nachtelfen sind weit herum bekannt für diese Reittiere.“ Unser Erzdruide Fandral Hirschaupt, wollte deswegen auch, dass wir mit ihnen zu euch reisen. Er wollte damit angeben. Mir persönlich ist es egal, wie ich reise. Ich muss nur gut von einem Ort zum anderen kommen. Ob ich nun einen Widder unter dem Hintern habe, oder einen Nachtsäbler, spielt dabei keine Rolle!“ Wieder lachte er, diesmal herzhaft. Tyrande mochte ihn wegen seiner unkomplizierten Art sehr. Wie anders waren da doch die Männer ihres Volkes, welche keine Gelegenheit ausliessen mit ihrem Reichtum oder sonstigen Fähigkeiten zu prahlen.
Als sie aufbrachen, stiessen Tyrande und Cerunnos beinahe gleichzeitig einen lauten Pfiff aus, um ihre tierischen Begleiter Spirit und Gleska zu sich zu rufen. Tatsächlich kamen diese dann Seite an Seite angelaufen. Sie schienen sich gut zu verstehen, wie ihre Meister. Gleska war ja auch eine männliche, Spirit eine weibliche Raubkatze und so war das kein Problem.
Als die beiden Katzen so einträchtig vereint dahergetrabt kamen, lächelten sich die beiden Elfen in stiller Zwiesprache zu. Es war ganz klar, dass sie beide ähnliche Gefühle für ihr Gegenüber hegten, wie jenes für sie. „Es ist schön, mal einen Nachtelfen Waldläufer kennenzulernen,“ sprach Tyrande. „Ihr lebt hier bestimmt noch viel mehr im Einklang mit der Natur als wir in Silbermond.“ „Auch nicht mehr so im Einklang wie einst. Einige seltsame Vorfälle haben wir auch hier im Nachtelfenreich zu beklagen. So verhalten sich einige Wildtiere seit einiger Zeit ziemlich aggressiv, auch Angriffe von Elementaren hatten wir schon ein paar und auch einige Leute verhalten sich seltsam. Ismala, welche ja eine Druidin ist, hat gesagt, dass irgendetwas im Smaragdgrünen Traum vor sich geht. Es gibt ausserdem Geschichten, von sogenannten Schlafwandlern, die auf einmal ohne ersichtlichen Grund, andere Menschen angreifen und Teldrassil der grosse Baum, in dessen Zweige Darnassus gebaut wurde, scheint an einer Art Krankheit zu leiden.“ Tyrande schaute den Nachtelfen beunruhigt an. „Wisst ihr denn schon, was da genau vor sich geht?“ „Nein, leider nicht. Es sind aber irgendwelche Veränderungen im Gange, die ich noch nicht einzuordnen weiss.“ „Varunna ist ja auch ein Druide und auch er hat von seltsamen Ereignissen im Traum berichtet. In Ogrimmar und Unterstadt, soll es auch schon Vorfälle mit diesen sogenannten Schlafwandler gegeben haben und seltsame Kulte treiben ihr Unwesen und wollen immer mehr zu den Werten der Alten Horde zurück.“ „Das klingt alles gar nicht gut. Ich hoffe auf jeden Fall, dass es dir hier doch gefallen wird und dich meine Geschichten nicht zu sehr abgeschreckt haben.“
Cerunnos hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Wie konnte er Tyrande nur all diese Schauergeschichten erzählen, da sie doch als Pilgerin hierhergekommen war? Vielleicht war sie jetzt desillusioniert und er war schuld daran. Dabei wünschte er sich so sehr, dass sie länger bleiben würde. Die junge Blutelfin hatte ihn von Anbeginn verzaubert und er spürte mit ihr eine Verbindung, die er niemals für möglich gehalten hätte. Bisher hatte er die Blutelfen stets verachtet, denn er sah in ihnen nicht mehr als einen Feind seines Volkes, den es zu bekämpfen galt. Für ihn waren alle Sin Dorei (Blutelfen), arrogante, selbstverliebte und magiesüchtige Kreaturen gewesen. Doch jetzt, da er Tyrande kennengelernt hatte, geriet sein ganzes Weltbild ins Wanken. Er und die junge Blutelfin waren sich viel ähnlicher, als er jemals für möglich gehalten hätte und er musste wieder an seine Vision zurückdenken, als ihm die Göttin Elune erschienen war und ihm den Wert dieser Rückkehr der Kinder des Sonne vermittelt hatte. Tatsächlich glaubte er nun durch Tyrande einen verloren geglaubten Teil seiner selbst wiedergefunden zu haben und es bewegte ihn zutiefst. Er musste ihr unbedingt erzählen, was Elune ihm damals gesagt hatte, damit sie nicht gleich wieder die Flucht ergriff.
„Ich habe eure Ankunft in einer Vision gesehen,“ sprach er deshalb und wie vermutet, schaute ihn die Blutelfin erwartungsvoll an. Cerunnos erzählte die ganze Geschichte, von dem einzigartigen Erlebnis dass er damals mit der Mondgöttin Elune gehabt hatte. (siehe: Einführungsgeschichten der Juwelen von Azeroth Cerunnos! https://belletristica.com/de/books/9731-juwelen-von-azeroth-einfuhrungsgeschichten/chapter/21360-juwelen-von-azeroth-cerunnos-jager-der-nachtelfen )
Tyrande hörte ihm tief bewegt zu. Als Cerunnos geendet hatte, sprach sie: „Dann ist es also tatsächlich der Willen der Göttin, dass wir hergekommen sind?“ „Es sieht ganz so aus. Sie sagte jedenfalls: Eine andere Zeit bricht an und du...wirst einer von jenen sein, die das unmittelbar miterleben werden. „Das ist ja eine wundervolle Geschichte. Und du bist sicher, dass dir Elune wahrhaftig erschienen ist.“ „Ja, ich konnte es zuerst auch nicht glauben, aber alles war sie mir damals sagte, hat sich bewahrheitet. Sie kündigte mir ganz klar euren Besuch an, bevor ich davon überhaupt durch unsere Hohepriesterin Tyrande Whisperwind und den Erzdruiden Fandral Hirschhaupt erfuhr. Die Hohepriesterin selbst bestätigten mir sogar, dass meine Vision wahrhaftig gewesen ist. Es gibt also einen guten Grund, warum du und deine Freunde hierhergekommen seid und jetzt da ich dich besser kenne, bin ich davon noch mehr überzeugt.“ Tyrande lächelte geschmeichelt. „Mir geht es ganz ähnlich. Auch ich spüre tief in meinem Inneren, dass meine Reise hierher, eine ganz besondere Bedeutung hat.“ Sie drückte kurz die grosse Hand des Nachtelfen und dann hatten sie den Posten der Silberschwingen auch schon erreicht.