31. Kapitel
Verwirrende Gefühle
„Sie sind zurück!“ rief Ismala, als sie zum Himmel hinaufblickte und sah, wie sich Gwydyon mit seinen Begleitern, auf den mächtigen Hippogryphen näherten. Sofort lief Balduraya zu ihr hin und die anderen folgten ihr voller Freude. Die Flugreittiere landeten und wurde sogleich von den Elfenwächterinnen, des Hains der Silberschwingen, empfangen. Zwei besonders Kräftige, packten den Kapuzendämon sofort und brachten ihn zu einem, eigens für ihn vorbereiteten Gefängnis, dessen Gitter und Wände magisch verstärkt waren. Sie legten dem Dämonen ausserdem einen magiedämmenden Halsreif an.
Als er sicher verwahrt war, zog Linus seinen Bannzauber zurück und atmete tief durch. Endlich konnte er sich wieder etwas entspannen.
Balduraya lief zu dem Jungen und umarmte ihn voller Freude. „Du bist zurück! Oh, ich bin so froh!“
„Tante Raya!“ rief der Junge „Ich glaube ich werde dir und Dabog jetzt endlich helfen können!“
„Das spielt im Augenblick keine Rolle!“ sprach die junge Frau und musterte ihn von oben bis unten. „Die Hauptsache ist, dass es dir gut geht. Was bist du gross geworden!“
„Ja, meine Kräfte sind auch sehr gewachsen.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. In Zukunft bleibst du aber immer in unserer Nähe, damit nie wieder so etwas, wie diese Entführung, passieren kann. Verstanden?“ Ihre Stimme klang nun streng.
„Ja, ich hätte vielleicht nicht rausgehen dürfen in jener Nacht. Aber ich wollte einen Zauber ausprobieren. Stell dir vor, es gelang mir sogar die Kopie eines Kaninchens zu erstellen. Leider kann ich ihm aber keine richtige Seele geben.“
„Ich weiss nicht, ob es gut für dich ist, wenn du dich weiter an solchen Zaubern versuchst,“ gab Balduraya besorgt zu bedenken. „Vielleicht ist es einfach Schicksal, das Dabog und ich nie richtig zusammen sein können…“
Sie schwieg abrupt, als der beseelte Untote sich ihnen näherte. Als sie diesem in die, wieder neu belebten Augen blickte, die soviel Wärme und Liebe ausstrahlten, bereute sie jedoch sogleich wieder, was sie gesagt hatte. Sie bekam weiche Knie und ging auf Dabog zu.
Einen Moment lang, schauten sich die beiden nur an, die Luft zwischen ihnen schien zu prickeln und zu vibrieren. Und dann umarmte Balduraya den Verlassenen innig. Sie vergass dabei vollkommen, dass es ein bereits verwesender Körper war, den sie da umarmte. Sie versank voll und ganz in der tiefen Liebe, die sie hinter diesem Körper, hinter diesen Augen befand und einmal mehr spürte sie, wie ihre beiden Seelen, sich zu Einer vereinigten!
Etwas erschrocken löste sich Dabog von der jungen Frau und trat einen Schritt zurück. „Nein! Ich kann nicht!“ sprach er und lief fluchtartig davon.
Balduraya erwachte wie aus einer Trance und blinzelte. Dann blickte sie verlegen und unsicher zu Linus herüber „Es…tut mir leid ich…“
Der Junge nickte verständnisvoll und sprach: „Siehst du er und du, ihr gehört einfach zusammen! Ich werde euch helfen das zu erreichen und wenn es meine ganze magische Kraft kosten mag!“ Dann ging der Junge davon und begrüsste auch seine anderen Freunde herzlich.
Als Gwydyon wieder aus dem Sattel stieg, lief Ismala zu ihm hin. Ihre Augen strahlten ihn glücklich an und er bereute wieder, wie schlecht er sie damals am Fluss behandelt hatte. Er trat lächelnd auf sie zu und sprach: „Jetzt ist alles gut, Linus ist wieder bei uns.“
Sie nickte etwas verlegen und nach einigem Zögern, ergriff er ihre weichen Hände, mit den langen, schlanken Fingern. „Es tut mir leid… ich stand die letzte Zeit wohl etwas neben mir. Ich hätte dich nicht so schlecht behandeln dürfen. Ich muss mich wohl erst daran gewöhnen, dass es jemand gut mit mir meint.“
„Aber so viele meinen es doch gut mit dir,“ widersprach die Nachtelfin erstaunt.
Gwydyon liess seinen Blick kurz zu Tyrande herüberwandern, welche nahe bei Cerunnos stand und mit Linus sprach. Doch dann riss er sich wieder los und sprach: „Ja, vielleicht ist mir das manchmal zu wenig bewusst. Jedenfalls Danke, dass du für mich da warst. Ich schätze das wirklich sehr, auch wenn ich es nicht immer so gut zeigen kann.“
„Schon in Ordnung,“ erwiderte die Nachtelfin leise.
„Dann gehen wir jetzt erst einmal rein und nehmen eine Stärkung zu uns!“ rief Gwydyon, um die Stimmung etwas aufzulockern und machte sich auf den Weg zur Gaststube, ohne jedoch Ismalas Hand loszulassen. Diese lachte hell wie eine Glocke und liess sich von ihm mitziehen.
Einen Augenblick lang, huschten Bilder der Erinnerungen an Gwydyons innerem Auge vorbei. Früher, als er und Tyrande noch sehr jung gewesen waren, hatten sie sich oft so an den Händen gehalten und etwas zusammen unternommen. Doch diese Zeit, lag schon lange zurück und Tyrande und auch er, hatten sich sehr verändert. „Vielleicht wird es Zeit für eine neue Liebe in meinem Leben,“ dachte er bei sich und fühlte sich auf einmal seltsam befreit.
Aeternias beobachtete den herzlichen Empfang von Linus, Dabog und Gwydyon aus einiger Entfernung. Niemand beachtete ihn und wenn, dann warf man ihm eher verachtende Blicke zu.
Egeria schaute sich verwirrt um. „Wo… sind wir, was ist geschehen?“ Aeternias erwiderte, während er beruhigend den Arm um sie legte: „Wir sind im Hain der Silberschwingen. Dieser befindet sich im Eschental. Erinnerst du dich noch an das Eschental?“
„Ja… habe ich nicht einst hier in der Gegend gewohnt?“
„Ja, vor vielen hundert Jahren, haben wir tatsächlich hier gelebt. Doch dann mussten wir fort, weil durch die grosse Teilung unsere Heimat zerstört worden war. In Lordaeron fanden wir dann eine neue Heimat. Doch dann mussten wir gegen die Geissel des Lichkings kämpfen. Du wurdest dabei… getötet und…konntest, nicht wie ich, wiedererweckt werden. Weil…“ Aeternias brachte die Worte nicht über die Lippen, auch wenn er nicht genau verstand warum.
Doch Egerias Augen weiteten sich, als die entsetzlichen Erinnerungen auf einmal, wie finstere Schatten, über sie hereinbrachen. „Ich… wurde verbrannt… habe ich recht!?“ Auf einmal zitterte sie wie Espenlaub. „Ich wurde verbrannt! Es war dieser Hexenmeister… Es war schrecklich! Ich… konnte nichts tun! Ich konnte… mich nicht bewegen!“
Plötzlich ergriff blankes Entsetzen die blasse Elfe und zu Aeternias Erstaunen, begann sie heftig zu weinen und zu schreien. Sie schaute ihre Hände an, sie schaute an sich herunter. „Alles, alles, es brennt, es brennt! Es tut so weh! So… schrecklich weh! Ich kann nichts tun! Aeternias ich sterbe, ich sterbe! Bitte hilf mir, hilf mir, ich zerfalle zu Asche!“
Der dunkelhaarige Untote, fühlte sich vollkommen hilflos und umarmte Egeria fester „Nein du stirbst nicht, du bist doch erst wieder zu mir zurückgekehrt. Du stirbst ganz bestimmt nicht!“
„Doch, doch, ich bin schon so lange tot, du bist schon lange… tot! Es gibt keine Rettung mehr für uns!“
Während Aeternias seine einstige Gemahlin versuchte zu beruhigen, liefen Linus und die anderen besorgt zu ihnen herüber.
Egeria krümmte sich, schrie und weinte immer weiter. „Ich will endlich sterben! Ich will, dass der Schmerz aufhört, bitte mach, dass er aufhört!“ Sie klammerte sich so sehr an Aeternias, dass ihre Finger sich schmerzhaft in sein Fleisch bohrten.
„Bitte Egeria, beruhig dich doch! Du lebst wieder, man hat dich zu mir zurückgebracht!“
„Nein, nein, nein! Ich gehöre nicht hierher! Alles… es ist falsch es ist unnatürlich!“
Linus trat nun neben das verzweifelte Paar und berührte Egeria sanft an der Stirn. In diesem Augenblick erschlaffte ihr Körper und sie sackte in Aeternias Armen zusammen.
„Was hast du mit ihr gemacht?“ fragte der Verlassene und in seinen Eingeweiden spürte er so etwas wie Zorn aufsteigen.
„Nur keine Sorge. Ich habe sie nur für eine Weile einschlafen lassen. Sie muss sich erst wieder beruhigen. Trag sie in dein Zimmer und gönn ihr erstmal die wohlverdiente Ruhe. Immerhin warst du es ja auch, der ihre Ruhe gestört hat, wenn man es genauer betrachtet. Es wird vermutlich noch etwas dauern, bis sie sich an all das hier gewöhnt hat. Immerhin war sie vor kurzem nur noch ein Häuflein Asche.“ Linus Worte trieften vor Sarkasmus und wieder glaubte Aeternias, Wut in sich aufsteigen zu spüren. Wie nur konnte das alles sein? Wie konnte sein, dass ihn das alles so beschäftigte, obwohl er doch eigentlich keine Gefühle mehr hätte haben sollen? Er nickte ohne ein weiteres Wort, hob Egeria auf seine Arme und trug sie hinauf in sein Zimmer.