32. Kapitel
Neu erwachende Emotionen
Als Aeternias schliesslich wieder hinunter in die Gaststube ging, wollten alle von ihm wissen, wie es Egeria gehe. Einmal mehr staunte der Verlassene über den plötzlichen Sinneswandel der Sterblichen. Gerade noch hatten sie ihn und Egeria argwöhnisch und voller Abscheu gemustert und nun schienen sie sich auf einmal wieder für sie zu interessieren. Wer sollte das auch verstehen? Kühl antwortete er deshalb auf ihre Fragen: „Es geht ihr gut. Sie schläft, dafür hat Linus ja gesorgt.“ „Jemand musste sich ja schliesslich um dieses arme Ding kümmern,“ meinte Balduraya mitfühlend „das alles muss unglaublich beängstigend für sie sein. Immerhin war sie schon so lange tot und nicht nur einfach tot, sondern nur noch ein Häuflein Asche. Unglaublich, dass dieser Kapuzendämon es geschafft hat, ihren Körper, auf solche Weise, wiederherzustellen.“
„Was Egeria allerdings auch nicht viel nützt,“ sprach Cerunnos ernst „denn immerhin wurde sie einstmal, auf schreckliche Weise, aus dem Leben gerissen. Da musste es ja schlimme Folgen haben, wenn man sie einfach so ins Leben zurückholt.“
„Cerunnos hat leider recht,“ stimmte Ismala zu. „Solch nekromantische Praktiken haben immer irgendwelche Folgen.“
„Ich erwarte auch nicht, dass ihr das versteht,“ gab Aeternias finster zurück. „Ihr verachtet uns Verlassene sowieso schon seit ewigen Zeiten. Ich weiss, dass ihr uns für Missgeburten und schreckliche, seelenlose Kreaturen haltet. Doch euer Horizont ist viel zu beschränkt, um euch darüber ein Urteil bilden zu können.“
Als Aeternias so mit Ismala sprach, fühlte Gwydyon Ärger ins sich aufsteigen und er antwortet mit eisiger Stimme: „Du bist ganz bestimmt nicht in der Position, so mit uns zu sprechen! Bei allem was du schon angerichtet hast. Alles was du anfasst wird zerstört. Du hast Linus entführt, um eine Frau zum Leben zu erwecken, die nicht einmal zum Leben erweckt werden wollte.
Du hast dich kein Bisschen um die Folgen deiner Taten geschert. Also nimm deinen Mund nicht zu voll!“
Aeternias knurrte und wollte sich erheben, um dem arroganten Blutelfen eins zu verpassen, doch dann überlegte er es sich doch anders. Tatsächlich war er nicht wirklich in der Position so mit den anderen zu sprechen, denn immerhin hatten sie ihn, trotz seiner Vergehen, noch nicht vernichtet. Was ihm nach wie vor ein Rätsel war. Dennoch… sie hatten ihn verschont, warum auch immer. Aeternias Verstand war immer noch scharf genug, dass er das erkannte und so seufzte er kurz auf, als er sich in seinen Stuhl zurückfallen liess.
„Wie auch immer,“ lenkte er ein. „Es hat sich ja doch noch alles zum Guten gewendet. Wir sollten aber Linus im Auge behalten. Denn es kann gut sein, dass nach diesem Kapuzendämon, noch andere Dämonen kommen werden, um ihn zu entführen. Sie haben besondere Pläne mit ihm.“
„Pläne? Was für Pläne!“ rief Gwydyon erschrocken aus. „So wie ich es verstanden habe, soll er als Gefäss für einen Dämonenlord namens Razoc dienen. Ich weiss nicht genau, was das für ein Dämon ist, aber jedenfalls soll er sehr mächtig sein. Linus hat ja auch wirklich unglaubliche Kräfte. Kein Wunder, will die Brennende Legion in rekrutieren.“
„Ich lasse mich aber keinesfalls von denen rekrutieren!“ rief der Junge aus. „Ich will meine Kräfte in den Dienst des Guten stellen!“
„Und da dachtest du, du fängst gleich mal mit der Erschaffung eines neuen Körpers für unseren Dabog an! Ob das wirklich so überaus gut ist?“ erwiderte Aeternias spöttisch.
„Ausgerechnet du urteilst über mich!“ rief Linus „Sieh nur wie Egeria leidet! Das ist deine alleinige Schuld!“
„Ach ja und du denkst, das was du vorhast, ist besser? Mach dir doch nichts vor Kleiner!“
„Das ist nicht dasselbe!“ begehrte Linus auf und seine Augen verdunkelten sich. „Ich werde nicht einfach irgendwen wieder zum Leben erwecken. Ich werde einen, von Grund auf neuen Körper, für Dabog erschaffen und seine Seele kann ihn dann beziehen. Das ist ganz etwas anderes. Das was dieser Kapuzendämon mit Egeria gemacht hat, ist viel schlimmer. Sie hat nur noch das Erinnerungssystem ihres Körpers und ihrer Zellen, darum leidet sie so. Ihre Seele ist jedoch schon lange fortgegangen, ebenso wie deine!“
„Das glaube ich nicht!“ rief Aeternias mit plötzlicher Heftigkeit. „Wenn es so wäre, dann wäre sie niemals so aufgewühlt. Sie hat so etwas wie eine Seele, da bin ich mir sicher und auch mit mir… ist irgendetwas passiert. Besonders seit sie wieder bei mir ist. Ich erinnere mich plötzlich wieder an eine Menge Dinge: Da sind seltsame Gefühle, die ich mir nicht erklären kann. Alles ist so… durcheinander. Mein Kopf… er fühlt sich an wie Matsch. Ich kann nicht mehr klar… denken.“ Der Verlassene klopfte sich verzweifelt mit den Fingerknöchelnd gegen die Schläfen. „Es ist… wie ein Bienennest da oben. Ich kann nichts dagegen machen.
Es tut mir leid… ja, es tut mir alles sehr leid. Vor allem auch, was ich dir angetan habe Linus. Ich habe nicht begriffen was ich tat. Ich war voller Hoffnung aber nun… ich weiss tatsächlich nicht, ob es richtig war… auch das mit Egerias Auferweckung.“
Aeternias verbarg das Gesicht in seinen Händen, er wirkte auf einmal kraftlos und verzweifelt. Gwydyon und die anderen schauten den Verlassenen ungläubig an. Sie konnten kaum fassen, was sie da sahen und hörten. Aeternias schien sich wirklich verändert zu haben. Oder… versuchte er sie vielleicht zu täuschen, damit sie ihn in Ruhe liessen?
In Linus leuchtenden Augen, blitzte ein Funken von Mitgefühl auf und er betrachtete den Verlassenen prüfend. „Es… tut dir wirklich leid?“ fragte er.
Aeternias schüttelte sich, als wären ihm die Empfindungen, die ihn gerade überkommen hatten, auf einmal wieder peinlich. Etwas unwirsch erwiderte er: „Ja, ich habe es doch gerade gesagt!“
„Ist das wirklich dein Ernst!“ ein Hauch der Zuneigung, die ihm Linus, anfangs als sie sich kennengelernt hatten, entgegengebracht hatte, schien wiedererwacht zu sein. „Dann… bist du ja doch nicht so gefühllos, wie ich dachte,“ sprach der 15- jährige. Aeternias knurrte: „Vermutlich nicht, ich weiss auch nicht! Mir wäre lieber, es wäre anders. Ich kann es mir auch nicht erklären. Aber Egeria hat das wohl wieder in mir geweckt. Vielleicht ist auch Lumnia schuld. Sie hat damals diesen Zauber auf mich geworfen und mich gezwungen ihr bei Tarrens Mühle, gegen andere meiner Art, beizustehen. Ihre Gefühle… sind vielleicht irgendwie auf mich übergesprungen und… haben sich nun da oben festgekrallt!“ Wieder klopfte er sich heftig gegen seinen Kopf, als wolle er diese lästigen, neuen Emotionen wieder aus sich herausschütteln. „Sie sind… wie blutsaugende Insekten, die mir… die Kraft rauben!“ sprach er. Dabei knirschte er mit den Zähnen, als würde er grosse Schmerzen leiden.
„Tja,“ meinte Gwydyon ironisch „Gefühle können oftmals sehr schmerzhaft sein!“